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2.1 Archetypische Träume von Recht und Unrecht, Untergang und Neuwerdung 2.1.1 Die Maat und die Suche nach Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit

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Die Göttin Maat vertritt in der ägyptischen Mythologie das Prinzip der Ordnung, der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Sie war ein universelles Prinzip, dem Götter und Menschen gleichermaßen, wenn auch in anderen Kategorien, unterworfen waren. Als Tochter des Sonnengottes Re symbolisierte sie dieses Ordnungsprinzip, dargestellt als eine Frau mit langen schwarzen Haaren mit einer, manchmal zwei, Straußenfedern auf dem Kopf.

Sie war Begleiterin und somit richtungsweisend für den König, der zuständig für den Gang des Kosmos und der in der archaischen Zeit Träger des Bewusstseins war. Innerhalb der Gesellschaft gab sie das moralische, ethische und gefühlvoll-verbindende Verhalten vor, welches die Gesellschaft zusammenhielt und somit Ordnung und Sicherheit gewährleistet.

War die Maat in den Anfängen der ägyptischen Geschichte zur Stabilisierung der äußeren Realität wichtig, nimmt sie in deren Verlauf den Wandel zu einer inneren Wahrheit und Wahrhaftigkeit des Einzelnen vor. Im zentralen Motiv des Totengerichtes, mit der Wägung des Herzens des Verstorbenen entschied sich, ob der Verstorbene weiterleben durfte.

Die Prüfung vor dem Totengericht, mit seinem negativen Sündenbekenntnis, bei dem der Verstorbene sich selbst von seinen Verfehlungen gegen die Maat freisprechen musste, war entscheidend. Anschließend wurde das Herz gegen die Feder der Maat gewogen. Bei den Ägyptern war das Herz das zentrale Organ für Denken, Fühlen und Handeln und somit mussten das gesprochene Wort und das Herz gleichgewichtig übereinstimmen. Den Vorsitz des Gerichtes hatte Osiris, der Gott der Wiederauferstehung und Erneuerung. Mit einer Standwaage wurde die Herzenswägung durchgeführt, mit Thot dem Gott der Schreiber und Anubis als Begleiter des Verstorbenen.

Für die Ägypter war es von existentieller Bedeutung, sich in der Konfrontation mit der Maat zu bewähren, um nachtodlich weiterleben zu können. Dies wird in einer alten Pyramideninschrift deutlich, die das Geheimnis der Zusammengehörigkeit von Tod und neuem Leben belegt: »Du schläfst damit du aufwachst –, du stirbst damit du lebst« (Clarus1979, S. 6). Das Gericht selbst spielt hier die Rolle der Instanz, mit der man sich nach bestandener Prüfung verbindet, um weiterzuleben wie die Götter.

Das Streben nach einer gerechten inneren und äußeren Ordnung und des Kreislaufs von Leben und Sterben wurde damals mit dem Konzept der Maat verwirklicht. Auch heute noch findet man in den archetypischen Träumen von Jugendlichen diesen Wunsch nach innerer und äußerer Orientierung, umso mehr, als es unsere heutige Zeit schwer macht, einen gradlinigen Weg zu finden.

Ich sitze im Auto und fahre. Vor mir rennt ein Vogelstrauß in hoher Geschwindigkeit. Er läuft zick-zack und ich sehe die gebauschten schwarzen Federn. Ganz kurz überlege ich, ob ich ihn überholen kann, lasse es dann aber. Ich träume, dass die Sonne immer von unten hochkommt, wie wenn sie einmal unter der Erde unten durch muss. Sie steht nicht von allein oben.

Im Traum des Zwölfjährigen muss das Autofahren symbolisch verstanden werden als Versuch, mit den hereindrängenden Triebimpulsen mit dem Leben autonom zurecht zu kommen. Beeindruckend ist in diesem Traum, dass er ohne Wissen das archetypische Bild der Nachtmeerfahrt der alten Ägypter beschrieben hat. Nach ihrer Vorstellung ging die Sonne in Gestalt des Chepre auf, war mittags Re, die Sonne im Zenit und wurde abends zu Atum. Dann vollzog die Sonne ihren Weg durch das Dunkel der Nacht im beständigen Kampf mit der Schlange Apophis, die sie zu verschlingen drohte, um dann am Morgen erneut aufzuerstehen.

Ich scheute mich vor einer Interpretation, zu sehr war ich von der Kongruenz des Traumes mit dem archetypischen Bild beeindruckt. In der individuellen Verstrickung der Krisenzeit der Pubertät stand ja auch vor ihm die Aufgabe, sein Ichbewusstsein zu festigen und zu einer Individualität zu formen.

Die Maat vertritt also Werte wie Struktur, Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit. Sie vermittelt als Göttin und als Symbol die Notwendigkeit ein der göttlichen Ordnung entsprechendes Leben zu führen. Dieser objektiven Gesetzlichkeit waren die Menschen, ebenso wie die Vertreter der Göttlichkeit auf Erden, Pharao und seine große Königsgemahlin unterworfen.

Maat wird entweder als Göttin mit einer Feder auf dem Haupt oder als Feder selbst dargestellt. Ihr obliegt die Aufgabe, beim Totengericht das Gegengewicht zum Herzen des Verstorbenen zu bilden. Wiegt sie in Ihrer Leichtigkeit schwerer als das Herz, darf der Tote in der Vereinigung mit Osiris weiterleben. Ist das Herz schwerer, hat der Tote nicht nach der Maat gelebt und ist damit dem ewigen Tod überantwortet. Dahinter steht der den Ägypter ein Leben lang begleitende Aufruf, mit dem Kosmos, der Außen- und der Innenwelt im Gleichgewicht zu leben. Dann kann das Herz leicht wie eine Feder sein.

Äußerlich wird dieses innere Gleichgewicht als Ausdruck der subjektiven und objektiven Wahrheit sichtbar in der Verbindung der polaren Gegensätze, im göttlichen Brüderpaar Osiris und Seth, aber auch nachfolgend in Horus, dem Sohn von Isis und Osiris, und Seth.

Wer diesen Zustand des inneren Gleichgewichtes zwischen zwei sich widerstreitenden und gleichzeitig zusammengehörigen Lebenseinstellungen immer neu als diese innere Wahrheit begreift, hat einen Zustand der Leichtigkeit des Seins erreicht. Dieser wiederum verkörpert sich in der Maat, die in ihrer Leichtigkeit und Schwere wiederum Gegensätze vereinigt, der Sinn oder Un-Sinn eines Menschenlebens symbolisch umschließen.

Im Totengericht steht der Verstorbene im Mittelpunkt. Für ihn wird sich in dieser Konfrontation herausstellen, ob er weiterleben wird oder sein Herz dem schrecklichen Untier Ammit zum ewigen Untergang vorgeworfen wird.

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