Читать книгу Und keiner hat’s gemerkt - Christina Conradin - Страница 7

Einen Tag zuvor

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Nur, weil am letzten Tag vor den Ferien Schulschluss generell früher ist, gibt es heute kein Hitzefrei. Die Schweißdrüsen der Lehrer wie auch der Schüler haben sichtlich viel zu tun. Jeder sitzt stinkend und ausdünstend und wartet nur auf den letzten Gong. Sogleich schieben sich alle durch die engen Türen, während schweißbedeckte Arme und Oberteile sich aneinander reiben. Jeder will nur noch raus!

Im Bus ist es nicht anders. Armer Papa, denke ich mir nur. Er hat genau an diesem Tag die Buslinie mit dem viel zu kleinen und deshalb immer total überfüllten Schulbus zum Bahnhof.

Endlich zu Hause angekommen, interessieren sich alle Anwesenden zuerst einmal für das Jahreszeugnis.

„Ich finde es okay. Kunst und Deutsch sind super, die restlichen Fächer passen.“ „Na, dann gehen wir doch gleich mal zur Feier des Tages ins Molise!“, freut sich Mama.

Bald darauf erreichen wir unseren Stammitaliener. Spendabel bestellt Mama zunächst Antipasti. Ein Ölberg türmt sich schon bald vor uns auf. „Probier halt, Klara!“, fordern mich Oma und Mama immer wieder auf. Nach dem fünften Mal nehme ich mir ein Stück triefende Zucchini. Bevor ich sie verzehrt habe, weiß ich: Jetzt ist es schon wieder zu spät! Heute kann ich es nicht mehr schaffen. Das Rad in meinem Kopf dreht sich unaufhörlich, bis ich alles wieder losgeworden bin. Nun kommt also der Hauptgang. Ich bestellte mir zuvor eine Tomatensuppe ohne Sahne. Nun ist es aber schon egal, sodass ich das Baguette dazu esse und am besten noch einen weiteren Gang nehme, damit sich das Ganze auch irgendwie lohnt. Überglücklich bestellt Mama deshalb ein Eis für uns alle. In meinem Kopf dreht sich nun alles nur noch um Nahrungsaufnahme und Nahrungsbeschaffung. Je mehr, desto besser. Aber immer möglichst unauffällig. Trinken darf ich dabei nicht vergessen, es muss ja alles schön locker gehalten werden.

Als wir wieder zu Hause sind, mache ich mich sofort über die Reste vom gestrigen Essen her, im Stehen, ganz nebenbei. Ein Glas Milch und Säfte unterstützen mein nun unausweichliches Vorhaben. Zielorientiert verschwinde ich nach kurzer Zeit in meinem Zimmer, um dort noch die letzten Vorräte zu plündern. Kekse und Bonbons, die ich vor mir selber versteckt habe, finden sich immer noch irgendwo.

Meine Bauchdecke beginnt sich erheblich zu spannen. Jetzt muss es schnell gehen, denn zu verstecken ist es nun schwer. Nachdem ich die reine Luft überprüft habe, verschließe ich die Klotüre und ziehe den Vorhang zu. Mist, ich habe vergessen, die Musik aufzudrehen! Stattdessen lasse ich den Wasserhahn laufen. Finger waschen, reinstecken, hin- und her bewegen. Mein Körper bebt. Immer wieder schiebt sich etwas in die falsche Richtung. Es stinkt. Zuerst kommen die Brote, dann die öligen Gemüsestücke, danach Klumpen von Schokolade und glitschige Gummibärchen. Irgendwann tut`s nur noch weh. Meine Hand und das Klo sind über und über voll mit meinem Mageninhalt. Dabei kommen immer und immer wieder die Gedanken auf von Kindern, die verhungern, und von allen, die ich damit ein Stück weit belüge, alle, die mich gern haben. Es dauert keine zwei Minuten, schon bin ich vieles wieder los. Mein Herzschlag beruhigt sich. Alles lief störungsfrei ab, keine Klingel, kein Rufen, kein Klopfen an der Türe. Möglichst schnell beseitige ich sämtliche Spuren. Das habe ich mittlerweile perfektioniert: Hände, Mund und Gesicht mit Zahnpasta spülen, gegen den Geruch. Den Kloring und -rand abwaschen und schnell das Fenster auf, wobei mein Deo seinen Teil dazu beiträgt.

Dann kommt der Blick in den Spiegel. Traurige, rot unterlaufene und enttäuschte Augen blicken mich an, als wären es nicht meine. „Heute habe ich es wieder nicht geschafft! Kurze Zeit später besucht mich Felix in meinem Zimmer. Er legt sich zu mir ins Bett. Stillschweigend lauschen wir der Musik. Ich genieße es im Moment, nicht alleine und doch keinen ertappenden Fragen ausgesetzt zu sein.

Morgen schaffe ich es! Ganz bestimmt! Morgen bin ich stark!

Und keiner hat’s gemerkt

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