Читать книгу Kleiner Kompass der wichtigsten Lebensgrundhaltungen - Christian Vöpel - Страница 10
3)Toleranz – Freigebigkeit – Großzügigkeit
ОглавлениеAllen drei Facetten dieser Grundhaltung ist eines gemeinsam: die offene Geisteshaltung. Sie geht von einer Vielfalt der Welt aus. Und davon, dass mein eigener Horizont nicht der Horizont der Welt ist. Der eigene Horizont ist nur eine individuelle „Landkarte“, eine Art Vorstellungs-Abbild des eigentlichen Gebiets, aber nicht das Gebiet selbst. Jede Einengung der Welt auf meinen Horizont ist ein Trugschluss und führt nicht weiter. Es blendet Dinge der Welt aus und bedeutet Stillstand für mein Leben. Mein Dasein wird zu einem geschlossenen System - ohne Austausch mit der Welt und mit anderen Sichtweisen. Diese Geschlossenheit ist ein Markenzeichen von Spießigkeit und Kleinkariertheit. Ein Ausdruck von Ignoranz und Nichtanerkennung der Komplexität der Dinge. Die Haltung der Freigebigkeit hingegen bedeutet Offenheit und einen permanenten Austausch zwischen eigenem Ich und der Welt. Sie zielt auf Verstehen und Erkenntnis und ist der Motor für die Entwicklung des Lebens.
Eine zweite Erkenntnis der Haltung der Freigebigkeit ist, dass alles Leben auf Subjektivität und Relativität beruht. Ich selbst bin nur ein Teil des Ganzen und mein Leben kann nur einen kleinen Ausschnitt aus dem Heer der unendlichen Möglichkeiten in der Welt erfassen. Nur im Austausch mit anderen kann ich etwas sein und kann ich zu etwas werden. Und eben dies ist gerade der Clou der Unverzichtbarkeit einer jeden Person: ihre Subjektivität und Relativität, die eigentlich etwas Einschränkendes an sich haben, begründen gerade ihre Individualität. Und Individualität wiederum ist das Mark der Unverzichtbarkeit. Das Einschränkende ist damit gerade die Grundlage für das Bereichernde und Erweiternde. Hierzu muss ich aber erst mal erkennen, dass ich selbst eingeschränkt bin und genau dieses ist der erste Schritt auf dem Weg zu einer inneren Haltung der Freigebigkeit, im Geben wie im Nehmen. Geben und Nehmen sind komplementär, denn wenn ich nicht verstehe zu nehmen, kann ein anderer auch nicht geben.
Eine wesentliche Fassette der Freigebigkeit ist die Toleranz. Sie beruht auf dem Bewusstsein, das jeder Mensch sich entwickelt und im Laufe seines persönlichen Weges ein immer anderer sein wird, mit veränderten Sichtweisen, Werten und Einstellungen. Die Anerkennung dieser Wahrheit ist die eigentliche Quelle der Toleranz. Ohne diese dynamische Perspektive auf den Menschen ist eine Haltung der Toleranz nur schwer möglich. Ist diese dynamische Sichtweise aber verinnerlicht, so ist es ein Grundmotiv für Freigebigkeit, den Anderen in seiner Entwicklung zu bereichern und ihn auf seinem Weg zu unterstützen. Der Bibelsatz „Geben ist seliger denn Nehmen“ kann hierfür Pate stehen: grundlos zu schenken aus sich selbst heraus, aus dem eigenen Inneren kreiert Sinn und Entwicklung.
Der Kompass der Freigebigkeit:
Das Sinnbild: Das verschenkte Glück
Die Kernbotschaft: Tut wohl denen, die euch hassen. Segnet die, die euch verfolgen!
Die Tugendmitte zwischen den Polen: Profillosigkeit – Freigebigkeit – Selbstsucht
Die Aspekte:
1) Erkenntnis der Subjektivität und Relativität des eigenen Bewusstseins. Der eigene Horizont ist nicht die Welt.
2) Toleranz gründet auf einer offenen Geisteshaltung und der Würdigung der Vielfalt
3) Toleranz ist nicht in erster Linie Ertragen des Anderen, sondern im Kern das „Freigeben“ der eigenen Sicht auf die Welt. Der Anspruch auf Durchsetzung der eigenen Wahrheit und auf Überzeugung der anderen entfällt.
4) Toleranz bedeutet, nicht zu richten. Jeder befindet sich auf dem Weg, hat eine eigene Vergangenheit und wird in Zukunft ein anderer Mensch sein als in der Gegenwart. Die Geschichte „vom Saulus zu Paulus“ gilt in individueller Form für jeden.
5) „Freigeben“ ist nicht nur „Loslassen“ des Anspruchs, sondern auch Darstellung der eigenen Sicht und Position für die anderen. Man verschenkt den eigenen Ausschnitt der Welt, den eigenen Teil an der Welt und macht ihn für andere zugänglich.
6) Freigebigkeit ist die Haltung, andere zu bereichern. Sie in ihrer Entwicklung zu fördern, ohne sie verändern zu wollen. Jeder hat seinen persönlichen Weg, sein „Do“, auf dem er voranschreitet und sich verändert.
7) Geben ist seliger denn Nehmen. Aber Geben und Nehmen ergänzen sich, und wenn man nicht versteht zu nehmen, dann wird auch das Geben sinnlos und läuft ins Leere.