Читать книгу Das Geheimnis des Gutsherrn - Christina Tempest - Страница 6

3. Dezember

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Als Cecilie am nächsten Tag die Allee herunter fuhr, hatte sie einen Kloß im Hals, obwohl das Gut im leichten Schneefall lag, der am Morgen begonnen hatte, noch schöner aussah als am Tag zuvor. Nach der merkwürdigen Begegnung mit dem Gutsbesitzer, der wie ein völlig anderer Mensch wirkte als der passionierte Mann, den sie am Abend zuvor getroffen hatte, hatte Karen ihr gesimst und gefragt: Hallooooo?! Ich kanns nicht mehr abwarten. Wer ist dein mysteriöser Mann? Seht ihr euch wieder? Das erste Mal, dass du mit jemandem am ersten Abend ins Bett hüpfst – er muss was ganz Besonderes sein! :-) Mit einem Seufzer hatte Cecilie geantwortet: Nope, daraus wird auf keinen Fall mehr werden. Aber was wir hatten, war gut. Eine Sekunde, nachdem sie auf „senden“ geklickt hatte, klingelte das Telefon. Sie ging nicht ran, obwohl sie gerade die SMS abgeschickt hatte und Karen daher wusste, dass sie das Handy in der Hand hatte. Sie hatte in diesem Moment keine Kraft, alles zu erklären. Noch eine Sekunde später kam die nächste SMS von Karen: No worries. Jetzt bist du wieder in Gang. Ich werde dich einem tollen Mann vorstellen. David ist perfekt für dich. Ok? Cecilie hatte aus dem Fenster auf die Winterlandschaft geschaut, die plötzlich karg und tot wirkte. Warum nicht? Ok, klingt gut.

Kurz darauf hatte sie die erste Nachricht von diesem David bekommen, den Karen für ein „perfektes Match“ hielt, und sie hatten tatsächlich den Großteil des Abends Nachrichten hin und her geschickt. Er wirkte nett und aufgeweckt und sie hatte ja gesagt, mit ihm Essen zu gehen. Wie wärs mit heute Abend?

Geht leider nicht, ich muss noch eine Nacht hier oben bleiben. Ansonsten gerne! Bald bin ich zurück in Kopenhagen… :-)

David wirkte nett, ganz klar. Aber reichte das aus, um ihre Gedanken abzulenken?

Cecilie spürte ihr Herz in der Brust schlagen, als sie in die Einfahrt zum Gut Hvidfeldt und ihrem Treffen mit dem mysteriösen Jacob Hvidfeldt einbog. Er wartete im Hof.

„Schön, dich zu sehen“, sagte er mit einer Miene, die etwas ganz anderes sagte. Beim Wiedersehen kribbelte es ihrem Bauch. Sie sah in ihm immer noch den Mann, auf dem sie an jenem Abend gesessen hatte. Aber sie hatten ja auch ein Spiel gespielt, bei dem sie sich beide für jemand anderen ausgegeben hatten, also war dies hier vielleicht einfach nur der, der er eigentlich war? Wortkarg, reserviert, kalt.

„Danke gleichfalls“, antwortete Cecilie und versuchte sich an einem kleinen Lächeln, aber sie spürte, wie ihre Lippen versteiften und das Lächeln ihre Augen nie erreichte.

„Sollen wir loslegen?“

Sie schielte zu ihm herüber, traf seinen Blick und schaute schnell wieder weg.

„Verdammt“, brach er geplagt aus.

Dann breitete er die Arme aus und sie schmiss sich geradezu hinein und presste sich an ihn.

„Entschuldige“, murmelte er in ihr Haar, während er sie fest an sich drückte.

„Ich weiß nicht, was ich tue. Es ist nicht deine Schuld.“

Allzu überrumpelt, um irgendetwas zu sagen, blieb Cecilie einfach stehen und genoss das Gefühl seiner starken Arme um sich. Sie erwiderte die Umarmung nicht – dafür war sie immer noch zu beleidigt – aber sie genoss sie. Endlich blickte sie auf und schaute stumm in seine Augen, während tausend ungesagte Worte zwischen ihnen hin- und herflogen, aber bevor irgendetwas davon über ihre Lippen kommen konnte, machte sie einen Schritt zurück. Diesmal war das Lächeln auf ihren Lippen echt.

„Vielleicht sollten wir zuerst das Geschäftliche abhaken?“

Sie musste sich beinahe zwingen, die Worte auszusprechen, denn viel lieber wollte sie einfach nur in seinen Armen bleiben. Er sah ihr lange in die Augen, als ob es ihm schwerfiele, sich loszureißen. Dann zeigte er auf ein Offroad-Motorrad, das halb versteckt in dem Stall stand, wo sie ihn gestern getroffen hatte.

„Wir nehmen das da“, sagte er.

„Okay.“

Cecilie schluckte. Sowohl aufgrund der Aussicht, auf so einem Ding im Wald herum zu fahren, als auch bei dem Gedanken, hinter ihm zu sitzen und sich an ihm festzuklammern.

„Ich konnte in den Unterlagen sehen, um welches Gebiet es sich handelt“, sagte er.

„Dahin brauchen wir eine Viertelstunde. Setz dich!“

Er schwang das Bein über die Maschine und rollte auf den Hof hinaus. Cecilie schloss die Stalltür hinter ihnen. Danach gab es nichts mehr zum Hinauszögern. Mit wackligen Beinen ging sie die wenigen Schritte zu ihm herüber, zog den Helm, den er ihr reichte, über den Kopf, und schwang sich hinter ihm auf den Sitz. Die Fahrt war berauschend und das war auch das Gefühl seines Körpers in ihren Armen. Über ihnen streckten sich die nackten Zweige über den Weg, als ob sie einander erreichen wollten, und darüber hing der Himmel grau und ungestört. Viel zu schnell waren sie an ihrem Ziel. Sie stiegen ab und Jacob hielt ihr die Pforte zu dem eingezäunten Gebiet auf, das, wie sie aus den Unterlagen wusste, circa 300 Hektar groß war.

Als sie durch die Pforte ging, blieb er stehen, anstatt einen Schritt zur Seite zu machen, sodass sie sehr nah an ihm vorbei gehen musste. Sie schaute auf und fand den Blickkontakt. Die Spannung zwischen ihnen hatte sie sich auf jeden Fall nicht nur eingebildet und es schien, als sei die Flirtstimmung jetzt wieder da. Aber nach seinem Verhalten von gestern war Cecilie zurückhaltend. Sie war nicht daran interessiert, sich Hals über Kopf in etwas zu stürzen, was sie hinterher vielleicht bereuen würde. Und im Moment war sie sowieso beruflich hier.

„Es war nicht meine Absicht, deine Zeit zu vergeuden“, sagte Jacob.

„Was?“

Wieder begann ihr Herz zu klopfen.

„Ja, also das mit dem Projekt“, erklärte er.

„Wie meinst du das?“

Cecilie war klar, dass seine Nähe sie stärker beeinflusste, als sie kontrollieren konnte, aber was ihre Arbeit anging, beabsichtigte sie, genau so professionell zu sein, als hätte er niemals nackt in ihrem Bett gelegen.

„Ja, wie du sehen kannst, ist die Umzäunung hoffnungslos mangelhaft, falls darin Bisons gehalten werden sollten.“

Er zeigte auf den Zaun, der tatsächlich ziemlich klein war. Cecilie runzelte die Stirn.

„Es sind genau solche Sachen wie eine passende Umzäunung, bei der die Stiftung finanziell helfen kann“, sagte sie. „Und dasselbe gilt für den Transport der Tiere. Wir können sogar dabei helfen, in dem Gebiet Wege anzulegen.“

„Tja, aber dieses Gebiet ist auf jeden Fall für Rehe angepasst, also kann von etwas anderem leider keine Rede sein.“

Es klang, als täte es ihm leid, ihr dies mitzuteilen. Aber es klang auch, als sei sein Beschluss endgültig.

„Rehe?“

Cecilie konnte ihren skeptischen Tonfall nicht verbergen.

„Wenn das mit Jagd zu tun hat, gibt es jede Menge Waldgebiete mit Rehen hier in der Gegend.“

„Es war immer so geplant, dass dieses Gebiet für Rehe genutzt wird.“

„Aber du hast die Bewerbung deines Försters gelesen?“

Cecilie merkte, dass sie dabei war, sich auf sehr dünnes Eis zu begeben. Das Gebiet gehörte trotz allem ihm und er musste selbst bestimmten dürfen, wofür es genutzt werden sollte. Aber noch konnte sie nicht aufgeben.

„Dieses Gebiet ist bestens angelegt und würde mit großer Wahrscheinlichkeit eine bedeutende finanzielle Förderung der EU erhalten, aufgrund der Bestimmungen zu Naturschutz und Artenvielfalt, und wenn die Stiftung darüber hinaus den Start fördert, dann…“ sie hielt inne. Bei jedem ihrer Worte verschloss sich sein Gesicht mehr und mehr.

„Wolltest du noch etwas sehen?“, sagte er nur.

Die Rückfahrt glich der Hinfahrt, aber die Magie war verschwunden. Als sie den Hof erreichten, stieg sie ab und gab ihm den Helm zurück. Sie standen voreinander und die Luft war schwer vor unausgesprochener Worte.

„Ich habe verstanden, dass Mads Larsen die Mittel ohne dein Wissen beantragt hat. Ist das richtig?“

Sie konnte ebenso gut den Stier bei den Hörnern packen.

„Und du bist an dem Projekt nicht interessiert?“

„Wie gesagt, das Gebiet ist bereits für etwas anderes bestimmt“, sagte er. „Das ist immer der Plan gewesen.“

Ja, ein dummer Plan, dachte sie, aber antwortete stattdessen: „Willst du die Bewerbung zurückziehen? Ich muss vorwarnen, dass das äußerst seltsam aussehen wird für den Vorstand, der Ende des Monats meine Beurteilung erwartet.“

Jacob sah aus, als würde er über die Sache nachdenken, aber Cecilie wusste schon, dass sie ihn am Haken hatte. Die dänischen Gutshöfe waren nicht gerade Goldgruben und er konnte es sich nicht leisten, einen schlechten Eindruck auf eine der größten Stiftungen des Landes zu machen, die eine Menge Projekte dänischer Grundbesitzer förderte.

„Nein“, sagte er und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das trotz des Helmes, den er gerade aufgehabt hatte, perfekt widerspenstig und ungestüm aussah.

„Dann werde ich wohl einfach deine Beurteilung abwarten.“

Ja, dachte Cecilie. Und du kannst damit rechnen, dass ich das Projekt empfehlen werden. Ihre Chefin hatte es bereits sehr deutlich gemacht, dass sie ein Projekt brauchten, das sie am Ende dieses Monats empfehlen konnten, und abgesehen von dem bizarren Verhalten des Gutsbesitzers sah sie keinen Grund, dieses Projekt nicht zu empfehlen.

„Die bekommst du morgen.“

Sie blieb stehen, unsicher, ob sie gehen sollte oder ob sie sich mehr zu sagen hatten. Eigentlich hatte sie das Gefühl, dass sie, je mehr sie sagten, immer mehr von der schönen Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht zerstörten.

„Normalerweise würde ich zurück nach Kopenhagen fahren, die Bewerbung dort begutachten und dir dann per Anruf Bescheid geben, aber aufgrund der etwas besonderen Umstände werde ich dir den Bescheid schon morgen geben.“

Und dir hunderte gute Argumente für das Projekt liefern, zu denen du nicht nein sagen kannst, dachte sie. Das würde sie bis morgen schon hinbekommen. Wenn sie ihn überzeugen konnte, konnte sie genau mit der Nachricht nach Hause fahren, die ihre Chefin hören wollte. Und sie würde Jacob wiedersehen, flüsterte eine kleine, verräterische Stimme in ihrem Ohr.

„Ich… Warte.“

Gerade als sie gehen wollte, begann er zu sprechen.

„Ja?“

„Es ist kompliziert“, begann er. „Du sollst nur wissen, dass es nichts mit dir zu tun hat oder damit… was zwischen uns passiert ist.“

„Okay.“

„Der Naturfotograf hat dir bestimmt besser gefallen als ich!“

Er lächelte entschuldigend und seine Gesichtszüge wurden milder. Plötzlich war er wieder der Mann, der Cecilie auf die Knie gebracht, aber bei dem sie sich gleichzeitig geborgen gefühlt hatte.

Sie konnte nicht anders, als zurück zu lächeln.

„Der Naturfotograf wirkte auf jeden Fall unkomplizierter.“

„Ja“, antwortete Jacob.

Er sah aus, als würde er sie wieder in seine Arme ziehen wollen, aber warum tat er es dann nicht? Er war es, der die Verzauberung mit seinem unbegreiflichen Verhalten gebrochen hatte. Der Ball lag bei ihm.

„Vielleicht wäre es leichter, wenn du wieder mit ihm auf ein Date gehen würdest.“

„Zu so einem Date würde ich nicht nein sagen.“

Cecilie wandte sich um, bevor sie so etwas Unbedachtes tun würde, wie sich ihm in die Arme zu werfen, und eilte über den Hof zu ihrem Auto. Sie zwang sich, sich nicht nach ihm umzudrehen. Jetzt lag der Ball wirklich bei ihm.

Um 19.30 Uhr klingelte das Telefon in Cecilies Zimmer. Ihr Herz machte einen Hüpfer. Sie versuchte, ihre Gedanken im Zaum zu halten, damit sie ihr nicht völlig außer Kontrolle gerieten, aber sie konnte nicht ausblenden, dass sie Kondome gekauft hatte, die jetzt in der Nachttischschublade lagen, und dass sie ihre Beine rasiert und sich hübsche Unterwäsche angezogen hatte.

„Hier unten steht ein Mann, der Sie zum Abendessen einladen will“, sagte die Empfangsdame, als sie den Hörer abgehoben hatte.

„Sagen Sie ihm, dass ich gleich runter komme“, antwortete Cecilie.

Sie schaute ein letztes Mal in den Spiegel, bevor sie das Zimmer verließ. Naturfotograf oder nicht, sie würde wohl heute im Laufe des Abends eine Erklärung bekommen. Sie hatte den ganzen Nachmittag damit zugebracht, die Bewerbung zu prüfen, und alle Parameter stimmten perfekt. Sie konnte ganz einfach nichts anderes tun, als dem Vorstand zu empfehlen, dieses Projekt zu fördern. Und sie war sich sicher, dass sie auch Jacob überzeugen konnte, wenn sie ihm erklärte, dass die Rehe leicht in einem anderen Gebiet seiner Besitztümer Platz finden würden. Jetzt wollte sie den ganzen Abend dazu nutzen, ihn davon zu überzeugen und alle seine Einwände auszulöschen. Und danach hatte sie noch ganz andere Pläne mit ihm…

„Ja?“, sagte Cecilie angespannt zu der Empfangsdame, die gerade auf einen großen, dunkelhaarigen Mann gezeigt hatte, der dastand und einen Flyer über die Sehenswürdigkeiten der Region las. Die Empfangsdame hob die Augenbrauen und zeigte wieder auf den Mann. Er sah auf und legte schnell den Flyer weg.

„Cecilie?“

Er lächelte nervös.

„Ich bin‘s, David.“

„David?“

Sie spürte, wie all ihre gute Laune und ihre bebende Erwartung in einem schwarzen Loch verschwanden.

„Entschuldige, ich hoffe wirklich nicht…“

Er sah völlig unglücklich aus.

„Ich wollte dich mit einem Abendessen überraschen. Du hast ja geschrieben, dass du, wenn du in Kopenhagen gewesen wärst, so gern… Oh, ich bin überhaupt nicht gut in so was hier. Ich bin nicht der impulsive Typ.“

„Oh, ja klar.“

Cecilie nahm sich zusammen und lächelte ihn an. Er war groß und dunkelhaarig und hatte ein freundliches, offenes Gesicht.

„Was für eine herrliche Überraschung.“

„Dann willst du mit mir zu Abend essen?“, fragte er und lächelte vorsichtig.

„Weil, ansonsten musst du einfach nein sagen. Mir ist bewusst, dass das hier etwas aufdringlich ist. In dem Fall können wir einfach einen anderen Tag abmachen, wenn du zurück in Kopenhagen bist oder so.“

„Nein, nein“, sagte sie schnell. „Es passt perfekt.“

„Na dann…“

Er hielt ihr den Arm hin, damit sie sich unterhaken konnte, und sie betraten das Restaurant des Gasthofes.

„Ich habe im Internet gesehen, dass es nicht so eine große Auswahl gibt, also muss es dieses hier sein.“

Während sie sich setzten, versuchte Cecilie, alle Gedanken an einen gewissen Gutsbesitzer/Naturfotografen abzuschütteln. Hoch konzentriert las sie die Speisekarte und hörte zu, was David alles erzählte. Der Abend war fortgeschritten. Wenn Jacob Benjamin Hvidfeldt daran interessiert gewesen wäre, sie zu treffen und ihr sein merkwürdiges Verhalten zu erklären, hätte er schon vor langem angerufen. Als David auf dem Klo war, schaute sie diskret auf ihr Handy. Keine Nachrichten, keine entgangenen Anrufe. Das war genau der Grund, warum sie für diese Art spontaner Abenteuer nicht taugte: Sie konnte nicht mit einem Mann schlafen und ihn dann am nächsten Tag vergessen. Ein unkomplizierter Typ wie David, der interessant war und Single und bereit für eine Beziehung, war viel eher etwas für sie.

Immerhin würde sie Jacob morgen treffen, wenn sie vorbeifuhr, um ihm ihre Beurteilung des Projekts mitzuteilen. Dann würde sich zeigen, ob er ihr eine Erklärung geben würde. Und ansonsten musste sie das Ganze einfach als freche, kleine, ungezwungene Affäre abstempeln und alles, was mit ihm zu tun hatte, vergessen.

Das Geheimnis des Gutsherrn

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