Читать книгу In grauen Zonen - Christian Toepffer - Страница 5
3. Glänzende Geschäfte
ОглавлениеHusmeyer übernahm das Mandat, konnte aber erst am nächsten Tag kommen. Sie trafen sich in einem kahlen Besprechungszimmer. „Ich verteidige ungern Verwandte oder Freunde in kitzligen Angelegenheiten. Da besteht die Gefahr, dass sie glauben, die persönliche Beziehung verschaffe ihnen einen Anspruch auf einen Bonus bei der Wahrhaftigkeit. So etwa: Ich müsse es doch schon schaffen können, obwohl sie flunkern. Dabei gibt es für einen Verteidiger nichts Schlimmeres, als dass ihn der Staatsanwalt mit einer Lüge des Angeklagten bloß stellt. Umgekehrt erfreut die Verteidigung eine überschießende Phantasie der Anklage.“ Mallwitz erzählte von seinen Gesprächen mit Gumede und van Reenen während seiner Reise nach Südafrika. „Und was ist aus dem Projekt geworden, wie ging es weiter?“ „Ich trug das im Vorstand vor, der gab grünes Licht für Verhandlungen. Die wissenschaftlichen und technischen Dinge waren schnell geklärt. Jedenfalls bei bestem Wissen und Gewissen nach dem damaligen Stand der Kenntnisse. Und genau damit beginnen die Probleme. Wer das Unbekannte erforscht und das Neue entwickelt, kann die Kosten unmöglich genau angeben. Das ist ein Teil des unternehmerischen Risikos, über das die Manager gern reden, wenn es um ihre Bezüge geht, das sie aber in Wirklichkeit scheuen wie der Teufel das Weihwasser. Jeder will sich absichern, mein Kollege Kallsen ganz besonders. Sehr anstößig war natürlich die parallele Entwicklung einer Abscheidung der dünnen photovoltaischen Schichten aus Dampf einerseits und aus einem Plasma andererseits. Zum einen hatten wir noch nicht die praktischen Erfahrungen, um eines der Verfahren vorzuziehen, zum anderen war klar, dass es in Südafrika ohne eine lokale Beteiligung an der Forschung und Entwicklung auch keine Produktion geben würde. Welchen Wert der Beitrag haben würde, war zweitrangig. Außerdem stand natürlich auch die Konkurrenz auf der Schwelle.“ „Das sollten wir besser nicht vertiefen. Selbst wenn man es beweisen könnte, würde es dich nicht entlasten.“
„Ich möchte ja nur, dass du ein wenig unsere damalige Stimmung verstehst. Es ging einfach darum, um eines höheren Ziels willen auch solche Kosten in Kauf zu nehmen, die sich später als verloren herausstellen könnten. Unter ständigem Druck von Kallsen zerlegten wir das ganze Projekt in Teilschritte. Für jeden Schritt schätzten wir, so gut es eben ging, die Kosten, die Dauer, und welche Unsicherheiten dabei noch für uns erträglich sein würden. Einige Aufgaben würden unabhängig voneinander sein und könnten parallel erledigt werden, anderes müsste notwendigerweise aufeinander aufbauen. An geeigneten Schnittstellen sollte der erzielte Fortschritt aufgenommen und bewertet werden. Nicht alles war vorhersehbar, aber wir würden auf Unvorhergesehenes reagieren können. Die Planung musste belastbare Zahlen liefern, um die Kaufleute zufrieden zu stellen, und technisch hinreichend flexibel sein. Ich glaubte, an der Quadratur des Kreises zu arbeiten. Nein, eigentlich nicht mal in zwei Dimensionen, sondern in mehreren. Denn dann kamen die Juristen: Wer wäre für was verantwortlich, Vertragsstrafen, natürlich am besten nur für die jeweils andere Seite, wenn ein Ziel nicht erreicht würde. Unsere Regierung hat die Verhandlungen ausdrücklich unterstützt. Schließlich kam es zum Abschluss mit African Electric in Sachen Forschung und Entwicklung der Produktionstechnik. Bei der Unterzeichnung war der Botschafter dabei. Für die Produktion der Dünnschichtmodule wurde kurz darauf ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, 51% Eltech, 49% Südafrika, teils Staat, teils Private. Die Controller sollten mal herauskriegen, wie viel eigentlich schon solche Verhandlungen kosten.“
„Welches Verfahren hat sich denn durchgesetzt?“ „Unseres. Nach den Laborversuchen wurde klar, dass es einfacher war, die Plasmaabscheidung großtechnisch umzusetzen.“ „Wem war das klar, waren die Südafrikaner nicht enttäuscht?“ „Die Wissenschaftler waren sich im Grunde einig. Da gab es zwar noch Schaukämpfe, aber die erledigten sich, nachdem wir African Electric eine etwas höheren Anteil am Gewinn aus der Fertigung versprachen. Das kostete uns eigentlich nichts, weil mit unserer Methode billiger produziert werden konnte.“
„Das Wort 'eigentlich' solltest du in diesem Zusammenhang nicht einmal denken! Das dreht dir der Staatsanwalt im Mund herum. Was hast du eigentlich von den Patenten der Südafrikaner gehalten?“ „Eigentlich? Die wirkten etwas bieder auf mich.“
„Was heißt das?“ „Solide, aber nicht wirklich innovativ.“ „Was ist der Unterschied zwischen innovativ und wirklich innovativ?“ „Innovativ reicht hin, um die Patentanwälte und Patentämter zu überzeugen. Was wirklich innovativ ist, weiß man eigentlich erst nach Jahren.“
„Hast du die Südafrikaner für fähig genug gehalten, die Leistungen in Forschung und Entwicklung zu bringen, die den geschätzten Kosten entsprachen?“ „Ja.“ „Und was ist aus dem Projekt geworden?“ „Es könnte nicht besser laufen. Die Nachfrage kann nicht befriedigt werden. Vor allem die aus dem Sonnengürtel – Nordafrika, Arabien, der Golf, Persien. Die Moslems kaufen lieber in Südafrika ein als in Europa oder gar in den USA.“
„Und dieser Gumede, könnte er in die eigene Tasche gewirtschaftet haben?“ „Fällt mir schwer zu glauben. - Meine Mutter war begeistert von ihm, ein Schwarzer aus einem guten Stall. Er hat die ganz natürliche Ausstrahlung einer Führungskraft. Da gibt es eine Wechselwirkung, die ererbte Autorität wird geachtet und der entbotene Respekt stärkt.“ „Wir suchen hier doch keinen Ehemann für eine von Mallwitz.“
Mallwitz lachte, sie kamen so wirklich auf Abwege. „Inzwischen hat er vielleicht etwas Bodenhaftung verloren, die Schadow-Kopie in seinem Haus hat mich irritiert. Gumede wollte sicher eher Einfluss, etwas Bedeutendes bewirken, das mit seiner Person verbunden wäre, als einen materiellen Vorteil durch unlautere Geschäfte. In Wirklichkeit ist er ein Opfer politischer Intrigen, und Korruption ist nur ein Vorwand.“
„Was weißt du denn über seine Verhaftung?“ „Ein gemeinsamer Bekannter aus Südafrika rief mich an. Als ich endlich seine Frau erreichte, hatte man sie schon aus der Dienstvilla gesetzt und beim Fernsehen ins Archiv abgeschoben. Sie wirkte ziemlich eingeschüchtert. Ich bin mir sicher, dass hinter der ganzen Angelegenheit politische Richtungskämpfe stehen. Früher war man sich im ANC einig, weil alle gegen die Rassentrennung kämpften. Als man dann die Macht hatte, wurden auch andere Spannungen sichtbar. Aber der alte Mythos der Einheitsfront ist noch mächtig und verhindert geradezu, dass Konflikte offen ausgetragen werden. Grob gesagt gibt es drei politische Richtungen: Die Regierenden sind im Grunde konservativ. Sie haben sich die alten Strukturen eher angeeignet als sie zu verändern. Man lebt nicht nur wie vorher vom Export von Rohstoffen, sondern profitiert noch nachträglich vom Apartheidregime, z.B. von seiner Rüstungsindustrie, und in diese Wirtschaftszweige wird bevorzugt investiert. Dagegen fordern die Gewerkschaften soziale Gerechtigkeit und eine Umverteilung zugunsten der Massen. Dann gibt es noch eine Richtung, die man technokratisch nennen könnte. Ich nehme an, dass Leute wie Gumede dahinter stehen. Die wollen neue Arbeitsplätze in der Infrastruktur und in der Hochtechnologie schaffen. Dazu müssten Investitionen zu Lasten des Bergbaus umgelenkt werden, und das kann den Leuten, die da inzwischen in führende Stellungen eingerückt sind, nicht recht sein. Natürlich geht es auch um Machtfragen, und es werden Ellenbogen eingesetzt. Die regierenden Kreise haben zugeschlagen, bevor es zu gefährlich wurde. Für solche Zwecke hatte man eine Spezialtruppe geschaffen, die Skorpione. Die haben nicht nur Gumede verhaftet, sondern auch die deutschen Strafverfolger auf mich gehetzt. Schließlich ist African Electric unser gemeinsames Kind.“
„Wie kam das?“ „Ich wurde 1987 Leiter der südafrikanischen Landesgesellschaft der ElteX – beziehungsweise ‚Eltech‘ mit ‚ch‘, wie das damals noch hieß. Das weiße Regime war todkrank. Ein Symptom war übrigens die um sich greifende Korruption. Offensichtlich stieg mit dem sich nähernden Ende der Drang, noch schnell abzusahnen. Wir mussten eine Strategie entwickeln, die uns über den Wandel helfen würde. Trotz der zunehmenden Unruhe lief das Geschäft nicht schlecht. Das Regime förderte die Elektrifizierung der schwarzen Vorstädte, man nahm wohl naiverweise an, die Schwarzen würden die Regierungspropaganda im Fernsehen glauben. Wie dem auch sei, da tat sich ein riesiger Markt auf – erst die Kraftwerke und die Netze, dann die Geräte. Aber das Geschäft musste gegen die Risiken eines politischen Umsturzes versichert werden. Wir mussten Zeichen setzen, die dem ANC zeigten, dass wir zu einer konstruktiven Zusammenarbeit bereit waren. Dazu schlug ich vor, einen Teil der Aufgaben einer Ausgründung mit schwarzer Beteiligung zu übertragen. Das wurde dann die African Electric. Miteigentümer waren die schwarze Gewerkschaft und einige Fachleute, darunter der Elektroingenieur Gumede. Die hatten die Beziehungen, und wir hatten das Kapital.“
„Also ihr habt das Eltech-Kapital auf Kosten der Aktionäre verdünnt, euren Partnern einen geldwerten Vorteil verschafft und auf deren Wohlwollen nach einem Machtwechsel spekuliert.“ „Das ist eine sehr unfreundliche Sichtweise.“ „Genau eine solche hat dich hierher gebracht.“ „Nein, alles geschah doch völlig offen und ist auf einer Eltech-Hauptversammlung abgesegnet worden. Es gab sogar ausdrückliches Lob von einer Anti-Apartheid-Gruppe, die eine Aktie besaß. Im übrigen zwingt die Regierung inzwischen Firmen, schwarze Teilhaber aufzunehmen, auch wenn diese kein Kapital einbringen können. Was jetzt Pflicht ist, konnte doch damals kein Unrecht sein.“ „So würde ich das hier besser nicht formulieren.“
„Wie auch immer, es wurde hart gearbeitet. Gumede hatte ein besonderes Geschick, gemäßigte ANC-nahe Kreise davon zu überzeugen, dass sie nichts davon hätten, wenn sie eines Tages ein ruiniertes Land übernehmen müssten. Auf der anderen Seite gab es Scharfmacher besonders bei den Geheimpolizisten vom Bureau of State Security, genannt BOSS, die sich mit Recht so belastet glaubten, dass sie nichts mehr zu verlieren hatten. Die setzten auf Spannungen zwischen den Schwarzen, um die weiße Macht zu stützen. Da boten sich die traditionell orientierten Zulus an, die sich dem politischen Anspruch des ANC, alle Gegner des rassistischen Regimes zu vertreten, nicht unterwerfen wollten. BOSS sähte Streit, was sich als schwieriger herausstellte als gedacht, weil der Einfluss der Zulu-Häuptlinge und die Bedeutung der Stammeszugehörigkeit in den schwarzen Vorstädten um Johannesburg gar nicht mehr so groß war. Da störte es, wenn ein Zulu bester Herkunft ein Vorhaben betrieb, das Einfluss jenseits der Stammesgrenzen versprach. Die BOSS-Leute machten Druck auf Gumede: Wenn schon Elektrifizierung, dann sollten die Zulu-Siedlungen zuerst drankommen und Zulus bei der Beschäftigung bevorzugt werden. Weil das sachlich nicht vertretbar war, lehnte Gumede nach Rücksprache mit mir ab. Kurz darauf war er verschwunden. Willkürliche Verhaftungen waren nicht unüblich, ich hatte schon zweimal Leute von mir heraus geholt. Aber Gumede war Großwild, für den musste ich weit oben anklopfen. Das würde dauern, ich konnte nur hoffen, dass er inzwischen keine Treppe hinunter fallen würde, eine damals auffällig häufige Todesursache bei Häftlingen. Ich kannte den Wirtschaftsminister von den Verhandlungen wegen der Elektrifizierung und nach einigen Tagen bekam ich einen Gesprächstermin. Ich sagte ihm, Eltech sei ohnehin unter Druck, den Boykott gegen Südafrika zu verschärfen.
Wir könnten es nicht hinnehmen, ausgerechnet den Leiter desjenigen Projekts zu verlieren, das unsere fortdauernde Tätigkeit in Südafrika legitimiere. Seine Regierung solle umgehend solche Provokationen vermeiden. Der Minister wiegelte erst ab, erklärte sich dann unzuständig, versprach dann aber, nicht nur selber mit dem Polizeiminister zu reden, sondern auch mir eine Gelegenheit dazu zu verschaffen. Das klang nicht schlecht, denn es gab so einige Hinweise, dass von ganz oben her Zweifel durch das System sickerten.
Man redete zwar von der totalen Mobilisierung gegen den terroristischen ANC, hielt sich aber eine Hintertür für Verhandlungen. Und die wurde gerade ein wenig geöffnet, z. B. durch Hafterleichterung für Mandela. Der Polizeiminister empfing mich dann einige Tage später. Seine Aufgabe sei der Kampf gegen Terrorismus und Sabotage, und nichts werde ihn davon abbringen. Ich sagte ihm, Gumede handle in unserem Auftrag, wenn ihm Sabotage unterstellt würde, dann gelte das auch für uns. Ohne ein gewisses Grundvertrauen könnten wir keine Geschäfte machen. Die Polizei hätte sicher in bester Absicht gehandelt, aber übereifrig und ohne die Folgen zu bedenken. Womöglich wäre auf den unteren Ebenen auch gar nicht bekannt, welchen Stellenwert die Regierung dem Elektrifizierungsprogramm beimesse. Die Feinde würden behaupten, der Fall zeige, dass die Regierung, d.h. er, der Polizeiminister, BOSS nicht mehr kontrollieren könne und im Grunde schon die Anarchie herrsche, die er eigentlich verhindern solle. Der Minister sagte mir zu, sich um den Fall zu kümmern, und warb noch etwas um Verständnis. Niemand könnte mehr bedauern als er, dass eben leider nur scharfe Maßnahmen im Kampf gegen Kommunismus, Aufruhr und Chaos Erfolg versprächen.
Nach ein paar Tagen tauchte Gumede wieder auf. Die BOSS-Leute hatten ihn zunächst in ihr Hauptquartier gebracht und dort eine Zeit lang isoliert. Eine übliche Taktik, um Häftlinge mürbe zu machen. Er sollte sich nicht länger weigern, unter dem Deckmantel seiner Arbeit für uns den ANC auszuforschen. Man erinnerte ihn daran, dass er in erster Linie seinem Stamm Gehorsam schulde, und schleppte sogar seinen Schwiegervater herbei, einen prominenten Zulu-Häuptling. Der beschwor ihn, darauf einzugehen, denn der ANC sei ein viel schlimmerer Feind der Zulu-Tradition als die weiße Regierung. Die würde von den Buren getragen, und das sei eigentlich nur ein anderer Stamm. Ihre Aufgabe als Zulus sei es, den Einfluss ihres Stammes zu erhöhen und sonst nichts. Nachdem das nichts bewirkte, schafften sie Gumede in das Fort von Johannesburg. Nach dem Machtwechsel zeigte mir Gumede das Gefängnis und seine Zelle, etwa 100 Quadratmeter für 50 Gefangene, Abort in einer Ecke. Heute ist das ein Museum, natürlich, ich wundere mich, wo er jetzt sitzen mag.
Eigentlich konnte ich ja stolz darauf sein, dass ich erfolgreich eingegriffen hatte. Aber eine Zeit lang nagte in mir das Misstrauen, dass Gumede vielleicht doch mit der Polizei etwas verabredet haben könnte. War er vielleicht unter Zwang zu einer Art Doppelagent geworden? Aber dann wurde Mandela frei gelassen, der ANC kam aus dem Untergrund, und es begannen die langen, zähen Verhandlungen, die schließlich zum Machtwechsel führten. Währenddessen zerstreuten sich meine Zweifel, denn es war klar, dass der ANC Gumede voll vertraute. Und das war ungeheuer nützlich für African Electric, Eltech und damit natürlich auch für mich. Mit unserer Ausgründung ‚African Electric‘ hatten wir die von der neuen Regierung gewünschte Afrikanisierung der Wirtschaft und Industrie bereits eingeleitet. Wir machten glänzende Geschäfte, trotz der schwarzen Teilhaber blieb genug für Eltech übrig. Und Gumede gewann besonders, denn der Machtwechsel verschaffte den besser Ausgebildeten unter der vorher benachteiligten Bevölkerung, so lautet die offizielle Bezeichnung für die Nicht-Weißen, ein Vorrecht auf Führungspositionen. Da gab es eine Anzahl Juristen und Mediziner, aber kaum Ingenieure und Naturwissenschaftler. Gumede kam schnell nach ganz oben und wurde Direktor der Südafrikanischen Forschungsgemeinschaft SARF.“
„Nun zu dem anderen Komplex: Du sollst angeregt haben, weltweit Beratungsgesellschaften zu gründen, mit der Absicht, auf diese Weise Bestechungen zu verschleiern. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dazu sogar ein von dir verfasstes Papier zu haben.“
„Ich verstand African Electric zunächst als eine rein opportunistische Gründung, als Versuch, unser Geschäft in den wilden Zeiten des politischen Umbruchs über Wasser zu halten. Dann merkte ich, dass dieses Geschäftsmodell eine allgemeinere Bedeutung haben könnte. Die Zeiten, wo es auf einer Seite Fabrikanten und auf der anderen Seite Konsumenten gab, gingen vorbei. Im ehemaligen Ostblock, in Asien und anderswo befreite man sich von den oft sogar selbst angelegten Fesseln und wollte teilhaben, am Forschen, Entwickeln, Produzieren und natürlich auch am Verdienen. Wer da nicht mitspielte, würde untergehen. Dabei zogen auch zu Hause Wolken auf: Die Privatisierung von Post, Telefon und Bahn sowie die Öffnung des Marktes für die europäische Konkurrenz gefährdeten Eltechs Rolle als Staatslieferant Deutschlands, die immer so bequem gewesen war. Und es gab Geschäftsfelder, die in Deutschland unerwünscht waren, wie die Kernenergie. Die könnte man besser vom Ausland aus weiter führen. Ich ließ solche Überlegungen in meine Berichte an den Vorstand einfließen. Üblicherweise las man da höchstens die Zusammenfassungen am Anfang. Da schrieb ich dann mal rein, wir könnten uns mit einer solchen Strategie die Globalisierung zunutze machen, um uns an die Spitze der Entwicklung zu setzen.
Aus Gründen, über die ich nur Vermutungen anstellen kann – vielleicht war der Vorstand gerade auf einem dieser unsäglichen Kamingespräche mit irgendwelchen Gurus gewesen und spürte den Drang, dem Gerede etwas Handfestes folgen zu lassen –, wurde das begeistert aufgegriffen. Immerhin hatte ich ja in Südafrika gezeigt, dass man mit einigem Gespür sogar aus potenziell schädlichen Entwicklungen Vorteil ziehen kann. Ich wurde nach Deutschland zurückgerufen und warb für Dezentralisierung und Subsidiarität. Wie zu erwarten, gab es zähen Widerstand von allen, die dabei etwas zu verlieren hatten, besonders aus den Leitungen der bisherigen Landesgesellschaften, deren Einfluss durch die Hereinnahme einheimischer Partner verdünnt worden wäre. Das wurde natürlich nicht so gesagt, sondern allerlei andere Argumente vorgeschoben und überhaupt viel intrigiert. Dabei habe ich mir sicher viele Feinde gemacht. Olga meinte damals, ich sei zu nüchtern, gefühllos und zu sehr an Tatsachen orientiert, ich sollte mehr psychologisches Verständnis aufbringen.
Das beeindruckte mich wenig, ich hatte recht, war erfolgreich und setzte mich durch. So schien es mir jedenfalls. Ich wurde herumgereicht, machte Segeltörns und Bergwanderungen mit den Spitzenleuten der deutschen Wirtschaft. Aber mit der Zeit begannen in mir Zweifel zu nagen. Die wurden von außen genährt durch die sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen für Geschäfte im Ausland. Zunächst durften Schmiergelder nicht mehr als betriebliche Aufwendungen steuerlich abgesetzt werden, dann wurde die Bestechung überhaupt verboten. Dahinter stand der amerikanische Drang zur Verbesserung der Moral in aller Welt. Und dann steckte Eltech, aus diesem Anlass umgetauft in ElteX, auch noch den Kopf in den Rachen des Löwen, als unsere Aktien in New York zugelassen wurden und wir damit der strengen amerikanischen Börsenaufsicht unterlagen. Überdies wurde es immer schwerer, schwarze Kassen zu führen, weil der internationale Zahlungsverkehr infolge des Terrorismus immer stärker überwacht wurde.
In mir verfestigte sich der Verdacht, dass der Widerstand gegen meine Vorschläge nicht deshalb abnahm, weil sie gut waren, sondern weil man hoffte, mit Hilfe der neuen Firmen die gewohnten, nicht ganz sauberen Geschäftspraktiken weiterführen zu können – unter der Decke von Beratungsaufträgen und anderen Scheingeschäften. Dieser Missbrauch meiner Ideen kränkte mich. Und ich war sicher, dass das über kurz oder lang auffliegen würde. Ich kämpfte lange mit mir selber, um einen Weg zu finden, den drohenden Schaden abzuwenden, ohne mich dabei selber in Gefahr zu bringen.
Schließlich verfasste ich ein gelehrtes Papier über unsere Aufstellung in der globalisierten Welt und warnte darin eindringlich vor einem etwaigen leichtfertigen Umgang mit den sich verschärfenden Regeln für den geschäftlichen Verkehr und verschickte das im Vorstand.“ „Klingt sehr allgemein. Spezielle Fehlhandlungen hast Du nicht benannt?“ „Das wäre sehr riskant gewesen, selbst wenn ich harte Beweise gehabt hätte. Ich glaube, der Vorstand hat damals die schärferen Gesetze nicht so ernst genommen. Wenn überhaupt etwas herauskäme, könne man das aussitzen, und bis dahin wäre es am besten, nichts zu wissen. Ich hatte nichts Bestimmtes, konnte es in meiner Stellung auch gar nicht haben, aber ich glaubte den umlaufenden Gerüchten, weil ich den Druck kannte, der von oben ausgeübt wurde. Da mussten alle Bereiche vierteljährig ihre Zahlen abliefern, und jedesmal musste das vorherige Ergebnis übertroffen werden, sonst setzte es ein Donnerwetter. ‚Holen sie die Aufträge rein. Wie, wollen wir gar nicht wissen‘. Obwohl das nie offen so gesagt wurde, handelte man danach und glaubte sich im sicheren Bewusstsein, damit den wahren Absichten des Hauses ElteX zu folgen.
Und dann gibt es oft Beratungen, die gar nicht mit dem Maßstab eines Controllers bewertet werden können. Ich erinnere mich da an Schwierigkeiten mit superleitenden Resonatoren. Die konnten wir nicht stabil abstimmen, weil die elektromagnetischen Schwingungen mechanische Vibrationen anfachten. Die Resonatoren wackelten, und das ließ sich nicht dämpfen, ohne die Güte der Resonatoren zu verschlechtern. Wir sahen schon hohe Vertragsstrafen auf uns zukommen, da empfahl mir mein Vetter, der Physikprofessor, einen Israeli vom Weizmann-Institut, der habe Erfahrung mit solchen Problemen. Ich rief ihn an und schilderte unser Problem. Der Mann sagte zu und wollte seine Reisekosten sowie ein Erfolgshonorar in der Größenordnung der zu erwarteten Vertragsstrafe haben. Im Vorstand leuchtete mein Argument ein, dass uns ein Misserfolg auch nicht schlechter stellen würde, während uns ein Erfolg doch wenigstens eine Blamage vor dem Kunden erspare. Der Israeli kam, schaffte Tag und Nacht, und nach einigen Wochen waren die Sollwerte erreicht. So etwas kann man nicht nach Arbeitsstunden abrechnen. Man nutzt bestimmte, wertvolle und einzigartige Erfahrungen, die im Lauf eines ganzen Lebens erworben wurden, und dafür gibt es keinen Tarif. Willst du wissen, wie der das gemacht hat?“
„Nein, lieber nicht.“ „Dann konstruiere ich dir noch ein Beispiel, das dir vielleicht näher liegt. Wir brauchen bei einem Vorhaben dringend irgendwelche Genehmigungen. Weil wir die örtlichen Verhältnisse nicht hinreichend gut kennen, nehmen wir uns einen Anwalt. Den bezahlen wir nicht nur für seine juristischen Kenntnisse, sondern mehr noch für seinen Einfluss und seine Beziehungen. Dahinter steckt eben auch eine Lebensleistung. Wie der seine Beziehungen pflegt, ist eigentlich nicht unsere Sache.“
„Du solltest mit dem Wort ‚eigentlich‘ wirklich viel sparsamer umgehen. Aber was sollte dieses Memorandum an den Vorstand eigentlich bewirken?“ „Was ich dir eben erzählte, soll eigentlich nur einige Erwägungen für einen guten Geschäftsstil veranschaulichen, so wie ich sie damals in dem Memorandum angestellt hatte. Ich setzte dabei zwei Dinge voraus: Erstens, dass die Leser klug genug wären, um zwischen den Zeilen zu erkennen, dass wir ohne Kursänderung auflaufen würden, und zweitens, dass die Änderungen umso mehr schmerzen würden, je länger man zögerte. Erinnerst du dich an unseren Mathelehrer Willy?“
„Was hat unser Lehrer damit zu tun?“ „Bei dem wurde doch nie gemogelt, und der hat auch nie einen beim Mogeln erwischt.“ „Ja, das stimmt, der stellte sich bei Klassenarbeiten einfach hinter einen. Das schüchterte so ein, dass es niemand versuchte. Aber solche Drohungen wirken doch nur so lange, wie sie glaubwürdig sind, und sie müssen im Falle eines Falles unbedingt wahrgemacht werden. Und das war bei euch eben nicht so, man ließ sich wohl nicht so einfach beeindrucken?“
„Nein, die waren dämlicher als wir Schuljungen. Zunächst passierte nichts. Dann hatte ich ein Gespräch mit dem Vorsitzenden unter ungewöhnlichen Umständen, deshalb erinnere ich mich auch noch ziemlich genau daran. Es war an einem Sonnabendvormittag, beim Metzger. Der Laden war ziemlich voll, Olga stellte sich an, die Mirschbergs kamen herein, wir begrüßten uns, Frau Mirschberg forderte Olga ausdrücklich auf, sich vor ihr bedienen zu lassen. Das war dann auch schon der amüsante Teil der Begegnung. Während die Frauen mit den Verkäuferinnen redeten, sagte mir Mirschberg: 'Ich habe gehört, dass Sie sich Sorgen machen. Um das Juristische wird sich die Rechtsabteilung kümmern. Aber Sie sollen da ja auch tiefer liegende Fragen angeschnitten haben, die unser Selbstverständnis berühren. Ich schätze das außerordentlich und nehme es sehr ernst. Wir betrachten das im Vorstand durchaus als eine Herausforderung für unsere Führungskultur. Wir stellen uns gemäß dem deutschen Corporate-Governance-Kodex auf, nachhaltiger wirtschaftlicher Erfolg lässt sich nur entlang ethischer Leitlinien erzielen. Ich habe dazu ein Buch geschrieben, das demnächst erscheinen wird. Ich schwanke noch etwas, was den Titel betrifft: ‚Profit und Moral‘ oder ‚Profit durch Moral‘. Glücklicherweise redete er gleich weiter, ohne dass ich dazu etwas bemerken musste. ‘Zur Zeit formulieren wir für unser Haus einen Code of Conduct, da wirken auch Theologen, Philosophen und Sozialwissenschaftler mit, einige davon sogar aus der Ethikkommission des Bundes. Und Juristen werden schon im Vorfeld aller Entscheidungen für Compliance sorgen.‘
Ich war schon damals überzeugt, dass sich die Sprecher mit dieser Anglisierung, ‚Corporate Compliance‘ statt ‚Regeltreue‘ und so weiter, von den Inhalten distanzieren, wenn nicht gar vor der Wirklichkeit flüchten. Und dann kam die Warnung: ‚Sie sehen also, dass wir auch ethisch bestens aufgestellt sind. Sie sind bekannt für ihr gutes Gespür und eine Führungskraft kann und darf nicht immer bequem sein. Aber Sie sollten auch darauf achten, nicht als Bedenkenträger oder gar als Verhinderer abgestempelt zu werden.‘
Dabei blieb es dann auch, für mich eine deutliche, in väterlicher Pose vorgetragene Ermahnung und ansonsten Ersatzhandlungen. Einige Moralquacksalber erkannten die Gunst der Stunde, gründeten eine Firma ‚Integrity & Compliance‘, die einschlägige Kurse veranstaltete. Wer daran teilnahm, wurde mit einem Sonderbonus belohnt. Ich hätte es eher Schmerzensgeld genannt.“
„Also, du wolltest mit dem Papier deine Hände in Unschuld waschen, hast dich damit bei deinen Vorgesetzten unbeliebt gemacht und jetzt die Aufmerksamkeit der Ermittler auf dich gezogen. Wie kam es denn aus deiner Sicht zu den Untersuchungen der Strafverfolger gegen ElteX?“
„Angefangen hatte das durch eine anonyme Anzeige mit wirklich belastendem Material, Bestechung von Mitarbeitern deutscher Stadtwerke. Vermutlich ging das auf einen enttäuschten Betriebsrat aus dem Geschäftsbereich Energietechnik zurück. Diese Leute wollten die Arbeitsplätze in der Kerntechnik erhalten und mussten sich deshalb erst von den Grünen und dann auch in ihrer Gewerkschaft als Knechte beschimpfen lassen. Als absehbar wurde, dass sich neue Anlagen politisch nicht mehr durchsetzen ließen, begann man auch bei ElteX an alternativen Vorhaben zu arbeiten. Durch Verschwelung sollte Müll umweltfreundlich beseitigt und Energie gewonnen werden. Leider gab es Schwierigkeiten, das Verfahren vom Maßstab eines Versuchslabors auf den einer Fabrik zu bringen. Schließlich mussten doch eine Menge Mitarbeiter entlassen werden. Das hat wohl bei jemandem das Fass zum Überlaufen gebracht. Dann kamen andere Schmiergeldskandale im Zusammenhang mit Geschäften im Ausland ans Licht. Man tat das zunächst als Missetaten einzelner schwarzer Schafe ab, wie sie eben bei dreihunderttausend Mitarbeitern schon mal vorkommen könnten. Später stolperte dann mal ein Firmensprecher über die Wendung ‚Eine unglückliche Häufung von Einzelfällen‘. Der Vorstand behauptete jedenfalls immer, von keinen Unregelmäßigkeiten gewusst zu haben und alles getan zu haben, um sie zu unterbinden. Ich glaube, ich habe jetzt alles gesagt, was mir zu den Anschuldigungen einfällt, brauchst du sonst noch etwas?“
„Nichts, was es in einem Besprechungsraum eines Gefängnisses gibt“. Georg kannte die Vorliebe seines Freundes für Champagner. „Wir haben gleich den Termin mit der Staatsanwältin beim Haftrichter. So, wie du das schilderst, hat die Anklage ein Kartenhaus gebaut. Mit irgendwelchem Material aus dem Verfahren gegen Gumede in Südafrika will man dir Korruption in Sachen African Electric anhängen. Die Anklage wird alles versuchen, dich mit Untersuchungshaft zu schrecken. Die glauben, dass du viel mehr und viel Genaueres über die dunklen Machenschaften bei ElteX weißt, als du in dein vornehmes Memorandum hineingeschrieben hast. Und das wollen die aus dir herauspressen.
Du musst dir also gut überlegen: Was weißt du wirklich, was willst du davon preisgeben, welches Wissen kann man dir nachweisen, und würdest du dem Druck einer Haft standhalten? Wenn du hinreichend belastendes Material gegen ElteX-Führungskräfte lieferst, könnte die Anklage auf weitere Haft verzichten, dich vielleicht sogar als Kronzeugen davon kommen lassen.“
„Ich bin doch unschuldig. Natürlich glaube ich, dass bei ElteX, und natürlich auch bei anderen, so sehr am Rand gesetzlicher Rahmen gehandelt wurde, dass es Überschreitungen gegeben hat. Aber eigentlich reime ich mir nur überhörte Bruchstücke und Vermutungen zusammen. Genaue, belastungsfähige Aussagen, wer was wann gemacht hat, kann ich nicht liefern. Ich glaube auch gar nicht, dass es viel persönliche Schuld gibt, etwa in dem Sinn, dass Leute Gelder unmittelbar in die eigene Tasche gelenkt hätten. Nein, die wollten zunächst einmal etwas für den Erfolg des Hauses ElteX tun, um sich damit dem Druck der Shareholder-Value-Manager zu entziehen. Als Mitglied der über 150 Jahre alten Eltech-Familie lebt man in einer eigenen Welt: ‚Ein feste Burg ist unser Haus Eltech‘. Was außerhalb der schützenden Burgmauer geschah, nahm man nur oberflächlich wahr. Man stellte sich zwar dem verschärften globalen Wettbewerb, aber man übersah, dass sich auch dessen Spielregeln änderten. Man hat zwar gemerkt, dass es nicht mehr politisch korrekt war, von Asiaten als Kanaken und von Afrikanern als Negern zu reden. Aber es wurde übersehen, dass diese Entwicklung eine Änderung des Geschäftsstils erforderte: Die Behauptung, Korruption sei in diesen Ländern nun mal üblich, wirkte nicht mehr entschuldigend. Gesellschaft und Politik hatten sich von den überkommenen Anschauungen und Gewohnheiten des Hauses Eltech weg entwickelt, das musste zu Spannungen und schließlich zu Zusammenstößen führen. Also, da waren keine Gauner am Werk, sondern die Firmenkultur war zu starr.“
„Zeigst du selber nicht genau denselben Corpsgeist, den du an Anderen bemängelst?“ „Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich mich wohl fühlen würde, wenn ich einzelne Personen belasten würde.“
„Du musst natürlich auch an deine Zukunft denken. Falls du gegen andere aussagst, insbesondere Mitglieder des Vorstands, wird dir wahrscheinlich sofort gekündigt. Solange du verhaftet bist, kannst du keine Arbeitsleistung für ElteX erbringen. Wegen der bevorstehenden Feiertage wird man das vielleicht eine Zeitlang hinnehmen, dann wirst du deinen Urlaub absitzen, und wenn der verbraucht ist, wird es bestenfalls nur noch unbezahlten Urlaub geben. Oder es wird dir eben doch gekündigt, z.B. weil sich die jetzige Konzernführung mit oder ohne deine Aussage nicht halten kann und ein neuer Vorstand das gesamte Ancien regime auf die Guillotine schickt. Wenn sich deine Unschuld herausstellt, müssen sie dir allerdings das Gehalt nachzahlen und eine etwaige Kündigung zurücknehmen.“ „Ich bin unschuldig, aber ich weiß auch: Vor Gericht und auf hoher See ist man mit Gott allein. Es sieht doch so aus, dass ich jetzt durch eine Aussage nichts gewinne. Ich sage nichts, zumindest solange niemand von ElteX etwas gegen mich unternimmt.“
„Du hast hier keine Zeitung gelesen, nehme ich an? Da steht heute nicht nur drin, dass gegen leitende ElteX-Mitarbeiter ermittelt wird und du in Untersuchungshaft genommen wurdest, sondern auch ein Interview mit Mirschberg. Seine Kernaussage: Es habe wohl bei ElteX ein Netzwerk von Kriminellen gegeben, von dem er aber nichts gewusst habe. Er konnte es dabei belassen, brauchte deinen Namen gar nicht zu nennen. So suggeriert man dem Leser, dass du als gerade Verhafteter ganz offensichtlich zu diesem Netzwerk gehörst.“
„Das ist infam! Er lügt. Vermutlich belügt er auch sich selber, was aber nichts besser macht. Ein Vorsitzender eines Vorstands muss sich auch vor seine Leute stellen, er darf sich nicht aus der Verantwortung für Fehlentwicklungen stehlen. Welche Werte gelten denn noch für einen solchen Mann, was ist das für ein Selbstverständnis, wie kann der mit sich im Reinen sein?“ „Aus meiner Erfahrung als Verteidiger: Die Täter bauen sich da oft eine eigene Welt, in der dann auch eine private Moral gilt. Du musst dich aber entscheiden, ob du weiter dabei bleiben willst, nichts Belastendes auszusagen.“
„Ich glaube schon. Wie würde denn ein Gericht mein Gespräch mit Mirschberg in der Metzgerei bewerten? Die Verkäuferinnen als Zeugen? Das wird doch Kabarett.“ „Da könntest du recht haben.“ „Wenn Mirschberg und andere Bescheid wussten, und daran zweifle ich nicht, müssten sich harte Beweise dafür finden lassen. Warum die durch eine schwache Aussage verdünnen? Ich sage erst mal nichts.“ „Durch die Untersuchungshaft wirst du gezeichnet.“
„Ich bin ja schon verhaftet, und das steht in der Zeitung. In den vergangenen Wochen habe ich viel mit Olga darüber geredet, und ich weiß, dass sie gleicher Meinung ist. Weihnachten im Gefängnis, das würde ich natürlich gern vermeiden. Aber ich will mich nicht durch Sentimentalitäten schrecken lassen, in die Kirche gehen kann ich wohl auch hier. Meine Familie weiß, dass ich nicht korrupt bin, unsere Freunde werden sich das auch denken, und auf den Rest lege ich ohnehin keinen Wert. Wenn das alles vorbei ist, werde ich allerdings auf einer Genugtuung bestehen.“
Als sie aufstanden, sagte Husmeyer noch: „Ich habe mich noch auf die Schnelle über deine Oberstaatsanwältin erkundigt. Sie heißt Hohlmüller, ist politisch schwarz, sozial tätig, sehr ehrgeizig, eine Gutmenschin auf Kriegspfad.“
Kurz darauf trafen sie sich vor dem Haftrichter mit der Staatsanwältin. Sie trug einen dunklen Hosenanzug, der ihre schlanke Figur betonte, eine Brille mit schwarzem Gestell und einen Haarknoten. Das und ihre Stimme erinnerten Georg an seine Tante Luise und deren Erziehungsversuche.
Wie erwartet, wurde er aufgefordert, näheres zu dem Memorandum zu sagen. „Dazu gibt es nichts weiter zu bemerken, das Memorandum erklärt sich aus sich selber, es steht schon alles drin, was ich zu der Angelegenheit sagen kann.“ „Was halten Sie von jemandem, der einen Mord beobachtet, aber eine Aussage verweigert mit der Begründung, er habe schon einen Aufsatz über das fünfte Gebot geschrieben?“ „Ich habe weder selber ungesetzliche Handlungen begangen noch war ich Zeuge von solchen.“
„Das ist nicht wahr. Ich habe hier eine Zusammenfassung von Aussagen, die ein Dr. van Reenen bei der Untersuchung gegen Dr. Malandela Gumede gemacht hat.“ Also doch ein Renegat, jetzt verrät er uns.
„Sie haben sich vor fünf Jahren unter konspirativen Umständen an einem geheimen Ort in Südafrika getroffen.“ „Erst in Gumedes Dienstvilla in Johannesburg, dann in einer Station der Grenzpolizei, die war zwar abgelegen, aber aus Sicht der südafrikanischen Behörden sicher nicht geheim.“ „Liegt diese Station nicht etwa in Crook's Corner?“ „So heißt seit über hundert Jahren die nordöstliche Ecke des Krügerparks, am Limpopo, wo sich Südafrika, Zimbabwe und Mozambik treffen.“
Die Staatsanwältin wollte unbedingt einen Punkt machen: „Muss man das nicht mit ‚Gaunerecke‘ übersetzen?“ Husmeyer griff ein: „Lassen Sie doch bitte diese Polemik! Der Name des Ortes, an dem eine Handlung stattfand, kann doch nicht deren Schuldhaftigkeit begründen.“ Der Haftrichter knurrte zustimmend, die Staatsanwältin wechselte das Thema.
„Sie haben keine Dienstreise abgerechnet, wollten keine Spuren hinterlassen.“ „Meine Frau und ich waren aus privatem Anlass in Südafrika, aus Spaß, wenn sie so wollen, wegen einer Sonnenfinsternis.“ „Sie haben doch aber mit Gumede und van Reenen über Geschäfte geredet?“ „Ja.“
„Sehen Sie, und van Reenen sagt, Sie hätten dort ein Scheingeschäft zugunsten einer Firma ‚African Electric‘ verabredet. Diese Firma haben Sie zusammen mit Gumede und anderen schon Jahre vorher zu eben diesem Zweck gegründet. Wir haben zahlreiche Schriftstücke, Berichte, Reden, aus denen eindeutig hervor geht, dass Sie darauf sogar stolz sind.“ „Sie vermischen hier Wahres mit Unwahrem. Es ist richtig, dass ich an der Gründung von African Electric beteiligt war und dass ich den Anstoß dazu sogar selber gegeben habe. Aber wir haben nicht beabsichtigt, Scheingeschäfte zu tätigen, und solche sind mir auch nicht bekannt. Ganz bestimmt haben ich aber bei meinem Treffen mit Gumede und van Reenen anlässlich der Sonnenfinsternis im Dezember 2002 nichts Korruptes oder sonst Unrechtes verabredet. Unsere Zusammenarbeit war in jeder Beziehung einwandfrei.“
„Nicht doch, warum sollte Gumede denn dann verhaftet worden sein? Sie haben vielmehr Geld gewaschen – mithilfe eines Vorhabens, das Herr van Reenen als völlig unnütze Pseudoforschung bezeichnet. Sie wollten dünne photovoltaische Schichten herstellen, gut. Aber statt sich dafür gleich für das aussichtsreiche Verfahren zu entscheiden, haben Sie parallel dazu auch noch eine veraltete Methode vorgeschlagen. Da ist viel ElteX-Geld verbrannt worden. Oder eben nicht verbrannt, sondern in den Taschen von Gumede und seinen African Electric Genossen gelandet.“
Wir mussten Gumede und den Seinen auch etwas zum Forschen geben, das war einfach nötig, um ihnen Respekt zu zeigen. Aber ich fürchte, das übersteigt ihr Vorstellungsvermögen. Lieber nicht so. „Nein, eben weil die neue Technik einer Abscheidung aus einem Plasma zwar vielversprechend, aber noch nicht ausgereift war, haben wir daneben noch die andere Methode weiterverfolgt, Abscheidung aus dem Dampf, bei der die Südafrikaner schon einige Erfahrungen hatten. Es gab einen freundschaftlichen Wettbewerb zwischen beiden Gruppen, schließlich entschieden wir uns aus wirtschaftlichen Gründen für die Plasmamethode. Darüber gibt es Projektbeschreibungen, Fortschrittsberichte, Ergebnisprotokolle und sogar Veröffentlichungen in allgemein zugänglichen wissenschaftlichen Zeitschriften. Van Reenens Behauptung, die Sie ja unbesehen übernehmen, es seien keine Leistungen für die gezahlten Gelder erbracht worden, ist frei erfunden.“
„Sie räumen doch aber selber ein, dass die Dampfmethode nicht leistungsfähig war.“ „Nicht so leistungsfähig wie die andere, aber dazu mussten wir doch erst einmal beide Verfahren untersuchen. In der wissenschaftlichen Forschung, Frau Oberstaatsanwältin, strebt man nach Erkenntnissen über das noch Unbekannte. Es gibt keinen Königsweg, der sicher zum Erfolg führt. In diesem Fall haben wir eine unternehmerische Entscheidung getroffen, der wissenschaftliche Überlegungen zugrunde lagen. Das entzieht sich überhaupt einer juristischen Beurteilung.“ Fehler, ich habe zwar recht, aber hier will ich Recht bekommen und hänge dafür von drei Juristen ab. Mallwitz sah mit einem Blick: Die Staatsanwältin presste ihre Lippen beleidigt aufeinander, der Haftrichter zog, Erstaunen spielend, die Augenbrauen hoch, während Husmeyer die Augen zusammenkniff und eingriff:
„Selbst eine fachlich mangelhafte Abwägung zwischen verschiedenen technischen Verfahren kann keine Untersuchungshaft begründen. Dazu können sich, falls gewünscht, Sachverständige im Hauptverfahren äußern, wenn ein solches überhaupt stattfindet. Jetzt muss die Anklage Beweise für einen dringenden Tatverdacht vorlegen und nicht lose Verknüpfungen von Vermutungen und Behauptungen. Mein Mandant hat innerhalb des Hauses ElteX nachweislich darauf gedrängt, die jeweiligen gesetzlichen Regeln für den Geschäftsverkehr einzuhalten, und daran hat er sich auch selber gehalten. Sie haben nichts, was das Gegenteil beweist, außer einer Zusammenfassung angeblicher Aussagen eines Herrn van Reenen vor den südafrikanischen Strafverfolgern. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, das in die Gerichtssprache, Deutsch, zu übersetzen. Aber auch das würde nichts daran ändern, dass die Äußerungen von van Reenen für uns wertlos sind, solange wir ihn nicht selber befragen können und uns davon überzeugen können, dass sie unter rechtlich einwandfreien Bedingungen zustande gekommen sind. Es ist bekannt, dass sich die National Prosecution Agency politischem Druck unterwirft.“
Der Haftrichter mischte sich ein: „Das klingt mir doch etwas polemisch. Wir erkennen Südafrika als Rechtsstaat an. Mit einer solchen Unterstellung können sie den dringenden Tatverdacht nicht ausräumen.“
Dann kündigte die Staatsanwältin an, gleich im neuen Jahr nach Südafrika zu fliegen und dort selbst weiter zu ermitteln. „Und bis Sie da fertig sind, soll mein Mandant erst mal in Untersuchungshaft sitzen? Mit welcher Begründung? Fluchtgefahr? Dann nehmen Sie ihm doch seinen Pass ab. Wiederholungs- oder Verdunkelungsgefahr? Wie sollte er Abreden mit Gumede treffen, der in Südafrika einsitzt? Sie wollen Herrn von Mallwitz mit der Untersuchungshaft einschüchtern. Sie wollen ihn ausforschen, in der Hoffnung irgendwelches Material zu gewinnen, dass die unter politischem Druck stehenden Ermittlungen gegen ElteX voranbringen könnte. Das ist ganz ausdrücklich kein Haftgrund.“ „Nein, außer dem dringenden Tatverdacht besteht eben auch die Gefahr der Verdunkelung. Über Jahre hinweg hat Herr v. Mallwitz nicht nur Scheinfirmen gegründet, sondern deren wahren, rechtswidrigen Zweck erfolgreich verschleiert. Der ElteX-Vorstand räumt ein, dass Handlungen von großer krimineller Energie vorgefallen sind. Es kann nicht bezweifelt werden, dass Herr v. Mallwitz versuchen würde, seine Spuren weiter zu verwischen, wenn er in Freiheit bleibt.“
Das überzeugte den Haftrichter, er entschied auf Untersuchungshaft bis zu einem Prüfungstermin nach Rückkehr der Frau Hohlmüller aus Südafrika. Die verabschiedete sich mit froher Miene, hatte aber immerhin den Anstand, Wünsche für ein frohes Fest zu vermeiden. Husmeyer zuckte mit den Achseln. „Halte den Kopf weiter hoch, ich bin für dich da.“ Ein Wärter brachte den Häftling zurück in seine Zelle.
Die bisherigen Abläufe erschienen Georg folgerichtig. Natürlich war ihm die Haft nicht zwangsläufig vorherbestimmt, es hatte sicher Weichen in seinem Leben gegeben, an denen er frei wählen konnte, aber seine Lage erschien ihm so im Bereich dessen, was möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich war, dass er wenig überrascht war. So unangenehm die Verhaftung auch war, er hatte keine Angst für die Zukunft. Aber in der Nacht hatte er einen Albtraum: Auf dem Weg zu einem dringenden Termin verpasste er immer wieder die richtige Anfahrt zum Tagungsort. Der Zeitdruck stieg, irgendwann nahm er es in Kauf , einmal kurz durch eine Fußgängerzone zu fahren. Da kamen ihm Hunderte von Juristen in Talaren entgegen, sie trugen ihre Balkenwaagen in der einen und Richtschwerter in der anderen Hand und schauten ihn mit Abscheu an. Alle Waagen neigten sich nach einer Seite, der der Schuld. Die Juristen erhoben ihre Schwerter, Georg wachte auf.