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Feuerprobe

"Und was machen wir jetzt?", fragt mein Teurer, "Umkehren?" Entgeistert sehe ich ihn an. Die ganzen 100 Meilen zurück paddeln? Und nie erfahren, was die nächsten 60 Meilen bereithalten, die uns wieder in die Nähe des Camps bringen sollen, von dem aus wir vor einer Woche aufgebrochen sind?

Die verkohlten Fichten liegen kreuz und quer ineinander verkeilt. Schwer zu sagen, ob hier mal der Pfad war, auf dem es weiter gehen sollte. Ist das die richtige Bucht? Ratlos stützen wir uns mit den Paddeln am sumpfigen Ufer ab. Zum dritten Mal vergleiche ich die Konturen der Berge mit den Höhenlinien auf der Karte und der Routenbeschreibung. Der beschriebene Landweg zum nächsten See, die Portage, kann nur über diese flache Stelle im Gelände führen. Kanu und Gepäck durch diesen Verhau von Stämmen tragen zu wollen, ist aber aussichtslos. Auch wenn wir nicht viel mehr mit haben als einen Armeerucksack mit Zeltausrüstung, einen blauen Küchenrucksack, eine wasserdichte Plane, Regenjacken und zwei Angelruten.

Bisher war auf die Notizen unseres Vorgängers Verlass. Aber der war vor dem Waldbrand letztes Jahr unterwegs gewesen. Was nun?

Mir fällt auf, dass Emil sich den ganzen Morgen noch keine Zigarette angesteckt hat. "Hab´ ich gestern Abend ins Feuer geworfen", brummt er in seinen Bart. Er wollte schon länger mit Rauchen aufhören. Mir und den Kinder zuliebe, die wir uns wünschen. Jetzt bräuchte er aber doch eine Zigarette, wenigstens eine.

Im Torfmoos zwischen den Rauschbeeren blühen seltene, Insekten fressende Blumen. Braungrün stehen sie über einer Rosette von bauchig aufgetriebenen Blattkannen. Fliegen können sich auf den glatt gewachsten Eingängen nicht halten.

"Wir könnten uns von Sioux Falls aus mit dem Wagen zurückholen lassen." Sioux Falls war die einzige Ortschaft längs unserer Route gewesen, vier Tagesetappen weit zurück. Sonst sind wir nur an Camps für Hobbyjäger und Angler vorbeigekommen, die nur per Boot oder Wasserflugzeug erreichbar sind.

Nicht, dass uns Menschen bisher gefehlt hätten. Im Gegenteil. Wir waren uns selbst genug, zumal die vielen Inselchen unterwegs darin wetteiferten, uns selige Flecken von Moos, Nadelstreu und weichem Gras zu bieten. Die weit verstreuten Blockhütten hatten wir höchstens mal angesteuert, um nach frischem Brot zu fragen und einmal hatten wir sogar Glück damit. Getränkenachschub brauchten wir bald nicht mehr. Das Seewasser war überall kristallklar. Und nach 20 Meilen Paddeln waren unsere Glieder am Abend so wohlig schwer und unsere Gemüter so leicht, dass uns alkoholische Feierabendtrunke zu unserem eigenen Erstaunen gar nicht fehlten. Und Zigaretten hatte Emil reichlich mit. Bis Gestern.

In der Vormittagssonne spannt sich ein Regenbogen über ein abziehendes Regengebiet. "Vielleicht ist woanders durchzukommen?" Noch mal studiere ich die Karte. Der namenlose See, in dem wir uns befinden, ist ein kleines Stück westlich zu Ende. Vielleicht gelingt es uns, uns zu dem Bach in dem Tal dahinter durchzuschlagen? Falls er sich befahren ließe, wäre das kein großer Umweg. Nach der Karte mündet er in den großen Hawkcliff Lake, durch den die Route führen soll. Also erstmal dem Regenbogen nach. Kommentarlos stößt Emil das Kanu ab und taucht das Paddel ins schwarze Wasser.

Das westliche Ufer ist niedrig, von grünen Büschen bewachsen. Bald findet sich ein überland gangbarer Weg, auch nicht lang und das Gelände dahinter steht einen halben Meter unter Wasser. Diese Überraschung macht es uns unerwartet leicht, uns weiter in Richtung des Hawkcliff Lake zu bewegen. Bald sehen wir ihn und erkennen den Grund der Überschwemmung. Biber haben in einer Felsenge davor einen Damm aus Holzprügeln angelegt. Unterhalb kommt der Bach zum Vorschein und plätschert zwischen Steinen weiter, zu flach für das Boot, der Uferstreifen ist aber frei, und die Strecke zum See nur noch kurz.

Beim Ausladen des Gepäcks komme ich Emil heute dauernd in die Quere, obwohl Platz genug ist. Schließlich überlasse ich ihm die Arbeit, um ihn nicht noch mehr zu reizen. Mit unserem schweren Kanu kann ich ihm sowieso nicht helfen. Es ist eines von den altmodischen, segeltuchbespannten mit hölzernem Rahmen. Um die Portagen besser bewältigen zu können, hat Emil in der Mitte des Kanus von Bordrand zu Bordrand ein Joch angebracht. Das Joch hat er aus einem Zedernholzbrett zurechtgesägt und rechts und links neben dem Kreisbogen für seinen Hals Mulden geschnitzt, in die seine Schultern passen. Umgekehrt über seinen Kopf gestülpt sieht das grün lackierte Kanu aus wie eine Erbsenschote mit Beinen.

Die verbrannten Ufer verlocken nicht zum Lagern. Der Horizont auf den Bergkämmen ist mit schwarzen Baumgerippen gespickt. Ein zum Scherenschnitt erstarrter Skelettreigen. Einzig eine kleine Insel mitten im See ist grün geblieben. Wir steuern diesen Fleck Leben für die Nacht an. Aber auch da flattert kein Vogel in den Bäumen. Kein Fisch beißt, nicht einmal ein Polartaucher ruft klagend über diesen See. Fast ist es, als wären selbst die Blätter und Nadeln auf der Insel nur eine Illusion, als wären sie der Erinnerung an das Inferno ringsum nur scheinbar entkommen.

Schweigsam koche ich Reis, öffnet Emil die letzte Dose Corned Beef, wärmen wir uns gebackene Bohnen auf. Davon sind noch mehr Dosen da, Ölsardinen und geräucherte Austern auch, Reis, Öl und Zucker sowieso. Verhungern werden wir so schnell nicht. Lustlos rollen wir uns früh nebeneinander in die Schlafsäcke, werden schon bei Sonnenaufgang von der Stille ringsum wieder wach ohne aufzustehen.

Mir geht die Treibholzwurzel durch den Sinn, die ich vorgestern gefunden habe. Emil hatte recht. Das zwei Meter lange Teil war zu sperrig, um es mitzunehmen. Auch wenn das glatt gebleichte Holz faszinierend war. Von einem kleinen Stubben gingen zwei Wurzeläste aus, die sich am Ende zu einem Knoten verschlangen. Tapfer mussten sie sich und damit den kleinen Baum, zu dem sie mal gehört hatten, einst im Felsgelände festgekrallt haben. Wenn sich nur Emils Laune wieder besserte.

Als ich mich nahe an die Wärme seines Schlafsacks schiebe und an ihn schmiege, gibt er vor noch zu schlafen. Das fehlte ihm gerade noch, eine mitleidige Seele, statt eines wirklich patenten Kumpel, der ein Päckchen Zigaretten in Reserve gehabt hätte! Was soll er mit einer Frau, die ihn ständig nur verwegene Ideen ausbaden lässt! Meine nichtsnutzig sanfte Bedrängung wird ihm zuviel. Dass dieses Weib wirklich immer erst Klartext braucht! Aufbrausend bricht alles aus ihm hervor.

Ich greife mir meine Sachen und stürme fort. So weit weg, wie ich gerne laufen würde, komme ich nicht. Dazu ist die Insel zu winzig. Wenn es nur eine Strasse gäbe. Aber dann hätte er auch Zigaretten kaufen können oder sie gar nicht erst verbrannt. Grollend trete ich einen Stein ins Wasser, was wenig hilft gegen das wirre Zeug, das mir ungebeten durch den Kopf schießt, und gegen den Klumpen auch nicht, zu dem sich mein Magen zusammenzieht. Was soll das Ganze, wenn er mich nicht will, wie ich bin? Wenn es jetzt eine Strasse gäbe, fühle ich in plötzlicher Erbitterung, würde ich weglaufen, wäre unsere Ehe am Ende, noch ehe sie richtig begonnen hat.

Was mache ich bloß? Das nächst liegende natürlich, dasselbe wie jeden Morgen. Wasser für meinen Tee und seinen Kaffee aufsetzen. Auch wenn er demonstrativ kaltes Wasser aus dem See trinkt, während ich mich mit meinem Becher Tee ans andere Ende der Insel verziehe. Einpacken, das Kanu beladen. Ob wir wollen oder nicht, wir müssen zusammen weiter. Mehr als ein Kanu ist nicht da. Das Gepäck im Boot zwischen uns wird zum Gletscher, eine Eiszeit trennt uns, während wir im Südosten des Sees nach dem Abfluss suchen, der uns weiter zum Eagle Lake und zurück in die Zivilisation bringen soll.

Der Fluss ist schnell gefunden. Er strömt zwischen fassgroßen Felsblöcken durch und knapp über kleinere hinweg, über eine Länge von einem halben Fußballfeld abwärts bis zur nächsten, seeartigen Bucht. Die steinigen Stromschnellen sind unpassierbar. Übers Bachbett sind zudem verkohlte Fichten gekippt und liegen da nun flach nebeneinander, hingeworfen wie Leitersprossen. Beiderseits des Flusses erstreckt sich ein unpassierbarer Verhau aus toten Baumstämmen.

Wortlos ziehen wir das Kanu ans Ufer. Emil kramt den Rest vom Abendessen und geräucherte Austern aus dem Küchenrucksack, teilt ohne etwas zu sagen mit mir und misst den Fluss. Ich sehe ihm an, dass Umkehren nicht in Frage kommt. Aber wie soll das gehen? Unser Händel von eben hat auf einmal keinen Platz mehr und Diskussionen auch nicht. Das hier wird wirklich ernst.

Emil schultert den Armeerucksack, packt den blauen obenauf, lässt die Angeln und alles andere flach im Boot liegen und beginnt es zum Fluss zu ziehen, ohne es umzudrehen. Ich fasse mit an. Zusammen schieben und heben wir das Kanu auf die ersten Stämme im Bachbett. Wir balancieren über trockene Steine, wo die fehlen, rutschen wir vorsichtig auf algenschleimigen Blöcken längs, suchen an den umgestürzten Fichten Halt gegen das reißende Wasser, klammern uns an Stämme, turnen darüber hinweg und darunter hindurch. Nur keinen Knöchel verstauchen! Das Kanu lässt sich so tatsächlich Elle um Elle flussabwärts bewegen.

Als wir die Bucht unterhalb erreichen, erweist sie sich als ein teichartiger Kolk, in dem das Wasser eine Pause einlegt, und hinter dem gleich die nächste Gefällestrecke beginnt. Wieder fünfzig Meter über glitschige Blöcke und umgestürzte Fichten bis zum nächsten Becken. Was mag dahinter kommen? Sicher ist nur eins. Bleiben können wir hier nicht und zurück auch nicht mehr. "Und wenn es die nächsten zehn Kilometer bis zum Eagle Lake so weiter geht?" Emil zuckt die Schulter. "Soviel Gefälle gibt es bis dahin gar nicht." Die Frage, ob unsere Kräfte reichen werden, bleibt unausgesprochen. Mechanisch placken wir uns weiter. Meter um Meter rückt das Ehegewitter vom Morgen in immer belanglosere Ferne und der zweite Kolk näher. Dahinter finden wir endlich einen Pfad, über den sich Kanu und Gepäck in gewohnter Weise über eine letzte Stufe im Gelände tragen lassen. Dahinter öffnet sich ein weites, baumlos morastiges Tal.

Nie zuvor waren wir so dankbar für ruhiges Wasser unterm Kiel, gleiten zwischen Seerosen an wildem Reis vorbei. Der Fluss verengt sich und beginnt zu mäandrieren. Vor dem Kanu taucht eine rotgeränderte Schildkröte mit gelb gestreiftem Hals in das moorige Wasser. Der Fluss passt zu seinem verwunschenen Namen, finde ich, lese ihn vor und beginne leise vor mich hin zu summen. "Piskegomang. Piskegomang." Zärtlich klingt das, und ich meine es auch so, werfe einen Blick über die Schulter, Emil lächelt seinem Sumpfhuhn zu.

Auf den Hügeln, die das Tal zu beiden Seiten begleiten, sind noch Spuren des Waldbrandes zu erkennen. Aber schon nach der nächsten Biegung nähert sich lebendiger Wald dem Fluss, der sich zu einem kleinen See weitet. Eine Insel lädt zur Mittagspause ein. Zwei ordentliche Hechte gehen an die Angel und ein kämpferischer, großmäuliger Barsch auch.

Im Abendlicht erreichen wir den ersten Ausläufer des Eagle Lake. Bald liegt unser Kanu in einem Binsenhafen, geschützt von einer vorgelagerten Felskuppe. Auf der wächst eine Espe und schäkert mit der Brise, die ihr durch die Blätter streichelt. Wir sitzen vor dem Zelteingang und wärmen uns an der Lagerfeuerglut. Im Topf sieden Krebse.

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