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Stark

"War wohl sehr beeindruckend ihre Reise?" Die Kindergärtnerin nahm mich beiseite, zeigte mir einen Packen Zeichnungen und sagte: "Ihr Sohn malt immerzu dasselbe, seit Sie wieder da sind."

Ich erkannte die Hummerschere sofort wieder. Es war die mächtige, die das Monster in Bonifacio der Welt entgegen gehalten hatte. So einen Methusalem von Hummer hatte auch ich vorher noch nie gesehen. Ich erzählte der Kindergärtnerin von dem Höhlenaquarium in dem kleinen Hafen am Südkap von Korsika. Nach der gleißenden Helle der senkrechten Kalkwände draußen übten die grün ausgeleuchteten Exponate eine besondere Anziehungskraft aus.

Dass der Hummer unserem Sohn derart imponiert hatte, war uns entgangen, anders als seine Begeisterung für die Kanone, die auf einer Terrasse an der Westküste vor sich hin rostete. Das bisher so stille und anschmiegsame Kind war bei ihrem Anblick wie ausgewechselt. Die Kanone sehen, hinstürmen und hochklettern war eins. Und schon stand der kleine Kerl oben und reckte eine Hand triumphierend zur Faust hoch, die andere geballt in die Hüfte gestemmt. Gleichzeitig machte sich in dem rotbackigen Bubengesicht ein zeitlos martialisches Siegergrinsen breit.

Da waren wir nun schon zwei Wochen unterwegs und fast um die ganze Insel gefahren. Erst an den Sandstränden der Ostküste entlang zum Südkap, dann quer durch kastanienreiche Gebirge zur wild zerklüfteten Westküste und die entlang zurück. Wir hatten Strände, Bäche und Schluchten erkundet, unter einer Genueserbrücke gezeltet, in der Nachbarschaft borstiger, halbwilder Schweine, hatten bunte Kiesel, Vogelaugenhölzer und duftenden Rosmarin gefunden und was nicht alles noch. Und unseren Jüngsten schien nur diese Kanone zu begeistern.

Andere Mütter wären stolz gewesen auf den jungen Krieger, der da zum Vorschein kam. Mich aber ließ die Siegerpose erschauern, steckten mir doch die Ängste des Rüstungswettlaufs in den Knochen. Woher kam es, dass meinem Jungen nichts wichtiger war als wehrhaft zu sein? Fühlte er sich so klein? War es ein atavistischer Drang, der ihn zu der Drohgebärde trieb? Nach unserer Rückkehr warf ich eines Abends ein paar Zeilen auf ein Blatt:

"Mein Kleiner liebt Kanonen,

wär´ so gern stärker.

Bleibt ihm Zeit zu lernen,

dass er stark genug ist?

Wenn´s die Großen nicht tun?"

Heute weiß ich, dass uns ein paar Monate danach, am 26. September 1983, nur der kühle Kopf von Oberst Petrow vor einem Atomkrieg in Europa bewahrt hat.

Damals blätterte ich weiter durch den Stapel Zeichnungen, den die Kindergärtnerin mir in die Hand drückte. "Sieht aus, als hätte er sich die dicke Zange ausgeliehen, um sich besser behaupten zu können." - "So sind Jungs", sagte die Kindergärtnerin. Mit dem Finger folgte ich der ausladenden, roten Wachskreidelinie mit der scharfen Zwicke am Ende und schloss Frieden mit der Hummerschere.

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