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2. Nichts tun

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Auf einem niedrigen Podest im Studio stehen zwei Sessel, darum herum ein kleines Amphitheater für die Zuschauer mit Lücken für die Aufnahmekameras und Mikrophone. Gabriele Wüllner begrüßt ihn und dankt für seine Bereitschaft, trotz der frühen Stunde in ihr Magazin zu kommen. „Ich freue mich auch immer über die reibungslose Zusammenarbeit mit Mike“, sagt sie und drückt dessen Hand. Für Richter ist sie Gabi, offensichtlich duzt man sich in Medienkreisen ganz selbstverständlich. Immerhin wird nicht gebussit. Während sich die Sitze füllen, fragt sich Wegner, warum die Zuschauer die Mühe auf sich nehmen, Eintrittskarten zu erwerben und früh aufzustehen, anstatt sich die Sendung bequem von zu Hause aus anzusehen. Das Bedürfnis nach selbst erlebter Authentizität? Alle können es sehen, ich war dabei.

Peter Wegner hat nicht erwartet, dass ihn Gabriele Wüllner um Erlaubnis bitten würde, außerhalb des vereinbarten Themas die Durchsuchung beim Brennpunkt anschneiden zu dürfen. Aber er hätte es fair gefunden, wenn sie ihn vorher darauf angesprochen hätte. Es überrascht ihn aber auch nicht, dass sie es nicht tut. Womöglich hofft sie, ihn überraschen zu können. Vielleicht ist sie nicht nur eitel, sondern auch naiv.

Um authentisch zu wirken, soll man sich, abgesehen vom Blick zur fragenden Interviewerin, bei den Antworten an das Fernsehpublikum wenden und es direkt anschauen. Aber es ist irgendein Mensch am Bildmischer, der entscheidet, welche Kamera gerade auf Sendung ist, was durch ein rotes Lämpchen angezeigt wird. Wenn eines ausgeht, muss man erst einmal entdecken, wo wieder eins angegangen ist. Hoffentlich ist da kein unruhiger Mensch oder gar ein missgünstiges Schwein zugange.

Zu Beginn der Sendung begrüßt ihn die Wüllner und dankt für sein Kommen, er nickt in die Runde. Dann wendet sie sich als eine Art Volkstribunin an die Zuschauer: Die Bevölkerung ist beunruhigt, es herrscht der Eindruck, dass das EWERK zum Spielball von Spekulanten wird, denen es nur um einen schnellen Profit auf Kosten des Gemeinwohls geht. Was werde die Regierung tun, um die Energieversorgung sicherzustellen?

„Die Versorgung der Menschen und der Industrie ist sicher. Das EWERK ist eine Firma, in die Aktionäre, wer immer sie sind, Geld investieren, weil sie vom Geschäft, nämlich Strom zu erzeugen, überzeugt sind.“

„Das klingt ja fast nach Caritas, Herr Ministerpräsident. Fallen Ihnen denn nicht die wilden Kursbewegungen an der Börse auf? Wird nicht eher spekuliert als investiert? Stecken Sie nicht den Kopf in den Sand?“

„Das tun wir ganz sicher nicht, wir beobachten diese Vorgänge ganz genau. Jedermann ist frei, sein Geld so anzulegen, wie er – oder sie – es für richtig hält. Wenn ein Wertpapier nachgefragt wird, steigt sein Preis, insoweit sehen wir ein ganz normales Marktgeschehen.“

„Dürfen wir Ihre Worte 'insoweit normal' als einschränkend verstehen?“

„Ein Markt kann nur funktionieren, wenn er transparent ist. Wir haben Gesetze, die das sicherstellen sollen. Leider gibt es da möglicherweise eine Lücke, die Rechtslage ist allerdings noch umstritten. Im Übrigen werden solche Regeln für den Finanzmarkt nicht vom Land gemacht, sondern vom Bund. Ob nun gegen die Mitteilungspflicht verstoßen worden ist oder nicht, es ist inzwischen ja ziemlich klar, auf wen die Nachfrage nach den EWERK-Aktien zurückgeht. Das verdanken wir nicht zuletzt den Recherchen der Medien.“

„Reagieren Sie immer erst, nachdem Sie Berichte im Fernsehen gesehen oder Zeitungen gelesen haben?“

„Wir verschaffen uns ein möglichst vollständiges Bild von den Tatsachen und gründen darauf unsere Politik. Über Geschäftsgeheimnisse, wie sie Entscheidungen über Investitionen nun mal darstellen, können wir nur Vermutungen anstellen. Wir haben keine Spione in Firmenvorständen.“

Die Wüllner wird ironisch: 'Der Betrachtende hat immer recht' sagt Goethe. Sie lehnen sich zurück und überlassen Tausende von kleinen Anlegern den Machenschaften der Spekulanten.“

„Es ist meines Wissens noch nie befriedigend geklärt worden, wo bei Geldanlagen die Investition aufhört und die Spekulation anfängt. Ich möchte es trotzdem mal probieren: Es kommt darauf an, dass die Investition das Wirtschaftswachstum nachhaltig fördert. Wenn ihre Methoden auch anstößig erscheinen mögen, sollte man den Interessenten am EWERK nicht von vornherein unlautere Motive unterstellen. Es liegt auf der Hand, dass die notwendige Umstellung auf erneuerbare Energien den Eigentümern einiges abverlangen wird. Ich bin mir aber auch sicher, dass sich das langfristig auszahlen wird.“

„Reden wir doch nicht länger drum herum, geht es nicht nur um Machtkämpfe? Plech und die Elektra wollen das EWERK beherrschen.“

„In einer freien Wirtschaft sind die Unternehmen autonom. Ihre Politik wird von deren Vorständen entschieden und die sind dem Aufsichtsrat und letztlich den Aktionären als Eigentümern verantwortlich. Wir haben keine staatlich gelenkte Wirtschaft, weil wir erfahren haben, dass die nicht leistungsfähig ist. Weder ich noch die anderen Minister sind Unternehmer. Das Land ist seit Urzeiten über viele Regierungswechsel hinweg Miteigentümer beim EWERK, womit gute Rahmenbedingungen für die Energieversorgung der gesamten Wirtschaft und der Bevölkerung gewährleistet sind. Daran wird sich nichts ändern.“

„Na, hoffentlich. Also geben Sie den Großaktionären freie Fahrt und dass die Kleinen dabei unter die Räder kommen, kümmert Sie nicht?“

„Da muss man wohl genau hinschauen: Bisher haben die freien Aktionäre doch nicht ganz schlecht mitverdient.“

„Aber wie soll das weitergehen? Inzwischen soll es zunehmend Leerverkäufer geben, die darauf setzen, dass der EWERK-Kurs fällt, sobald die Elektra am Ziel ist, oder etwa, weil die Nordstrom ihr Paket auf den Markt wirft. Dazu kommen jede Menge Derivate und andere strukturierte Papiere, die von der Entwicklung der EWERK-Aktien abhängen. Haben Sie kein Verständnis dafür, dass kleine Leute Angst haben, abgezockt zu werden?“

„Es tut mir leid, aber ich bin nun wirklich kein Anlageberater. Ich wundere mich allerdings schon manchmal, wenn Menschen, die womöglich sogar noch stolz darauf sind, von Mathematik keine Ahnung zu haben, Geld in Papiere investieren, deren Risiken in irgendwelchen Hedgeformeln gut versteckt sind. Ich kann nicht hier und heute Anleger vor den Folgen verfehlter Entscheidungen schützen und ihnen morgen als mündige Bürger schmeicheln.“

Einige Zuschauer applaudieren, die Wüllner braucht eine kleine Pause vor ihrer nächsten Frage: „Nachdem Sie so auf nachhaltiges, stetiges Wachstum setzen, müssten Sie doch diese wilden Ausschläge an der Börse beunruhigen?“

„Große Schwankungen spiegeln sicher eine Unsicherheit wider.“

„Warum machen Sie dann nichts dagegen? Sie könnten doch den EWERK- Kurs beruhigen, Aktien kaufen, wenn der Kurs fällt, und verkaufen, wenn er steigt.“

Das ist so dämlich, dass sich Wegner seinerseits Ironie erlaubt: „Wir sollen also im Casino mitspielen? Aber natürlich nur, um Schlimmeres zu verhüten? Wir sind nicht die Gutsherren, sondern nur die Verwalter. Wofür das Geld, das die Steuerzahler aufgebracht haben, ausgegeben wird, entscheidet der Landtag. Soll der an jedem Börsentag tagen? Oder der Regierung eine Blankovollmacht geben? Dann wäre er nicht recht bei Trost.“

Die Wüllner wendet sich ans Publikum: „Man kann Ihre Haltung also so zusammenfassen: Der Kampf um die Mehrheit beim EWERK, insbesondere auch das Schicksal der Kleinaktionäre, lässt die Landesregierung kalt, sie behauptet, die Sicherheit einer bezahlbaren Stromversorgung sei durch ihre Sperrminorität ausreichend gesichert. - Da wir noch zwei Minuten Zeit haben, Herr Ministerpräsident, möchte ich noch ein ganz aktuelles Thema anschneiden. Während Sie beim EWERK eine Politik der ruhigen Hand bevorzugen, zeigt sich die Justiz des Landes woanders äußerst aggressiv: Ich meine den Überfall auf den Verlag und die Redaktion des Brennpunkts heute in aller Frühe. Einen solchen massiven Angriff auf die Pressefreiheit hat es in Deutschland seit Jahrzehnten nicht gegeben. Und Sie wissen ja wohl selber, wie sehr sich die damalige Regierung mit der Spiegel-Affäre blamiert hat.“

„Ich habe von diesen Vorgängen zum ersten Mal auf dem Weg hierher gehört. Das ist auch kein Überfall, sondern eine von einem Richter angeordnete Durchsuchung. Die Justiz ist von der Regierung unabhängig. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das wir unbedingt respektieren. Das bedeutet aber nicht, dass die Presse oder andere Medien über den Gesetzen stehen. Ich bin mir sicher, dass sich die Strafverfolger ihrer Verantwortung bewusst sind. In solchen Fällen sind die Hürden besonders hoch, es müssen belastbare und belastende Hinweise auf schwerwiegende Straftaten vorliegen.“

„Tun sie das? Dann sagen Sie uns doch welche.“

„Ich kann Ihre Ungeduld gut verstehen, aber ich weiß zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als jeder andere hier. Ich nehme an, dass sich die Ermittler so bald als möglich der Öffentlichkeit stellen werden. Gerade weil die Medien ihre Aufgabe in unserer demokratischen Gesellschaft vorbildlich wahrnehmen, erregen solche, doch ganz seltene, Ermittlungen zu Recht großes Aufsehen. Ich werde jedenfalls auf größtmögliche Transparenz dringen.“

Es kommt ein Signal, die Zeit ist um, aber die Wüllner muss unbedingt noch einen Pfeil abschießen. „Was heißt denn da größtmöglich, warum nicht volle Transparenz?“

„Nun, die Ermittlungen dürfen nicht behindert werden. Überhaupt mag ich nicht mehr versprechen, als ich möglicherweise halten kann.“

„Ja, soviel haben wir aus diesem Gespräch, für das ich Ihnen, Herr Ministerpräsident, danke, gelernt: Wer nichts verspricht, braucht auch nichts zu halten.“

Wegner lächelt: „Ich danke Ihnen.“

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