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Was ist Psychomotorik?
Der Begriff Psychomotorik findet sich heutzutage in zahlreichen pädagogischen, sportwissenschaftlichen, medizinischen und auch psychologischen Fachbüchern wieder. Das Begriffsverständnis weicht dabei zum Teil stark voneinander ab und umfasst eine große inhaltliche Spannbreite. Diese Begriffsvielfalt ist nach Krus „Ausdruck einer sich ständig weiterentwickelnden Konzeptionsbreite aber auch -verschiedenheit“ (2004, 15).
Im Folgenden wird zunächst die Spannbreite der Begrifflichkeiten beispielhaft aufgezeigt, ehe später in Kapitel 3 weitere theoretische Grundlagen veranschaulicht werden.
Definition „Psychomotorik“
Die (begriffliche) Geschichte der Psychomotorik lässt sich bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückverfolgen. Im deutschsprachigen Raum war es Charlotte Pfeffer (s. auch Kap. 2), die diesen Begriff erstmals nutzte (Pfeffer 1941, 1958). Sie verstand unter Psychomotorik einerseits eine „äußerst wichtige sowohl psychologisch als auch physiologisch zu erfassende Lebensäusserung des Kindes“ und andererseits eine grundlegende erzieherische und → heilpädagogische Maßnahme, bei der „die Bewegung an den Anfang aller Erziehung“ gestellt wurde (1958 / 1941, 3). Ernst J. Kiphard – Vater der deutschen Psychomotorik – übernahm dann den Begriff „Psychomotorik“ in seine Überlegungen (Irmischer 1989); später entstanden, zum Teil aus berufspolitischen Gründen, weitere neue Begrifflichkeiten wie z.B. → Motopädagogik oder → Mototherapie (Kiphard 1989; Zimmer 1999; www.motopaedie-verband.de, 20.10.2008). Diese Begriffe haben sich jedoch nie durchsetzen können. 10Vielmehr findet der Begriff Psychomotorik gerade auch durch seinen verbindlichen Gebrauch im europäischen Raum zunehmend wieder stärkere Verwendung.
Merksatz
Bis heute fehlt jedoch eine einheitliche Definition dessen, was unter dem Begriff „Psychomotorik“ allgemeingültig zu verstehen ist.
Diese uneinheitliche Vorstellung in Bezug auf das Verständnis von Psychomotorik hat sicherlich damit zu tun, dass Psychomotorik seit jeher mit unterschiedlichen Arbeitsfeldern und Berufsgruppen verbunden ist, sodass zahlreiche Facetten in die Begriffs- und Theoriebildung einfließen.
Sinnvoll ist hier zunächst eine Unterscheidung, wie sie Seewald (1997, 272) vorgenommen hat. Er stellte unterschiedliche Bedeutungen des Begriffs Psychomotorik fest und formulierte dementsprechend ein Glossar, welches vier übergeordnete Unterschiede herausstellt:
1. Psychomotorik als Konzept der Entwicklungsförderung: Hier steht Psychomotorik als Eigenname oder als Begriff für ein bestimmtes (Förder-) Konzept, d.h. jemand „macht“ auf eine bestimmte Art und Weise Psychomotorik und ein anderer „erhält“ Psychomotorik. Was speziell das Ziel einer psychomotorischen Förderung ist, hängt von dem zugrunde liegenden Konzept ab (siehe dazu Kapitel 4). Beispielhaft können als Förderziele → motorische Fähigkeiten (u. a. Gleichgewicht) oder → emotionale Fähigkeiten (u. a. Selbstbewusstsein) genannt werden. Derartige Förderkonzepte können für Menschen eines bestimmten Alters (z.B. Jugendliche, ältere Menschen) oder mit speziellen Erscheinungsbildern (z. B. Aufmerksamkeitsstörung) angeboten werden.
2. Psychomotorik als Begriff, der die Einheit von motorischen und psychischen Prozessen bezeichnet: Psychomotorik wird in diesem Zusammenhang als Begriff verstanden, der die Verknüpfung von seelischen und körperlichen Prozessen zum Ausdruck bringt.
3. Psychomotorik als Begriff der (Sport-)Motorikforschung: Hier ist Psychomotorik als Oberbegriff für Theorien zu verstehen, die sich mit der → psychisch gesteuerten → Motorik befassen. Es geht dabei um eine „Rekonstruktion des Zusammenhangs von inneren unsichtbaren Prozessen … mit äußeren sichtbaren Bewegungen“ (Seewald 1997, 272).
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4. Psychomotorik als entwicklungsorientierter Begriff: Psychomotorik bezeichnet hier eine Phase der kindlichen Entwicklung, wobei die Entwicklung in vier Phasen von der → Neuromotorik, zur → Sensomotorik, über die Psychomotorik hin zur → Soziomotorik verläuft (Kiphard 1980).
Schon anhand des Glossars nach Seewald wird deutlich, dass die vielfältige Verwendung des Begriffs Psychomotorik zu Missverständnissen führen kann. Insbesondere, wenn sich verschiedene Fachpersonen über „Psychomotorik“ unterhalten und dabei unklar ist, welches jeweilige Begriffsverständnis zugrunde liegt. Innerhalb dieser vier Auffassungen bzw. Zugangsweisen gibt es wiederum zahlreiche enge und weite Definitionen, die das Verständnis zunächst oft erschweren. An dieser Stelle seien exemplarisch jeweils zwei Definitionen für Psychomotorik als Konzept und Psychomotorik als Begriff genannt, da diese in der Praxis am gebräuchlichsten sind.
Definition
Psychomotorik als Konzept
Definition 1: „Psychomotorik kennzeichnet eine ganzheitlich-humanistische, entwicklungs- und kindgemäße Art der Bewegungserziehung“ (Kiphard 1989).
Definition 2: Unter Psychomotorik können „eine Reihe von verschiedenen pädagogisch-therapeutischen Methoden [verstanden werden], die alle von der Möglichkeit ausgehen, motorische, kognitive, soziale und schulische Lernprozesse und therapeutische Zielsetzungen bei Kindern durch eine (systematische) Beeinflussung der Bewegung / Motorik zu fördern“ (Eggert/Lütje-Klose 2005).
Psychomotorik als Konzeptbegriff benennt demnach die Ziele und ein Vorgehen der Förderung für eine ausgewählte → Klientel.
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Definition
Psychomotorik als Allgemein-Begriff
Definition 1: „… mit dem Begriff Psychomotorik wird die enge wechselseitige Verknüpfung von psychischen Vorgängen mit motorischen Phänomen betont“ (Hünnekens / Kiphard 1960).
Definition 2: Der Begriff „psychomotorisch“ kennzeichnet „die funktionelle Einheit psychischer und motorischer Vorgänge, die enge Verknüpfung des Körperlich-motorischen mit dem Geistig-seelischen“ (Zimmer 1999, 22).
Der Begriff Psychomotorik betont hier also eine wechselseitige Abhängigkeit von der seelischen Befindlichkeit und der → motorischen Fähigkeit. So kann eine eingeschränkte → motorische Leistung möglicherweise auf einen negativen seelischen Zustand zurückgeführt werden.
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