Читать книгу Endlichkeit und Vergänglichkeit - Christian Walther - Страница 9

Оглавление

Abschied und Gedenken

O Scheiden und Meiden, du bittres Kraut,

Wer hat dich zuerst im Garten gebaut?

Konnt' er nichts besseres ziehen?

Er hat dich mit seinen Augen bethaut,

Davon bist du gediehen.

Hafis

ABSCHIED VON MENG HAN-JAN IM HAUS

„ZUM GELBEN KRANICH“

Vom Haus „Zum gelben Kranich“ hat der Freund

Abschied genommen.

In Dunst und Blüte des Aprils ist seine Barke

flussab geschwommen.

Einsames Segel, ferner Schatten, der im blauen

Horizont entschwindet -

Ich sehe nur den weiten Strom noch, der zuletzt

im Himmel mündet.

Li Tai-Pe

ERWARTUNG

(für Michael Krüger)

Die Schiffe fahren ohne mich aus.

Ich bleibe auf den Landungsstegen zurück,

umzingelt von Möwen.

Sie öffnen die Schwingen

wie Fenster,

durch die ich das Meer

mit anderen Augen sehe.

Langsam entfaltet der Himmel

ein mächtiges Segel

über dem Steg.

In der Abendbrise

beginnt die Fahrt

auch für mich.

Wolfgang Bächler

SENNA HOY

Seit du begraben liegst auf dem Hügel,

Ist die Erde süß.

Wo ich hingehe nun auf Zehen,

Wandere ich über reine Wege.

O deines Blutes Rosen

Durchtränken sanft den Tod.

Ich habe keine Furcht mehr

Vor dem Sterben.

Auf deinem Grabe blühe ich schon

Mit den Blumen der Schlingpflanzen.

Deine Lippen haben mich immer gerufen,

Nun weiß mein Name nicht mehr zurück.

Jede Schaufel Erde, die dich barg,

Verschüttete auch mich.

Darum ist immer Nacht an mir,

Und Sterne schon in der Dämmerung.

Und ich bin unbegreiflich unseren Freunden

Und ganz fremd geworden.

Aber du stehst am Tor der stillsten Stadt

Und wartest auf mich, du Großengel.

Else Lasker-Schüler

LETZTER FRÜHLING

Nimm die Forsythien tief in dich hinein

und wenn der Flieder kommt, vermisch auch diesen

mit deinem Blut und Glück und Elendsein,

dem dunklen Grund, auf den du angewiesen.

Langsame Tage. Alles überwunden.

Und fragst du nicht, ob Ende, ob Beginn,

dann tragen dich vielleicht die Stunden

noch bis zum Juni mit den Rosen hin.

Gottfried Benn

MEINER MUTTER

Das Lachen

meiner Mutter

im letzten Sommer

unter dem Magnolienbaum

Während ihr Körper

unter dem blühenden Hügel

immer leichter wird

im dünnen Lieblingskleid

Inge Buck

AN- ALS IHM DIE – STARB

Der Säemann säet den Samen

Die Erde empfängt ihn, und über ein kleines

Wächset die Blume herauf

Du liebtest sie. Was auch dies Leben

Sonst für Gewinn hat, war klein dir geachtet,

Und sie entschlummerte Dir!

Was weinest du neben dem Grabe

Und hebest die Hände zur Wolke des Todes

Und der Verwesung empor?

Wie Gras auf dem Felde sind Menschen

Dahin, wie Blätter, nur wenige Tage

Gehn wir verkleidet einher!

Der Adler besuchet die Erde,

Doch säumt nicht, schüttelt vom Flügel den Staub und

kehret zur Sonne zurück.

Matthias Claudius

GRABINSCHRIFT

Setz dich an mein Grab ein bißchen.

Da ist's so still und einsam.

Sprich zu mir freundlich leise

Wie zu einem, der keine Antwort geben kann.

Mir wurde das Unfassbare vergönnt

Als ein Mensch

Einige Jahre auf der Erde zu leben.

Freu dich, der du noch die Sonne schaust.

Verner von Heidenstam

BITTGEDANKE, DIR ZU FÜSSEN

Stirb früher als ich, um ein weniges

früher

damit nicht du

den weg zum haus

allein zurückgehen musst.

Reiner Kunze

Bin über zahlreiche Meere, zu vielen Völkern gefahren,

Komme nun, Bruder, zu dir, traurige Spende zu weihn,

Um mit der letzten Gabe den Toten, dich, zu beschenken.

Grüße vergeblich hier Asche, die deine, die stumm,

Da ja nun das Schicksal dich selbst mir für immer

[genommen,

Weh doch, du Ärmster, mir leider zu zeitig geraubt.

Dennoch nimm dieses jetzt, was ich dir nach Sitte der Väter -

Ach, welch ein traurig Geschenk! – als meine Spende dir geb'!

Reichlich benetzt von Tränen des weinenden Bruders empfang

[es!

Und auf ewig sodann, Bruder, lebwohl und ade!

Catull

GEHSTEIG NACHTS

Jasmin, auf nasse Fliesen

Nachts abgestreut, bedeutet

Ein Seidentuch, gebreitet

Aus Blüten, früh zerfallen,

Für sie, die uns verließen,

Und Schritte, die verhallen.

Georg von der Vring

WELKE ROSE

In einem Buche blätternd, fand

Ich eine Rose welk, zerdrückt

Und weiß auch nicht mehr, wessen Hand

Sie einst für mich gepflückt.

Ach, mehr und mehr im Abendhauch

Verweht Erinnerung; bald zerstiebt

Mein Erdenlos, dann weiß ich auch

Nicht mehr, wer mich geliebt.

Nikolaus Lenau

1. 1. 87

Schlüpfriges Pflaster.

Doch mich schreckt kein Eis dies Jahr:

Ich hab Vaters Stock.

*

DER STRAND

Die Strichelspur von Vaters Eschenstock

Auf dem Strand von Sandymount

Ist gleichfalls etwas, was die Flut nicht tilgt.

Seamus Heaney

NACH JAHR UND TAG

An seinem Grab

habe ich keine

Träne geweint und

ich gehe nicht hin

es mit Blumengarden

zu schmücken

Nur manchmal

am Abend

wenn ich mich

schlafen lege

ziehe ich seine

alte Strickjacke

an

Lisa Helms

DIE FRÜHEN GRÄBER

Willkommen, silberner Mond,

Schöner, stiller Gefährte der Nacht!

Du entfliehst? Eile nicht, bleib, Gedankenfreund!

Sehet, er bleibt, das Gewölk wallte nur hin.

Des Maies Erwachen ist nur

Schöner noch, wie die Sommernacht,

Wenn ihm Tau, hell wie Licht, aus der Locke träuft

Und zu dem Hügel herauf rötlich er kömmt.

Ihr Edleren, ach es bewächst

Eure Male schon ernstes Moos!

O wie war ich glücklich, als ich noch mit euch

Sahe sich röten den Tag, schimmern die Nacht!

Friedrich Gottlieb Klopstock

ABENDEMPFINDUNG

Abend ist's, die Sonne ist verschwunden,

Und der Mond strahlt Silberglanz;

So entfliehn des Lebens schönste Stunden,

Fliehn vorüber wie im Tanz.

Bald entflieht des Lebens bunte Szene,

Und der Vorhang rollt herab;

Aus ist unser Spiel, des Freundes Träne

Fließet schon auf unser Grab.

Bald vielleicht (mir weht, wie Westwind leise,

Eine stille Ahnung zu),

Schließ ich dieses Lebens Pilgerreise,

Fliege in das Land der Ruh.

Werdet ihr dann an meinem Grabe weinen,

Trauernd meine Asche sehn,

Dann, o Freunde, will ich euch erscheinen

Und will himmelauf euch wehn.

Schenk auch du ein Tränchen mir

Und pflücke mir ein Veilchen auf mein Grab,

Und mit deinem seelenvollen Blicke

Sieh dann sanft auf mich herab.

Weih mir eine Träne, und ach! schäme

dich nur nicht, sie mir zu weihn;

Oh, sie wird in meinem Diademe

Dann die schönste Perle sein!

Joachim Heinrich Campe

DAS VIERZEHNTE SONETT

Solange meine Augen Tränen geben,

dem nachzuweinen, was mit dir entschwand;

solang in meiner Stimme Widerstand

gegen mein Stöhnen ist, so dass sie eben

noch hörbar wird; solange meine Hand

die schöne Laute von so lieben Dingen

kann singen machen, und sich unverwandt

mein Geist dir zukehrt, um dich zu durchdringen:

so lang hat Sterben für mich keinen Sinn.

Doch wenn ich trocken in den Augen bin,

die Stimme brüchig wird, die Hand nicht mag,

und wenn mein Geist mir hier die Kraft entzieht,

durch die ich mich als Liebende verriet:

so schwärze mir der Tod den klarsten Tag.

Louize Labé

ANKLAGE

Tote Freunde

klagen dich an

du hast sie überlebt

Du weinst um sie

und lachst schon wieder

mit anderen Freunden

Deine Blumen

auf ihren Gräbern

versöhnen sie nicht

Du trauerst um ihren Tod

und machst Gedichte

aufs Leben

Rose Ausländer

LIED

Wenn ich einst tot bin, Liebster,

Klag nicht mit trübem Sinn;

Nicht Rosen noch Zypressen

Pflanz mir zu Häupten hin.

Das grüne Gras wird tränken,

Mit Tau mich ganz gewiss:

Und wenn du willst, gedenke,

Und wenn du willst, vergiss.

Ich werd nicht sehn die Schatten,

Spür nicht des Regens Fall;

Und hör nicht leidvoll klagen

Das Lied der Nachtigall.

Und träumend fort im Zwielicht,

- Nie wächst noch schwindet es -:

Vielleicht, dass ich gedenke,

Vielleicht, dass ich vergess.

Christina Georgina Rossetti

Endlichkeit und Vergänglichkeit

Подняться наверх