Читать книгу Perry Rhodan 3100: Sternenruf - Christian Montillon - Страница 12

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3.

Stimmen hören

Bulls Bungalow stand am Westufer des Großen-Goshun-Sees. Rhodan schob seinen Hut ein Stück weit in den Nacken; so spürte er den Regen.

Das Gebäude war würfelförmig, wenngleich nur die oberen zwei Drittel des Würfels sichtbar waren; die Kelleretage, ein ausgeklügelter Sicherheitsraum mit eingebautem Transmitter, bleib den Blicken des Betrachters verborgen.

Was er zu sehen bekam, waren die beiden oberen Etagen. Parterre wie erster Stock hatten eine Höhe von vier Metern bei einer Kantenlänge von zwölf Metern. Hohe Decken – gut, wenn man gelegentlich Haluter zu Besuch hat.

Die zum See hin gelegene Seite des Würfels bestand aus einem Glassit, das von innen nach außen freie Sicht erlaubte. Was innen lag, blieb von außen betrachtet vage und umrisshaft.

Das Gebäude war weiß wie die Mehrzahl der Bauwerke in Terrania. Eine schmale Wendeltreppe führte vom Parterre über den ersten Stock zur Dachterrasse, die von einem Flimmerfeld überwölbt werden konnte.

Im Garten grasten zwei Schafe, einige Gänse beäugten Rhodan misstrauisch. Eine zischte. Angeblich waren es hoch entwickelte und brillant getarnte Whistler-Roboter in Tiergestalt. Rhodan hielt die wachhabenden Kreaturen eher für echte Schafe und Gänse, die ohne Whistlers Zutun das Licht der Welt erblickt hatten. Er ging an den Tieren vorbei und sog den Geruch nach nasser Wolle ein, der den Schafen entströmte.

Bull öffnete ihm persönlich. »Schicker Hut«, sagte er und machte eine einladende Geste.

Rhodan trat ein. Bull schloss die Tür. Rhodan bemerkte, dass der Freund kurz mit dem Zeigefinger über sein Multikom fuhr; wahrscheinlich hatte er es auf diskret geschaltet, sodass keine oder nur die wichtigsten Anrufe gemeldet würden.

Sie gingen zur Couch, die in der Nähe des Fensters stand. Dort saßen sie nebeneinander, und Rhodan genoss für einige Atemzüge die wortlose Verbundenheit, die zwischen ihnen herrschte. »Nun?«, fragte er. »Geht es um Arkon?«

»Arkon?« Bull schüttelte den Kopf. »In M 13 hat der Kristallkanzler alles im Griff, und im Zweifelsfall holt er sich Rat bei Atlan.«

»Was ist es dann?«

Bull schaute in den Regen. »Ich höre Stimmen«, sagte er. »Genauer gesagt höre ich eine Stimme. Seit Freitag.«

»So lange schon? Was sagt die Stimme?«

Bull schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß es nicht. Ein Geraune, als ob man etwas hört, was in einem Zimmer am Ende eines langen Korridors gesagt wird. Kein Interkosmo; keine Sprache, wie ich sie je gehört habe.«

»Konntest du einzelne Wörter notieren? Lautfolgen?«

»Nein. Es ist so fremdartig. Die Laute. Die Melodie. Alles.«

»Könnten Menschen sie artikulieren?«

»Gut möglich. Ja, ich denke. Mit etwas Übung.«

»Bedroht sie dich? Verlangt sie etwas von dir?«

Bull dachte länger nach. »Manchmal vermute ich das«, sagte er. »Dann wieder ...«

»Will sie etwas wissen? Stellt sie Fragen?«

Bull hob hilflos die Arme. »Nein. Ich glaube nicht.«

»Hörst du sie immer? Hörst du sie jetzt?«

Bull lauschte in sich hinein. »Ich bin nicht ganz sicher. Manchmal zieht sie sich weit zurück. Wenn ich mit anderen rede, wirkt sie ...« Er suchte nach Worten und fand dann schließlich eines. »... abgewandt.«

»Aber nicht verstummt?«

»Fast. Manchmal, kurz.«

»Heute ist Mittwoch«, sagte Rhodan. »Seit sechs Tagen hörst du also diese Stimme. Was hast du in der Zwischenzeit in dieser Sache unternommen?« Und er fügte in Gedanken an: Wahrscheinlich hattest du deswegen so wenig Zeit.

»Was ich unternommen habe? Einiges.«

*

»Menschen wie du sind selten unsere Klienten«, sagte Sha. Die Medikerin aus dem Volk der Aras überragte Bull um zwei Köpfe und wirkte mit ihrer überschlanken Figur eigenartig fragil. »Deinesgleichen trägt ja sein privates Medo-Center in der Schulter. – Ich darf doch?« Sie spannte das Diagnosenetz mit ihren Fingern auf und streifte es über Bulls Haar.

Fast augenblicklich warf der Holoprojektor ein Bild von Bulls Gehirn in den Raum. Sha winkte das Bild zu sich heran und vergrößerte es so weit, dass sie es umrunden konnte wie eine Skulptur aus buntem Glas.

»Hm«, machte Maissam Mann, ihre terranische Kollegin. Die beiden Medikerinnen zählten zu den renommiertesten Neurologen von Terrania. Mann flüsterte ihrem Datenvisier etwas zu und vertiefte sich in das Bild.

Bull schwieg und starrte das vergrößerte Modell seines Gehirns an, das sich bedächtig im Raum drehte.

»Es gibt nicht allzu viele Neuroscans von dir, mit denen wir diese Aufnahme vergleichen könnten«, sagte Maissam Mann. »Du bist keiner der üblichen Patienten. Soweit wir sehen, sind keine substanziellen oder funktionalen Änderungen festzustellen. Das bekannte Ensemble von Gehirnwellenmustern. Derselbe hormonelle Haushalt wie immer. Dieselbe Energiebilanz.«

»Das heißt?«, fragte Bull.

»Hörst du diese Stimme auch jetzt?«

Bull nickte.

»Trommelfell und die angehängten Knöchelchen zeigen keine Resonanz, die auf die Wahrnehmung einer anderen als der hier identifizierten Geräuschquellen hindeuten könnten.«

»Bin ich verrückt?«, fragte Bull.

»Spielst du auf das psychopathische Stimmenhören an, über das beispielsweise untherapierte Schizophrene klagen?« Sha lächelte dünn. »Solchen Klienten fehlen gewisse Quanten bestimmter Botenstoffe. Bei dir gibt es keinen darauf deutenden Befund.«

»Ich werde also wahnsinnig, aber ohne physiologische Grundlage?«

»Was sagen sie denn, diese Stimmen?«

»Es ist nur eine Stimme«, verbesserte Bull. »Und ich verstehe sie nicht.«

*

»Und wenn schon Medikerinnen vom Rang einer Sha und Mann nichts finden ...« Bull ließ den Satz offen. Dann berichtete er von zwei erfolglosen Sitzungen mit SEMT-Spezialisten, die versucht hatten, die Stimme mittels einer SEMT-Haube aufzuzeichnen.

»Hast du Gucky um Hilfe gefragt?«, fragte Rhodan.

Bull schüttelte den Kopf. »Das nicht. Aber ich habe Iwán gebeten, mal mitzuhören.«

Iwán Mulholland war ein hoch begabter Telepath und stand dem Ilt in dieser Hinsicht nicht nach. Darüber hinaus war er Telemitter, er konnte also nicht parabegabten Menschen telepathische Botschaften schicken.

Rhodan vermutete, dass diese Befähigung der Grund war, warum Bull in diesem Fall nicht den Ilt angesprochen hatte. Wahrscheinlich hoffte Bull, dass Iwán eher erkennen könnte, wenn ein anderer Telemitter eine telepathische Invasion versuchte.

»Laut Iwán ist da nichts«, sagte Bull. »Jedenfalls nichts, was über meine eigenen Gedankengänge hinausgeht. Kein telepathisches Strandgut, von wem auch immer.«

»Aber Mulholland hat geespert, dass und wie du diese Stimme hörst?«

»Dass ich sie höre: ja. Dass sie mich irritiert. Dass sie mich in den Wahnsinn treibt.«

»Hast du das Gefühl, dass sie das will?«

»Mich irre zu machen?« Bull dachte nach. »Nein. Es ist eher ...« Er lachte auf. »Also gut: Es ist, als ob sie nach mir ruft.«

»Dann wäre es klug von dieser Stimme, sich dir verständlich zu machen.«

»Schlag es ihr bei Gelegenheit vor! Sag ihr, dass sie eine Sprache benutzen soll, die ich verstehe. Vielleicht hört sie auf dich.«

»Vielleicht glaubt sie, dass du sie bereits verstehst?«

»Obwohl sie eine Sprache spricht, die ich nicht kenne?«

»Oder eine Sprache, von der du glaubst, dass du sie nicht kennst.«

Bull gab ein schnaubendes Geräusch von sich.

»Oder eine Sprache, von der die Stimme glaubt, dass du sie kennen müsstest. Die du nur vergessen hast.«

Reginald Bull strich sich über die ultrakurz geschnittenen roten Haare.

»An der Realität der Stimme hast du keinen Zweifel?«, fragte Rhodan.

»Nein. Aber was heißt das schon? Ich bin nicht so naiv, wie mein Haarschnitt glauben macht«.

»Wenn die Stimme dich also ruft: Hast du eine Ahnung, ein Gefühl, wohin sie dich ruft? Oder wozu sie dich aufruft?«

Bull machte eine vage Geste. »Nach oben. Fort von hier. Wenn es nicht so verrückt klingen würde, würde ich sagen: zu den Sternen.«

»Ein Sternenruf also.«

»Es ist ein so unüberschaubares Bündel von Empfindungen, die ich fühle. Ein Ruf zu den Sternen, okay. Aber wozu? Ein Ruf zu den Waffen? Ein Ruf in etwas völlig Unbekanntes? Eine Warnung? Ein Hilferuf? Alles das? Nichts davon?«

»Lass dir Zeit.«

Sie plauderten noch eine Weile. Bull kam nicht mehr auf die fremde Stimme zu sprechen. Erst beim Abschied sagte er: »Manchmal habe ich den Eindruck, ich höre die Stimme aus der einen Richtung um einen Hauch lauter als aus einer anderen. Was wahrscheinlich nur Einbildung ist.«

»Möglich«, sagte Rhodan. »Hast du es überprüft?«

Bull biss sich kurz auf die Lippen. »Ich habe mit einem Astrophysiker gesprochen, ihm die vagen Hinweise gegeben.«

»Und?«

»Sehr präzise konnte er nicht antworten.«

»Und unpräzise gesprochen?«

»Kommt die Stimme aus Richtung Andromeda. Das wäre doch verrückt. Oder?«

»Andromeda also ...«, sagte Rhodan.

Dann schauten beide noch eine Weile in den Regen und über den Goshun-See. Der Wasserspiegel vibrierte von den pausenlos einschlagenden Regentropfen. Das Abbild des erleuchteten Terrania wirkte wie eine Landschaft aus Licht, versunken in der Nacht. Eine Gans schnatterte wie in einem unruhigen Traum.

*

Die verwelkte Orchidee

Casmira nennt sie sich. Sie ist eine junge Frau, die sich auskennt. Sie teilt ihre Meinungen, Ansichten und Gefühle mit anderen Rudynern.

Momentan ist sie traurig, wie immer, wenn sie dorthin starrt, wo früher einmal eine ganz besondere Orchidee geblüht hat. Sie trägt ein Bild bei sich, damit sie sie nie vergisst.

Sie sieht zum Himmel. Dort sind die Augen ebenfalls erloschen, so wie die Orchidee verschwand.

Sie war gerade zur Systemadministratorin ernannt worden, die für die Wartungssysteme innerhalb der Stahlorchidee verantwortlich war, als der Resident verkündete, die Solare Residenz würde wieder zurück nach Terra verlegt werden.

Sie entschied sich damals für ihre Heimat und gegen die Karriere. Terra war so weit weg, aber diese Welt hatte dennoch einen Platz in ihrem Herzen. Genau neben der Stahlorchidee und dem Haluter.

Ihre Welt war nur ein fünfhundertjähriges Exil gewesen, andere Planeten teilten das gleiche Schicksal. Aber das Herz der Menschheit schlägt nun einmal auf und für Terra, und Casmira weiß, dass das gut und richtig ist. Es ist die Herzensheimat, wenn Casmira auch niemals dort leben möchte.

Ein Orchester – richtige Musiker und keine positronikgesteuerten Roboter – spielt Lieder aus 500 Jahren Exilliga. Projektionen der Vergangenheit laufen über den Nachthimmel wie freundliche Geister.

Alles ist gut. Seit die Cairaner fort sind, hat jede einzelne Welt wieder Hoffnung. Und alle zusammen werden aus der Milchstraße ein Paradies machen. Dafür werden Casmira und all die anderen sorgen, aus allen Völkern und Kulturen der Milchstraße. Denn was wäre ein Herz ohne Körper und Glieder?

Perry Rhodan 3100: Sternenruf

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