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Manchmal träume

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ich von Neuseeland.

Ich denke: Canterbury Plains, Southland, Haere Inn am Highway 34. Ich sehe: die große Ebene unter dem Franz Josef Glacier; Farmerfamilien, die sich bei Sonnenuntergang auf einen Schluck treffen, Maoris und Pakehas, Weiße, die sich Kiwis nennen, nach dem Vogel, nicht nach der Frucht. Ich fühle: Freiheit?

Peter würde mir zuliebe auswandern. Aber Peter ist kein Farmer. Er verträgt das Klima nicht. Wir waren zwei Tage in Auckland, da ist seine Schuppenflechte explodiert. Es wäre für ihn schwerer, in Neuseeland zu leben, als für mich, hier zu bleiben.

Ich glaube, daß wir glücklich sind. Ich kann nicht sagen, daß ich leide. Ich verstehe nicht, warum mich das manchmal überfällt. Es ist ja nur eine fixe Idee, ein überwertiger Gedanke. Es ist ein Achja, eine hartnäckige Traurigkeit. Peter ahnt, was mit mir vorgeht. Ich glaube nicht, daß er es versteht; aber er bemüht sich. Er beklagt sich nicht, wenn ich ihn nur flüchtig begrüße, wenn ich nicht recht zuhöre. Er sagt: Quäl dich nicht, sprich mit mir, wenn du willst, ich lasse dich solange in Ruhe.

Meine Freundin meint, daß sie das kennt. Sie würde im Sommer lieber ans Meer fahren, und sie müßte immer in die Berge. Aber das ist was anderes, das ist im Kopf, nicht im Bauch. Gisela empfiehlt, ich soll eine Therapie machen. Ich soll herausfinden, was Neuseeland wirklich für mich bedeutet. Es sei mein Es, das mich treibt. Ich soll das aufdecken. Wo Es war, soll Ich werden. Wenn es nicht anders ginge, müsse ich mich von Peter trennen. Aber ich kann mich nicht von Peter trennen, ich will es nicht; und man kann auch keine Therapie machen, weil man woanders leben will.

Als ich bei Vater war, habe ich geweint. Wir saßen in seinem Garten, unter einem Pflaumenbaum, und tranken Orangensaft. Auf der Flasche stand »orange juice«, über dem Baum war eine Quellwolke. Ich dachte: wie in Whakatane, aber es war nicht dort, es war hier. Vater überlegte, dann fragte er, ob mit meiner Ehe etwas nicht stimmt. Aber das Problem ist ja, daß die Ehe stimmt. Er sagte: Du wolltest immer weg von hier. Du warst immer auf der Suche. Aber so wirst du es nicht finden. Schau mal, sagte er, wir hatten es damals leichter nach dem Krieg. Ich habe auch nicht davon geträumt, Bahnbeamter zu werden; aber ich war froh, daß ich die Stelle hatte, und deine Mutter war es auch. Das Wichtigste ist der Mensch, den du liebst. Es ist schwer geworden, sich zu entscheiden. Aber du mußt wissen, was du willst, weil dir das niemand abnehmen kann; und dann mußt du zufrieden sein mit dem, was du bekommst, und dem, was du dafür aufgibst. Ich habe ihn gefragt, wie er das geschafft hat, und er sagte, daß ich klarer sehe, wenn ich Mörike lese und Stifter.

Ich habe darüber nachgedacht, ich brauchte nicht lange nachzudenken, denn er hat ja recht. Ich habe mich gefragt, was ich in Neuseeland suche. Ich habe mir gesagt, daß das Leben dort nicht anders ist als hier, weil die Leute überall gleich sind. Man muß lernen, Dinge so zu sehen, wie sie sind; man muß lernen, sich abzufinden. Zufriedenheit findet man nur in sich selbst, und ohne Zufriedenheit gibt es kein Glück. Man kann nicht alles haben. Ja. Ich weiß, daß er recht hat, aber dann frage ich mich, warum ich mich bescheiden soll. Es ist ein dummer Gedanke, ich weiß, daß er dumm ist, aber er ist da; und ich werde ihn nicht los.

Ich glaube, daß Peter und ich eine glückliche Ehe haben. Ich bin dankbar dafür, daß wir uns so gut verstehen. Es geht uns gut, wir haben keine wirklichen Probleme, wir leiden keine Not, wir hungern nicht. Ich wundere mich, daß ich nicht pausenlos platze vor Glück. Aber dann denke ich an Neuseeland und Bescheidenheit, und wenn ich Peter und mich sehe, legt sich ein Schleier über das Bild. Ich bin immer noch zufrieden, aber eine schwere Melancholie steckt darin, daß es so ist, wie es ist, und ich ärgere mich, daß ich gar nicht fröhlich bin. Er sieht es, er ist nicht böse, aber dann weiß er auch nicht, wie er mir helfen soll.

Nachts, wenn mir die Augen feucht werden, findet er die Schatten, die nach mir greifen, und verjagt sie mit seinem Blick, er küßt mir die Tränen von den Augen, er leckt das Eis von meiner Haut, streichelt mich, bis ich vor Lust zittere, und wir schlafen miteinander, und ich denke, daß wir uns noch nie so nahe gewesen sind. Wenn wir nebeneinander liegen, möchte ich ihn nie mehr loslassen, und dann erzähle ich ihm von Pancake Rock und Lake Wanaka, von der Sonne, die auf den Wellen spielt, von Kakapos, die auf Palmlilien schreien, und Peter sagt, unser erstes Kind kommt dort zur Welt, in Wellington, aber ich will nicht mehr, ich will nur noch ihn, und das Land bedeutet mir nichts mehr, es ist so hell in mir, ich bin nur noch Wärme, sie dringt durch mich hindurch zu ihm, seine, unsere Wärme.

Bis ich wieder träume.

Nachrichten aus der säkularen Welt / Credimus

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