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Von Bullen und Betrügern

Von Bullen und Betrügern

Bei rot über die Ampel Davidstrasse, kurzer Blick zur weltberühmten Wache, es guckt grad kein Schmiermichel zum Fenster raus, alles klar, Rotlichtverstoss als Fussgänger.

Kurzer Gruss zum netten Türken in dem kleinen Kiosk gleich neben Burger King, der im Monat mehr umsetzt als ich im Jahr verdiene. Er grüsst zurück.

Klar, der mag mich, weil ich zu faul bin, meine Säfte und die Frühstücksbrötchen, dick belegt mit Suçuk, bei Penny auf der Reeperbahn zu kaufen und dafür ewig in der Schlange zu stehen, weil von fünf Kassen wieder nur eine auf ist.

Albers-Platz, benannt nach dem berühmten Hans Albers, “Auf der Reeperbahn nachts um halb eins…”, dem alten Seebären, der nie die schwankenden Planken eines Schiffes unter sich gefühlt hatte, aber trotzdem Deutschlands berühmtester Matrose ist.

Die Huren stehen wie die Perlen aufgereit am Eingang des Platzes. Es ist Winter, minus drei draussen, die Mädels haben dicke, bunte Skianzüge an, und, weils regnet, alle einen bunten Regenschirm. Und Moonboots an den Füssen, meistens silbern, manchmal goldfarben, wenige haben weisse.

Sie trampeln von einem Bein auf das andere, weil es kalt ist und die Beine nach acht Stunden stehen weh tun.

Mich spricht schon lange keine mehr an. Mich kennen sie alle, wissen, ich arbeite hier irgendwo. Im Rotlicht. Genau wie sie.

Ich schaue auf die Breitling. Vier genau.

Wie auf ein unhörbares Kommando hin drehen sich auf einmal alle rum, gehen zur Mitte des Platzes, zu der kleinen Kneipe, die den Zuhältern gehört.

Feierabend.

Ich habe auch Feierabend. War kein guter Tag heute, ich habe kaum Geld verdient.

Ich treffe einen alten Bekannten, den ich kaum kenne, ein paar Worte wechseln. Der Kiez ist ein Dorf. Ein kurioses.

Kurz vor der Haustür. Das Handy bimmelt. Morgens um fünf nach vier? Wer ist das denn?

“Kööönich, moin! Weisste wer hier ihis?” höre ich gedehnt eine schelmische Stimme, die ich nicht zuordnen kann.

“Äh, nee, wer…?”

“Hier ist Hebestreit, vom PK 1353, die Polizahaaii!”

“Oh, äh, ja, moin … äh, Herr Hebestreit, ja, was … ?”

“Na Kööönich, schon Feierabend vom Betrügen? Hä, hä! Nö, war Spass, also hör mal, wir ham doch morgen um drei nen Termin zusammen, wegen der drei Anzeigen, hab ich dir ja geschrieben…!”

“Ja, weiss ich, ich komm ja auch um drei…!”

“Ja, hör mal, König, komm mal ne halbe Stunde früher, da ist noch so ein Ding aufgelaufen, dumme Sache, Räuberische Erpressung und so was, da gibt’s denn locker 5 Jährchen drauf, das dauert denn alles ein büschen länger…!”

“Ach so, also um halb drei dann schon, ja?”

“Joh, halb drei, ich mach uns auch nen Kaffee.”

Mehr spöttisch gemeint sage ich: “Joh, denn bring ich Kuchen mit…”

“Joh, moch ma, ich nehm Erdbeer – oder , warte – bring mal besser zwei Erdbeer!”

Ich ziehe innerlich die Augenbrauen hoch. Mit Erdbeerkuchen zur Schmiere, dass hatte ich auch noch nie!

“Ja ok, also zwei Erdbeer.”

“Joh, also bis moin denn um halb drei – ach warte, König…?”

“Ja?”

“Aba bitte mit Sooohneee…!” Hebestreit lacht.

“Joh, ok, mach ich!”

Ich höre nur noch ein Knacken, dann ist das Gespräch beendet.

Hamburg.

Reeperbahn.

Ein ganz normaler Termin bei der Polizei.

Die Aussage:

An die Polizei

z. Hd. Herrn Hebestreit/Kripo

PK 1353 Hamburg

Hamburg, den 25. Mai

Aktenzeichen xxx/xxx.xxx/xx

Aussage zum Tatvorwurf der Nötigung ggfls. Räuberischen Erpressung

gegen mich

Sehr geehrter Herr Hebestreit,

zum o.g. Tathergang möchte ich vorab –unaufgefordert- wie folgt schriftlich aussagen:

Am Abend des 24. Mai gegen 20.45 Uhr betraten 4 Männer das Lokal Girlie’s auf der Reeperbahn, in dem ich an diesem Abend als Kellner arbeitete.

Sie nahmen am zweiten Tisch rechts platz und bestellten für sich Getränke, die von unseren Animierdamen „xxxxxxxxxx“, „xxxxx“ und „xxxxxxx“ (echte Namen sind durch die Polizei notiert worden) serviert und sogleich kassiert wurden. Danach fragten die Animierdamen, ob sie sich zu den Gästen setzen dürften, dies wurde bejaht, und bald darauf wurde ich zwecks Aufnahme einer Bestellung an den Tisch gerufen.

Einer der Herren, bekleidet mit einem hellen Pullover oder Jacke mit Zopfmuster, bestellte für die drei anwesenden Damen jeweils eine kleine Flasche Garant Royal zum Preise von € 170 sowie eine Karaffe Orangensaft zum Preise von € 30,-

Der Bestell-Vorgang läuft i m m e r wie folgt ab:

In der Regel fragen die Animierdamen im Gespräch den Gast, ob sie etwas mit ihm trinken dürfen und –so ja- was er ihnen ausgeben möchte. Wenn eine Einigung erzielt ist, klatschen die Damen, und der Kellner –in diesem Falle ich- kommt an den Tisch um die Bestellung aufzunehmen.

Ich verwende bei der Aufnahme der Bestellung –an den Gast gewandt- i m m e r folgenden Wortlaut um mich abzusichern und eine rechtmässige Bestellung zu erlangen:

„Laden Sie die Dame(n) ein, zu einer (bzw. mehreren) kleinen/grossen Flasche(n) Hausmarke?“ (oder ggfls. anderem gewünschtem Getränk).

Mit der ausdrücklichen Frage nach der Einladung ist die Kostenübernahme festgelegt und es kommt ein mündlicher Vertrag gem. BGB zustande. Gleichzeitig sage ich, was ich bringen werde, nämlich in diesem Falle drei kleine Flaschen Garant Royal. Wird die Bestellung verneint oder kann ich keine deutliche, bejahende Äusserung erhalten, serviere ich n i c h t s.

Auf die Frage nach der Bestellung – wie vor beschrieben- erhielt ich von dem bestellenden Gast ein eindeutiges „Ja“.

Die 4 jungen Männer sassen in einer der Boxen auf der rechten Seite des Lokals, die nur 4 Personen Platz bot, die drei Animierdamen mussten vor der Box stehen. Als ich die bestellten Getränke servierte bot ich den Gästen an, sich doch an den grossen Tisch vor der Bühne zu setzen um den Animierdamen auch die Möglichkeit zu geben, Platz zu nehmen. Dies taten sie bereitwilig.

Nach dem Servieren ging ich zurück hinter die Bar und erstellte die (in Kopie beiliegende) Rechnung.

Da es sich um junge Leute im Alter von schätzungsweise 25 Jahren handelte und ich nicht hatte sehen können, ob sie –wie allgemein bei einem Restaurant- oder Gaststättenbesuch üblich- vor der Bestellung in die Karte geschaut hatten, und um in diesem Falle weitere Bestellungen, die den Rechnungspreis eventuell unerwartet in die Höhe getrieben hätten, zu vermeiden, ging ich gleich nach der Rechnungserstellung zum Tisch zurück um zu kassieren.

Ich verlas dem bestellenden Gast die Rechnungsposten (sgm.): „Dann waren es für Sie 3 kleine Flaschen Garant Royal und 3 Karaffen Orangensaft, ist das richtig so?“ Antwort: „Ja“.

Erst danach verlas ich den Rechnungspreis, um dem Gast nicht aufgrund des Betrages, sondern aufgrund einer eventuell unrichtigen Rechnung noch einmal die Gelegenheit zu geben, diese vor dem Kassieren zu korrigieren.

Ich verlas: „Dann bekomme ich bitte € 600,- von Ihnen.“

Der Gast schien mir im Moment, in dem er den Rechnungspreis hörte, überrascht. Ich fragte ihn, ob er vor der Bestellung nicht in die Karte geschaut hätte, wie dies allgemein üblich sei. Er verneinte dies. Daraufhin zeigte ich ihm die an jedem Platz gut sichtbar ausliegende Karte und ging mit ihm die Rechnungsposten durch.

Danach fragte er mich, ob in er Nähe ein Geldautomat wäre, er hätte nur € 65 bei sich. Während er mich dies fragte, holte er einen Fünfzig-Euroschein, einen Zehner und einen Fünfer aus der Hosentasche und reichte mir das Geld. Ich nahm dieses, während ich auf seine Frage antwortete, dass ich ihm gerne den in der Nähe befindlichen Geldautomaten zeigen würde. Er willigte ein und schien mir aufgrund seines Verhaltens zu diesem Zeitpunkt durchaus zahlungswillig.

Ich ging mit ihm nach draussen vor die Tür und in Richtung zu dem genannten Geldautomaten. (Der näheste wäre der an der HASPA gewesen, links vom Laden, da an diesem aber –für einen Wochenendabend typisch- eine lange Schlange stand, beschloss ich, nach rechts zu gehen, zu einem weniger frequentierten Geldautomaten).

Der junge Mann sagte mir, während wir gingen, dass wir aber erst in sein Hotel müssten, da er die Karte gar nicht dabei hätte. Ich sagte, dass sei kein Problem und er erwähnte, dass alle 4 zu Gast wären im Hotel xxx auf der Reeperbahn.

Wir gingen also dorthin und unterwegs erzählte der Gast, dass sie alle aus Süddeutschland seien und mehrere Tage in Hamburg blieben. Er war betrübt darüber, dass er zuvor nicht in

die Karte geschaut hätte, denn er müsse sein Auto reparieren lassen und brauchte dazu eine Menge Geld, da passe ihm diese nun entstandene Rechnung gar nicht ins Konzept, wie er mir sagte.

Wir gingen zusammen ins Hotel A&O und zu seinem Zimmer 2109, wo ich anbot, aus Diskretionsgründen vor der Tür zu warten. Er ging ins Zimmer und schloss die Tür hinter sich.

Lange Zeit meldete er sich nicht.

Nach geraumer Zeit des Wartens klopfte ich kurz an die Zimmertür und sagte durch die immer noch verschlossenen Tür, dass er sich bitte beeilen möge, ich müsse zurück an meinen Arbeitsplatz. Er sagte so etwas wie (sgm.): „Ich komme gleich“. Dies konnte ich nicht sofort deutlich hören, weil ich mich nach dem Klopfen wieder auf die andere Seite des nur ca. 1 m breiten Hotelganges, gegenüber der Tür, gestellt hatte. Nun machte ich wieder einen Schritt auf die Tür zu um nachzufragen, was er gesagt hätte, als ich ihn telefonieren hörte. Er sprach nicht ausdrücklich leise, und die Türen des xxx Hotels sind nicht wirklich dick, wie ich aus früheren – eigenen- Besuchen in diesem Hotel weiss.

So musste ich mich nicht sonderlich anstrengen um ich in diesem Moment der Annäherung an die Zimmertür zu hören wie er zu seinem Gesprächspartner sagte:

(Gedächtnisprotokoll, sofort nach Rückkehr ins Moulin Rouge auf den Srachrecorder meines Mobiltelefons gesprochen):

„Scheisse, woher soll ich denn wissen, dass das gleich so teuer wird?“

Pause

„Seid ihr noch im Laden?“

Pause

„Denn seht zu, dass ihr da rauskommt, ich versuch auch abzuhauen, wenn wir zurückgehen“ Pause

„Egal, der Typ hier hat nix drauf(*), und es sind ne Menge Leute auf der Strasse, da kann ich gut abhauen“

Pause

„Dann treffen wir uns nachher bei McDonalds“

Ende des Gespräches.

(*) Hierzu sei erwähnt, dass der junge Mann kräftig gebaut war, wie ich an seiner Figur und dem Umfang seiner Oberarme erkennen konnte, er wirkte trainiert und war noch jung, ca. 25 Jahre alt. Er sprach mit osteuropäischem Akzent und schien mir von russischer Herkunft zu sein. (Ich habe es mir angewöhnt, Gäste, bei denen die Bezahlsituation nicht ganz klar ist, aufmerksam zu taxieren, damit ich mich mich im Zuge meines Selbstschutzes auf eventuelle eintretende Gefahrensituationen einstellen kann, besonders in dem hier vorliegenden Falle, in dem ich alleine mit einem deutlich jüngeren und fitteren Gast ausserhalb des Ladens unterwegs bin, ich arbeite schliesslich auf der Reeperbahn)

Aufgrund des hier gehörten Gespräches des Gastes hatte ich mich also darauf einzustellen, dass der Gast sich der Zahlung der ordnungsgemässen Rechnung –wie er ja zuvor bestätigt hatte- durch Flucht entziehen wollte. In diesem Falle hätte ein Betrug (Zechprellerei) vorgelegen.

Der Gast kam in diesem Moment aus seinem Hotelzimmer und hielt mir € 200 hin, mit den Worten, er habe nicht mehr. Ich nahm das Geld entgegen und konfrontierte ihn nun mit dem, was ich mit angehört hatte.

Ich machte ihn auf die rechtlichen Folgen dessen, was er geplant hatte, aufmerksam und bat ihn, sich nun auszuweisen. Ich sagte ihm, ich wüsste gern, mit wem ich es zu tun hatte. Er reichte mir sofort bereitwillig seinen Personalausweis mit den (resignieren*) Worten (sgm.): „...den können Sie ja so lange behalten, bis wir zurück im Laden sind, ich laufe auch bestimmt nicht weg, tut mir leid.“ (* weil ich nun wusste, was er vor hatte). Während er den Ausweis aus seinem Portemonnaie holte, sah ich, dass er eine Postbank-EC Karte darin stecken hatte. Ob er diese bereits im Laden bei sich hatte und von Anfang an geplant hatte, abzuhauen, oder er sie tatsächlich aus dem Hotelzimmer geholt hatte, weiss ich nicht

Wir gingen zurück in den Laden, auf dem ganzen Weg dorthin telefonierte er mit seinen Begleitern (sgm.): „...das wird nichts, der hat alles mitgekriegt, ich habe ihm meinen Ausweis gegeben, also da kommen wir nicht mehr raus, dann müssen wir das Geld hinterher aber aufteilen, ich kann das nicht alles alleine bezahlen“.

Im Laden zurück sah ich, dass die andere 3 jungen Männer schon nicht mehr dort waren. Ich korrigierte die Rechnung um die erhaltenen Beträge und stellte eine Differenz zum zu zahlenden Betrag von € 335 fest. Ich sagte ihm, er bräuchte nur € 300 zu bezahlen, die restlichen € 35 würde ich ihm schenken, angesichts seiner bevorstehenden Auto-Reparatur, mehr köne ich ihm leider nicht erlassen.

Ich gab den Betrag von € 300 in das Kartenlesegrät hinter der Bar ein und er bestätigte die Bezahlung mit seiner PIN-Nummer. Die EC-Zahlung fand um 22.46 Uhr statt.

Etwa eine halbe Stunde später kamen die jungen Männer in Begleitung der Polizei zurück.

Da war es ca. 23.30 Uhr

Der gesprächsführende Polizeibeamte erklärte mir, dass er eine Anzeige gegen mich schreiben würde wegen Räuberischer Erpressung, sollte ich das Geld nicht sofort an den Gast zurückgeben. Die Gäste hätten ihm gegenüber nämlich ausgesagt, nichts bestellt zu haben.

Allgemein bekannt dürfte mittlerweile sein, dass die Gäste sehr oft bestellen, ohne in die Karte zu schauen. Meine Aufgabe als Kellner ist es nicht, die Gäste auf die Karten hinzuweisen. Alle Gäste sind über 18 Jahre alt und somit voll geschäftsfähig, was Geschäftsvorgänge nach dem BGB angeht. Somit sind sie auch verantwortlich, das Bestellte zu bezahlen, und zwar in voller Höhe.

Es ist eine beliebte Methode geworden, zur Polizei zu gehen und zu glauben, dass man danach das Geld für eine schöne Zeit, die man im Nachtclub in Begleitung hübscher Damen erlebt hat, zurück zu bekommen. Immer mehr gewinne ich in letzter Zeit den Eindruck, dass die Polizei mit Äusserungen wie der vorgenannten, diesen Irrglauben unterstützt.

Auch bin ich erstaunt über die Aufforderung des gesprächsführenden Polizeibeamten, das Geld zurück zu geben. Ohne genaue Kenntnis der Situation –die Polizei sagt in diesen Fällen, in denen sie durch Gäste oder durch uns herbeigrufen wird, immer gerne (sgm.) „...wir waren ja nicht dabei...!“- und nur aufgrund der Anhörung der 4 jungen Männer, sichert er hiermit keine Beweise sondern fällt sogleich ein Urteil, er ergreift nämlich Partei für die 4

jungen Männer. Dies sollte nicht Aufgabe der Polizei sein, wird aber leider zunehmende Praxis auf der Reeperbahn.

Den Vorwurf der durch den Polizeibeamten mündlich ausgesprochenen Räuberischen Erpressung weise ich aufgrund der zuvor detailgenau geschilderten Situation deshalb hiermit entschieden zurück, ebenfalls einen eventuellen Vorwurf der Nötigung.

Tatinhalt bei beiden Vergehen wäre die Androhung oder Ausübung von Nachteilen für den Gast, beides hat zu keiner Zeit statt gefunden.

Ich bin konform meiner Beschäftigung als Kellner berechtigt, das Bestellte und Verzehrte in vollem Umfange gemäss den in den Getränkekarten ausgezeichneten Preisen zu kassieren.

Nachdem ich Zeuge des Telefongespräches geworden bin, bin ich unerwartet zudem noch in eine für mich nicht einzuschätzende (Gefahren-) Situation gekommen, weil ich nicht beurteilen kann, wie ich die gehörte Textpassage (Zitat, Auszug): „Egal, der Typ hier hat nix drauf(*)“ zu interpretieren hatte.

Für mich liegt hiermit zumindest die Verabredung zum Zechbetrug vor, womöglich hatte der betreffende Gast auch vor, Gewalt gegen mich anzuwenden, aus diesem Grunde bin ich berechtigt, im Rahmen der Eigensicherung zumindest seine Personalien festzustellen.

Unterschrift Paul König

„Moin Könich!“, begrüsst Hebestreit mich, als er mich im Wachraum der Polizeiwache 1353 abholt.Zuvor hatte ich dem diensthabenden Beamten meinen Personalausweis vorzeigen müssen, um mich zu identifizieren und gesagt, dass ich einen Termin um halb drei bei Kommissar Hebestreit habe. Was denn in dem Päckchen wäre, wollte der Beamte hinter dem Schalter wissen. „Kuchen für meine alte Mutter, da will ich später noch hin!“ hatte ich gesagt und das Einwickelpapier leicht vom Kuchen angehoben. „Ah, Erdbeer, den isst Hebestreit auch gern!“

„Denn komm mal durch, ich geh voraus!“

Warum duzt der mich immer?

Hebstreit ist circa einssiebzig gross, hat eine sportliche Figur ohne wirklich muskulös zu sein. Drahtig wäre das eher zutreffende Wort. Er geht voran, in einem Wiege-Gang, so mit dem ganzen Oberkörper von links nach rechts wiegend. Er trägt Turnschuhe, eine Jeans, darüber einen geringelten Pullover in braun-beige-Tönen, nicht gerade schick. Von hinten über den Pullover von rechts oben nach links unter die Achsel verläuft ein dunkelbraunes, breites Lederband. Der Riemen vom Pistolenholster, das unter seinem Arm hängt.

Wir gehen durch lange Gänge, Flure, Aufzug nach oben, dann sein Dienstzimmer.

Zwei sich gegenüber stehende Schreibtische, darauf Computer-Bildschirme, Akten, Stifte, rechts an der Wand ein mittelhoher Büroschrank. An der Wand hinter seinem Platz hängen ein Paar Fotos von der Polizeischule oder einer Weiterbildung oder irgend so etwas, ich erkenne Hebestreits Gesicht darauf.

„Könich, setzen!“ verweist er auf den Stuhl am Schreibtisch gegenüber seinem.

„Du schreibst ja immer ganze Romane, wenn du mir ne Aussage schickst! Das is ja schön, aber ich will nicht wissen welche Lampe wann und wo in deinem Laden gebrannt hat, sondern die Wahrheit will ich wissen! Und deswegen sind wir ja heute hier!“

Er rückt seine silberfarbene Brille auf der Nase zurecht und schaut mich dann über den Rand derer an.

„Erst mal ein paar Fragen zur Person, Könich – biste bewaffnet?“

„Ich??? Ehh, nee...?“ Ich bin ein wenig erschrocken über diese Frage.

„Aber ich!“, klopft Hebestreit auf sein Schulterholster und lacht schallend.

„Nö, Spass, das wär ja noch schöner, wenn die Kellner dauf dem Kiez auch noch ne Knarre hätten, was?“ er lacht wieder laut auf. „Das könnte euch passen, dann würde jede Rechnung in voller Höhe eingehen, was? Ha, ha!“

Witzig, wirklich! Bin ich hier bei der Schmiere oder im Komödienstadl?

„Womit wir beim Thema wären, Könich,“ fährt Hebestreit fort, „diese Rechnung ist ja wohl nicht eingegangen, was? Ich habe deine Aussage gelesen, aber der Gast sagt, er sei nicht ganz freiwillig mit dir ins Hotel gegangen, du hättest so sinngemäss gesagt: ‚wir können jetzt ins Hotel gehen und Geld holen. Oder – wir können auch in den Keller gehen, gleich hier unterm Laden! Das ist ein ganz alter Gewölbekeller mit dicken Mauern, da hört man die Schreie der Gäste nicht so! Da liegen übrigens noch ein paar aus dem letzten Jahr unten rum, wir müssen mit dem Wegschaffen erstmal warten, bis wieder irgendwo ein Brückenpfeiler gebaut wird! Dann, wenn der Beton noch frisch ist, machen wir das immer am liebsten.’“ liest er aus seiner Akten mit einem Behörden-roten Deckel vor.

„Das sollst du gesagt haben, Könich, und weisst du was? Das glaube ich dem Gast sogar. Weil woher sollte der sonst wissen, dass euer Keller ein alter Gewölbekeller ist, mit dicken Mauern?“

„Aber Herr Hebestreit“, entgegne ich entrüstet, „unter dem Laden ist doch überhaupt kein Keller!“

„Ja eben, ha, ha!“ lacht mein Gegenüber, „Deswegen hab ich mal überlegt, eure Hütte auf den Kopf zustellen, mit ner Hundertschaft, mal gucken, ob da überhaupt ein Keller is, das würde dich denn ja sogar entlasten, was? Ha, ha, ha!“ Warum lacht der bloss dauernd?

„König, jetzt mal zurück zum Ernst der Sache: wo ist der Erdbeerkuchen? Hol mal zwo Teller da aus dem Schränkchen, müssten noch welche drin sein. Willste nen Kaffee? Könnte dein letzter sein, denn wenn du hierfür verurteilt wirst, gibt’s die nächsten fünf Jahre nur noch schwarzen Tee, ungesüsst! Das war jetzt ne Nötigung zur Aussage, meinerseits.Aber hat ja keiner gehört, was, ha, ha!“

So trinken wir dann gemeinsam einen zugegebenermassen recht guten Kaffee und mapfen den etwas geschmacksneutralen Erdbeerkuchen vom Bäcker um die Ecke in uns rein, er zwei Stücke, ich nur eines, ich wollte es ihm nicht gleich tun, aus psychologischen Gründen. Obwohl – eigentlich habe ich den Kuchen ja selbst bezahlt!

Gegen vier Uhr entlässt mich Hebestreit.

„Ich hab das alles mal mitgeschrieben, Könich, glauben tue ich dir eher nicht, aber das soll der Richter entscheiden. Danke noch für den Kuchen, nächstes Mal bring mal warmen Apfelstrudel mit Sahne, der ist auch sehr lecker!“

Er greift nach hinten in seine Gesässtasche und holt sein Portemonnaie hervor, fischt einen Fünf-Euro-Schein heraus und legt ihn mir hin.

„Nee, lass mal, Mensch, ist gut...!“ sage ich.

„Von wegen Könich, und beim Richter sagst du später, du hättest mir zum Verhör Kuchen mitgebracht. Vorteilsnahme im Amt, Befangenheit, der Fall muss nochmal komplett neu aufgerollt werden und ich werd nach Buxtehude versetzt! Das könnte dir so passen!“ Er lacht wieder laut, steckt mir den Fünfer in die Brusttasche meines Hemdes und sagt zum Abschied: „Besser dich, bis demnächst mal wieder. Dann gibts Apfelstrudel!“.

Dann stehe ich wieder auf der Strasse. Meiner Strasse, die irgendwie nicht mehr meine ist.

Mit Blaulicht durchs Rotlichtviertel

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