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Die Wette

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Der nächste Tag war Sonntag und Ruhetag. Es war noch nicht einmal sechs Uhr, als sich ein Schlüssel im Schloss drehte und die Tür zu Beates und Walters Zimmer leise aufging. Beate hatte einen leichten Schlaf und war ruckartig wach. Außerdem sagte ihr sechster Sinn, dass sie nicht allein im Zimmer waren. In der Dämmerung der herabgelassenen Rollos folgten ihre Augen einer Gestalt, die lautlos und nur schemenhaft sichtbar hereinschlich. Beate unterdrückte einen Schrei und zog sich die Bettdecke bis über den Kopf. Walter schnarchte und hörte durch die wächsernen Ohrenstöpsel nichts.

Die Gestalt näherte sich ihrem Bett und Beate hielt den Atem an, während eines ihrer Augen unter der Decke hervorlugte. War das ein Hoteldieb? Oder gar ein Überfall? Siedend heiß fielen ihr die beiden Morde ein. Sollte sie nach Hilfe schreien?

Die Gestalt trat auf das Nachtkästchen zu, das zwischen ihren beiden Einzelbetten stand, und war nun keinen Meter von ihr entfernt. Eine ausgestreckte Hand schien zu schweben, tastete sich schlafwandlerisch durch die Dämmerung und fand zwei Tassen, während die andere Hand leise plätschernd Flüssigkeit hineingoss. Genauso geräuschlos wie der Spuk gekommen war, verschwand er auch wieder.

Beates Herz klopfte ihr bis zum Hals. Zitternd tastete sie nach der Nachttischlampe und drehte das Licht an. In den Tassen schimmerte eine Flüssigkeit, gelb und warm wie frischer Urin.

Sie sprang aus dem Bett. »Walter!«, raunte sie. »Wach auf!«

Walter knurrte im Schlaf. »Was ist los?« Schlaftrunken kratzte er sich das Wachs aus den Ohren.

»Jemand war im Zimmer!«, flüsterte sie.

»Wer?«

»Das weiß ich doch nicht! Er hat etwas in unsere Tassen gefüllt.«

Walter setzte sich im Bett auf. »Zeig mal her!« Seine Stimme war belegt und er gähnte herzhaft.

Sie reichte ihm eine Tasse und Walter schnüffelte. »Das ist irgendein Kräutertee«, spekulierte er. »Riecht nach eingeschlafenen Füßen. Wahrscheinlich ein Guten-Morgen-Tee. Die quälen uns selbst in der Nacht noch mit ihrem Gesundheitswahn.«

Beate begann sich zu beruhigen. »Wieso sagen die uns nicht, wenn sich jemand um diese Uhrzeit in unsere Zimmer schleicht? Stell dir vor, ich sitz gerade auf dem Klo!«

Walter grinste. »Und ich stelle mir gerade vor, wie zwei Gäste bei etwas Unzüchtigem erwischt werden.«

»Kann uns wenigstens nicht passieren«, erwiderte Beate patzig und dachte an die leidenschaftlichen Umarmungen längst vergangener Tage.

»Na, du musst dich beschweren! Wer hat denn immer Migräne, wenn mir mal wuschig zumute ist?«

Beate schoss ihm einen aggressiven Blick zu. Schon den Ausdruck wuschig fand sie abtörnend. Er gab ihr das Gefühl, mit einem senilen Greis oder einem pubertierenden Teenager im Bett zu liegen. Das war Babysprache, nicht die Sprache eines gestandenen Mannsbildes. Aber sicherlich waren Walters Hormone sowieso längst eingeschlafen. Wahrscheinlich verspürte er weder nach ihr noch nach einem anderen Weib fleischliches Verlangen. Er war ein asexuelles Wesen geworden, ein Neutrum, er hatte zwei Kinder gezeugt und seine Pflicht getan …

»… zum Frühstück gibt«, sagte Walter.

Beates Kopf schwenkte zu ihrem Mann hinüber, der trotz der Hitze in seinem blau-weiß gestreiften Pyjama schlief. »Was hast du gesagt?«

»Ich sagte, ich bin gespannt, was es in dieser Anstalt zum Frühstück gibt. Ein wenig komme ich mir wie in einem Internat vor.«

»Trink deinen Tee und dann lass uns schwimmen gehen«, schlug Beate vor und nahm einen Probeschluck aus ihrer Tasse. Der Tee floss angenehm warm durch ihre Kehle und schmeckte nach nichts. »Gar nicht so übel«, spornte sie ihren Mann an.

Walter blickte skeptisch in die uringelbe Flüssigkeit.

»Es ist sicher nichts, das dir schadet. Trink aus, denn Frühstück gibt es erst gegen halb acht. Und zieh dir schon mal die Badehose an, vielleicht sind wir ja die Ersten am Pool.«

Walter schwang die Beine aus dem Bett und gähnte noch einmal laut und ungeniert. »Vorher schau ich bei Opa rein. Vielleicht kommt Tommy mit uns schwimmen.«

Beate warf ihm aus dem Schrank eine rote Badehose zu. Nach dem Zähneputzen stieg sie in ihren schwarzen Badeanzug. Bikini trug sie längst keinen mehr. Man musste nicht alle Welt mit der Figur einer Frau in mittleren Jahren erschrecken, die mitten in der Menopause steckte und zwei Schwangerschaften hinter sich hatte. Wenn jedoch der Aufenthalt im Hotel hielt, was er versprach, wollte sie sich zu Hause nach fast zehnjähriger Abstinenz wieder einen Bikini kaufen.

Beate traf noch vor Walter am Panoramapool ein und genoss die herrliche Fernsicht auf die schneebedeckten Bergkuppen im verblassenden Morgendunst und das weite grüne Tal, über das die letzten Dunstfetzen waberten. Mit einem Haargummi band sie sich ihr immer noch dichtes schulterlanges Haar hoch und ließ sich voll Genuss ins Thermenwasser gleiten. Sie schätzte es auf fünfunddreißig Grad und es dampfte in der kühlen Morgenluft.

Als sie eben entspannen wollte, weil sie sich vollkommen allein wähnte, stieg neben ihr wie Meeresgott Poseidon persönlich ein prustender Oberkörper aus dem Wasser und spuckte ihr einen warmen Strahl ins Gesicht.

»Puh!« Beate wandte sie sich angeekelt ab und strampelte in Richtung Beckenrand.

»Oh, Verzeihung!« Der braun gebrannte Oberkörper gehörte dem Mann aus der Teebar. Er grinste sie mit seinem Haifischblick unverschämt gut gelaunt an. »Ich dachte, ich wäre allein im Pool«, entschuldigte er sich.

»Das dachte ich auch!«, antwortete sie spitz. »Aber es ist ja nichts weiter passiert.« Sie registrierte, dass der Mann nicht nur schön gebräunt war, sondern einen ausgeprägt muskulösen Oberkörper besaß, den man unter dem flauschigen Bademantel gar nicht vermutet hätte. Gestern hatte er einen eher schmächtigen Eindruck auf sie gemacht. Wahrscheinlich war er einer von jenen Typen, die täglich zwei Stunden im Fitnessstudio verbrachten. Kein Gramm Fett war an ihm. Nur sein schlüpfriges Grinsen passte nicht so recht zu dem unschuldigen Morgen.

Sie sah sich nach Walter um. Wo blieb er so lange? War etwas mit Opa? Egal, sollte sich zur Abwechslung einmal Walter um seinen Vater kümmern.

»Ich heiße übrigens Stefan Kamiscynski.«

Beate blinzelte, denn in diesem Augenblick kam die Sonne hinter einer Bergkuppe hervor und warf ihr gleißendes Licht auf sie beide. »Beate Schneider«, antwortete sie mechanisch.

»Sie können Stefan zu mir sagen«, sagte er und machte einen Handstand.

Beate wartete, bis sein Kopf wieder über Wasser war und antwortete: »Ich bleibe lieber bei Herr Kaminski.«

Mit nur zwei kräftigen Kraulstößen war er wieder bei ihr. »Der Name ist Kamiscynski. Aber ich will nicht aufdringlich sein …«

Sie wischte sich die Wasserspritzer aus den Augen und zupfte an einem widerspenstigen Träger ihres Badeanzugs herum. »Schon gut, Herr Kamin…«

»Sagen Sie einfach Stefan, ist doch nicht so schlimm?«

»Was soll daran schlimm sein?«

»Weil Ihnen diese Anrede vielleicht zu vertraulich erscheint?«

»Überhaupt nicht!« Beate lachte gekünstelt. »Bei so einem Nachnamen!«

Immerhin hatte sie nun eine Ausrede, sollte sie in Walters Gegenwart diesen Fremden mit Vornamen ansprechen.

»Hier bist du also!«

Wenn man vom Teufel … Walter erschien in der roten Badehose und seinen Badelatschen und machte einen ungehaltenen Eindruck. »Ich suche dich schon überall.«

»Sehr weit kann ich ja nicht sein«, erwiderte Beate. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich schwimmen gehe.«

»Es gibt vier Pools im Haus. Den Panoramapool, den Meerwasserpool, das Sportbecken, den Whirl…«

»Guten Morgen, Herr Schneider!« Stefan Kamiscynski winkte ihm gut gelaunt zu. »Schon ausgeschlafen?«

Walter runzelte die Stirn. Die gute Laune des anderen verdarb ihm seine eigene. Er streifte seine Latschen ab und nahm die ersten zwei Stufen ins Wasser. »Puh, das ist so warm wie in meiner Badewanne zu Hause!«

»Ich finde es angenehm!«, entgegnete Beate.

»Na, ich weiß nicht …«

»Was machen Opa und Tommy?«

»Opa sitzt schon auf dem Balkon und Tommy ist joggen.«

Beate erschrak. »Allein? Er sollte das lieber bleiben lassen, nach dem, was passiert ist.«

»Ach was«, mischte sich Stefan Kamiscynski ein. »Der Junge wird doch nicht so dumm sein und ganz allein ausgerechnet im Wald joggen. Es gibt viele andere schöne Strecken in der Umgebung. Und so früh am Morgen ist es auch noch nicht so heiß.«

»Ihr Sohn ist es ja nicht!«, erwiderte Beate, verärgert über so viel bedenkenlose Ignoranz.

»Ich werde nachher ein Wort mit ihm reden«, beruhigte Walter seine Gattin, tauchte im Wasser unter und schwamm, ohne einmal Luft zu holen, zwei Längen durchs Becken. Als er wieder an die Oberfläche kam, sah er sich Stefan Kamiscynski gegenüber.

»Wow! Sie sind aber fit!«, rief dieser.

Walters Brust hob und senkte sich von der Anstrengung. Keuchend, aber nicht ohne Stolz, sagte er: »In meiner Schulzeit war ich beim Österreichischen Schwimmverband.«

»Wie wär‘s mit einem Wettschwimmen?«, forderte Herr Kamiscynski ihn heraus. »Ich bin ebenfalls ein guter Schwimmer.« Und als Walter nicht sogleich reagierte, setzte er nach: »Oder trauen Sie sich nicht?«

Walter lächelte nur mitleidig. Er war ein sehr guter Schwimmer, wollte aber vor seinem Gegenüber nicht damit angeben.

»Sei kein Spielverderber!«, mischte sich Beate zu Walters Überraschung ein. »Ich fände ein Wettschwimmen zwischen dir und Stefan lustig.«

»Stefan?«

Stefan lächelte. »Ihre Frau und ich haben uns schon etwas näher kennengelernt.«

Walter antwortete abweisend: »Meine Frau ist da ziemlich entspannt. Sie freundet sich schnell mit Menschen an.«

»Das finde ich doch sehr sympathisch«, lächelte Stefan. »Sie selbst sehen das wohl anders?«

»Was ist mit euch beiden?«, rief Beate, die schon am Beckenrand stand und aufgeregt mit den Händen ruderte. »Ich mache den Schiedsrichter. Auf los geht’s los!«

Die zwei Männer starrten sich an. »Tun Sie Ihrer Frau doch den Gefallen«, raunte Stefan Walter zu. »Sehen Sie nur, wie sie sich freut.«

Insgeheim ärgerte sich Walter, dass dieser Fremdling ihm sagte, womit er seiner eigenen Frau eine Freude machen konnte.

»Ich warne Sie!«, gab Walter nun zu. »Ich bin immer noch ein recht guter Schwimmer.«

»Herausforderung angenommen! Wie viele Längen?«

»Zehn?«

»Das sind hundertfünfzig Meter!«

»Angst, dass Ihnen die Puste ausgeht?«

»Ich riskier‘s einfach!«, grinste Stefan. »Brust oder Kraulen?«

»Das überlasse ich ganz Ihnen.«

»Dann Kraulen. Zehn Längen, Frau Schiedsrichter«, rief Stefan zu Beate.

Beate nickte und schaute auf die Uhr.

Die beiden kletterten aus dem Becken und brachten sich in Stellung.

Beate hob die Hand und wartete, bis der Sekundenzeiger die volle Minute anzeigte. »Auf die Plääätze … Achtung … fertig … los!«

Walter und Stefan stürzten sich kopfüber ins Becken. Beate beobachtete mit Argusaugen, ob auch beide am Beckenrand anschlugen und keiner von ihnen schummelte. Zuerst schien es, als würde Stefan die Nase vorn haben, doch je länger das Schwimmen dauerte, desto mehr setzte sich ihr Gatte durch. Beate wusste nicht, wem sie den Sieg mehr gönnte, ihrem eigenen Mann oder dem Fremdling, dem es gelungen war, den jungen Tag schon mit einem Lachen zu beginnen. Während sie die beiden Wettkämpfer im Wasser beobachtete, bemächtigte sich ihrer ein Gefühl der Ausgelassenheit, das sie seit vielen Jahren nicht mehr hatte erleben dürfen. Auch Walter erkannte sie nicht wieder. Dass er sich auf dieses Spiel überhaupt eingelassen hatte, grenzte an ein Wunder.

Nach neunzig Sekunden schlug Walter als Erster an. Stefan blieb mit drei Sekunden im Rückstand.

»Alle Achtung!«, sagte Stefan noch ganz außer Atem. »Wenn ich einen Hut hätte, würde ich ihn jetzt vor Ihnen ziehen.«

Walter war bleich im Gesicht und so fertig, dass er kein Wort hervorbrachte. In diesen neunzig Sekunden war er buchstäblich über sich selbst hinausgewachsen und musste sich erst wieder fangen.

Stefan konnte schon wieder grinsen und schlug ihm anerkennend auf die Schulter. »Mann o Mann, das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.«

Walter fragte sich, was das wieder heißen sollte. So unsportlich wie er vielleicht aussah, war er nämlich bei weitem nicht. Aber er hatte immer noch zu wenig Luft, um zu antworten, so grinste er nur und freute sich über Beates strahlendes Gesicht. Sie sprang zu ihm ins Becken und umarmte ihn lachend. Unter Wasser umklammerte sie ihn mit ihren Beinen, und trotz der mangelnden Atemluft wurde es Walter wuschig in der Badehose.

KOPFLOS IM KURHOTEL

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