Читать книгу Perry Rhodan 3100: Sternenruf - Christian Montillon - Страница 11

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2.

Die Kluft

In der Stunde, ehe der Weltraum aufriss, fühlte sich Anzu Gotjian wohl.

Es gab schließlich keinerlei Grund, sich zu beschweren. Ihr neues Leben im Tannhäusersystem war spannend. Sie lernte immer besser, mit ihrer eigenartigen Paragabe umzugehen, und sie genoss die gelegentlichen Hyperfunkgespräche mit Gucky, der ihr nicht nur ein guter Lehrer war, sondern den sie schlicht und einfach mochte. Und mal ehrlich – den Mausbiber musste man lieben!

Weil sie an ihn dachte, rief sie die Aufzeichnung ihres letzten Gesprächs auf, das schon wieder zwei Wochen zurücklag. Sie ließ die Kabinenpositronik das kleine Holo unter die Decke projizieren, sodass sie bequem in der Wanne mit warmem Wasser liegen bleiben konnte, den Kopf in den Nacken gelegt. Dieser Extrawunsch für die Ausstattung ihres Quartiers war jeden bürokratischen Ärger vor der Genehmigung wert gewesen. Ein heißes Bad war immer noch das Beste für verspannte Muskulatur.

Aus der Aufnahme grinste Gucky sie an, was bei ihm bedeutete, dass er seinen Nagezahn umso deutlicher präsentierte. »Anzu«, sagte er und dehnte dabei das u auf eine Art und Weise, wie es sonst niemand tat, »es ist wirklich unfair! Du lässt es dir gut gehen, ziehst um, erlebst spannende Sachen, und ich ...«

»Ach, du Armer!«, hörte Anzu ihre eigene Stimme – da es sich um die optische Aufzeichnung ihres Hyperfunkgeprächs handelte, zeigte das Bild nur ihren Gesprächspartner, den Mausbiber. »Du musst dir die Sonne auf den Pelz brennen lassen.«

»Och.« Gucky strich sich über das Fell der rechten Schulter. Es schimmerte rotbraun in der strahlenden Helligkeit. Im Hintergrund toste das Rauschen von Wellen. Leider stand die Aufnahmeoptik so, dass hinter Guckys Kopf und Oberkörper nur das Blau des Himmels zu sehen war. »Ich bin gerade auf einer der Inseln von Neu-Atlantis und muss zugeben, es ist nett. Aber nicht immer. Vorhin hat es geregnet, und das ...«

»Und ich«, sagte Damals-Anzu, »gäbe etwas dafür, durch einen schönen Regenguss auf einer idyllischen terranischen Insel zu spazieren! Stattdessen hocke ich am Raumhafen, weil sich der Start verzögert. Es gibt irgendeinen Defekt an der TANNHÄUSER, und bis die Ingenieure fündig werden, kann es noch Tage dauern!«

»Soll ich dich abholen?«

»Was?«

Gucky tippte sich an die Fellohren. »Ob ich dich abholen soll«, wiederholte er überdeutlich und gedehnt, aber in einem so freundlichen Tonfall, dass sie ihm am liebsten durchs Fell kraulen würde. »Können wir machen«, meinte er. »Teleportation, zack, ich kann in einer Minute bei dir sein.«

»Schön wär's. Leider irrst du dich. Kannst du nicht.«

»Typisch Anzu. Glaubst, mir sagen zu müssen, was ich kann und was nicht.«

»Ich sitze nicht auf Terra, sondern auf halber Strecke zum Tannhäusersystem, anderthalbtausend Lichtjahre vom Solsystem entfernt. Der Kommandant dieses klapprigen Passagierkreuzers hat hier Waren getauscht, und tja, da war er irgendwo, der verflixte Fehler.«

»Pah!«, machte Gucky. »Das ist ja noch typischer für die gute Anzu. Korrigierst mich und hast zu allem Überfluss recht damit.« Er seufzte theatralisch. »Wo soll das bloß hinführen? Am Ende übernimmst du bald meinen Posten als Retter des Universums.«

»Kein Interesse.«

»Sicher? Ich könnte etwas Ruhe gebrauchen. Ist ja nicht nur lässig, weißt du? Manchmal macht die Verantwortung keinen Spaß.«

»Gucky, das tut mir leid für dich, wenn ...«

»Ha! Quatsch! Ist super, wenn man mal wieder den Karren aus dem Dreck zieht und der Held ist, der der ganzen Menschheit den Hintern rettet.« Im Hintergrund übertönten nun keckernde Vogelrufe das Wellenrauschen. Sie klangen ein wenig nach einem jammernden Kind. »Aber im Ernst, Anzu – was macht deine Paragabe? Gibt es etwas Neues?«

»Zum Glück nicht.«

»Was hast du zuletzt gesehen?«

»Es liegt erst einen Tag zurück. Es war ein Vogel, wie er auf diesem Planeten heimisch ist. Leider habe ich nicht herausgefunden, wie weit entfernt er gerade geflogen ist. Immerhin war er mit seinem regenbogenfarbenen Gefieder wirklich schön – und das ist doch auch was, oder nicht?«

»Und du hast ihn gesehen, während er in Bewegung war?«

»Nur wenige Sekunden lang. Dann ist er aus dem Bild geflogen, wenn du so willst.«

»Will ich nicht. Aber wenn du das nächste Mal etwas siehst, das sich bewegt, versuch dranzubleiben. Es mit deiner Gabe zu verfolgen.«

»Keine Chance.«

Guckys Fell sträubte sich über der Schnauze. »Sag das nicht! Mutantengaben entwickeln sich, und man kann lernen, damit umzugehen.«

»Ich weiß, aber ...«

»Keinen Widerspruch! Hör auf die weisen Worte deines Chefs – schließlich willst du doch garantiert ein stolzer Mitstreiter in meinem Parakorps sein, was?« Gucky hob beide Arme und deutete in einer theatralischen Geste auf sich.

»Bisher gehöre ich jedenfalls nicht dazu. Und daran möchte ich auch nichts ändern.«

»Atlan wollte ja auch nie Ritter der Tiefe sein und ist es trotzdem. Mach dir also keine Sorgen, dass du außen vor bleiben müsstest, Anzu.«

»Ich muss nicht, ich will. Wie viele Leute kennst du eigentlich, deren Paragabe sich je nach Aufenthaltsort verändert?«

»Das kann ich dir ganz genau sagen!« Gucky kam näher an die Aufnahmeoptiken heran, bis seine Augen nahezu das gesamte Bild erfüllten. »Vor dir waren das exakt und auf den Punkt gebracht null Personen. Und das ist noch so ein Grund, warum ich dich mag. Ich entdecke gerne etwas Neues.«

»Hm.« Sie erinnerte sich genau, dass sie an diesem Punkt eigentlich hatte wütend werden wollen, aber die Art des Mausbibers machte es ihr stets unmöglich.

»Bleib dran, Anzu! Und ehe ich es vergesse: Alles Gute zum Neustart! Weißt du inzwischen, auf welchem Schiff du im Tannhäusersystem unterkommst?«

»Auf der PINO GUNNYVEDA in der Explorerflotte. Mein Posten lautet: Unabhängige Beraterin für Kommandantin Ariela Stafoba.«

Gucky lachte schallend. »Ariela Stafoba? Ernsthaft?«

»Du kennst sie? Das ist ja ein Riesenzufall!«

»Ich hatte nie persönlich das Vergnügen. Aber wie sagt man so schön? Ihr Ruf eilt ihr voraus. Wenn man so wie ich die Ohren offen hält, hört man das eine oder andere.«

»Und zwar?«

»Ach, Liebes, lass dich einfach überraschen. Nur versprich mir bitte etwas: Halt mich auf dem Laufenden. Wann trittst du die Stelle an?«

»In zwei Wochen, wenn alles gut geht.«

»Dann reden wir ein paar Tage danach wieder miteinander. Ich hab das Gefühl, du wirst dich mit Stafo gut verstehen.«

»Stafo?«

»Eine Marke wie sie hat einen knackigen Spitznamen verdient. Ich arbeite noch dran. Vielleicht fällt dir ja etwas Besseres ein.« Mit diesen Worten hatte Gucky sich verabschiedet, und das Letzte, das er damals hatte von sich hören lassen, war ein schallendes Lachen gewesen.

Mit dem Ende der Aufzeichnung erlosch das Holo.

Anzu atmete tief ein und tauchte komplett unter. Das heiße Wasser umspülte Kopf und Haare. Die Wärme prickelte auf den Lippen. Sie hörte ihren eigenen Herzschlag.

Sie tauchte wieder auf, stieg aus der Wanne, stellte sich in den Hitzestrahl und trocknete sich ab. Eine kleine Pfütze blieb auf dem Boden zurück. Sie schlüpfte in Unterwäsche und den hässlichen Einteiler, den man an Bord üblicherweise unter der Uniform trug, die auf dem Stuhl neben der Tür lag.

Und einen Augenblick später traf es sie wie ein Schlag.

Ihr wurde schwindlig. Vor ihren Augen, mitten im Raum, riss die Wirklichkeit auf. Sie sah eine schwarze, sphärische Öffnung, dreieinhalb Meter im Durchmesser.

Dreieinhalb Meter? Wie kam sie auf diese seltsam exakte Größenangabe? Selbstverständlich war diese Öffnung viel kleiner – sie hätte sonst die Grenzen ihres kleinen Badezimmers gesprengt.

Und der Riss vor ihren Augen – die Kluft, dachte sie – wuchs, bis er dreieinhalb Kilometer durchmaß.

Anzu konnte sich kaum auf den Beinen halten. Sie blinzelte. Sie fühlte ihren Herzschlag schmerzhaft in der Halsschlagader pochen.

»Bleib ruhig!«, flüsterte sie. »Du kennst das doch.«

Nur war es diesmal völlig anders. Sie streckte die Hand aus, hatte keine Angst, das Phänomen zu berühren, denn sie wusste, dass es gar nicht da war. Nicht hier. Nicht in meiner Kabine, sondern in großer Entfernung.

Sie sah nur einen Abklatsch, etwas, das sie mit ihrer Mutantengabe wahrnahm, und sie begriff, dass es weiter entfernt lag als alles, was sie zuvor mithilfe ihrer verrückten Fähigkeit gesehen hatte. Und dort draußen im All, wo sich das Original in die Wirklichkeit fraß, durchmaß es nun tatsächlich dreieinhalb Kilometer.

Die Hand fuhr durch das Abbild. Es geschah nichts. Sie spürte weder eine energetische Entladung noch das geringste Kitzeln.

»Die Kluft«, sagte Anzu.

Sie fiel in Ohnmacht.

*

Als sie die Augen aufschlug, blickte sie in die Leuchtdiode eines Medoroboters.

»Sie erwacht«, sagte die Maschine.

»Ach, tatsächlich?«, fragte Anzu. Das heißt, sie wollte es fragen; ihr Mund spielte nicht mit und brachte nur ein unverständliches Brabbeln hervor.

»Ruh dich noch einen Augenblick aus«, empfahl der Medoroboter.

Auf derlei positronische Fürsorge konnte Anzu gut verzichten. Sie zog die Beine an und setzte sich auf. So sah sie, dass nicht nur die Maschine in ihre Kabine gekommen war, sondern auch die Kommandantin höchstpersönlich.

»Hoher Besuch«, sagte Anzu. Obwohl sie sich auf die Worte konzentrierte, hörte es sich eher wie Horschuch an.

Ariela Stafoba hockte sich neben sie auf den Boden. Sie trug nicht ihre Uniform, sondern ein gelbes Shirt und bergseeblaue Hosen. Die roten Haare hingen mit dem für sie typischen strengen Mittelscheitel auf beiden Seiten des Kopfes bis zum Kinn. Sie sah, wie meistens, ein wenig traurig aus. »Bleib ja sitzen, sonst kippst du mir zum zweiten Mal um.«

Anzu versuchte sich an einem Lächeln, das wahrscheinlich ziemlich verunglückt aussah.

»Verlass den Raum, du hast deine Aufgabe erfüllt!«, befahl die Kommandantin dem Medoroboter. Nachdem er verschwunden war, sagte sie: »Fühlst du dich von diesen Dingern auch manchmal beobachtet?«

»Gelegentlich«, antwortete Anzu, »aber es stört mich nicht.« Immerhin gab es eine Menge Positroniken in einem Raumschiff, die ständig alles und jeden im Auge behielten, falls man nicht gerade den Privatmodus im eigenen Quartier aktivierte. Und selbst dann hätte sie ihre Hand nicht dafür ins Feuer gelegt, dass es dabei keine Notfallregeln gab.

»Ich habe etwas gesehen«, sagte Anzu nach einem kurzen Moment. »Ein ... Phänomen. Wie ein Riss in der Wirklichkeit. Ich kann es schlecht beschreiben. Vielleicht etwas Hyperenergetisches.«

»Der Reihe nach – was meinst du mit gesehen? Hier im Quartier oder mit deiner Mutantenfähigkeit?«

»Mit der Gabe.« Die Erinnerung fühlte sich übel an; sie hatte die Kraft, Anzus Herz zu packen und es zu quetschen, bis sie glaubte, es müsste stehen bleiben.

»Gut«, sagte Ariela Stafoba. »Dann müssen wir als Nächstes klären, ob uns unmittelbare Gefahr droht.«

Wenn Anzu das nur wüsste. »Ich hoffe, nicht. Aber es war ...« Sie zögerte. Das Wort, das ihr in den Sinn kam, wirkte unpassend, als stammte es von einem albtraumgequälten Kind. Dennoch sprach sie es schließlich aus: »Es war unheimlich.«

»Erklär es mir! Ich höre zu.« Die Kommandantin lächelte, was bei ihr befremdlich wirkte. Ihr Gesicht schien für hoffnungsfrohe Botschaften nicht gemacht zu sein. »Allerdings bitte nicht hier auf dem Boden. Ist doch ziemlich unbequem. Ich bin so frei, mir selbst einen Platz anzubieten.« Sie deutete in Richtung der beiden Stühle hinter dem kleinen Holztisch; sie standen mit der Lehne gegen die Wand. Stafoba erhob sich und reckte Anzu die Hand entgegen. »Schaffst du es?«

Anzu nickte und griff zu, ließ sich auf die Füße ziehen. Zwar schwankte sie ein wenig, doch das bekam sie rasch unter Kontrolle.

Beide setzten sich.

»Du weißt, dass ich zwar gebürtige Terranerin bin, aber in der anderen Hälfte des Dyoversums geboren wurde. Dort wurde auch meine besondere Gabe geweckt. Anfangs konnte ich mit der Hand feste Materie durchdringen.«

»Bekannt.« Die Kommandantin sah auf ihre eigenen Hände.

»Aber meine Gabe hat gewechselt, als wir durch die Zerozone flogen und dann erneut mit der Ankunft in diesem Zweig des Dyoversums. Seitdem sehe ich hin und wieder Dinge, die ein paar Dutzend oder Hundert Meter entfernt liegen – maximal einen Kilometer.«

»Bekannt.«

Anzu hob die Augenbrauen. »Bitte, hör mir einfach zu. Ich erkläre es deshalb, weil es diesmal anders war. Das Objekt, das ich gesehen habe, befindet sich fast zwei Lichtjahre von unserer Position entfernt.«

»Zwei Lichtjahre?«

»Und es ist keine Materie. Sondern das genaue Gegenteil. Ein Riss im Weltraum. Die Kluft.«

»Du bist einem solchen Phänomen also schon einmal begegnet?«

»Wie kommst du darauf?«

»Du nennst es die Kluft, als wäre es dir nicht neu.«

»Ich weiß nicht, woher der Begriff stammt. Wieso ich ihn kenne. Ebenso wenig wie ich mein Wissen über die Entfernung erklären kann. Nicht nur, dass es so unendlich viel weiter entfernt liegt als alles andere, das ich bisher gesehen habe – ich kann es lokalisieren. Und das Abbild vor meinen Augen ...« Anzu brach ab. Die Kehle wurde ihr eng, als sie daran dachte, und sie fühlte einen Schauer auf dem Nacken. »Als es auftauchte, war mir sofort klar, dass es dreieinhalb Meter durchmisst.«

»Nicht gerade eine Größenangabe, die einem in den Sinn kommt, wenn man etwas abschätzt, oder?«

»Genau. Zumal es nichts gab, zu dem ich die Größe hätte in Bezug setzen können. Rein logisch hätte es einen Zentimeter groß sein können oder einen Kilometer. Aber als ich es gesehen habe, war mir die genaue Größe des Originals draußen im All sofort klar. Und es ist bis auf dreieinhalb Kilometer angewachsen.«

»Was ist es? Diese ... Kluft?«

»Ein Loch in Weltraum«, sagte Anzu.

»Ein Portal? Kann etwas hindurchkommen, wie durch ein Transmitterfeld?«

»Ich weiß es nicht! Aber wir sollten es uns vor Ort ansehen. Und vorsorglich die Liga-Flotte informieren, falls Gefahr droht.«

»Das Militär.« Ariela seufzte. »Die werden alles an sich reißen, das ist dir doch klar?«

»Bleibt uns eine andere Wahl?«

»Wohl nicht.« Das traurige Gesicht der Kommandantin erstrahlte wieder. »Aber wir machen das Beste daraus, verlass dich drauf!«

*

Hautnah dabei

Harold Maurice verbringt den Tag des Sternenrufs als Servicekraft im Restaurant Marco Polo. Er genießt es, zwischendurch zu arbeiten, obwohl es nicht nötig wäre. Auf diese Art kommt er mit Menschen ins Gespräch, er trifft Prominente wie Perry Rhodan, und er ist hautnah dabei, wenn galaxisweite Entscheidungen getroffen werden.

Harold Maurice ist ein Terraner, ein Angehöriger der Liga Freier Galaktiker und damit der Lemurischen Allianz. Und er blickt mit positiven Gedanken in eine friedliche Zukunft.

Perry Rhodan 3100: Sternenruf

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