Читать книгу Endlichkeit und Vergänglichkeit - Christian Walther - Страница 8

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Alter

Früher liebte ich die Vögel, jetzt liebe ich die Blüten.

Sie halten still fürs schwindende Aug.

Elias Canetti

STROPHEN

Ich gehe langsam aus der Welt heraus

in eine Landschaft jenseits aller Ferne,

und was ich war und bin und was ich bleibe

geht mit mir ohne Ungeduld und Eile

in ein bisher noch nicht betretenes Land.

Ich gehe langsam aus der Zeit heraus

in eine Zukunft jenseits aller Sterne,

und was ich war und bin und immer bleiben werde

geht mit mir ohne Ungeduld und Eile,

als wär ich nie gewesen oder kaum.

Hans Sahl

AUSGANG

Immer enger, leise, leise

ziehen sich die Lebenskreise,

schwindet hin, was prahlt und prunkt,

schwindet Hoffen, Hassen, Lieben.

Und ist nichts in Sicht geblieben

als der letzte dunkle Punkt.

Theodor Fontane

NACHTS

Bald ist es nicht mehr so hell

über den Dächern und Kaminen.

Mein Radiergummi und der Mond,

beide nehmen ab.

Günter Grass

ANS ALTER

Du bist die Mündung, die sich weitet und breitet,

Mächtig, und sich ausgießt ins große Meer.

*

JUGEND, TAG, ALTER UND NACHT

Jugend, laut, lustvoll, liebend, – Jugend voller Anmut, Kraft,

[Zauber,

Weißt du, daß das Alter nach dir kommen mag mit ebensoviel

[Anmut, Kraft, Zauber?

Tag volltönend und strahlend, – Tag der ungeheuren Sonne,

[voll Tätigkeit, Ehrgeiz, Lachen:

Die Nacht folgt dir dicht mit Millionen von Sonnen und Schlaf

[und stärkendem Dunkel.

Walt Whitman

LEBENSLAUF

Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog

Schön ihn nieder; das Leid beugt ihn gewaltiger;

So durchlauf ich des Lebens

Bogen und kehre, woher ich kam.

*

DIE KÜRZE

„Warum bist Du so kurz? liebst du, wie vormals denn

Nun nicht mehr den Gesang? fandst du, als Jüngling, doch

In den Tagen der Hoffnung,

Wenn du sangest, das Ende nie?“

Wie mein Glück, ist mein Lied. – Willst du im Abendrot

Froh dich baden? Hinweg ists,und die Erd ist kalt,

Und der Vogel der Nacht schwirrt

Unbequem vor das Auge dir.

Friedrich Hölderlin

Den Bildern zu entsagen, fällt mir schwer

Ich bedarf der Pflugschar, die mich umbricht

Spiegel des Winters, des Alters

bedarf der Zeit, die ihre Körner in mich wirft

*

Getreue Augen, immer schwächere, bis

die meinen sich schließen, und nach ihnen der Raum,

wie ein bemalter Fächer, von dem nichts bliebe

als ein zarter beinerner Griff, eine eisige Spur

für die lidlosen Augen anderer Sterne.

Philippe Jaccottet

ALTER

Das aber ist des Alters Schöne,

dass es die Saiten reiner stimmt,

dass es der Lust der grellen Töne,

dem Schmerz den herbsten Stachel nimmt.

Ermessen lässt sich und verstehen

die eigne mit der fremden Schuld,

und wie auch rings die Dinge gehen,

du lernst dich fassen in Geduld.

Die Ruhe kommt erfüllten Strebens,

es schwindet des Verfehlten Pein -

und also wird der Rest des Lebens

ein sanftes Rückerinnern sein.

Ferdinand von Saar

Nicht geboren zu sein, das geht über

Alles; doch wenn du nun lebst, das

Zweite, so schnell du kannst,

Hinzugeh'n wo du herkamst.

Bald doch schwindet die Jugend dahin,

Leicht einst und sorglos beschwingt.

Wer dann lebt noch von Mühsal frei,

Wer nicht in steter Bedrängnis?

Mißgunst, Aufruhr, Zwietracht, Krieg und Morde!

Und das immer gescholt'ne kommt dann hinzu als

Letztes: das kraftlose, freundlose Alter,

Ungesellig, – bei dem die gesamten

Übel der Übel hausen.

Sophokles

Diese alten Männer, die niemand

mehr ansieht, Hausierer mit Phantasie,

reale Nullen, bei Abschaffung ihres Lebens,

unter Bäumen im Park wartend

auf nichts anderes als auf Vergangenheit -

eine Landkarte aus Staub.

Versteckte Sätze leben in ihnen weiter

im trockenen Mund.

Einige haben ein schönes Gesicht

für Augenblicke. Wer weiß etwas

von diesen schmalen Figuren,

die sich entfernen?

Karl Krolow

schaukelstuhl

zum siebzigsten geburtstag

vielleicht einen schaukelstuhl

nein wir werden besser tun

ihm eine geflochtene

zielscheibe zu kaufen

mit wurfpfeilen wie es die

engländer tun

in ihren pubs.

das wird ihn gesellig halten

jedenfalls nicht ruhen lassen.

das kommt ohnedies

früh genug.

Ernst Jandl

FRÜHLING

O meine grauen Haare!

Wirklich, ihr seid wie Pflaumenblüten weiß.

William C. Williams

Mich frug ein Freund, wie viele Lebensjahre

Bereits auf meinen Schultern ruhten.

Ich sprach: "Im höchsten Falle zwei Minuten.“

Er wies bestürzt auf meine weissen Haare.

Da sagte ich: „ Wir müssen klar erkennen,

Wie sich verteilt des Lebens Wert und Maß.

Ich küßte einmal so, dass ich es nie vergass.

Den Rest der Erdenzeit kann ich nicht Leben nennen.

Ibn Hazm

SONETT XII

Zähl' ich die Glocke, die die Stunde kündet,

Seh ich den Tag vergehn in düstrer Nacht,

Das Veilchen, das nach kurzer Blüte schwindet,

Und silberweiß der Locken dunkle Pracht;

Seh ich entlaubt die stolzen Bäume ragen,

Die Schatten liehn der Herde vor der Glut,

Des Sommers Grün in Garben fortgetragen,

Das auf dem Sarg mit weißem Barte ruht;

Dann muß ich wohl um deine Schönheit trauern,

Daß sie dem Fluch der Zeiten nicht entgeht,

Denn Schönstes kann sich selbst nicht überdauern,

Es welkt dahin, wie anderes entstellt;

Nichts kann es vor der Zeiten Sense wahren

Als Aussaat, die dem Tode trotzt und Jahren.

William Shakespeare

DER ALTE AM ABEND SPRICHT

Mir haben auch die Sinne wohlgetan,

Mich lachte auch das Leben süße an;

Nun bin ich matt.

Nun sehn ich mich nach einem stillen Schluss,

Nach einem tiefen Schlafe, der kein Muss

Und auch keinWollen hat.

Ich sah das Glück, die Sonne war mir lieb,

Ich aß und nahm, bis nichts zu nehmen blieb;

Nun will ich gehn.

Mein Aug ist müd von Farbe, Licht und Glanz,

Es hat zu lange in den Mückentanz

Der bunten Welt gesehn.

Otto Julius Bierbaum

HERBST

Auf die Wege der halben Kastanienschalen

fallen Blätter. Ab hier

wird die Dämmerung über die Bäume kommen

und über die Häuser. Mir wird kalt.

Auf den Bänken im gelben Park

sitzen die Alten. Sie

haben die Sonne schief im Gesicht

und beschenken sich mit schönen Herbsttagen.

An den trockenen Blättern meines Kalenders,

weiß wie Asche, klebt

ein doppelter Frühling: der eine

gilt nicht mehr, der andere gilt noch nicht.

Lasst uns die Zeit verkürzen!

Ruft den Kohlenmann an!

Schaut weg, wenn ihr seht, wie ein Kind

noch mit Kastanien spielt.

Ernst Jandl

Noch bist du da

Wirf deine Angst

in die Luft

Bald

ist deine Zeit um

bald

wächst der Himmel

unter dem Gras

fallen deine Träume

ins Nirgends

Noch

duftet die Nelke

singt die Drossel

noch darfst du lieben

Worte verschenken

noch bist du da

Sei was du bist

Gib was du hast

Rose Ausländer

Wie die Pflanze, der allmählich die Nahrung versiegt,

welche sie grünen ließ und am Leben hielt

- hoch stieg sie, frisch und blühend, empor,

doch tief nun neigt sie ihr Haupt. Das Haar wird weiß -

so, da die Kraft mich verlässt, der ein unbeschwertes,

frohes Leben ich dankt', als im April es blühte,

fühl' ich nun meine trockne, des Lebenssaftes beraubte

Hülle sich langsam neigen, schwer und müde.

Dem Pilger gleich, der des Nachts in der Herberg'

sinnt, wie lang der Weg sei, der vor ihm noch liegt,

und beschließt, ihn rasch zurück zu legen,

auf, meine Seele, gedenk' dieser kurzen Rast,

schwinge dich nun auf deinen Flügeln

weit weg von Styx und ew'ger Verbannung!

Giuliano Goselini

Endlichkeit und Vergänglichkeit

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