Читать книгу Vier Pilger - ein Ziel - Christian Rutishauser - Страница 45

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DRITTES KAPITEL:

Erfahrungen mit dem GPS

Verantwortung für die Strecke

Mit wenig Routine und ohne Erfahrung habe ich zuhause viele Abende und Wochenenden damit zugebracht, die Route zu planen. Bis Bulgarien schaffte ich eine detaillierte Planung, annähernd 2000 km. Doch schon in Südtirol, Italien, musste ich lernen, dass eine improvisierte Abkürzung auf einem Kohlfeld endet und die Bauern sagen, am Ende des Feldes gehe es nicht mehr weiter, weil es über einen kleinen Bach keine Brücke gäbe. Es ist schwer, die Ungewissheit auszuhalten, dass Karten fehlerhaft sind, dass aber auch improvisierte Abkürzungen in Sackstraßen enden, auch wenn es völlig flach aussieht. Welcher Kompromiss ist der Mittelweg? Wo ermüdet ein längerer Wanderweg weniger als die kürzere Straße? Ich tue mich schwer, die auf dem GPS-Gerät angezeigten Distanzen schnell abschätzen und in Zeit umzurechnen. Wie lange laufen wir bis zur nächsten Abzweigung, die ich nicht übersehen darf? Ist es schon diese oder erst die nächste? Besonders in Ortschaften oder Städten ist vorausschauendes Vorstellungsvermögen gefragt, denn die Genauigkeit der Anzeige auf dem Gerät lässt sehr zu wünschen übrig – zwischen hohen Häusern ist der Empfang des GPS-Signals oft schlecht.

Immer wieder frage ich auch Leute an den Wegen, Einheimische, wo es langgeht. In der Regel schicken sie uns auf die Hauptstraße, wo der Verkehr rollt. Ich will aber auf Feldwegen weiterlaufen. Meine Schwierigkeit ist, dass ich oft wohl den Namen des nächsten Dorfes kenne, nicht aber den Namen des nächsten Bauernhofes, der am Feldweg dazwischen liegt. Den würde der Einheimische kennen und mich dann dahin schicken, denke ich. So bleibe ich bei meinen Aufzeichnungen und folge nicht dem Hinweis auf die Hauptstraße.

Die Tagesetappen habe ich auch in Hinblick auf mögliche Quartiere gegliedert. Gibt es einen größeren Ort, wo wir eher ein Quartier finden? In allzu kleinen, so denke ich, wird es schwieriger sein. Die anderen beruhigen mich und sagen: Du bist nur für die Route zuständig, die Unterkunft suchen wir gemeinsam. Aber wo wir am Ende des Tages anhalten, liegt in meiner Hand. Einen Rest der Sorge um die Unterkunft kann ich nicht ablegen, er begleitet mich jeden Tag.

Das führt einige Male dazu, dass wir zu lange Tagesetappen machen. Esther und Hildegard sind am Ende ihrer Kräfte, bleiben aber geduldig, auch wenn sie mir deutlich sagen, es war wieder zu lang. Christian will vorwärtskommen. Ihm wird es fast nie zu lang. Da ich die Strecke nicht kenne, können wir uns nicht trennen. Ich weiß nicht, welchen Treffpunkt wir benennen könnten. So heißt es beisammenbleiben, mindestens in Rufweite.

In Sofia habe ich einen Tag am Computer verbracht, um die weiteren Etappen bis Istanbul im Detail zu planen. Die anderen konnten sich in der Zeit Sehenswürdigkeiten in der Stadt anschauen. Hildegard habe ich gebeten, mir wenigstens ein paar Fotos von den ausgegrabenen römischen Straßenstücken und den frühchristlichen Kirchen mitzubringen. Ich hätte sie gerne selber gesehen, aber die „Arbeit“ für unsere Wallfahrt hatte Vorrang.

Ganz im Süden der Türkei haben wir uns das zweite Mal verlaufen, weil ein Steg über einen Kanal fehlte. Ansonsten sind wir ohne große Fehleinschätzungen durchgekommen. Am Abend mancher Tage spüre ich, dass die ständige Aufmerksamkeit auf den Weg anstrengt und ermüdet, sodass ich nicht mehr viel Kraft und Konzentration für weitere anstehende Aufgaben habe. (fm)

Wallfahren heißt für mich: beständig dranbleiben

An der Route dranbleiben, jeden Tag im Rhythmus, jeden Tag das Ziel mit den Abschnitten im Auge behalten. Keine unnötigen Ausflüge. Pausen sind da zum Entspannen, zum Ausruhen, aber das Weitergehen bleibt im Blick. Auch die Unterbrechung ist begrenzt und dient zum Auftanken für das nächste Stück Weg.

Täglich hat für mich die Vorbereitung des Weges für den nächsten Morgen Priorität. Das Aufladen der Akkus für das GPS muss jeden Tag geschehen, auch wenn ich ein paar in Reserve bei mir trage. Die Wäsche ist jeden Tag zu waschen und aufzuhängen. Jeden Tag stelle ich eine Zeit für Gott, für das Gebet zu ihm und für die Menschen zur Verfügung.

Treu bleiben im Kleinen, um dem Großen entsprechen zu können. (fm)

Besuch beim Info-Team in Belgrad

Wir haben Ruhetag in Belgrad. Diesen nutze ich dazu, im Büro der Firma, die die GPS-Geräte vertreibt, vorbeizugehen. Als ich in das Büro trete, werde ich von einem Mitarbeiter begrüßt mit: Hallo, Franz! Seit einem Jahr stehen wir in E-Mail-Kontakt und jetzt diese herzliche Begrüßung mit Kaffee und einem Glas Wasser! Das Gespräch entwickelt sich sofort. Es ist bekannt, dass wir eine Wallfahrt nach Jerusalem machen. Esther und ich werden nach unseren Erlebnissen in Serbien gefragt. Offenherzig erzählen wir von den Sonnen- und Schattenseiten. Auch von unserem Blog sprechen wir, dessen Link er seiner Frau nach Erfurt schickt. Sie verbringt dort gerade einen Studienaufenthalt für ihr Doktorat zum Thema „Verhältnis von Staat und Kirche in Serbien“. Er ermutigt uns, gibt uns einige Tipps und seine Natelnummer und sagt: Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Sie etwas brauchen, even in the middle of the night – don’t hesitate!

Wir werden ihn auf unsere Liste von Menschen schreiben, die uns auf dem Weg etwas Gutes getan haben und für die wir auf dem Weg und in Jerusalem beten werden. Er ist gerührt und mir scheint, sowohl er als auch wir sind den Tränen nahe, als wir das Büro verlassen. So viel warmherzige Hilfsbereitschaft und Verstehen werden uns hier geschenkt. (fm)

Planung der Tagesetappen

Mit den Informationen, die ich hier in Plovdiv einholen konnte, habe ich unsere Route für die nächsten Tage umgestellt. Man sagte mir, dass die Autobahn quer durch Bulgarien Richtung Türkei nicht fertig gebaut sei. Deshalb wird sich der große internationale Schwerverkehr wohl auf der bisher als „alte Autobahn“ bezeichneten Hauptstraße südlich der Maritsa bewegen. Diese Straße ist wie eine Kantonal- oder Bundesstraße bei uns. Das Schlimmste für mich ist, dass wir meistens auf der linken Straßenseite gehen und den uns entgegenkommenden Verkehr sehen. Wenn allerdings ein Fahrzeug auf unserer Seite von hinten her überholt, bin ich immer überrascht, oft sehr erschrocken, weil ich es nicht kommen sehe noch höre und es mit hoher Geschwindigkeit knapp an mir vorbeirauscht. Diese Art Verkehr ist für uns der anstrengendste. Deshalb möchte ich ihn morgen vermeiden.

Bei der Routenplanung versuche ich immer vier Kriterien zu berücksichtigen:

1. die Wunschdistanz von 25 bis 30 km pro Tag.

2. Wenn höhere Berge auf der Route sind, braucht das zusätzliche Kraft und die Kilometeranzahl soll aufgrund der zusätzlichen Leistung reduziert werden. (In der Türkei wird mir meine elektronische Karte keine Informationen mehr über Steigungen und Berge bieten …).

3. Wir bevorzugen Nebenstraßen gegenüber Hauptstraßen, weil es weniger Verkehr gibt, weniger Lärm und mehr Sicherheit.

4. In den Blick zu nehmen versuche ich, ob es am Zielort eine Unterkunft gibt oder geben könnte. Nur manchmal geben meine Karten dazu Auskunft. (fm)

Der Weg durch die Türkei und Syrien

Dieser Tag war kein freier Tag für mich. Vom Morgen bis zum Abend war ich daran, die Route durch Syrien und Jordanien für das GPS zu planen. Ich versuchte die kürzeste Strecke von Antakya in der Türkei nach Süden am Bergrücken entlang, am Libanon vorbei, durch Damaskus und Amman, über den Berg Nebo an das Tote Meer und Jericho zu beschreiben. Ich habe die üblichen Tagesetappen abgesteckt und eine Liste davon gemacht. Darin führe ich auch die kleinsten eingezeichneten Dörfer auf. Die Aufzählung soll möglichst dicht sein, damit wir notfalls auch ohne das Gerät gehen können – von Dorf zu Dorf. Ich weiß nicht, ob ich das Gerät über die türkische Grenze hinaus mitnehmen darf.

Jetzt bin ich müde davon, den ganzen Tag vor dem kleinen Bildschirm des Netbooks zu sitzen. (fm)

Unser Historiker Franz

Die Gegend des heutigen Pilgertages ist geschichtsgeladen, sind wir doch in einer Region der Türkei angelangt, die erst nachträglich, nämlich 1938, zur jungen Türkischen Republik hinzugekommen ist. Diese hatte die Provinz Hatay/Antiochien mit Hilfe der Franzosen im Grenzstreit mit Syrien annektiert. Frankreich war an einer Allianz mit der Türkei interessiert, damit diese nicht an der Seite von Hitler-Deutschland in den Zweiten Weltkrieg eintrat. Doch nicht nur moderne Geschichte, sondern auch jene des Altertums kam heute in den Blick. Wir marschierten nämlich durch Dörtyol, das antike Issos, wo Alexander der Große 333 v. Chr. das Perserheer von Dareios III. zum ersten Mal schlug. Zudem liegt einige Kilometer hinter uns der Fluss Saleph, wo Kaiser Friedrich I. Barbarossa beim dritten Kreuzzug ertrank.

All diese Ereignisse ließen auch unseren Historiker Franz nicht unberührt. Vielleicht wollte er hier auch große Geschichte schreiben. Auf jeden Fall führte er uns heute mit seinem GPS durch die Felder, bis wir zu einem kleinen sumpfigen und verwachsenen Kanal kamen, den wir nicht überqueren konnten. Weil Franz aber unbedingt den Weg auf der andern Seite erreichen wollte, legte er seinen Rucksack ab und begann kurzerhand mit Steinen im Wasser einen Übergang zu bauen. Er versuchte, auf wackligen Steinen stehend und mit den Wanderstöcken immer wieder Halt suchend, genügend feste Tritte über dem Wasser zu schaffen. Mehr als einmal rutschte er dabei mit dem Schuh ins Wasser, während Hildegard ihn in seinem Eifer zu stoppen suchte. Schließlich konnten wir Franz überzeugen, das Unterfangen aufzugeben, da wir, mit unseren Rucksäcken beladen, uns nicht vorstellen konnten, ohne Schaden über diese Furt zu kommen. Wir wollten auch nicht, dass Franz wie Barbarossa endet. Dies wäre doch zu viel der Identifikation des Historikers mit seinem Objekt! Schließlich wurde die Aktion abgebrochen. Wir suchten einen Umweg, den wir auch fanden. Wohl haben wir Franz davor bewahrt, wie Barbarossa zu enden, doch haben wir auch verhindert, dass er als Kirchenhistoriker zu einem Pontifex Maximus (Größter Brückenbauer) wird. Dass er jedoch ein Pontifex Minor (Kleinerer Brückenbauer) ist, steht außer Zweifel, weist doch schon sein Name Mali, zu Deutsch „Klein“, darauf hin. (chr)

Routenplanung für Jordanien

Für Syrien und Jordanien habe ich nur eine Karte für mein GPS-Gerät gefunden, die ich gratis von „open-streetmap“ Lambertus herunterladen konnte. Diese Karte ist frei zugänglich, und jeder, der dazu fähig und willens ist, kann dort Verbesserungen und Details eintragen. So hängt es von freiwilligen Enthusiasten ab, wie gut die Pläne für bestimmte Regionen oder Städte ausgearbeitet sind und dargestellt werden. Diese Karten sind sehr hilfreich, allerdings keineswegs vollständig. Die zweite Quelle – die aber in Syrien nicht verfügbar war – ist Google-Earth. Da versuche ich, die Wege und Straßen anzuschauen, wo ich durchlaufen möchte. Die Qualität der Fotos ist unterschiedlich, manchmal hervorragend, manchmal sehr grob, sodass Details in der Landschaft nicht immer klar sichtbar sind. Vielleicht liegt das aber zum Teil auch an der mittelprächtigen Bildschirmauflösung meines kleinen Netbooks. Die Route nach Amman hinein und das Durchqueren der Stadt habe ich nur mit Hilfe von Google-Earth im Computer vorgezeichnet, weil auf der GPS-Karte einzig die großen Verkehrsadern und kein Stadtplan angegeben ist.

Sehr spannend ist daraufhin das Nachgehen in der Natur. Bei einem Fehler nämlich, etwa einem unüberbrückbaren Entwässerungskanal oder einem hohen Zaun, der für mich nicht sichtbar war, kann Endstation sein. Was ist dann zu tun ohne genaue Karte? Den Umweg finden oder gar umkehren? So sind solche Tage bei mir am Anfang mit einer gewissen Nervosität verbunden und am Ende des Tages mit großer Dankbarkeit, wenn der Weg im buchstäblichen Sinne gangbar gewesen ist. (fm)

Vier Pilger - ein Ziel

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