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Kapitel 4

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Astor lachte. „Du kannst die Augen jetzt wieder öffnen.“ Nun standen wir in einem richtigen Wald. Die Pflanzenvielfalt hier war erstaunlich, da wohl auch einige tropische oder gar längst ausgestorbene Arten dabei waren.

„Wo sind wir hier?“, wollte ich wissen.

„Das hier ist Emmerald, eine mystisch-magische Welt. - Und die Bäume sind die Portale dorthin. Hier lebe ich. Was diese Welt mit der deinen gemeinsam hat? - Es gibt dort exakt genau so viele Bäume und wenn ein Baum in deiner Welt gefällt wird oder stirbt, verschwindet er auch in Emmerald. Jeder Baum hier hat nämlich eine Verbindung mit einem bestimmten Baum in deiner Welt, so führt das Portal eines Baumes auch immer zum selben Ort hinaus und wenn es den Baum nicht mehr gibt, ist auch das Portal für immer ausgelöscht... Aber man muss gut aufpassen, da die Bäume in deiner Welt nicht so angeordnet sind, wie die in Emmerald und du darum durch den nebenstehenden Baum ganz woanders landen könntest“, erklärte er mir.

Ich wunderte mich. „Portale? - Ich dachte immer, die gibt’s nur im Märchen. Und das hier ist also eine andere Welt? Gibt es denn noch mehr Welten?“, stammelte ich.

„Kann sein. Ich weiß es auch nicht. Sonst sind die Hortenser für Menschen nicht sichtbar. Warum sollten es dann Bewohner einer anderen Welt für uns sein?“, überlegte er laut.

„Hortenser?“, fragte ich nach.

„Ja, Hortenser, so nennen wir uns hier in Emmerald, so wie ihr euch als Menschen bezeichnet. Wir lassen uns aber in zwölf verschiedene Rassen aufteilen: Zwerge, Gnome, Trolle, Kobolde, Feen, Waldelfen, Waldgeister, Wassergeister, Felswandler, Irrnächtler, Dämonen und Lichtgestalten. Ich bin übrigens ein Waldelf“, erklärte mir Astor.

„12 Rassen... Und was, wenn zwei verschiedene Rassen miteinander Kinder haben? Vermischen sie sich dann nicht? Oder ist das hier verboten? Gibt es denn keinen Streit unter verschiedenen Rassen, welches die beste ist? Ich meine, unter den Menschen war das einst so“, überlegte ich laut.

„Bei Menschen gibt es verschiedene Rassen? – Also für mich sehen die alle gleich aus... bis auf die Dunkelhäutigen vielleicht... Ja, auch bei uns gibt es Streit. Aber das hält sich in Grenzen. Bestimmte Rassen vertragen sich und andere auch wieder nicht so gut. Aber Hortenser können ihre Rassen nicht vermischen. Kinder werden als Junge zur Rasse des Vaters und als Mädchen zur Rasse der Mutter“, erklärte er mir.

„Aber wenn ihr eure eigene Welt habt, was macht ihr dann in unserer?“, wollte ich wissen.

„Du musst wissen, nicht jeder Hortenser bleibt freiwillig länger als bis zum nächsten Portal in eurer Welt, da sie für sehr schlecht gehalten wird. Jedoch sterben durch die Menschen so viele Bäume. Wir Hortenser benötigen nämlich weitaus mehr frische Atemluft als ihr, die uns von den Bäumen gespendet wird. Wenn also niemand etwas unternähme, würden wir sterben. So hat sich eine kleine Gruppe zusammengeschlossen um Emmerald zu helfen, indem sie in eurer Welt wieder Bäume pflanzt, da man in Emmerald Portale weder schaffen, noch zerstören kann. Wir können in eurer Welt aber auch nur Bäume pflanzen, was anderes geht nicht. Dein Buch, zum Beispiel, könnte ich nicht hochheben, denn es wäre für mich, als würde es mit dem Erdboden verankert sein. Etwa so, als müsste ich einen Stein mit den bloßen Händen in zwei Hälften teilen“, erzählte er mir.

„Interessant...“, fand ich. Nun verstand ich endlich, warum er aus dem Nichts in meinem Garten aufgetaucht war, auch wenn mir die ganze Geschichte noch immer unglaublich vorkam. Nur eines war mir noch unklar: Warum konnte gerade ich ihn sehen?

„Tja... jetzt bist du hier... Und was jetzt?“, fragte er sich nach einem kurzen Moment des Schweigens. „Versuch doch mal selbst durch einen Baum zu gehen!“, schlug er mir vor.

Also legte ich meine Hand auf die Rinde eines Baumes, schloss die Augen, vertraute darauf, durch sie hindurchgehen zu können und konzentrierte mich, doch nichts geschah. Der Baum blieb stur.

„Du bist ein Mensch, eindeutig, denn sonst könntest du problemlos das Portal öffnen“, stellte er fest. „Doch warum kannst du mich dann sehen? Ich hab’s! Probieren wir doch mal aus, ob du auch meine Freunde sehen kannst... Komm mit!“

Er ging voran, ich hinter ihm. Plötzlich musterte er kritisch einen Baum, ging auf ihn zu und zwickte ihn mit den Fingern an einem dünnen Zweig. „Aua!“, schrie der Baum plötzlich auf.

Astor lachte. „Auf deine Versteckspielchen falle ich schon lange nicht mehr herein, Waldo! Darf ich vorstellen? – Das ist Lillian. Lillian, das ist Waldo, ein Waldgeist.“

Vor meinen Augen verwandelte sich der Baum nun in eine menschenähnliche Gestalt mit türkis schimmernder Haut und kräftig blauen Haaren. Dieser Hortenser war leicht durchsichtig und schwebte ein Stückchen über dem Boden. Außerdem trug er ein ledernes Armband mit einem kleinen, ovalen, matt-silberfarbenen Anhänger mit grober Oberfläche daran, in dem ein Eichenblatt eingeritzt war. Er war aus dem gleichen Material wie Astors.

„Freut mich, Lillian“, sprach er zu mir. „Aber ich kann gar nicht erkennen, was du für eine Rasse bist.“

„Halt dich fest, Waldo!“, wurde Astor plötzlich ungeduldig. „Sie ist ein Mensch!“

„Ein Mensch?!“, rief Waldo. „Hier, in Emmerald?! Aber das ist unmöglich! Menschen können uns doch nicht sehen und außerdem können sie nicht durch die Portale.“

„Aber sie kann es!“, unterbrach ihn Astor aufgeregt. „Die Portale kann sie jedoch nur mit meiner Hilfe betreten.“

„Das müssen wir sofort dem Mondmann melden!“, fand Waldo. „Vielleicht können das ab jetzt alle Menschen und wir sind in Gefahr!“

Noch bevor Astor etwas darauf sagen konnte, kam jemand aus dem Baum neben uns. Die Gestalt war groß und unheimlich, darum trat ich erschrocken einen Schritt zurück. Sie hatte rote Augen mit tiefen Augenringen, langes, dünnes, kohlschwarzes Haar und ihre Haut war aschefarben.

„Drako, du warst doch gerade in der Menschenwelt. Kann man dich dort etwa auch sehen?!“, plapperte Waldo aufgeregt los.

„So ein Quatsch! Jeder weiß doch, dass Menschen Hortenser nicht sehen können“, meinte der Hortenser, den er Drako genannt hatte.

„Aber sie kann es!“, wies ihn Waldo darauf hin.

„Ein Mensch... hier in Emmerald... du willst mich wohl auf den Arm nehmen, Waldo! Sie muss ein Hortenser sein. Es gibt bestimmt eine Erklärung für ihr menschenähnliches Aussehen...“, grübelte Drako mit rauer, dunkler Stimme.

„Nein, Drako, du verstehst nicht, sie ist ein Mensch!“, versuchte ihn Waldo zu überzeugen. „Und aus irgendeinem Grund kann sie uns sehen. Das Portal konnte sie jedoch nur durch Astors Hilfe betreten.“

„Wie?! Du hast sie hierher gebracht, Astor?! Du Narr! Man sollte dich verfluchen!“, brüllte ihn Drako an, doch Astor schreckte nicht vor ihm zurück.

„Immerhin musste ich testen, was sie sonst noch Außergewöhnliches kann“, verteidigte sich dieser.

„Sie muss auf der Stelle zum Mondmann gebracht werden!“, entschied Drako.

„Nein, Drako, bring sie nicht zum Mondmann! So wie ich ihn kenne, würde er sie nie wieder in ihre Welt zurückkehren lassen!“, erinnerte ihn Astor, worauf ich erschrak.

Doch Drako blieb stur. „Es wird gemacht, was ich sage!“

„Nicht solange ich es aufhalten kann!“, wandte Astor ein und stellte sich vor mich.

Drako lachte nur. „Willst du dich etwa gegen mich, deinen Anführer, stellen, Astor?“

Plötzlich kamen aus jedem seiner Finger lange, metallene Krallen heraus. Ich schreckte zurück. Schnell drehte sich Astor zu mir um, packte mich, hob mich vom Boden hoch und lief mit mir davon, durch den nächsten Baum. Nun waren wir in einer chinesischen Gartenanlage gelandet, was mich ins Staunen brachte und Astor lief mit mir an den vielen Menschen dort vorbei, die uns wohl nicht sehen konnten, anscheinend noch nicht einmal mich. Ob das wohl daran lag, dass Astor mich berührte? Immerhin konnte ich auch nur mit ihm durch die Baumportale reisen. Gleich darauf kam uns Drako wutentbrannt hinterher. Auch er wurde von den Leuten nicht gesehen. Dann stürzte sich Astor in den nächstbesten Baum, durch den wir wieder nach Emmerald kamen. Von dort aus wieder durch einen Baum in die Menschenwelt. Wir durchquerten ein paar Wälder, durch die wir Drako wohl abgehängt hatten, doch Astor hörte nicht auf zu laufen. Allem Anschein nach wollte er auf Nummer sicher gehen. Plötzlich kamen wir auf einer winzigen, einsamen Insel, mitten im Meer heraus, auf der nur eine einzige Palme stand, also musste Astor wieder kehrt machen und sich einen besseren Baum aussuchen. Als wir noch durch ein paar weitere Wälder gereist waren, wusste ich schließlich nicht mehr, ob wir nun in der Menschenwelt oder in Emmerald waren und auch Astor schien sich nicht sicher zu sein. Er setzte mich wieder am Boden ab.

„Warte hier“, befahl er mir. „Ich werde sehen, ob die Luft rein ist und dann bringe ich dich zurück. Ich muss dazu nur den Baum wiederfinden, aus dem du gekommen bist und dazu muss ich wiederum einen Ort finden, den ich kenne. Rühr dich ja nicht vom Fleck!“

„Bitte geh nicht!“, rief ich ihm ängstlich hinterher, doch er war schon im nächsten Baum verschwunden. Also setzte ich mich auf den Boden und lehnte mich mit dem Rücken an den nächsten Baumstamm.

Pinienträne

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