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2.2 Weibliche Jugendbewegung

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Erste Aufsätze und Aufrufe zum Mädchenwandern ließen sich nach Ausführungen der jugendbewegten Chronistin Else Frobenius schon im Urwandervogel, d. h. AfS finden (vgl. 1927, S. 66 f). Mehrheitlich wird jedoch auch in den aktuelleren Studien (vgl. u. a. Andresen, 2003, S. 119, Schade, 1996, S. 36) bestätigt, daß das Mädchenwandern bzw. die weibliche Jugendbewegung mit der Begründung des „Bund der Wanderschwestern“27 1905 durch Marie Luise Becker begann – der Frau von Wolfgang Kirchbach, einem Gründungsmitglied der Wandervogelbewegung. Becker äußerte sich zu diesem Ereignis in einer Wandervogelzeitschrift wie folgt (Becker in Köhler, 1987d, S. 268):

Er (Bund der Wanderschwestern, C.K.) hat sich also (…) nun am 14. Juni d. J. gegründet und hofft, daß viele der Schwestern unserer Wandervögel daran teilnehmen und ebenso wie die Gymnasiasten auf frohen Wanderfahrten ihr Heimatland kennenlernen.

Deutlich wird an dieser Ausführung, daß es zunächst in erster Linie die Schwestern der Jungen im Wandervogel waren, die sich jener Bewegung anschlossen und im Laufe der Zeit damit begannen, eigene Wandergruppen zu begründen (vgl. Musial, 1985, S. 16). Ähnlich wie die Jungen stammten die Mädchen mehrheitlich aus dem Bildungsbürgertum, dem oberen Mittelstand (vgl. Andresen, 2003, S. 118), und wurden von ihren Eltern dabei unterstützt, am Wandervogelleben teilzuhaben. Allerdings war der Hintergrund hier der „deutschtümelnde Gesundheitsdiskurs“: „Der Wandervogel will dazu helfen, ein an Körper, Geist und Wille starkes und gesundes deutsches Geschlecht heranzubilden“ (Verband Deutscher Wandervögel, 1914 in Klönne, 2000, S. 150). In diesem Kontext entwickelte sich in der Jugendbewegung dann auch eine Körperkultur (ähnlich wie im Ausland), die sich neben den üblichen Wanderungen in Betätigungen wie Gymnastik, Tanz mit entsprechender Kleidung ausdrückte.28 Weitere Versuche für das Mädchenwandern wurden später in der Ortsgruppe Jena angestrengt. Auf der Bundeshauptversammlung des AWVs stellte sie einen Antrag, mit dem sie für die Ausdehnung des Begriffs „der Jugend auch auf das weibliche Geschlecht“ eintrat sowie für das Volksschulwandern und das Verbot von Alkohol (auf Fahrten) (vgl. Ahrens/​Copalle, 1954, S. 33). Dieser wurde von allen Ortsgruppen des AWVs abgelehnt, weil sie:

(…) nicht überzeugt (waren, C.K.) von dem gleichen Wert und der gleichen Art der Geschlechter innerhalb des Wandervogels (und um, C.K.) eine ungesunde Entstellung des Wandervogelstils (fürchteten, C.K.), der in erster Linie Selbsthilfe der Jungen (gewesen sei, C.K.). (Frobenius, 1927, S. 67 f)

Ebendies führte im selben Jahr zur Neugründung des Wandervogel Deutscher Bund (kurz DB) durch Hans Breuer 1907, der auch weibliche Mitglieder aufnahm (vgl. Schade, 1996, S. 38). Mit Hans Breuer begann ein weiterer wichtiger Abschnitt in der Geschichte der weiblichen Jugendbewegung, welcher Meinung auch andere Forscher und Forscherinnen sind (vgl. u. a. Andresen, 2003, S. 121, Frobenius, 1927, S. 66 ff). In seinem richtungsweisenden Artikel von 1911, dem „Teegespräch“, umriß jener, in welcher Weise mit der Frage des Mädchenwanderns umzugehen sei. Die Grundaussagen in seinen dortigen Ausführungen sind, daß auch für die Mädchen das Wandern „nach jeder Richtung hin allgemein förderlich“ ist, nicht aber mit den Jungen gemischt, denn die Gefahren des Zusammenwanderns sind für ihn offensichtlich: Die Mädchen würden dadurch „verbengeln und verwildern“, die „Buben verweichlichen“. Damit stellte sich die Frage des Mädchenwanderns zu dieser Zeit eher als eine Frage des Gemischtwanderns bzw. der Geschlechter. Breuer war es auch, der weitere Ansätze für das Mädchenwandern, d. h. „die rechte Praxis und das rechte Maß für dessen Wert und Art“ (1911 in Ziemer/​Wolf, 1961, S. 232) gab. Eine zentrale Rolle spielte dabei die „Führerfrage“: Mädchengruppen sollten unter männlicher Führung wandern. Von jungen Lehrerinnen, so fürchtete er, würde „ein klösterlich-tantenhafter Beigeschmack in das Wanderleben“ kommen. Die Forderungen Breuers wurden bestimmt von den gängigen Vorstellungen von Weiblichkeit in der damaligen bürgerlichen Gesellschaft – zum einen „Verzicht auf Distanzmärsche“, zum anderen Aufenthalte im „Landheim“ (ebd.)29:

Da lernen sie (die Mädchen, C.K.) ein Haus, ein Heim gemütlich zu machen, seine Mauern mit schöner Harmonie und Lebensfreude zu füllen, sie lernen Häuslichkeit, Verträglichkeit, Wirtschaftlichkeit und haben auch auf täglichen Streifzügen (…) die Vorteile des Wanderns nach ihrer Art. (ebd., S. 233)

Um überhaupt in jener Bewegung weiter bestehen zu können, benötigten die Mädchengruppen die Anerkennung der Jungengruppen, was zu Beginn Anpassungen an deren Vorgaben forderte und auch zu Nachahmung des männlichen Verhaltens führte (vgl. Klönne, 2000, S. 248).

Im Laufe der Zeit bildeten sich immer mehr weibliche Wandergruppen. Die an vielen Orten entstandenen Mädchengruppen waren verschiedenen Wandervogelbünden (Wandervogel Deutscher Bund, 1907, Steglitzer Wandervogel e. V., 1910, AWV 1910) angeschlossen. Von 1911 an suchten die Mädchen Anschluß an den Jung-Wandervogel (eine Abspaltung des AWVs, der keine Erwachsenen bzw. Lehrer als Führer duldete). Bis 1912 bildeten sich in jener Vereinigung allein 12 Mädchengruppen und ein eigener Mädchenbund (vgl. u. a. Klönne, 1996, S. 255).30 Auch im 1912/​13 entstandenen Einigungsbund, dem Wandervogel, Bund für deutsches Jugendwandern e. V., wurden, wie überall, zumeist in den Ortsgruppen eigene Mädchen- und Jungengruppen begründet, was aber nicht die Ablehnung jeglicher Zusammenarbeit, sprich Gemischtwandern, beinhaltete (vgl. Musial, 1985, S. 19). In jenen Gruppen entwickelten sie einen eigenen Stil (vgl. ebd.), der sich schon etwas von den Jungengruppen unterschied. So zum Beispiel in ihrer äußerlichen Erscheinung bzw. Bekleidung – dazu gehörten u. a. Faltenröcke und Kittelblusen, bis hin zum Inselkleid (vgl. 6.2). Zum einen hob sich diese Kleidung von den konventionellen Kleidervorschriften ab (Verzicht auf Korsettkleid), zum anderen war sie zum Wandern geeignet und hübsch anzusehen (vgl. Behm, 1989, S. 84). Im wesentlichen gestaltete sich die Art des Wanderns ganz anders als die der Jungen, wie der Wandervogel Fritz Klusmann beschreibt:

Auf Mädchenfahrten geht es anders her. Das weibliche Gemüt ist empfänglicher für ein beschauliches Wandern. Man läuft nicht so weit, aber man wandert mit mehr Tiefe (…). Landschaftliche Stimmungen, Sonnenuntergänge und vieles andere wofür die Buben nicht die Auffassung haben, gestalten das Mädchenwandern so unendlich reich und schön. Dann das Tanzen, die Freude am Vorlesen (…). Stets wird man bemerken, wie die Mädchen, (…), anders wandern und singen. (in Behm, 1989, S. 81)

Mit dieser persönlichen „Note“ lieferten die Mädchen und Frauen nach Frobenius auch einen „Beitrag“ zum Phänomen der deutschen Jugendbewegung:

Die Mädels haben wesentlich zur Entwicklung des neuen Lebensstils, von Gesang und Tanz, Wandervogeltracht, Landheim und Stadtnest beigetragen. Durch ihren Eintritt in die Bewegung konnte die Wandervogelkultur sich über das Vagantentum der ersten Jahre zu einer deutschen Kulturerscheinung ausbauen. (1927, S. 74)

Mit der Zunahme der weiblichen Mitglieder in der deutschen Jugendbewegung – von 500 Wanderschwestern im Jahre 1910 auf 2300 Mitglieder weiblichen Geschlechts Ende 1911 (vgl. Müller, J., 1971, S. 312) – wurde es notwendig, den Umgang der Geschlechter miteinander zu regeln. Dabei griff man auf das bereits in der Einleitung angesprochene Ideal der Kameradschaft zurück, das man aus dem 19. Jh. übernahm und speziell für die Jugendphase zuschnitt: „Kameradschaft als zeitlich begrenztes, auf Jugend bezogenes Konstrukt bei gleichzeitiger Ausklammerung von Sexualität“ (Reese, 1991, S. 9).31 Die besondere Bedeutung jener Kameradschaft, mit dem das Weiblichkeitsbild der Kameradin einherging, war jedoch nicht deren inhaltliche Gestaltung. Diese erfuhr, wie gleich noch deutlich wird, angesichts des Wandels in den Bünden unterschiedliche Interpretationen (vgl. Klönne, 2000, S. 225 ff): Es war „die grundsätzliche Zurechnung der Mädchen zur Jugend“ (Reese, 1991, S. 7), die nach Aussagen von Busse-Wilson für die Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung zum ersten Male die Möglichkeit einer wahren „Gleichberechtigung“ (1919, S. 328) bot und für Reese erstmals die Möglichkeit der Individualität für die Mädchen darstellte (vgl. 1991, S. 8). Denn in der Konstruktion von Jugend ging man von einer formalen Gleichheit aller Menschenleben (inkl. der Geschlechter) aus (vgl. ebd.), und die junge Frau oder das Mädchen wurde entgegen der „bürgerlichen Sexualmoral“ nicht mehr als „Gattungswesen“ (Busse-Wilson, 1919, S. 328) betrachtet. Eine genauere Schilderung dieser gemischtgeschlechtlichen Unternehmungen liefert Luise Becker in einem leider undatierten Schreiben, veröffentlicht in Köhler (1987d, S. 269):

Einige gemeinsame Touren mit dem brüderlichen Alt-Wandervogel haben ein heiteres, frohes Zusammensein ohne Flirt und Koketterie, einen echten freundschaftlichen Verkehr der Knaben und Mädchen (…) ergeben (…).

Ab 1913 ging der Wandervogel in eine neue Phase der Jugendbewegung über, die vornehmlich durch die Freideutsche Jugend32 geprägt war. Sie umfaßte 13 jugendbewegte Vereinigungen, die sich im Rahmen des berühmten Treffens auf dem Hohen Meißner 1913 zusammengeschlossen hatten. Die hier vorliegende „Meißner-Formel“, auf die sich die verschiedenen bis zu dieser Zeit gegründeten Jugendgruppen einigten (Wandervögel, Akademische Freischar, etc.), brachte aber kein Programm, sondern eher ein Lebensgefühl zum Ausdruck:

Die freideutsche Jugend will aus eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein. (Zit. nach Flitner/​Kudritzki, 1961, S. 277 f)

Die Freideutsche Jugend zeichnete sich durch ein liberales und offenes Gedankengut aus. Sie übte praktische Kritik an den bürgerlichen Verhältnissen und Konventionen, u. a. auch an den Beziehungen der Geschlechter (vgl. Klönne, 2000, S. 93). Das führte dazu, daß, trotz der Tatsache, daß ein Teil der nun älter gewordenen Wandervögel eindeutig erotische Beziehungen zueinander pflegte, die asexuelle Kameradschaft in dieser Phase weiterhin als Konzept bzw. Ideal für den Umgang der Geschlechter erhalten blieb (vgl. Musial, 1982, S. 156).

Wie Bias-Engels meint, hätten die folgenden Worte aus der Meißnerformel: „aus eigener Bestimmung vor eigener Verantwortung mit innerer Wahrhaftigkeit“ ihr Leben zu gestalten, die Mädchen im Wandervogel zur Zeit der Freideutschen Jugend angesprochen und 1914 zur Begründung des ersten selbständigen Mädchenbundes, Deutscher Mädchen Wanderbund, in Hattingen geführt (vgl. 1985, S. 111 f). Dort entstanden innerhalb von fünf Jahren 53 Ortsgruppen (vgl. Musial, 1985, S. 28). Inhaltlich ging es den Begründerinnen darum „(…) etwas Neues, Eigenes zu schaffen, einen Bund, in dem die weibliche Eigenart zum Wachsen und Ausreifen kommen kann“ (Bias-Engels, 1985, S. 110). Dabei wollte man durch das Wandern und Leben im Bund eher auf die zukünftige Mutterrolle vorbereiten, als eine Unterstützung und Verbesserung für die Stellung der häufig berufstätigen Mitgliederinnen zu liefern (vgl. ebd.). Daneben entwickelten sich zu jener Zeit auch die ersten Siedlungen der Jugendbewegung, von denen zwei auch von und für Frauen begründet wurden: 1919 Loheland, Schule für Gymnastik, Landbau und Handwerk und später (1923/​24) die Frauen- (Berufs-) und Bildungsstätte Schwarzerden (vgl. ebd., S. 118 f). Mit diesen Siedlungsbegründungen gingen auch die Anfänge der ersten Gymnastikschulen einher, und damit der Ausbau der Gymnastikbewegung innerhalb der Jugendbewegung (vgl. Korn, 1963; S. 102). In dieser Zeit erreichte auch die Nacktkultur eine große Popularität in der Jugendbewegung.33

Veränderungen im Allgemeinen und in Bezug auf die Frauen ergaben sich zunächst durch das Zuströmen von Jugendlichen aus breiteren Bevölkerungsschichten in die bürgerliche Jugendbewegung – u. a. die vor dem ersten Weltkrieg entstandenen Pfadfinder- (1909) und Arbeiterjugendgruppen (1903/​4)34 (vgl. Giesecke, 1981, S. 38) – und den damit verbundenen Neugründungen von Bünden (vgl. Klönne, 1996, S. 261). Nur kurze Zeit später war es der Erste Weltkrieg (1914 - 1918), der wesentliche Veränderungen bewirkte. Die Begeisterungsfähigkeit der Wandervögel und Freideutschen wurde mit Kriegsausbruch 1914 in patriotische Bahnen gelenkt, was zur Folge hatte, daß sich Tausende der jungen Männer freiwillig an die Front meldeten (vgl. Klönne, 1990, S. 109). Bedingt durch die Verluste der Wandergruppenführer im Kriege „fiel den Mädchen eine große Aufgabe zu: Die Gruppen weiterzuführen“ (Mann in: „Frauengeschichten in der Jugendbewegung“, 1985, S. 166), wodurch sie auch führende Rollen in den Bünden übernahmen. Gestärkt durch allgemeine gesetzliche Veränderungen, wie zum Beispiel das Wahlrecht für Frauen, setzte auch eine Veränderung im Gesicht der Jugendbewegung ein. So wurde die soziale Arbeit zum neuen Schwerpunkt, und infolge der Kriegserfahrungen entstand eine Art Kriegsfürsorge (vgl. Musial, 1985, S. 20).

Geprägt von den Kriegserfahrungen und den sozialen und politischen Krisen in den zwanziger Jahren35, wandten sich die Jungen und jungen Männer in den verschiedenen Bünden von der „individualisierenden und romantischen Vielfalt des Vorkriegswandervogels ab, hin zum soldatisch-heroischen Männlichkeitsbild“ (Klönne, 1996, S. 262). Damit ging die Zeit des Wandervogels und der Freideutschen Jugend (1920/​23)36 in die Phase der Bündischen Jugend über die Zeit der Bünde bzw. „Orden“ begann. Diese waren straffer organisiert als die früheren Wandervogelgruppen und versuchten, bestimmte Werte bzw. Aufgaben für sich verbindlich zu machen. Disziplin statt Freiheit, Bindung statt Autonomie, Dienst an Volk und Staat (vgl. ebd., S. 266) und „Erneuerung des Volkes“ (Fischer, 1933, S. 238) hieß die neue Tendenz. In den Leitvorstellungen der Bünde, geprägt von der Rückbesinnung der Jugend auf die vorbürgerliche Gesellschaftsutopie der „Volksgemeinschaft“ (Frobenius, 1927, S. 280) bzw. Gemeinschaft der edlen Ritter37, die sich unbeirrbar und treu einer Aufgabe (Dienst am Orden, Volk oder Staat) verschrieben hatten, und von einer Rollenverteilung zwischen Männern und Frauen (vgl. ebd., S. 279), bestand kaum noch Platz für die Mädchen (vgl. Giesecke, 1981, S. 104). Es dominierten nun die mädchenfreien Jungenbünde.

Hinzu kam die enorme Rezeption der Schriften Blühers (vgl. 3.1) in der Jugendbewegung, die den Männerheld und die Männerbünde sowie die Geschlechterpolarität stark betonten. In Blühers Schriften werden die weiblich Jugendbewegten als unzählige Gefahren für die männlich Jugendbewegten gedeutet. Von nun an sollten sich die Jugendlichen in geschlechtsspezifischen Gruppen nach ihren natürlichen „Eigenarten“ entfalten, wobei die Jungen und Männer in den Bünden sich zum Kämpfer und Helden, die Frau bzw. Mädchen indes zur Mutter und Dienerin entwickeln sollten (vgl. Andresen, 2003, S. 128,132) – zu „ihrer weiblichen Art und Berufung“ (Lütkens, 1925, S. 175). Die Richtung für die weibliche Jugendbewegung war nun deutlich vorgegeben: In den meisten Bünden der Jugendbewegung war nun die Trennung von den Mädchengruppen angesagt, sprich Geschlechtertrennung. Und das obwohl der Anteil der Mädchen und Frauen in der bürgerlichen Jugendbewegung inzwischen auf ca. ein reichliches Drittel der Gesamtzahl (ca. 9000 - 10 000)38 gestiegen war (vgl. Klönne, 1996, S. 262). Den Anfang machte der AWV im Jahre 1920, der die Mädchen in Abwesenheit ihrer Führerinnen auf ihrem Bundestag in Bad Sachsa, der deshalb auch als „Sachsa“ Vorfall bekannt wurde (vgl. Mancke/​Wolf, 1961), ausschloß. Andere folgten.39 Im Zuge dieser ideologischen Veränderungen der Bünde nahm auch der Begriffsinhalt der Kameradschaft eine Wandlung vor. In der Bündischen Zeit bezeichnete er das sachlich orientierte Miteinander in gleichgeschlechtlichen Gruppen sowie der getrennten Gruppen untereinander (vgl. Musial, 1982, S. 156, vgl. 3.2), was bis zum Ende der historischen Jugendbewegung (1933) Bestand hatte.

Danach versuchten jene Mädchengruppen weiter zu existieren. So gab es von 1920 an z. B. den Altwandervogel-Mädchenbund, daneben den Jungwandervogel-Mädchenbund, den Wandervogel-Mädchenbund, um nur einige zu nennen (vgl. Musial, 1985, S. 23 ff). Diese Situation änderte sich mit der eher liberalen Deutschen Freischar, einem Zusammenschluß der Mehrheit der Wandervogel-Jungenbünde und Pfadfinderbünde 1926/​1927, in dem Mädchengruppen offiziell wieder aufgenommen wurden bzw. dort eintraten (vgl. ebd., S. 134). Dort erfolgte jedoch bald ein Führungswechsel: Der deutschnationale Vizeadmiral a. D. von Trotha herrschte patriarchalisch über die Freischar und ihre Mädchen. Dabei bestand sein politisches Interesse, wie auch das anderer, darin, Mädchen und Frauen in der Jugendbewegung mit ihrer Mutterrolle in den Dienst des Volkes zu stellen (vgl. Andresen, 2003, S. 134 f). Ähnlich verstanden es auch die nationalen und politischen Frauengruppen – der Hagalbund e. V., Bund deutscher Mädchen und Frauen (1923), der Jungnationale Bund (vgl. 3.2), die Jungdeutsche Schwesternschaft innerhalb des Jungdeutschen Ordens und Neuland40 – als ihre Aufgabe, sich zum Dienst am Volk, der Familie, dem Beruf usw. zu verpflichten (vgl. Musial, 1985, S. 32 f).

Das Ende der Jugendbewegung sieht man im allgemeinen in der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933. Diese lösten die Bündische Jugend auf, verhängten ein Verbot über sie und ersetzten sie durch die „Hitlerjugend“ (kurz: HJ) für die Mädchen des „Bund Deutscher Mädchen“ (kurz: BDM), (Klönne, A., 1987, S. 209). Bis zu jenen Zeitpunkt (1933) umfaßte die Bündische Jugend einschließlich der Pfadfinderorganisationen rund 60 000 Jungen und 17 000 Mädchen (vgl. Fischer, 1933, S. 234).41

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