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Unsere Rollen

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Esther stellt zu Beginn des Pilgerns zu viert ab und zu die Frage: Welchen Platz habe ich in unserer Gruppe? Wie gehöre ich dazu? Was bringe ich mit ein? Ihre Rolle ist am wenigsten greifbar und darunter leidet sie. Wir Frauen sprechen hin und wieder über ihre Frage und daraus entwickelt sich ein Versuch, für die Rolle aller vier Pilger Worte zu finden. Mein Antwortversuch fällt so aus:

Christian ist unser Visionär. Er hat Überblick, Einsichten in die großen Zusammenhänge und damit verbunden Tiefgang. Er ist der Initiant unseres konkret gewordenen Projektes. Er steht in Beziehungen mit zahlreichen Menschen und Institutionen, die das Unternehmen immer wieder unterstützen. Davon dürfen wir profitieren.

Franz ist unser „Stern von Bethlehem“. Er hat eine unglaublich wertvolle Vorarbeit geleistet, sodass wir jetzt getrost ihm folgend und gehorchend auch manchmal eigenartige Wanderwege beschreiten. Er und sein GPS führen uns mit einer Präzision, die auf uns beruhigend und Vertrauen stiftend wirken. Wir haben uns auf den 4300 km gerade zweimal etwas verlaufen. Beim ersten Mal landen wir in Südtirol in einem Blumenkohlfeld und beim zweiten Mal hindert uns in der Südtürkei ein sumpfiger Kanal am Weiterkommen. Ich sage von Anfang an: Franz ist unser Stern von Bethlehem. Er führt uns mit Sorgfalt. Er nimmt uns alle Entscheidungen bezüglich des Weges ab. Dank seiner Vorarbeit verhindert er kräfteraubende Diskussionen, die bezüglich des Weges aufkommen könnten. Das ist eine enorme Entlastung. Er legt Tag für Tag ein tragendes Fundament, so dass es eines Tages möglich wird, in Jerusalem anzukommen.

Ich selber habe schon vor dem Aufbruch in der Schweiz formuliert, dass ich für die Beziehungen der vier untereinander zuständig sei. Die Vierergruppe ist aus meinem Beziehungsnetz entstanden. Mir stehen die Einzelnen am nächsten. Ich rege alle paar Tage an, beim oder nach dem Essen ins persönliche Erzählen zu kommen und voreinander auszusprechen, wie es insgesamt geht – innerlich und äußerlich. Ich spreche die andern unterwegs auch im Zweiergespräch auf ihr Befinden hin an. Bei mir laufen die Fäden des Beziehungsgeflechts immer wieder zusammen und damit bin ich gegen Ende des Pilgerns auch überfordert, weil es unauflösbare Spannungen unter uns gibt. Darüber berichte ich später.

Für Esther ist die Frage ihrer Rolle die offenste gewesen und während einiger Wochen auch geblieben. Es hat aber im Laufe der Zeit Antwortspuren gegeben. Eine davon lautet: Esther ist für uns „Engel, Kind und Hund“. Dieses Wortspiel ist eine Anlehnung an die biblische Geschichte im Buch Tobit. Der junge Mann Tobit bricht von zuhause auf eine große Reise auf. Er hat als Begleitung einen Engel an seiner Seite und ein Hund springt ihm hinten nach. Zugleich ist „der Engel, das Kind und der Hund“ der Titel eines wunderbaren Buches von Christian Bobin. Esther bringt Humor im richtigen Moment ein. Sie spricht unverstellt aus, was sich in ihr regt. Sie zeigt Freude. Sie lacht und weint. Sie staunt über das, was sie entdeckt. Sie pflückt Himbeeren und Kirschen, saugt an einem Grashalm. Sie stopft dauernd ihre Socken und wird immer wieder angeheuert. Man wollte sie uns schon wegnehmen, damit sie beim Heuet, bei der Heuernte, helfe. Sie sei eine Schneidige, hieß es. Ihr werden beim Abschied die Hände getätschelt. Wir und sie selber verstehen nicht ganz, was da geht. Müssen wir aber auch nicht, weil eben – sie ist für uns „Engel, Kind und Hund“. (ha)

Vier Pilger - ein Ziel

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