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Zurück zum Ursprung
Meine innere Reise nach Jerusalem beginnt

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»Sie wissen ja wirklich gar nichts.«

»Jetzt, wo ich Ihnen so zuhöre, haben Sie eigentlich vollkommen recht. Ich habe keine Ahnung.«

»Wenigstens sind Sie ehrlich. Ein ehrlicher Mensch. So wie der Mann mit dem Koffer. Es gibt eine Geschichte um den Mann mit dem Koffer im Judentum, kennen Sie die? Ein Jude kommt am Flughafen an, geht auf einen Mann zu und fragt ihn: Sind Sie Antisemit? Sagt der Mann entrüstet: Ich bin doch kein Antisemit! Dann geht er zu einem zweiten Mann und sagt: Dein Vater war ein Nazi. Sagt dieser: Mein Vater war sicher kein Nazi! Dann geht er zum dritten und sagt das Gleiche. Darauf sagt dieser: Ja, Sie haben recht, mein Vater war ein Nazi. Sagt der Jude, Sie sind ein ehrlicher Mensch. Passen Sie mir auf meinen Koffer auf, während ich auf die Toilette gehe.«

Der Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg sitzt im traditionellen Café Hawelka neben mir, vor uns auf dem Tisch steht ausgerechnet ein Christbaum, wir haben jeder eine Melange vor uns stehen. Ich versuche Paul Eisenberg, der bis Juni 2016 35 Jahre lang Oberrabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde in Wien war, als meinen jüdischen Meister Yoda zu gewinnen. Er soll mir die Tür ins Judentum öffnen, mir sagen, was ich machen darf und kann, und mir vor allem seinen Segen für mein Experiment geben.

»Was haben Sie eigentlich vor?«, fragt er mich.

»Es ist so, Herr Oberrabbiner, ich möchte alle Weltreligionen näher kennenlernen. Und gebe mir für jede Religion einen Monat lang Zeit. Was sagen Sie dazu?«

»Als Jude finde ich es ein bisschen peinlich. Wäre ich Buddhist, wäre es mir vielleicht wurscht.«

Doch der Oberrabbiner scheint mir wohlgesonnen zu sein, das habe ich schon am Telefon gemerkt, als wir unseren Termin vereinbarten. »Kommen Sie heute gleich um 17:30 Uhr zum Chanukka-Kerzenanzünden ins Jüdische Museum, dann bekommen Sie schon mal eine Einstimmung«, hatte er mir geraten. »Und danach gehen wir auf einen Kaffee. Ich habe genau eine Stunde Zeit für Sie persönlich.«

Mit den Comedy-Hirten, einer Kabarettgruppe, deren Mitglied ich bin, treten wir oft im Casanova Wien auf, ein Lokal im 1. Bezirk, nur ein paar Schritte entfernt vom Jüdischen Museum. Daher bin ich schon oft daran vorbeigekommen. Und oft habe ich mir gedacht: Geh doch mal rein und schau dir das an. Aber es ist doch immer das Gleiche: Kommt man oft an einem Ort vorbei, denkt man sich: Geh, das kannst beim nächsten Mal auch noch machen. Und dann macht man es nie. Kurz vor 17:30 Uhr öffne ich die Tür zum Jüdischen Museum und gehe den kleinen Gang hinein. Dort sehe ich ihn schon stehen und in einem Buch blättern. Oberrabbiner Paul Eisenberg ist etwas kleiner, als ich dachte, dafür ist sein Bauch auch etwas größer, als ich dachte. Dieser gibt dem 66-jährigen Mann mit weißem Bart und Brille eine gewisse Gemütlichkeit. Vom ersten Moment an strahlt der Oberrabbiner für mich Weisheit aus. Er spricht mit einer Bestimmtheit, die mich schon am Telefon beeindruckt hatte.

»Sie kommen gleich mit. Jetzt machen wir das Kerzenanzünden. Und dann warten Sie auf mich, dann gehen wir auf einen Kaffee«, wiederholt Eisenberg, was er bereits am Telefon gesagt hatte.

Ich bedanke mich und sage ihm, dass ich mich freue, Chanukka kennenlernen zu dürfen. Das ist mitunter ein Grund, warum ich das Judentum als erste Religion für mein Experiment ausgewählt habe. Seit 19 Jahren fällt Chanukka wieder mit unserem Weihnachtsfest zusammen. Der zweite Grund ist, dass das Judentum die älteste Buchreligion ist, wie man so schön sagt. Das Motto lautet also: zurück zum Ursprung.

Es ist 17:30 Uhr und die Zeremonie des Kerzenanzündens beginnt. Auch wenn hier im Inneren des Jüdischen Museums wohl eher die touristische Variante stattfindet, mit vielen Erklärungen, bin ich selig, bei Chanukka dabei sein zu dürfen. Der kaufmännische Direktor des Jüdischen Museums begrüßt die Gäste, während wir ein Infoblatt bekommen, auf dem die Geschichte des Festes erklärt wird.

Jüdische Kämpfer unter Führung der Makkabäer hatten sich erfolgreich gegen die syrisch-griechische Fremdherrschaft aufgelehnt und den Jerusalemer Tempel wieder in Besitz genommen. Um jedoch die Menora, den siebenarmigen Leuchter im Tempel, anzünden zu können, brauchten sie geweihtes Öl. Die Legende besagt, dass sie nur eine kleine Menge an Öl fanden, und dass diese Menge nur für einen Tag gereicht hätte. Wie durch ein Wunder brannte die Menora aber acht Tage. An diese Geschichte erinnert das Anzünden der Lichter. Die neunte Kerze dient zum Anzünden der anderen Lichter und heißt auf Hebräisch »Schamasch« (Diener).

Ich weiß jetzt, was Chanukka ist, innerlich berührt hat es mich ehrlich gesagt nicht wirklich. Dazu fehlt mir wohl der Bezug, ich bin nicht mit dieser Tradition aufgewachsen. Vielleicht ist es etwas respektlos, aber mir scheint, ein beleuchteter Christbaum ist eindrucksvoller als ein Kerzenständer.

Ich muss an das bevorstehende Gespräch mit dem Rabbiner denken und habe etwas Angst, dass er mich und meine verrückte Buchidee gleich abweisen könnte. Auch weiß ich nicht besonders viel über das Judentum. Von Chanukka habe ich natürlich schon gehört, ebenso von anderen jüdischen Festen wie zum Beispiel dem Pessachfest. Die genauen Hintergründe sind mir aber nicht bekannt. Auch die Bar Mizwa ist mir bekannt und ein paar jüdische Begriffe wie meschugge, Mischpoche oder Tacheles, aber was sie wirklich bedeuten, weiß ich nicht so recht. Gebetet wird in der Synagoge, die Tora ist die Heilige Schrift der Juden, den Talmud gibt es auch noch, Juden tragen eine Kippa, und einmal in der Woche ist Sabbat. Koscher ist noch so ein Wort, das ich gut kenne. Und Beschneidung und Schächten sind auch zwei Begriffe, die mir zum Judentum einfallen.

Dieses Vorwissen, besser gesagt dieses Nicht-Vorwissen, erzähle ich auch dem Oberrabbiner und wir einigen uns darauf, dass ich ins Judentum eintauchen möchte, und der Oberrabbiner wird versuchen, mich nicht einzutunken.

Es gibt drei Sachen, die ich im nächsten Monat als Jude beherzigen muss.

1. Die Tora studieren,

2. den Gottesdienst in der Synagoge besuchen und

3. gute Taten vollbringen, ein guter Mensch sein.

Wobei Eisenberg beim dritten Punkt hinzufügt, dieser sei selbstverständlich kein Alleinstellungsmerkmal des Judentums.

Darüber hinaus gibt es natürlich noch das koschere Leben und den Sabbat. Wobei der Oberrabbiner selbst sagt, dass nur etwa zwanzig Prozent der etwa 15.000 in Österreich lebenden Juden (die meisten davon sind in Wien zuhause) ganz koscher und völlig nach den Gesetzen des Sabbats leben.

»Hier gibt es natürlich auch eine Überschneidung«, führt der Oberrabbiner weiter aus. »Wenn ein Jude koscher lebt, wird er auch den Sabbat einhalten und umgekehrt.«

Im nächsten Monat möchte ich nicht nur die drei oben angeführten Punkte hochhalten, ich werde auch versuchen, zu diesen zwanzig Prozent zu gehören. Damit ich das darf, brauche ich am Ende unseres Gespräches den Segen vom Oberrabbiner.

»Soll das ein lustiges Buch werden oder nicht?«, fragt er mich mit eindringlichem Blick, der eine gewisse Skepsis verrät.

»Lustig? Ich würde es eher humorvoll nennen. Der Humor wird vor allem dadurch entstehen, dass ich mich blöd anstelle, und dann lacht man darüber. Denke ich.«

»Da werden wir Sie ordentlich auslachen. Obwohl, Auslachen gehört eigentlich nicht zum jüdischen Humor. Schauen Sie, wenn Sie sich nur lustig machen danach über uns, dann geht das natürlich nicht, wenn Sie sich aber mit Respekt anstellen und sich mit Respekt dem Judentum annähern, dann ist das für mich in Ordnung.«

Erleichtert, dass mein Experiment nicht schon bei der ersten Religion und beim ersten Gespräch gescheitert ist, bezahle ich unsere zwei Melange.

Danach begleite ich den Oberrabbiner vom Café Hawelka zum Stephansplatz, hier wird es um 19 Uhr eine weitere öffentliche Chanukka-Zeremonie geben. Am Stephansplatz wartet schon eine Frau, und Eisenberg sagt zu mir: »Sie müssen jetzt gehen. Es ist 18:50 Uhr, jetzt rede ich mit der Dame hier.« Das war alles andere als unhöflich, vielmehr bestimmt und beeindruckend. Hilfreicher als jedes Zeitmanagementseminar. Überhaupt ließ mich die Begegnung mit Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg nicht unbeeindruckt. Neben seinem Talent zur Show und Selbstdarstellung besitzt er auch einen schier unendlichen Schatz an Anekdoten. Er ist wohl einfach, soweit ich das beurteilen kann, ein intellektueller Riese, neben dem ich mir vor allem in den ersten Minuten wie ein Zwerg vorgekommen bin.

Ich mache mich auf den Weg zu einer Vorstellung, die ich heute im Casanova habe, und muss an Eisenbergs jüdischen Humor denken. Eine Errungenschaft, die ich sehr schätze. Nicht umsonst wird Folgendes behauptet:

Wenn man einem Bauern einen Witz erzählt, lacht er drei Mal. Das erste Mal, wenn er den Witz hört, das zweite Mal, wenn man ihm den Witz erklärt, das dritte Mal, wenn er den Witz versteht.

Der Gutsherr lacht zwei Mal: das erste Mal, wenn er den Witz hört, das zweite Mal, wenn man ihn erklärt. Verstehen wird er ihn nie.

Der Offizier lacht nur ein Mal, nämlich wenn man ihm den Witz erzählt. Denn erklären lässt er sich prinzipiell nichts, und verstehen wird er ohnehin nicht.

Erzählt man aber einem Juden einen Witz, so sagt er: »Den kenn ich schon!« und erzählt einen noch besseren.

Ob mir morgen bereits das Lachen vergeht, wird sich zeigen. Im Café Hawelka habe ich mit Paul Eisenberg bereits den nächsten Termin ausgemacht.

»Ich komme morgen zum Morgengebet in den Stadttempel. Ist das in Ordnung für Sie, Herr Oberrabbiner?«

»Ja, kommen Sie hin, um 7 Uhr geht’s los.«

»Herzlichen Dank, ich bin um 6:30 Uhr dort.«

»Was wollen Sie um 6:30 Uhr dort? Da ist kein Mensch, mitten in der Nacht, kommen Sie um 6:59 Uhr, das reicht vollkommen.«

Oh mein Gott!

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