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Ein sonniger Vormittag im Mai …

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»Hoarschoarf danebn, den Higl aufe und zwoa Mal ums Eck.«

Der Mann im weißen Mercedes mit dem Dresdner Kennzeichen betrachtete durch das Seitenfenster stirnrunzelnd den Einheimischen mit Filzhut, der auf einem ratternden Traktor saß. Er konnte dreißig Jahre alt sein, würde aber auch als Hundertjähriger durchgehen.

»Kannst du das mal googeln, Ilse?«, raunte er seiner Frau zu.

Ilse rollte als Antwort nur mit den Augen.

Der Mann versuchte nochmals sein Glück. »Wir suchen die Bio-und-Wellness-Alm …«

»Seids derrisch? Foahrts oafoch weida den Higl aufe …«

»Fahr weiter, Hans-Jürgen«, drängte Ilse, »das hat doch keinen Sinn. Wir kehren um und fragen uns im Ort durch.«

Hans-Jürgen hob höflich den Arm zum Gruß in Richtung Traktor und fuhr an. Dabei verkuppelte er sich, der Wagen zuckelte und hoppelte den Berg hinauf, und Ilse verdrehte wieder die Augen. Die Straße wurde immer enger, dafür gab es viel Grün rundherum, sonst aber nichts.

»Wo sind wir denn hier gelandet?«, murmelte er mehr zu sich selbst, als zu seiner Frau, die bereits ziemlich gereizt neben ihm saß.

Bitte wenden Sie jetzt.

Hans-Jürgens Zorn richtete sich gegen die Stimme im Navi. »Und wie stellst du dir das vor?«, blaffte er die Unsichtbare an. »Hier könnte ich nicht wenden, selbst wenn ich auf einem Pferd säße.«

»Jetzt übertreibe nicht! Dort oben gibt es eine Umkehrmöglichkeit.« Ilse wies auf eine Ausbuchtung in der Straße.

Hans-Jürgen beschleunigte mit quietschenden Reifen, dass der Straßenschotter nur so um den Wagen herumflog. Oben knallte er den Rückwärtsgang rein und fuhr zurück. Seine Frau schrie auf: »Wir stürzen ab! Siehst du nicht den Abgrund?«

»Lass mich nur machen.« Hans-Jürgen wendete und stand wenig später in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Vorsichtig fuhren sie den Berg ein Stück weit hinunter und Ilse seufzte erleichtert. »Im Ort wird uns sicher jemand den Weg sagen können!«

Sie haben Ihr Ziel erreicht.

Hans-Jürgen legte eine Vollbremsung hin, dass das Heck des Mercedes ausschlug und der Motor abstarb. Verdutzt blickten die Eheleute sich um. Was ihnen entgegenblickte, war eine Herde Mutterkühe auf einer saftigen Wiese. Viel Bio. Aber wo war das Hotel? Rechts von ihnen wuchs ein Mischwald, dicht und dunkelgrün, gesprenkelt mit hellgrünen Blättern. Die Sonne verbarg sich noch hinter den Baumkronen. Schon der Vormittag war sehr warm, es würde wieder ein heißer Tag werden.

In die plötzliche Grabesstille hinein fragte Ilse spöttisch: »Hast du einen Campingurlaub gebucht?«

Hans-Jürgen antwortete erst gar nicht auf diese Stichelei seiner Frau. Die Klimaanlage, die einwandfrei funktioniert hatte, bevor er den Wagen zum Service brachte, hatte ausgerechnet heute ihren Geist aufgegeben. Sein Hemd war durchgeschwitzt. Er fuhr sich über die kahle Stelle auf seinem Vorderkopf. »Und was jetzt?«

»Du weißt doch immer alles besser! Schlage was vor.«

Wenige Meter vor ihnen führte eine kleine Forststraße in den Wald. »Ob das Navi diese Straße meint?«

»Kann ich mir nicht vorstellen.«

»Der Traktor muss auch hier abgebogen sein, da wir ihm nicht mehr begegnet sind.«

»Der hatte ganz sicher nicht dasselbe Ziel. Der fuhr auf seinen Bauernhof. Wir sollten kein Experiment wagen und in den Ort zurückfahren.«

»Wir könnten es wenigstens versuchen, vielleicht liegt das Hotel ja gleich hinter dem Wäldchen.«

»Das glaube ich nicht, man hat uns schließlich eine tolle Aussicht versprochen. Aber bitte sehr, wenn du dem Navi mehr Glauben schenkst als mir …«

»Was soll schon schiefgehen?«

»Dass wir im Wald steckenbleiben, zum Beispiel?«

»Du denkst immer so negativ! Wir haben das Ziel erreicht, also kann das Hotel auch nicht mehr weit sein.«

»Ruf die dort an und sag ihnen, wo wir sind. Vielleicht können sie uns hinlotsen.«

»Und wo sind wir?«

»An einer Weggabelung.«

»Und wie beschreibt man eine Weggabelung inmitten vom Nichts? Wir finden das Hotel auch so, die denken am Ende noch, wir sind total blöd.«

»Sind wir doch!«

Hans-Jürgen ließ den Motor an, lenkte den Mercedes vorsichtig auf die schmale unbefestigte Straße und nach dreihundert Metern saß er auf einem Wurzelstock fest. Die Bodenplatte scharrte und knarrte und das Geräusch schmerzte ihn beinahe so, als hätte er sich selbst wehgetan.

Seine Frau schimpfte. »Klasse hast du das hinbekommen!«

Am liebsten hätte er jetzt geweint, aber Männer weinten nicht. Er stieg aus, um den Schaden zu begutachten und nachzudenken. Ilse blieb im Wagen sitzen, denn mit ihren High Heels wäre sie ohnehin nur im Waldboden versunken. Hans-Jürgen ließ seine Augen schweifen.

Es war still. Sehr still. Unheimlich still.

Er beschloss, sich zu Fuß auf den Weg ins Hotel zu machen. Dort würde er einen Abschleppdienst organisieren und seinen Mercedes mitsamt seiner Frau aus ihrer misslichen Lage befreien. Er ging um den Wagen herum und klopfte ans Seitenfenster. Ilse ließ die Scheibe herunter. Wenn Blicke töten könnten, wäre Hans-Jürgen jetzt ein toter Mann.

»Schatz …« Er sagte immer dann Schatz, wenn er ein schlechtes Gewissen hatte. »Ich lauf mal vor und sehe nach, wie weit es noch zum Hotel ist. Ich bin bald wieder zurück.«

»Ist dir nichts aufgefallen?«

»Was denn?«

»Dass es an der Kreuzung kein einziges Hinweisschild gab. Ein so großes Hotel hat Hinweisschilder und üblicherweise eine bequem erreichbare Zufahrtsstraße.«

»Wahrscheinlich haben wir unfreiwillig eine Abkürzung genommen oder zufällig einen Schleichweg gefunden. Alles wird gut, du wirst sehen …« Er verzog den Mund zu einem optimistischen Grinsen, das eher wie eine weinerliche Grimasse rüberkam.

»Ich habe Angst allein!«

»Ach was! Wir sind im Steirischen, mitten im schönen Österreich. Schau nur, wie freundlich die Sonnenstrahlen durch die Blätter funkeln und wie lieblich die Vögel zwitschern. Es ist doch traumhaft schön hier.«

»Mir ist unheimlich!«

»Nicht doch, Schatz, spätestens um zwölf Uhr sitzen wir am Mittagstisch und lassen es uns gut gehen. Ab jetzt beginnt unser Wohlfühlurlaub. Denk daran, während ich weg bin. Küsschen!«

»Arschloch!«

Hans-Jürgen überhörte diese unfreundliche Verabschiedung und stapfte davon. Nach wenigen Minuten degenerierte die Straße zu einem Weg und schließlich zu einem Pfad. Hier kommt nicht einmal ein Traktor durch, dachte er bange und hielt im Gehen inne. Diesen Weg weiterzuverfolgen war sinnlos, wenn nicht gar fahrlässig. Er musste zurück an den Ausgangspunkt und an der Straße auf jemanden warten, der ihn und seine Frau mitnahm. Hier gab es kein Hotel, so viel war sicher.

Auf einen Baum gepinselt erkannte er eine grünweiße Markierung und schloss daraus, dass hier ein Wanderweg durchgehen müsste, aber das half ihm in seiner Lage nicht weiter. Vor einem Bildstock mit einer weinenden Muttergottes, die ihr Jesuskind im Arm hielt, blieb er kurz stehen, denn zum Weinen war ihm gerade so richtig zumute. Von Gewissensbissen geplagt, kehrte er um.

Hinter einer Kurve sah er endlich den weißen Mercedes stehen, etwas windschief, wo er auf dem Wurzelstock aufsaß. Der größte Teil des Wagens lag im Schatten, nur auf der Motorhaube hatte sich ein einzelner Sonnenstrahl niedergelassen. Er wappnete sich für das, was nun kam: Zeter und Mordio von Ilse! Ob sie immer noch im Wagen saß oder so schlau gewesen war, ihre Freizeitschuhe aus dem Koffer zu holen und draußen die frische Waldluft einzuatmen?

Als er näherkam, sah er, dass sie den Wagen nicht verlassen hatte. Er erkannte ihre Gestalt hinter der Windschutzscheibe und stählte sich gegen den verbalen Kugelhagel seiner Frau.

Als er nähertrat, stutzte er. Ilses Kopf war seitlich nach hinten gekippt und ruhte auf der Kopfstütze. Ihr war langweilig geworden und sie machte ein Nickerchen. Auch gut. Aber jetzt musste er sie wecken und Farbe bekennen. Er öffnete die Fahrertür und stieg ein.

»Schatz, du hattest recht …« Er drehte den Kopf in ihre Richtung. Was er dann sah, ließ das Blut in seinen Adern gefrieren. Der Hals seiner Frau war von einem Ohr zum anderen aufgeschlitzt. Ihre erst kürzlich erstandene Sommerbluse war rot getränkt und eine Blutlache hatte sich unter dem Beifahrersitz gebildet. Hans-Jürgen wurde so weiß wie der Lack seines Mercedes. Ein Brechreiz überwältigte ihn und er taumelte ins Freie. Dort sank er auf die Knie und würgte solange, bis er sich endlich übergeben konnte. Noch im Knien blitzte über ihm eine silberne Schneide auf, surrte auf ihn herab und trennte mit einem glatten Schnitt den Kopf von seinen Schultern. Der Kopf rollte unter den Wagen, und noch im Rollen trug Hans-Jürgen das Grauen des Augenblicks auf seinem Gesicht.

KOPFLOS IM KURHOTEL

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