Читать книгу Magdalenes Geheimnis - Christina Auerswald - Страница 11

4 . K A P I T E L

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Als Hans satt war, legte sie ihn in die Wiege und zog sich an. Die Geräusche des erwachenden Tages drangen undeutlich von draußen herein. Karrenräder polterten über das Buckelpflaster. Spatzen tschilpten, Holzschuhe klapperten vorbei. Sie kämmte ihr Haar und band es hoch. Endlich trug sie die Kopfbedeckung einer verheirateten Frau, eine neue weiße Haube. Einmal, ein einziges Mal hätte sie gern eine für Jean getragen. Aber das war vorüber.

Auch die Hochzeitsnacht war vorüber. Sie musste jetzt ihre neue Aufgabe beginnen. Alles, was sie bei Tante Dorothea gelernt hatte, diente dem Zweck, dass sie selbst eines Tages einen Haushalt führen konnte. Zwar war es bloß ein Händlerhaushalt, aber es war besser als eine Hütte am Saaleufer, in der man morgens nicht wusste, ob es am Tage überhaupt etwas zu essen gäbe.

Magdalene trat durch das Zimmer mit dem Schreibpult in den Raum, in dem sie am Abend zuvor gesessen hatten. Bei Tageslicht war es ein heller Raum, dessen Erker Eindruck machte. Von außen sah man ihn über der Gasse thronen, wenn man den Blick nach oben wandte. Die Fenster dieses Erkers waren zweigeteilt wie das Haus. Weiße, glatt geschliffene kleine Butzenscheiben füllten die untere Hälfte der Fensterrahmen, während die obere Hälfte an allen drei Erkerseiten mit gezogenem flachem Glas gefüllt war. Der Erker verlieh der Stube einen unruhigen Charakter. Magdalene konnte nicht aufhören, über die eigenartige Komposition zu staunen. Ansonsten überwog das sparsame Bauen. Keine Verzierung, kein modischer Schnörkel fand sich an den Wänden, den Türen und Fenstern. Der Erker war überhaupt das einzige Bauteil, das nicht einem streng ökonomischen Zweck diente. Rechts des Erkers, in die belebte Gasse zwischen Pforte und Markt weisend, saß noch ein zweites Fenster, das wegen seiner Schlichtheit neben dem großen Lichtquell kaum auffiel. Der weiß gekalkte Raum war nicht größer als eine gewöhnliche Stube. Modisch waren weder der Kamin noch der dunkle Esstisch oder die schweren Stühle. Das neueste Stück mochte ein Eckschrank sein, hinter dessen Glasscheibe ein silberner Becher und zwei farbige Vasen aus durchscheinendem Material blitzten. Die beiden Armlehnstühle in der Nähe des Erkerfensters waren aus ebenso dunklem Holz wie die anderen Möbel im Raum, die Sitze gepolstert und mit braunem Leder bezogen. Hier hatten sie am Abend gesessen.

Ihr Mann kam die Treppe hinauf. Er sah sie an, wie sie mitten im Raum stand. Kein Muskel in seinem Gesicht zuckte. »Würdet Ihr so freundlich sein«, begann Magdalene zu sprechen, »und mir die Magd schicken, die bisher die Schlüsselgewalt innehatte? Ich werde jetzt meine Pflichten übernehmen.«

»Die Else ist das. Ich werde ihr sagen, dass sie heraufkommen soll.« Georg Rehnikel nickte, wandte sich zurück zur Tür und stieg die Treppe hinab. Magdalene würde sich Küche und Kammern zeigen lassen und sehen, wo ihr neues Leben anfing und wo es eines Tages enden würde. Ihre Blicke wanderten in alle Ecken, über die Fensterrahmen und hinauf zur Decke, wo die dunklen Balken auf sie hinunterschauten.

Die Magd Else trat ins Zimmer, eine große, schlanke Frau, in deren blondem Haar Silberfäden schimmerten. Sie trug ein dunkles grobes Wollkleid und eine leinene Schürze. Else mochte um die fünfzig Jahre alt sein, in Herrn Rehnikels Alter oder etwas darüber. Die Magd legte den großen Ring mit etlichen Schlüsseln auf den Tisch in Magdalenes Reichweite. Sie redete keinen Ton, doch es war aus ihren zusammengekniffenen Lippen herauszulesen, wie ungern sie es tat. Magdalene hob das Kinn. Ein feines Lächeln trat auf ihre Lippen, das erste in diesem Haus.

Sie griff nach dem eisernen Ring. Er war groß und schlicht, blank vom vielen Tragen, daran hingen etliche Schlüssel. Sie zählte: elf, zwölf, dreizehn. Dreizehn Schlüssel für Meister Rehnikels Haus.

Die Holzschuhe der Magd scharrten lustlos über die hölzernen Dielen. Von der Treppe aus, die Magdalene am letzten Abend hinaufgekommen war, führte eine weitere Tür zu einem offenen Gang, der auf der Rückseite des Hauses zum Hof lag. Von hier aus konnte man zu zwei Kammern und in das Dachgeschoss gelangen. Else zeigte auf eine Tür. Magdalene verstand erst, als Else auf die Schlüssel wies, dass sie selbst öffnen musste. Der Schlüssel drehte sich leicht, das Scharnier quietschte ein wenig, als sie die Tür aufzog.

»Das war das Krankenzimmer der verstorbenen Frau«, erklärte Else. »Sie hat im März da drin ihren letzten Atemzug getan.« Magdalene schaute in den kleinen wohnlichen Raum mit einem Bett, einer Truhe und einem dunklen Wandschrank mit geschnitzter Krone. Er war gut gelüftet, das Fenster ging zur Pforte hinaus, wo unten die Menschen vorbeiquirlten. Im Schein der Junisonne tanzten kleine goldene Pünktchen durch den Raum, von der frischen Luft aufgewirbelte Staubkörnchen. Das Schlüsselbund in Magdalenes Hand klimperte. Übermütig rüttelte sie ein wenig mehr, dass es rasselte und schepperte, und trat mit festem Schritt auf den Gang hinaus.

Die andere Tür barg den Eingang in das künftige Zimmer ihres Sohnes. Ein mit einem Baldachin überwölbtes Bett, kleiner als ein gewöhnliches, mit weichen Kissen übersät, auf den hölzernen Dielen ein Teppich, mehr befand sich nicht in dem Raum. Dennoch lag er warm und freundlich vor ihr. Man sah durch ein Fenster auf die Straße herunter, wo Wagen fuhren und Leute gingen. Mit Schwung schloss Magdalene die Tür hinter sich, dass es knallte und die Magd empört die Lippen zusammenkniff.

Eine schmale Stiege führte hinauf ins Dachgeschoss. »Die Mägdekammern«, erklärte Else vor den drei Brettertüren unter den schindelbedeckten Dachsparren.

»Habe ich hier auch einen Schlüssel?«, fragte Magdalene. Else nickte säuerlich. »Ihr seid die Hausherrin, natürlich.«

Magdalene lächelte strahlend in Elses Essigmiene hinein, rasselte mit den Schlüsseln und lobte Reinlichkeit und übersichtliche Ordnung des Haushalts. Sie stieg die Treppe hinab, ohne sich umzudrehen, und fand sich in dem offenen Gang draußen vor dem Haus, wo ein lauer Luftzug wehte. Sie drehte sich einmal um sich herum und nickte. Ohne ein weiteres Wort ging sie zur unteren Treppe, gefolgt von Else.

Unten führten vom Treppenabsatz drei Türen, eine auf den Hof, eine zum Laden und eine in die Küche. Die klinkte sie auf und ging an einer jungen Magd vorbei zuerst auf das Fenster zu, öffnete den Riegel und sah auf die Straße hinaus, auf der die Leute von der Pforte zum Markt zogen. All der Lärm, das Geschrei und Geschwätz und Gepolter und Gekreisch drangen herein. Man sah zu ihr hinauf, wie sie da im Fenster stand. Das Herdfeuer brannte, die junge Magd rührte die Suppe und auf den Borden blinkten die metallenen Platten, auf denen die Speisen aufgetragen wurden. Ein großer Spülstein in der Ecke war sauber gescheuert, hölzerne Eimer mit frischem Wasser standen bereit. Niemals, als sie da draußen am Saaleufer lebte, hätte sie sich träumen lassen, eines Tages solch eine herrliche Küche zu führen.

»Wie ist dein Name?«, fragte sie die junge Magd.

»Gertrud«, flüsterte das Mädchen und zwinkerte erschrocken. Magdalene lächelte ihr zu und wandte sich dem nächsten Raum zu, hinter der Tür auf der anderen Seite des Korridors.

Es war der Laden, das Geschäft für die Leute der Stadt, die hier ein paar Kleinigkeiten erwerben wollten. Von den Deckenbalken hingen getrocknete Pflanzen. Der kleine Raum war an zwei Wänden bis zur Decke mit Regalen eingerichtet, in denen Fläschchen, Gläser, Kisten und Körbe miteinander um Platz rangen. Auf dem Boden standen Krüge und Kiepen, jedem einzelnen Gefäß schien ein eigener Duft zu entsteigen. Magdalene tastete, als sie sich an das Dämmerlicht des Ladens gewöhnt hatte, mit ihren Blicken die Regale ab. Sie hatte solch eine Vielfalt an Gefäßen noch nie gesehen. Was war die Ordnung der Apotheke am Markt gegen die wunderliche Mischung von rätselhaften Materialien, wie Herr Rehnikel sie hier stapelte!

Hinter dem Tisch, der eine Waage trug, stand ein glatzköpfiger Mann im leinenen Kittel eines Gesellen. Er verbeugte sich leicht.

»Ich bin Magdalene Rehnikel«, erklärte sie mit einem Lächeln. Es war das erste Mal, dass sie ihren neuen Namen aussprach. »Und wer seid Ihr?«

Er eilte um den Tisch herum, der sie getrennt hatte, und klappte zusammen wie ein Scherenmesser. Unter der neuerlichen tiefen Verbeugung hervor antwortete er: »Ich bin Jakob Lichtenberg, der Geselle Eures Gatten, unseres lieben Meisters.«

Magdalene nickte und sah hinter dem Mann eine weitere offene Tür. Sie ging darauf zu, Else wie einen Schatten hinter sich. Es war ein Vorratslager. Einen Keller gab es hier nicht, das war Magdalene klar, wegen der Nähe der Saale und der häufigen Hochwasser. Was bei den Bertrams im Keller lagern konnte, war hier säuberlich in der Vorratskammer aufgestapelt: Fässer, Kisten, Tonkrüge, Stiegen. Auf einem kleinen Tisch drängten sich Flaschen und ein Kessel, an einer Wand lehnte ein Warenregal. Der Meister hatte offensichtlich von hier einen kurzen Weg und lagerte alles, was sich im Laden schnell verkaufte, in dieser Kammer. Das erklärte, warum die Vorratskammer einen Hauch von dem Duft besaß, der im Laden herrschte, jenem fremdländischen, schweren Atem der Gewürze. Die kleinen, Schießscharten ähnlichen Fenster weit oben füllten den Raum mit einem diffusen Licht. Von den dicken Mauern her wehte Kühle.

Ein einziges Mal stellte Else eine Frage. »Soll ich den Einkauf erledigen, das schwere Tragen, Fleisch und Gemüse?«

Magdalene schüttelte den Kopf. Stattdessen diktierte sie den Speisenplan für den nächsten Tag und fragte: »Wie hast du es bisher mit dem Geld gehalten?«

»Der Meister hat mir gegeben, was für den Haushalt nötig war«, gestand die Magd mit nach vorn gerecktem Kinn und dünner Stimme.

Magdalene zückte ihr Büchlein. »Von heute an, Else, wird hier alles aufgeschrieben, jeder Einkauf und jeder Verbrauch. Wir halten jeden Abend Rechnung, und wir werden gut zurechtkommen, nicht wahr?«

Elses Miene sprach Bände. Es fehlte nicht viel, und sie hätte die Zähne gefletscht.

Magdalene stieg nach oben, um nach dem Kleinen zu sehen. In ihrer Hand trug sie das Schlüsselbund. Es fühlte sich gut an, ein Schlüsselbund zu besitzen. Sie holte den friedlich schlafenden Hans aus seiner Wiege und trug ihn auf den Armen durch das Zimmer. Am Erkerfenster blieb sie stehen. Von hier konnte sie den Graseweg vom Klaustor bis hinauf Richtung Markt einsehen. Gegenüber befand sich die kleine Gastwirtschaft. Wenn sie sich dicht ans Fenster lehnte, sah sie in der anderen Richtung hinterm Tor die Saalebrücke und ein Stück vom Fluss. Die schmale, gepflasterte Straße war an diesem Markttag voller Menschen und Wagen.

Die junge Magd trat hinter ihr ein. Magdalene hörte die Türklinke quietschen und drehte sich um. Das Mädchen besaß ein blasses Gesicht und Haare von der Farbe nassen Strohs unter der strengen Haube. Sie trug auf einem Tablett eine kleine blaue Tasse, knickste und stellte das Geschirr auf den Tisch. »Ich soll Euch Kaffee bringen, Frau Meisterin«, erklärte sie schüchtern, »das hat Meister Rehnikel gesagt. Er hat ihn selbst gemacht.« Dabei betrachtete sie Magdalene aus dem Augenwinkel. Sie blieb stehen, die Hände vor dem Schoß zusammengelegt.

Offensichtlich gab sich Herr Rehnikel als weltgewandter Mann. Nicht einmal Conrad Bertram war bisher auf diese Moden gekommen. Weder wurde bei Bertrams zu Hause auf dem Tablett serviert, noch wurde geknickst und erst recht kein Kaffee getrunken.

Das Mädchen schien auf irgendetwas zu warten, aber sie war zu schüchtern, um selbst zu fragen.

»Wie alt bist du, Gertrud?«, fragte Magdalene, um die Kleine aufzumuntern.

»Dreizehn«, antwortete das Mädchen schüchtern.

»Und gefällt es dir gut hier im Haus?«

Gertrud nickte. »Die Arbeit in der Küche ist schwer, aber das macht mir nichts aus. Die Else ist ein bisschen streng«, flüsterte sie, »und der Meister und der Jakob sind wirklich gute Menschen.«

»Du musst vor mir keine Angst haben, Gertrud«, kam ihr Magdalene entgegen. »Du hast etwas auf dem Herzen, nicht wahr?«

Gertrud wurde rot und nickte. »Darf ich … darf ich das Kind sehen?«

Magdalene lächelte. Sie nahm den Hans von ihrer Schulter, an der sie ihn getragen hatte, legte ihn auf den großen Tisch und sagte: »Er muss sowieso neu gewickelt werden. Du könntest mir gleich dabei helfen.«

Gertrud begann zu strahlen. Magdalene schob die Tasse ein Stück zur Seite und zog die Nadeln heraus, mit denen Hans’ Tücher gesteckt waren. Gertrud öffnete den Mund staunend. »Er ist so klein«, flüsterte sie, »seine Finger sind winzig.« Hans streckte sich, als er die frische Luft an seinen Gliedern fühlte. Er begann die Beine zu bewegen, die sonst in den gewickelten Tüchern eng aneinander gedrückt waren, damit sie gerade wuchsen. Der Kleine öffnete die Augen. Er konnte schon sehen, wenn sich etwas vor ihm bewegte, und seit einigen Tagen hatte Magdalene stets das Gefühl, dass er ihr mit seinen Blicken folgte. Gertrud klatschte in die Hände. »Oh, er hat wunderschöne braune Augen! Genau wie der Meister Rehnikel!«

Magdalene lächelte. »Warum nicht?«

Gertrud meinte abfällig: »Die Else meint, das Kind könne nicht von Meister Rehnikel sein, weil der niemals so etwas getan hätte wie ein Mädchen irgendwo festzuhalten, um seinen Spaß an ihr zu haben.«

»So, meint sie das?« Magdalene richtete sich gerade auf.

»Ja, sie sagt, sie glaubt nicht, dass er in der Lage wäre, eine junge Frau wie Euch zu bezaubern.«

Magdalenes Stimme wurde weich, weil ihr Inneres hart geworden war. »Du kannst der Else berichten, dass der Kleine das Ebenbild meines lieben Mannes ist. Du kannst ihr außerdem sagen, dass mich der Meister nicht festhalten brauchte, weil ich freiwillig bei ihm geblieben bin, denn ich bin von ihm ganz hingerissen.«

Gertruds Augen rundeten sich vor Staunen. Sie sah zu, wie Magdalene den Kleinen putzte, ihm eine neue Windel umlegte und ihn in sein Tuch steckte. Unter einem neuen Knicks zog sie sich zurück.

Magdalene kostete von dem Kaffee, als die Magd gegangen war. Das dunkle Getränk roch merkwürdig und schmeckte bitter und verbrannt, deshalb ließ sie es auf dem Tisch stehen. Sie hob Hans auf und ging ans Fenster. Der mit den runden Butzenscheiben verglaste Streifen endete in Höhe ihrer Brust. Sie konnte ungehindert durch das schöne flache Glas sehen, in dem sich die Sonne spiegelte.

Von oben betrachtete sie das Treiben auf der Straße. Mädchen gingen lachend und kichernd vorbei. Sie gehörte nicht mehr zu denen, sie war jetzt eine verheiratete Frau. Auf den Stufen klangen Schritte. Magdalene konnte sie jetzt schon voneinander unterscheiden. Da kam Georg Rehnikel herauf, ihr Mann. Niemand sollte an der Geschichte zweifeln, die zu ihrer Heirat gehörte, ganz bestimmt nicht die Altmagd Else. Magdalene würde dafür sorgen.

Herr Rehnikel trat ins Zimmer. Auf seinem Gesicht stand nichts zu lesen, er war ernst und hielt die Lippen fest geschlossen. Es mochte sein, dass sie ihn am Abend zu hart behandelt hatte. Auf einmal tat es Magdalene leid. Sie hätte ruhig ein bisschen freundlicher zu ihm sein können.

Seine braunen Augen ruhten fest auf ihr. »Ich danke Euch für den Kaffee«, begann sie. »Ich habe noch nie in meinem Leben welchen getrunken.«

Eine Strähne seines von grauen Fäden durchzogenen Haares fiel nach vorn über die hohe Stirn. »Er scheint nicht nach Eurem Geschmack zu sein. Ihr habt ja nur genippt.« Herr Rehnikel zog die Tasse herüber und ging damit zu ihr ans Fenster. Sie nahm sie entgegen. Die Tasse war noch warm, eine Wohltat für ihre eiskalten Finger. »Er schmeckt ein bisschen bitter, nicht wahr?«, urteilte sie zaghaft. Dabei verzog sie unwillkürlich das Gesicht.

Herr Rehnikel lächelte. »Ihr findet ihn scheußlich! Mögt Ihr etwas anderes trinken?«

Magdalene schüttelte den Kopf.

»Ich würde Euch gern noch mehr zeigen. Ihr wart schon im ganzen Haus, habe ich gehört. Den Laden habt Ihr mir zu schnell durchschritten. Der Laden ist mein Ein und Alles. Er war es, mit dem ich hier angefangen habe und ich stehe heute noch so oft darin, wie ich irgend kann.«

Sie nickte vorsichtig. Sie würden an der Küche vorbeikommen. Wahrscheinlich stand Else dort und würde sie sehen. Das war gut. Magdalene brachte das Kind in seine Wiege, dann stiegen sie gemeinsam die Treppe ins Erdgeschoss hinab.

Meister Rehnikel begann noch im Gehen zu erläutern. »Es gibt so viele Spezereien, dass man, um sie alle anzubieten, einen viel größeren Laden bräuchte. Leider sind die Interessenten nicht zahlreich genug. Nicht einmal zum Würzen nutzen die Köche, was ich zu bieten habe, denn alles und jedes wird hier in Salz eingelegt. Die Anwendungsgebiete für Spezereien sind vielfältig. Die neuen Manufakturen und alle Handwerker könnten welche brauchen, ob es Weber oder Schneider, Schmiede oder Köche sind. Die meisten hier wissen nicht, was man alles machen könnte, und es ist zu wenig Geld unter den Leuten, um etwas auszuprobieren. Solange die Stadt verschuldet ist, werden die Leute nicht wohlhabend werden. Deshalb bleibt mir für den Laden bloß das gewöhnliche Geschäft, das, was die Leute und die Handwerker der Umgebung benötigen. Seht.« Er ging die letzte Stufe in den Laden hinunter und wies auf die Regale.

»Was in diesem Raum lagert, sind zu großen Teilen die Gewürze des Orients. Gewürze sind meist Samen von Pflanzen, die aus fernen Ländern stammen. Samen, Früchte, Blätter und Wurzeln sind jene Pflanzenteile, die unter den Spezereien den wichtigsten Platz einnehmen. Darüber hinaus verkaufen wir gewisse Teile und Absonderungen von Tieren sowie Mineralien und andere Dinge aus dem Schoß der Erde. Ich finde die Pflanzen am interessantesten und nützlichsten. Sie wachsen von selber nach, was bei den Mineralien strittig ist. Seht hier!« Er griff in einen kleinen Korb und holte eine Handvoll Pfeffer heraus. Die schwarzen Körner lagen ruhig in seiner Hand. Er zerrieb eins zwischen Daumen und Zeigefinger, ein beißender Geruch stieg auf. Magdalene sog ihn durch die Nase und musste niesen.

»Ich mahle ihn erst vor den Augen der Kunden. Es ist eine frischere Würze, als wenn ich das Pulver lagere, und die Leute können genau sehen, dass ich sie nicht betrüge. Es ist holländischer Pfeffer. Sie bringen ihn zu Schiff aus Malabar. Es sind schöne dicke Körner, nicht wahr?«

Er wartete ihre Antwort nicht ab, sondern holte einen anderen Korb heran. »Nägelein. Sie wachsen auf Bäumen, auf den Molukkischen Inseln, und ich kaufe sie ebenso von den Holländern wie den Pfeffer. Riecht mal«, er streckte ihr eine Handvoll hin. »Bei mir kaufen Apotheker und machen davon gut riechende Medizin. Die Nägelein sollen der Herzstärkung dienlich sein. Oder seht, das hier sind Muskaten-Nüsse, die Kerne einer Frucht, die die Holländer von der Insel Banda in Asien bringen, wo sie dreimal im Jahr geerntet werden. Die besten Nüsse sind jene, die innen rötlich marmoriert sind, außen grau. Wenn sie voll fettiger Flüssigkeit sind, ist das ein gutes Zeichen, dann sind sie frisch. Ich muss diese Dinge genau wissen, wenn ich Waren kaufe. Ich habe Fuhrwerke nach Holland laufen und war schon mehrmals in Hamburg und Amsterdam, um Spezereien zu prüfen, ehe ich sie kaufe. Muskatenöl stelle ich selbst her. Das kaufen die Apotheker, und ich stehe mit meinem Namen für seine Güte. Ihr könnt alle Apotheker in der Stadt fragen, Rehnikels Muskatenöl wird jeder loben. Es soll dick und goldgelb aussehen. Riecht an dieser Flasche: Besitzt das Öl nicht ein herrliches Aroma? Sein Geschmack ist heiß und beißend, so soll es sein.«

»Wie macht man Muskatenöl?«, fragte Magdalene.

»Das ist ganz einfach«, erklärte Herr Rehnikel. »Man zerstößt zuerst die Nüsse grob. Dann dämpft man sie in einem härenen Sieb, wohl bedeckt, und nach einer gewissen Zeit, wenn sie gut erwärmt sind, presst man sie, in ein Tuch eingedreht, zwischen zwei warmen Blechen aus. Hervor rinnt das gewünschte Öl.«

Ganz einfach! Magdalene schnaufte bei seiner Erklärung. Herr Rehnikel zog ein Säckchen von einem Stoß Körbe herunter. Er schüttete grünliche Bohnen heraus, trocken und hüllenlos, und zeigte sie ihr auf seiner Handfläche. »Das ist Kaffee. Aus diesen Körnern ist das Getränk gemacht, das ich Euch bereitet habe.«

»Muss man die Bohnen weichkochen?«, fragte sie.

»Oh nein, da könntet Ihr lange kochen und hättet doch keinen Kaffee. Man röstet sie zuerst, als Nächstes zerstößt man die gerösteten Körner, um sie mit heißem Wasser und diversen Zutaten zu einem Getränk zu verwenden. In Leipzig wird Kaffee öffentlich an Männer ausgeschenkt. Tut mir den Gefallen und urteilt nicht sofort. Ihr nährt sonst das Gerücht, Kaffee wäre den Weibsleuten nicht zuträglich und sie hätten keine Ahnung davon.«

Magdalene zog spöttisch die Nase kraus. »Wozu soll ich etwas trinken, was teuer und ungesund ist und mir nicht schmeckt?«

»Mir hat der Kaffee auch nicht gleich geschmeckt«, er lächelte. »Zuerst dachte ich, er wäre bitter und wertlos, doch meine Meinung hat sich geändert. Wartet die verschiedenen Zubereitungen ab und urteilt erst danach. Was die Gesundheit angeht, kann ich Euch beruhigen. Mit allen Spezereien sagt meine Erfahrung, dass das richtige Maß entscheidet. Man darf Neues nicht gleich verwerfen.«

»Ihr könnt Euch auf mich verlassen«, antwortete sie ruhig, »ich bin weder zimperlich noch böswillig und werde Euch nach bestem Wissen und Gewissen Auskunft über den Kaffee geben.«

Herr Rehnikel warf einen prüfenden Blick auf sie, öffnete den Mund, wie um etwas zu sagen, verzichtete dann doch darauf. Er schüttete die Kaffeekörner zurück in das Säckchen und wandte sich der nächsten Spezerei zu.

»Eine andere und ebenso teure Spezerei ist der Cacao, aus dem ich die Chocolate anfertigen kann. Ich habe noch nicht einmal ein Dutzend Portionen verkauft, es ist noch kein Gewinn damit zu machen gewesen. Wenn aber mehr Geld unter die Leute kommt, wird die Pfännerschaft dem Thalvogt nicht nachstehen wollen und so fort. Diese Bohnen hier kommen aus Nicaragua, einer fernen Provinz. Ich mahle sie und mische sie mit Zucker, Zimt und Vanille. Das kann man mit Sahne zu einem köstlichen Getränk machen; manche nehmen aus Ersparnis Milch. Oder man isst die Chocolate als einen Brei zum Nachtisch. Mancher Koch könnte herrliche Speisen daraus erfinden. Leider ist unsere Stadt nicht reich genug, um solche Blüten hervorzutreiben. Ich habe keine Illusion über die Ausdehnung dieses Geschäfts. Es macht mir einfach Freude, die Dinge zu bewahren.«

Magdalene schaute sich im Laden um und griff wahllos nach einem mit roten Zeichen bemalten Kistchen, das vor ihr stand. »Was ist das hier?« Sie öffnete das Kistchen. Darin lagen mehrere rötliche Bälle von eigenartig glasiger Konsistenz.

»Das ist Drachenblut. Ich habe es von der Insel Porto Santo bezogen, über einen Händler in Frankreich, der es mir in Frankfurt übergeben hat. Es wird aus Bäumen gewonnen, deren Stämme man anritzt und das heraus fließende Gummi auffängt. Es ist wirklich nur von dem Baum Rha und hat nichts mit Blut zu tun als die Farbe. Ich verkaufe es an Färber und Glasmaler und sie versichern mir, es sei die beste rote Farbe, die man bekommen kann. Man braucht wenig davon, deshalb mache ich keinen großen Gewinn damit. Es versetzt mich einfach mit Stolz, eine kleine Menge davon aufzubewahren.« Er ging im Laden umher und zeigte auf das Regal, dem sie die Kiste mit dem Drachenblut entnommen hatte. »Es ist alles geordnet. Dort sind auch alle anderen Gumme, die ich außer dem Drachenblut handele. Ihr findet dort Arabischen Gummi, Englischen Gummi, Gummi von Senega, Tragant, Gummi Lacca, Terpentin, Barras und Theer. Das Englische Gummi zum Beispiel verkaufe ich an den Haarschneider des Thalvogts, der es für dessen Frau benutzt. Sie hat die Löckchen links und rechts der rosigen Wangen dem englischen Gummi zu verdanken.«

Magdalene war neugierig. »Was ist Tragant?«

»Tragant sind diese kleinen Stücklein«, er öffnete eine Dose, »wie Würmer gekrümmt. Hier habe ich schwarzen Tragant, der kommt von der Staude Bocksdorn, die in Syrien wächst. Ich verkaufe ihn an zwei Kürschner in Leipzig.«

Magdalene griff in eine andere Schachtel und zog ein Stöckchen von der Länge und Dicke eines Fingers hervor. Es war rundherum rötlich, hart und durchscheinend; Herr Rehnikel nahm es ihr aus der Hand und hielt es gegen das Licht. »Ein eigenartiger Stoff, nicht wahr?« Sie nickte pflichtschuldig. »Er stammt aus Persien, nennt sich Gummi Lacca, und ich habe sagen hören, dass es Insekten wie unsere Fliegen sind, die ihren Dreck auf kleine Stöckchen, in die Erde geschoben, machen. Gewaschen, getrocknet, ist es das, was wir hier sehen. Ob die Geschichte wahr ist, kann ich nicht sagen. Ich handle damit an Maler und Siegelwachsmacher und sende einiges nach Anhalt und Polen. Und dies hier ist Terpentin«, er hielt eine dunkelbraune Glasflasche hoch, »die Buchdrucker brauchen es zu Farbe. Ich verkaufe auch Schmieden davon. Darauf müsst Ihr achtgeben, denn es kann ein schlimmes Feuer machen. Ich habe einmal Öl daraus destilliert, dabei ist mir ein Gefäß zerbrochen; es wäre mir schlecht bekommen, hätte nicht mein Geselle schnell seinen Mantel auf die Flammen geworfen.« Es war eine der Geschichten, derentwegen ihm die Leute misstrauten. Er lächelte in arglosem Stolz.

Magdalene stand in der Mitte des Raumes und sah sich um. Von dem farbigen Glasfenster in der Tür her drang ein Lichtschein in das Stübchen. Ein Stübchen, mehr war es nicht, aber es wohnte ein Zauber darin wie von den Märchen, die Anna ihr an lange vergangenen Abenden erzählt hatte, an denen sie zwischen leisem Murmeln von Riesen und Geistern, Helden und schönen Mädchen in den Schlaf dämmerte. Es war das Licht, diese kaum erkennbaren roten und gelben Streifen von der Tür her, die wie ein Fächer in alle Richtungen flossen, in die Regale hinein, über den Tisch, zwischen die Körbe und oben auf die Kisten. Sie griffen nach dem Reichtum dieser Kammer, nach den Gläschen, an denen sie vorüberblitzten, schlängelten sich durch das Flechtwerk der Körbe und rieben sich am Metall der Kisten. Als Patriarch thronte über allem der schwere, würzige Geruch, der, je nachdem, welchem Regal sie sich näherte, eine andere Färbung annahm. Ihr schwindelte vor Verlangen, das Öle und Harze, Kräuter und Körner in ihr erweckten. Es war der Duft von Indien, von Zypern, Amerika, Frankreich und tausend kleinen Inseln, vom Meer und fremdartigen Bäumen, und sie schwebte einen Augenblick wie ein Vogel über einem grünen Hain, aus dem Rha-Bäume zu ihr hinaufwinkten und die Wipfel vor ihr beugten. Eine entrückte, selige Freude grub sich in ihre Mundwinkel und machte ihre Hände weich. Herr Rehnikel sprach weiter von Seifenbaum und Weinstein, Brunellen, Zitronöl, Safran und Zimt. Zauberhafte Wörter glitten über Magdalenes Zunge, als sie ihm nachsprach: Indigo, Magalep, Jalappe. Sie strich mit sanften Händen über die Kannen und Kästen und jedes Material schien, wie sie mit den Fingern darüber fuhr, Wärme und Duft in sie zu leiten. Eine wohlige Gelassenheit ging über sie hin. Als sie sich langsam im Kreis drehte, sprach das Kämmerchen zu ihr: Magdalene, he, Magdalene!, als wäre sie schon tausendmal hier gewesen.

Auf der Treppe hinauf in das große Zimmer mit dem Erkerfenster redete Herr Rehnikel weiter. Magdalene hatte längst aufgegeben, zustimmend zu nicken. Sie sah aus dem Augenwinkel, wie die alte und die junge Magd ihnen nachschauten. Magdalene genoss den Gedanken mit Freude, dass Else jetzt ins Zweifeln gekommen sein mochte. Georg Rehnikel geleitete seine Frau in den Stuhl vorm Fenster und brachte ihr ungefragt einen gemischten Wein. Er redete vom Geschäft, wie er die Waren manchmal erst nach monatelanger Korrespondenz bekam und was er tat, wenn sie verdorben ankamen.

Magdalene erinnerte sich daran, dass sie ihm die gezwungene Ehe mit Bitternis vergelten wollte. Sie wusste nicht mehr genau, warum. Sie wusste nur, dass sie zornig gewesen war.

»Ihr werdet es gut haben bei mir. Glaubt mir, Magdalene, es soll Euch an nichts fehlen. Ich kann Euch mehr bieten als Ihr bei den Bertrams je gesehen habt.«

Magdalene atmete tief ein. Jetzt musste sie heraus mit der Sprache, ehe der Mut sie noch verließ. »Ich verstehe nicht, warum Ihr diesen Handel eingegangen seid. Welche Kröte muss ich schlucken?« Ihre Stimme hatte vor Aufregung einen schneidenden Ton bekommen, sie war rot wie ein Herbstapfel. Herr Rehnikel sah sie von der Seite an. Das Lächeln verschwand wie ein Schatten aus seinem Gesicht. In seine Züge trat die Aufmerksamkeit, mit der er das Mädchen schon bei der Verlobung betrachtet hatte. Er schwieg ein Weilchen.

Als sie schon dachte, er hätte nichts dazu zu sagen, begann er gegen das Fenster gerichtet zu sprechen: »Ihr seid verletzt, dass man Euch zu unserer Ehe nicht befragt hat, nicht wahr?«

Im Zimmer war es nicht kalt, dennoch fröstelte Magdalene. Sie rieb die Hände an den Armen, ehe sie antwortete. »Wir sollten ehrlich miteinander sein, wenn wir ein gemeinsames Leben führen wollen. Ich möchte im Bilde sein, warum Ihr ausgerechnet mich geheiratet habt, denn Ihr musstet dafür viel opfern, und zwar zumindest Euren Ruf. Ihr habt Euch freiwillig als Bösewicht hinstellen lassen müssen. Das tut man, wenn man eine Menge dafür erwartet. Welchen Gewinn erhofft Ihr Euch durch die Heirat mit mir?«

Magdalene sah, wie Herr Rehnikel schluckte. In seinem Gesicht arbeitete es, doch der Zornesausbruch, den sie befürchtet hatte, blieb aus. Herr Rehnikel atmete hörbar durch die Nase ein. Seine vor wenigen Minuten noch sanft lächelnden Augen blickten groß und ernst. »Warum glaubt Ihr, dass alles nur ein Handel ist?«

Magdalene war heiß. Auf ihrer Stirn sammelten sich kleine Schweißtröpfchen, die an den Schläfen herabzurinnen drohten. »Was soll es sonst sein?« Magdalene spürte die Sonne in ihrem Gesicht. Der Schein blendete, dass sie die Augen schließen musste. Sie wartete, dass Herr Rehnikel etwas tat. Aber er tat nichts. Er war ein schlauer Kerl, das hatte sie schon bemerkt. Schließlich war sie diejenige, die zu fragen begonnen hatte.

Herr Rehnikel schwieg. Er saß in dem dunklen Stuhl wie hineingegossen, die Arme auf die Lehnen gepresst und mit seinem Leibesumfang den Sitz füllend. Hinter seinen geschlossenen Lippen bewegte sich der Kiefer, die Augen wanderten den Erker hinauf und hinab, ringsherum, als sähe er das Fenster zum ersten Mal. Endlich sah er seine Frau an. »Ist unsere Verbindung nicht das Beste, was uns beiden zustoßen konnte?«

Das war nichts weiter als Überredungskunst. Das zu glauben, fehlten Magdalene die Gründe. Sie blieb still und schüttelte den Kopf.

»Lasst Euch Zeit, Magdalene. Ihr werdet es mit ruhiger Überlegung so sehen wie ich.«

Der Wein hatte sie benommen gemacht. Sie lehnte schwach in ihrem Stuhl und presste bitter die Lippen aufeinander.

»Was glaubt Ihr denn, könnte ich dafür fordern, dass ich Euren Sohn für meinen erkläre und meinen Ruf vor Euren stelle, um Euch zu schützen?« Herr Rehnikel fragte mit einem gespannten Blick, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er hörte nicht auf, Fragen mit Fragen zu beantworten.

Magdalene legte die Hand auf ihren Hals, an die Stelle in der Mitte, wo der Brustkorb eine Kerbe hat, rund wie ein Medaillon, und spürte an ihrer Fingerspitze den Puls. Sie kannte das. Es beruhigte. Sie konnte jetzt ohne Zittern in ihrer Stimme sprechen. »Auf jeden Fall Demut, und dass ich den Mund halte.«

Herr Rehnikel lächelte. In seinen Augenwinkeln erschienen Falten. »So? Da hätte ich mir eine andere aussuchen müssen. Demut gehört nicht zu den Eigenschaften, die Euer Onkel an Euch preist. Im Kirchenbuch ist im Übrigen schon vor drei Wochen eingetragen worden, was seit der Taufe des Kleinen dank der vorausschauenden Weisheit Eures Onkel frei geblieben war: der Vaterseintrag. Der lautet jetzt auf meinen Namen.«

»Warum? Warum damals schon? Da war ich gerade erst zurückgekommen!« Magdalene versuchte ihre Frage in dem gleichen ruhigen Ton zu stellen, den er benutzt hatte, doch es gelang ihr nicht. Die Aufregung färbte ihre Stimme hell.

»Schreibt es von mir aus dem Charakter eines Händlers zu.« Er lächelte. »Ein Händler muss eine geschlossene Muschel kaufen, wenn er eine Perle sucht. Wir geben damit unserer Kirche, was sie für die Ordnung in unserem Leben braucht.«

Magdalene konnte nicht dermaßen verächtlich schauen, wie ihr zumute war. »Gott können wir nicht betrügen, Herr Rehnikel. Ihr und ich wissen genau, dass Ihr mich noch nie berührt habt. Ich bin nicht die Jungfrau Maria, dass ich von einem Blick schwanger geworden wäre.«

Herr Rehnikel atmete tief ein. »Es sind die Leute, die dieses Spiel brauchen, nicht Gott. Ihr werdet bei mir kein schlechtes Leben führen und Euer Sohn wird Bürger dieser Stadt sein können. Ist diese Heirat nicht ein Akt der Mutterliebe gewesen?«

Magdalene winkte müde ab. »Einen guten Handel für die Kirche, für mich und den Hans und für Euch selbst, das könnt nur Ihr Euch ausgedacht haben, als wahrer Krämer. Seid Ihr denn nie auf den Gedanken gekommen, dass mich schon einer berührt hat und dass ich den im Stich gelassen habe? Wer sagt Euch denn, dass ich nicht dasselbe mit Euch tun werde?«

Ob sie Herrn Rehnikel getroffen hatte, konnte sie nicht sehen. Jedenfalls hörte er auf, sie auf das künftige schöne Leben hinzuweisen. Er stand auf und ging ins Nebenzimmer. Als er wiederkam, trug er ein Buch in der Hand. Es war eine Bibel mit braunem Ledereinband und dicker geprägter Schrift auf dem Deckel. Wegen des besseren Lichts ging er ans Fenster, hielt die Bibel in der Linken und blätterte mit der Rechten. Er war bei Matthäus, suchte offensichtlich eine bestimmte Stelle. Er hob das Buch näher an die Augen und zitierte. »Habt Ihr nicht gelesen, dass der, welcher sie schuf, sie von Anfang an als Mann und Frau schuf und sprach: darum wird ein Mensch Vater und Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und es werden die zwei ein Fleisch sein, dass sie nicht mehr zwei sind, sondern ein Fleisch? Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.«

Magdalene konnte sich nicht beherrschen, es entfuhr ihr ein heftiges Nicken. Ihre Fäuste waren geballt, sie atmete dreimal tief. Das war ein wunderbares Mittel, das hatte ihr Bruder ihr beigebracht für die Situationen, wo der Onkel sie nicht weinen sehen sollte. Es funktionierte. »Das ist es doch! Wenn ich also von dem fortgegangen bin, dem ich Treue geschworen habe, habe ich gesündigt!« Sie sprach mit einer schönen klaren Stimme, als wäre das, was sie beschrieb, nicht schlimm.

»Gesündigt?« Herr Rehnikel ließ seine Augen wachsen, sie wurden immer größer. »Dass Ihr das Kind nicht vom Heiligen Geist empfangen habt, kann ich mir schon denken. Es gibt Gründe, nicht wahr? Dafür, dass Ihr nicht zu diesem Mann geht und dafür, dass dieser Mann nicht zu Euch kommt, wer das auch sein mag.« Georg Rehnikel kam vom Fenster zurück und ließ sich in seinen Stuhl fallen. Das Holz knarrte. »Ihr habt die Situation gewiss nicht selbst geschaffen. Ich habe Euch gesehen, als Ihr wiederkamt. So, wie Ihr aussaht, Magdalene, hattet Ihr keine Wahl, als Euch und Euer Kind zu retten. Ihr tragt keine Schuld.«

Magdalene antwortete nicht. Sein Wort stand in diesem Zimmer, es schwang von einer Wand zur anderen. Keine Schuld. Sie musste noch einmal tief einatmen. Herr Rehnikel sah sie besorgt an, als wäre sie krank. Er stand auf und öffnete das Fenster. Frische, tagwarme Luft wehte herein.

»Kehren wir zurück zur Frage, wer von dieser Heirat welchen Vorteil hat«, setzte Herr Rehnikel die Unterhaltung fort. »Ich gebe zu, die Heirat hat durchaus ihre Vorteile für mich. Doch Ihr sollt auch den Euren haben. Nennt mir Eure Bedingungen.«

Er sah sie von oben her an, in seine Mundwinkel setzten sich Falten. Stille schwappte herein. Magdalene ließ eine Zeit verstreichen, in der sie an ihrem Becher nippte, auf die Gefahr hin, dass es ihr den Verstand weiter vernebelte. Ihr Mut wuchs mit der Menge des getrunkenen Weines.

Herr Rehnikel ging im Zimmer umher. Magdalene überlegte, ob das seine Art war, eine starke Aufregung zu verbergen. Er ging hinüber in den anderen Raum. Von hinten sah sie den Schweiß in seinem Nacken glänzen. Der Weinkrug, den er brachte, war neu gefüllt; sie merkte beim ersten Kosten, dass die Mischung dieses Mal stärker geraten war. »Also, was sind Eure Vorstellungen?« Er nötigte seine Frau regelrecht, ihm Forderungen zu stellen.

»Volle Freiheit in finanziellen Dingen: eine feste Summe für den Haushalt. Was übrig bleibt, ist mein. Ich will meine freien Stunden nicht überwacht haben. Zu wem ich gehe und was ich tue, darüber bin ich Euch keine Rechenschaft schuldig. Das ist ebenso meine Sache wie die Art und Weise, wie ich meinen Glauben erfülle. Und wenn ich Hilfe brauche für Dinge, die ich als Frau nicht allein tun kann, will ich nicht zu Begründungen gezwungen sein.«

Er lächelte, auf eine gewisse Weise erleichtert. »Dass ich im Gegenzug absolute Loyalität verlangen muss, ist Euch sicher klar. Es ist wichtig für mich, dass Ihr mich vor den Leuten nicht zum Hanswurst macht.«

Darauf nickte sie. »Das ist noch nicht alles.« Ihre Worte verlangsamten sich. Das war der Wein. »Das Eheleben im Bett, das darf nicht gegen meinen Willen geschehen. Wenn ich Nein sage, lasst mich in Frieden und fasst mich nicht an.« Jetzt sah sie es deutlich. Er war aufgeregt, sehr aufgeregt, auch wenn es den Anschein hatte, als bliebe er ruhig sitzen.

Seine Augenlider flatterten. »Ihr seid meine Frau und tut alles, was einer Ehefrau ansteht. Ihr werdet in meinem Schlafzimmer schlafen und an meiner Seite leben.« Er schaute sie gerade an.

»Ja, ich werde bei Euch schlafen. Euer Ruf bleibt heil.« Magdalene verzog den Mund spöttisch. »Schließlich habt Ihr bereits einen prächtigen Sohn gezeugt.«

Er spielte mit seinem Becher, drehte ihn in der Hand, kippte ihn, bis das erste Tröpfchen über den Rand floss. Ganz unedel leckte er es von seinem Finger und hob den Kopf. »Schließen wir einen vollständigen Handel. Wenn wir einmal mit der Ehrlichkeit begonnen haben, will ich wissen, wo Ihr in all den Monaten wart, in denen Euch kein Mensch in Halle gesehen hat. Von wem habt Ihr den Hans empfangen? Und warum ist dieser Mensch nicht gekommen, um nach Euch zu sehen?«

Magdalene schaute ihn eine Weile an und nickte. »Eines Tages werde ich es Euch erzählen. Es ist ein Geheimnis. Das wisst Ihr.«

Sein rundes Gesicht glänzte. Er hielt ihrem Blick stand. Kein Zwinkern. Kein Lächeln. Wenn es der Preis dafür war, dass sie mit ihm in Frieden leben konnte, wollte sie ihm ein paar Brocken von der Wahrheit hinwerfen. Sollte er sehen, was er damit anfing. Er reichte Magdalene die Hand. Es war ein Vertrag, den sie schlossen. Magdalene wusste nicht recht, ob es ein Sieg für sie war.

Magdalenes Geheimnis

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