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I. Einleitung

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Gleich zu Beginn gilt es darzulegen, wovon die vorliegende Einführung handelt und welcher Status ihrem Gegenstand in der Forschung zukommt. Nur so kann der Leser entscheiden, ob er bei der Beschäftigung mit der mittelalterlichen Sakralarchitektur das Folgende als unentbehrlich, als mögliche Ergänzung oder als überflüssig betrachtet, wobei hier natürlich für die erste Variante argumentiert wird.

Grundproblem: Empirie und Theorie

Das Grundproblem, an dem sich die Geister scheiden, besteht in der Frage, wie man sich das Verhältnis von Empirie und Theorie, also das Verhältnis vom Blick auf die Dinge, wie etwa einen mittelalterlichen Bau, und dem gedanklichen Umgang mit diesem vorstellt.

Ein Beispiel aus der Kunstgeschichte soll dies verdeutlichen. Um 1880 schreibt Anton Springer: „Vom Lehrer der Kunstgeschichte müssen vorzugsweise zwei Dinge gefordert werden: Eine umfassende, verständnisvolle Kenntnis der Monumente, verbunden mit der Fähigkeit, dieselben ästhetisch und historisch zu deuten. Zum zweiten ist eine vollkommene Beherrschung der literarischen Quellen notwendig“ (zitiert nach Ullmann 1987 (b), S. 40). Auch über 100 Jahre nach dieser Aussage wird sie noch als gültig angesehen. Günter Binding etwa meint: „Dieser Idealforderung möglichst gerecht zu werden, sollte jeder Kunsthistoriker anstreben und ‚verum et bonum‘ als das höchste Gut ansehen, um seiner Aufgabe sachgerecht nachkommen zu können“ (Binding 1990, S.254; vgl. Binding 1991, S. 6; Ullmann 1987 (b), S. 40).

Bei näherer Betrachtung wird jedoch schnell klar, dass es sich nicht um zwei, sondern vielmehr um drei Aspekte handelt, die angesprochen werden. Der erste Punkt nämlich zerfällt in eine „umfassende, verständnisvolle Kenntnis der Monumente“ und die „Fähigkeit, dieselben ästhetisch und historisch zu deuten.“ Dass letzterer nicht eigens genannt wird, ist ebenso charakteristisch für diese Position wie die Tatsache, dass bei dieser Vorgabe viele Fragen offenbleiben: Was verleiht dem Kunsthistoriker die Fähigkeit, die Monumente ästhetisch und historisch zu deuten, und was genau ist mit einer solchen Fähigkeit gemeint? Handelt es sich dabei um eine besondere Gabe? Was bedeutet eine umfassende Kenntnis der Monumente und eine vollkommene Beherrschung der literarischen Quellen? Ist so etwas überhaupt möglich und anzustreben? Im Zentrum dieser Auffassung steht eindeutig die Empirie, die möglichst neutrale Auseinandersetzung mit dem historischen Material (Bauten und Schriftquellen). Alles andere bedarf somit scheinbar keiner Diskussion.

Eine Lösung, die es erlaubt, den vernachlässigten Punkt beziehungsweise die soeben angedeuteten Fragen besser zu greifen, lässt sich mit Dagobert Frey herausstellen: „Man kann kein Bild beschreiben, nicht zwei Werke vergleichen, keine geschichtlichen Tatsachen herausheben, keine geschichtlichen Zusammenhänge aufstellen ohne ein bestimmtes Bezugssystem, ohne bestimmte Kategorien, ohne bestimmte Fragestellungen anzunehmen, mit Hinblick auf die man beschreibt, vergleicht, heraushebt, verknüpft. Jedes Beschreiben, Vergleichen, Herausheben, Verknüpfen beruht auf einem Auswählen von Merkmalen, da niemals alle Merkmale erfaßt werden können. Diese Auswahl setzt notwendig ein Auswahlprinzip voraus“ (Frey 1972, S. 11). Neben die Monumente und die literarischen Quellen treten hier bestimmte Bezugssysteme, bestimmte Kategorien und bestimmte Fragestellungen, die jedwede Auseinandersetzung mit den Monumenten und Quellen überhaupt erst ermöglichen. Ferner wird betont, dass eine Auswahl von Merkmalen unverzichtbar ist, womit die Möglichkeit der Springer’schen Forderung nach umfassender Kenntnis und vollkommener Beherrschung des historischen Materials grundsätzlich in Frage gestellt wird. All das von Frey Genannte gehört in den Bereich der Theorie.

Nun stellt sich zwangsläufig die Frage, was wichtiger ist, Theorie oder Empirie? Nach Springer ist es die Empirie, wohingegen Frey die Theorie zur Grundlage der Forschung macht. Eine sinnvolle Lösung besteht darin, beide als gleichwertig aufzufassen und sie in ein relationales Verhältnis zueinander zu setzen. Denn ohne Theorie können wir nicht von einem Gegenstand sprechen, ohne Empirie jedoch wäre das Sprechen leer, die Aussagen nicht prüfbar und somit reine Spekulation (vgl. Loetz 1998; Oexle 1987; Oexle 2004 (a)/(b); Panofsky 2002 (a), S. 19–25; Weber 1988 (a)/(b)).

Theorie und Forschungspraxis

Wenn die bisherigen Ausführungen richtig sind, ergeben sich daraus Forderungen an die Forschungspraxis. Folgende Fortsetzung von Frey ist dann nicht hinzunehmen: „Es bleibt letzten Endes eine Angelegenheit ebenso der persönlichen Veranlagung wie der Arbeitsökonomie, wieweit der Einzelne sich dieser Voraussetzungen bewußt zu werden versucht, wieweit er sie sich zum Problem erhebt, sie kritisch überprüft und neu gestaltet“ (Frey 1972, S. 11). Zwar wird hier treffend ein Vorgehen beschrieben, wie es sich in der Praxis häufig findet, doch ist es höchst problematisch, einerseits auf ein Grundproblem hinzuweisen, um es dann andererseits zu ignorieren.

Sehr anschaulich drückt sich dies in der Hoffnung Michael Baxandalls aus, „that we might do what we do rather better if we were clearer about what it is we are doing“ (Baxandall 1985, S. 43). Was wir tun, ergibt sich aus den Theorien, nach denen wir dies tun. Zu beachten ist, dass Baxandalls Aussage im Komparativ steht. Das heißt, dass ein solches Vorgehen zwar zu besseren Ergebnissen, nicht aber zu absoluten führt. Dies ist ein Charakteristikum der hier vertretenen Auffassung von Wissenschaft.

Festzuhalten gilt, dass die Reflexion der Theorie Teil der Forschungspraxis (= Wissenschaft) sein muss. Man kann von der Theorie der Wissenschaft oder von Wissenschaftstheorie sprechen: „Die Wissenschaftstheorie gehört notwendig zur Wissenschaft, da Wissenschaft nicht nur Wissen um Sachverhalte, sondern immer auch Wissen um das Entstehen des Wissens, um seine Bedingungen und Voraussetzungen, um die Ziele und Zusammenhänge, Querverbindungen und Grenzen enthält“ (Rombach 1974 (a), S. 9).

Die Historizität des Interpreten

Diese eher systematischen Überlegungen enthalten eine starke historische Komponente. Die Frage nach den Bedingungen, Voraussetzungen, Zielen usw. des eigenen Tuns ist immer auch ein Versuch, die eigene Historizität zu objektivieren, „denn eine absolute Über- und Außerzeitlichkeit gibt es für den konkreten Betrachter nicht“ (Frey 1976, S. 92; vgl. Gadamer 1990; Landwehr 2009; Lyotard 1993, S. 127–158). Konkret bedeutet dies: „Die Objektivierung des objektivierenden Subjekts läßt sich nicht umgehen: Nur indem es die historischen Bedingungen seines eigenen Schaffens analysiert (und nicht durch eine wie [auch] immer geartete Form transzendentaler Reflexion) vermag das wissenschaftliche Subjekt seine Strukturen und Neigungen ebenso theoretisch zu meistern wie die Determinanten, deren Produkt diese sind, und sich zugleich das konkrete Mittel an die Hand zu geben, seine Fähigkeiten zur Objektivierung noch zu steigern“ (Bourdieu 1988, S. 10). Der systematisch ausgerichteten Wissenschaftstheorie muss die historisch ausgerichtete Wissenschaftsgeschichte zur Seite gestellt werden.

Damit ist eine wesentliche Intention der vorliegenden Einführung benannt. Man kann dies mit Martin Warnke noch etwas differenzieren: „Die kunstgeschichtliche Forschung ist zwar in ein eigenes System von wissenschaftlichen Methoden und Traditionen eingebunden, doch ihre Wertvorstellungen, Vorlieben und Probleme sind darüber hinaus bestimmt von den Vorgaben der zeitgenössischen Kunst“ (Warnke 1984, S. 8). Etwas verallgemeinert bedeutet dies, dass die zu objektivierenden Sachverhalte entweder der kunsthistorischen Tradition oder äußeren Begebenheiten entstammen. Das Hauptaugenmerk wird im Folgenden auf den ersten Punkt gelegt, der zweite in einem eigenen Kapitel besprochen (vgl. Kap. IX).

Kunstgeschichte und mittelalterliche Sakralarchitektur

Das bis jetzt Erörterte ist sehr allgemein und kann als Grundlage jeder empirischen Wissenschaft angesehen werden. Doch behandelt diese Einführung ja nur ein spezielles Gegenstandsgebiet, die mittelalterliche Sakralarchitektur, auf die das bisher Gesagte nun übertragen wird.

Verschiedene Gegenstände erfordern verschiedene Umgangsweisen, aus denen sich entsprechende Forschungstraditionen ausbilden (vgl. Bätschmann 2001, S. 8f.). Jede universitäre Disziplin hat ihre eigene Geschichte, was nicht heißt, dass diese Geschichten völlig unabhängig voneinander verlaufen. Die Rechtswissenschaft ist Jahrhunderte älter als die Kunstgeschichte und diese wiederum verfügt im Vergleich zur Informatik über eine lange Tradition an der Universität.

Auch wenn sich die Geschichte der Kunstgeschichte viel weiter in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt (vgl. Kultermann 1981), scheint ein Schnitt um die Mitte des 19. Jahrhunderts gerechtfertigt. Erst in dieser Zeit entsteht die Kunstgeschichte als Universitätsfach (vgl. Beyrodt 1991; Dilly 1979; Kauffmann 1993; Rassem 1963). Diese Institution besteht bis heute, so dass die aktuelle Forschung vor allem auf diesen Grundlagen fußt.

Nun gibt es innerhalb der Kunstgeschichte weitere Aufspaltungen, einmal nach Epochen, das andere Mal nach Gattungen. Etwa liegt der Forschungsschwerpunkt des einen auf der Malerei der Renaissance, der des anderen auf der mittelalterlichen Sakralarchitektur. Laut Studienordnung müssen entsprechend gegliederte Bereiche abgedeckt werden usw.

Ein weiterer Faktor besteht in den nationalen Traditionen. Die deutsche Forschung unterscheidet sich von der französischen, der italienischen oder der amerikanischen. Wenn man Texte aus anderen Ländern liest, sind sie manchmal schwer zu verstehen oder man wundert sich, warum Aspekte thematisiert werden, die hierzulande als überholt oder irrelevant angesehen werden. Die vorliegende Einführung beschränkt sich weitgehend auf die deutsche Forschung. Auf den wünschenswerten Vergleich mit anderen Ländern wird aufgrund der notwendigen Kürze verzichtet.

Folglich werden Arbeiten besprochen, die aus der deutschen kunsthistorischen Forschungstradition stammen und die sich mit der mittelalterlichen Sakralarchitektur beschäftigen. Inwieweit sich einzelne Punkte auch auf andere Gattungen und andere Epochen übertragen lassen, kann im Rahmen einer Einführung nicht detailliert diskutiert werden.

Forschungsgeschichte und Interpretationsmodelle

Auf welche Weise werden diese Arbeiten besprochen? Oben wurden Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie nebeneinandergestellt. Beide helfen dem Forscher, die eigene Arbeit besser zu machen, und geben den Umgang mit den zu besprechenden Arbeiten vor. Etwas anschaulicher kann man sagen, dass sowohl die Forschungsgeschichte als auch die einzelnen Interpretationsmodelle interessieren. Die eine Frage akzentuiert das historische, die andere das systematische Element der Theorie, deren Gegenstand die mittelalterliche Sakralarchitektur ist.

Unter dem Stichwort der Interpretationsmodelle (kurz: Modelle) wird angegeben, auf welche Weise sich mit der mittelalterlichen Sakralarchitektur auseinandergesetzt wurde, das heißt, welche Theorien formuliert wurden, um jeweils andere Aspekte des Gegenstandes sichtbar zu machen. Der Kölner Dom etwa kann als mittelalterlicher oder gotischer Bau, als politisches Instrument, als Emanation einer religiösen Anschauung usw. bezeichnet werden. Diese Sichtweisen ergeben sich nicht empirisch durch bloße Betrachtung, sondern nur vermittels Interpretationsmodellen. Insofern historische Begebenheiten per definitionem der Vergangenheit angehören und somit nicht direkt beobachtet werden können, ist der Interpret darauf angewiesen, das historische Material (Bauten, Schriftquellen usw.) zu modellieren. Die von der Kunstgeschichte hervorgebrachten Interpretationsmodelle lassen sich idealtypisch zu Gruppen zusammenfassen.

Da diese Modelle aber keine creationes ex nihilo sind, sondern auf andere Modelle und Ereignisse reagieren, müssen sie historisch verortet werden. Die Gruppierung folgt somit grob einer zeitlichen Reihenfolge, wobei es oft schwerfällt, strikte Grenzen festzulegen. Denn die Interpretationsmodelle tauchen selten in Reinform auf, so dass es angemessener ist, von der Konzentration auf einen bestimmten Aspekt zu sprechen, der sich vielleicht schon früher findet, ohne dass ihm dabei jedoch großes Gewicht zugemessen wurde.

Probleme und Lösungen

Die Erarbeitung vorliegender Einführung war mit einer Menge von Problemen konfrontiert, für die Lösungen gefunden werden mussten:

(a) Das wohl größte Problem besteht darin, dass zu dem skizzierten Sachverhalt kaum Forschungsliteratur existiert. Relativ häufig findet man kurze Auseinandersetzungen mit einem Modell, die dazu dienen, das eigene Vorgehen zu rechtfertigen, was oft zu groben Verzerrungen führt. Abgesehen von einigen Beiträgen, die sich mit Detailfragen beschäftigen oder einen groben Überblick bieten (vgl. Binding 2000, S. 13–34; Schweizer 2006), sind zwei Arbeiten zu nennen, die den Forschungsstand repräsentieren: Günther Bindings Arbeit „Zur Methode der Architekturbetrachtung mittelalterlicher Kirchen“ (Binding 1991) gibt eine Anleitung, wie die mittelalterliche Sakralarchitektur zu analysieren ist. Dabei wird jedoch nur ein Modell, wenngleich in exzellenter Weise, zur Anwendung gebracht und nicht forschungsgeschichtlich argumentiert. Ralf-Peter Seippels „Architektur und Interpretation. Methoden und Ansätze der Kunstgeschichtein ihrer Bedeutung für die Architekturinterpretation“ (Seippel 1989) hingegen stellt eine große Bandbreite von Ansätzen zur Architekturinterpretation im Allgemeinen vor. Diese sind aber „zumeist zweckfrei“, also in Reinform skizziert, so dass eine Verknüpfung mit der Forschungspraxis schwerfällt (Seippel 1989, S. 17f.). Symptomatisch ist, dass beide Arbeiten wenig Beachtung gefunden haben. Sie werden selten zitiert und nur zu Bindings Schrift existiert eine kurze Rezension. Wenn man den Rahmen noch weiterfasst, lassen sich auch andere Arbeiten nennen (vgl. Bätschmann 2001; Carqué 2004 (b); Crossley 1986/1988/2009; Frankl 1960; Kemp 2009; Speer 1993; Ullmann 1987 (a)/(b)).

Somit bleibt nichts anderes übrig, als die fehlende Forschungsarbeit selbst zu leisten und die Ergebnisse in Form einer Einführung zu präsentieren.

(b) Mit dieser Doppelbelastung hängt das Problem der angemessenen Darstellung zusammen. Einerseits muss an den Primärtexten gearbeitet werden, was ausführliche Zitate und Nachweise notwendig macht, andererseits müssen einzelne Punkte möglichst knapp und verständlich dargeboten werden. Die gewählte Zwischenform setzt sich somit zweifacher Kritik aus, denn ihr kann vorgeworfen werden, die jeweiligen Texte nicht eingehend genug zu besprechen oder sich zu eng an diesen zu orientieren. Ohne (Text-)Belege kommt keine wissenschaftliche Arbeit aus, so dass sich im Zweifel für diese Variante entschieden wurde, die zugleich den Vorteil bringt, zumindest einen Eindruck von der Sprache des jeweiligen Autors zu gewähren.

(c) Ein weiteres Problem liegt in der Frage nach Auswahl und Gewichtung der einzelnen Arbeiten. Dies zeigt sich beispielsweise daran, dass bedeutende Forscherpersönlichkeiten wie Friedrich Möbius oder der gesamte Komplex der in der DDR betriebenen Forschung zur mittelalterlichen Sakralarchitektur nur am Rande erwähnt werden. Als Auswahlkriterium dient die Wirkung der einzelnen Arbeiten als solche sowie der Grad an Deutlichkeit, in dem dort ein bestimmtes Modell zu finden ist. Auf keinen Fall darf dabei der Eindruckentstehen, dass die Überlegungen von nicht erwähnten Autoren vernachlässigbar oder schlechthin falsch wären. Ein anderer Autor hätte sicherlich eine andere Auswahl und Gewichtung getroffen. Nicht zuletzt um dies zum Ausdruck zu bringen, werde ich hier und da in der ersten Person sprechen.

(d) Ähnlich verhält es sich mit dem Problem, dass die meisten der behandelten Texte nicht die Absicht verfolgen, Modelle zu entwerfen, sondern diese eher praktizieren. Eine der Hauptaufgaben besteht somit darin, wesentliche Elemente herauszuarbeiten und sie als Modelle zu entwerfen. Dazu bedarf es der Abstraktion, die jedoch nicht so stark sein darf, dass der Bezug zum Text verloren geht. Wo ein Text Unklarheiten aufweist, werden diese benannt und nicht geglättet.

(e) Schließlich ist die Arbeit problemorientiert angelegt. Das heißt, es werden weniger Musterlösungen vorgegeben, als vielmehr Probleme möglichst deutlich herausgestellt und eventuell gangbare Lösungswege vorgeschlagen. An vielen Stellen kommen daher Forschungsdesiderate zur Sprache. Ferner werden unterschiedliche Ansichten miteinander konfrontiert, um Probleme erkennbar zu machen. Dies bedeutet zwangsläufig eine Kritik an einzelnen Aussagen, was wiederum nicht dazu führen darf, die Arbeiten, denen diese entnommen sind, als allgemein verfehlt abzutun.

Ziele der Einführung

Das übergeordnete Ziel besteht darin, der Theorieabhängigkeit sowie der Historizität des wissenschaftlichen Arbeitens in Bezug auf die mittelalterliche Sakralarchitektur Rechnung zu tragen, indem dem Leser die Bandbreite von Interpretationsmodellen anhand von ausgewählten Beispielen in historischer und systematischer Hinsicht anschaulich gemacht wird. Davon ausgehend lassen sich verschiedene Teilziele formulieren, die sich mitunter überschneiden:

(a) Der historische Überblick ermöglicht es, die eigene Interpretation zu verorten. Oft wird man sich wundern, dass die eigene Idee gar nicht so neu ist, wie man zunächst angenommen hat.

(b) In diesem Sinn wird deutlich, aus welchen historischen Konstellationen heraus ein Modell entstanden ist.

(c) Die Interpretationsmodelle zeigen Möglichkeiten, systematisch mit der mittelalterlichen Sakralarchitektur umzugehen. Es werden damit Probleme und Alternativen sichtbar. Somit bieten sie eine schier unerschöpfliche Fundgrube an systematischen Ideen und können mit einem Werkzeugkasten verglichen werden.

(d) Damit soll der Überzeugung entgegengewirkt werden, einem einzigen letztendlich richtigen Zugang zu folgen. Alle Interpretationsmodelle haben ihre Vor- und Nachteile. Älteres als überholt anzusehen, beweist meist nur die eigenen Vorurteile (vgl. Dilly 1990; Rombach 1974 (b), S. 22).

(e) Im Idealfall wird der Leser in die Lage versetzt, bei der Lektüre von wissenschaftlichen Arbeiten deren meist nur beiläufig oder überhaupt nicht genannten Modelle, ihre Implikationen, zu erkennen, was das Verständnis ungemein erleichtert.

(f) Auch werden mögliche Kombinationen von einzelnen Modellen oder Modellelementen aufgezeigt (vgl. Kap. X).

(g) Dem schnellen Leser wird ein grober Einblick in die Thematik geboten. Wer sich intensiver mit der Materie beschäftigen will, findet durch die Formulierung von offenen Fragen und die textnahe Arbeitsweise einen guten Einstieg. „Einführung“ ist somit in zweifacher Weise zu verstehen.

(h) Schließlich wird das Lesen beziehungsweise die Auseinandersetzung mit wissenschaftlicher Literatur trainiert, denn die besprochenen Texte erschließen sich oft nicht leicht. Da sie den Gegenstand der Reflexion ausmachen, sind sie ähnlich akribisch zu behandeln wie ein Gedicht bei seiner Analyse, nur dass der Fokus auf der Modellbildung und nicht auf ästhetischen Qualitäten liegt. Im Vergleich zu anderen Disziplinen, wie etwa der Soziologie und vor allem der Philosophie, besteht für die Kunstgeschichte hinsichtlich dieser Art von Textarbeit erheblicher Nachholbedarf.

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