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Kapitel 2

New York/Little Italy

Montag

Paul Stroud

»Schneidet ihm endlich den Schniedel ab!«, rief ihnen noch eine genervte Männerstimme aus einer anderen Wohnungstür hinterher. Dann folgten Bureau Chief Paul Stroud und sein Kollege Craig Murdock dem Mann in dem erdbeerroten Lederslip in sein Wohnzimmer, wo schon sein weibliches Gegenstück in einem schwarzen Body wartete. Handschellen baumelten an seinem Handgelenk und eine Kippe hing halb aufgeraucht in seinem Mundwinkel.

Paul nahm seine Hand vom Holster, in dem die »Smith & Wesson« auf ihren Einsatz wartete. Das hier sah ihm eher nach einem der üblichen, fruchtlosen Einsätze aus, die er von früher kannte. Die Wohnung gab keinerlei Hinweise auf einen »Ehekrach« her, das Wohnzimmer war ordentlich aufgeräumt, in den Schränken und auf den Regalen Nippes und Plastikblumen in Glasvasen. Ein paar Folterwerkzeuge lagen, ordentlich sortiert wie ein OP-Besteck, auf dem Wohnzimmertisch.

»Mister Sower«, sagte er. »Uns liegt Meldung vor über häusliche Gewalt.«

»Unsinn. Wir tun es nie ohne Codewort, ehrlich. Meine Sugar braucht nur ´Aus, Sugar` sagen, und Schicht ist im Schacht.«

Das weibliche der beiden Zuckerstücke, in seinen frühen Vierzigern, nickte heftig, ohne den Blick von Sower zu lassen, und Paul hatte Schwierigkeiten, der glimmenden Kippe auszuweichen, als Sower sich ihm in einer vertraulichen Weise näherte. Scharfer Schweißgeruch stieg Paul in die Nase.

»Ich könnte meinen Arsch verwetten«, geiferte Sower, »dass ich die Petze kenne.« Mit dem gereckten Kinn zeigte er Richtung Hausflur. »Der Alten sollte man’s mal so richtig besorg…«

Ehe er blumig ausschmücken konnte, holte Craig tief Luft und wandte sich an die Frau.

»Mrs Sower?« Paul konnte nur hoffen, dass der Kurze, wie er ihn liebevoll nannte, nicht ausfallend wurde, aber meistens hatte er sich im Griff, und das Motto der New Yorker Polizei lautete schließlich: Höflichkeit, Professionalität, Respekt.

»Bessere Hälfte? So gut wie«, gab Sower an ihrer Stelle Antwort. »Es ist Marybeth. Kommt regelmäßig zum Abendessen vorbei.«

So nannte er das also. Erst jetzt betrachtete Paul sie näher. Die Frau mit dem olivfarbenen Teint sah verhärmt aus. Die lang gezüchteten Haare wuchsen nur spärlich und es fehlte an Glanz, und wo sonst der Eckzahn links oben saß, klaffte ein schwarzes Loch.

Bilder von New Yorks nächtlichen Straßen kamen Paul. Von Menschen, die sich um Tonnen scharten und die Hände über ein wärmendes Feuer hielten. Und er dachte an diese Stadtstreicherin – wie hieß sie noch gleich? Manchmal hatten sie ein paar freundliche Worte gewechselt. Sie hatte ihn angerührt, mit ihren traurigen braunen Augen. Und hatte sie nicht ein Kind? Mit den Jahren hatte er hilflos mit ansehen müssen, wie sie dem Alkohol verfiel. Wie Marybeth verdiente sie sich ein Zubrot durch Hausbesuche. Ob sie noch lebte? … Falls die Leber mitgespielt hatte …

Er merkte, dass er Marybeth anstarrte, und blickte schnell weg, und während Craig eine Notiz in sein Smartphone tippte, die den Sachverhalt seines Einsatzes hier in Stichpunkten festhielt, trat Paul bereits wieder zur Tür. »Kleiner Tipp meinerseits«, sagte er noch. »Künftig auf die Lautstärke achten. Dann klappt’s auch mit den Nachbarn.«

»Leute gibt’s«, murmelte Craig, als sie im Wagen saßen. Paul zuckte mit den Schultern.

»Ich fand die beiden ganz niedlich, im Vergleich zu den Messerstechern und Vergewaltigern.« Delikte, deren Anzahl sich pro Jahr in New York im vierstelligen Bereich bewegte.

»Ehrlich?«, moserte Craig indessen. »Das Zuckerstückchen würde ich nicht mal mit der Beißzange anfassen. Die war doch mindestens vierzig.«

»Merkst du was, Craig? Wenn mich nicht alles täuscht, habe ich eine Fünfzig gesehen, auf deiner letzten Geburtstagstorte.«

»Bei mir ist das doch …«

»… etwas anderes?«

»Nun fahr schon los«, brummte Craig. »Und mach die Lichter an. Rose wartet.« Und die war süße zwanzig.

Einen Teufel würde Paul tun! Ob Craig die Polizeisirene öfter für seine Zwecke missbrauchte?

»Rose wartet? Spinnst du?«

»Schu-he«, stotterte Craig. »Absatz ab.« Und dann murmelte er irgendetwas von »seine Schuld« und dass er vergessen hätte, das edle Paar Pumps heute Morgen in den Kofferraum zu legen.

»Tussiletten, hm? Knöchelkiller? Craig Murdock! Deine Rose spielt doch schon wieder in einer anderen Liga. Wie wär’s mal mit was Solidem?« Kurz sah er Jade Duncans Gesicht vor sich. Das mit ihnen beiden hatte genauso wenig gepasst. Er schluckte hart. »Noch mal zum Mitschreiben: Du bringst Roses Schuhe zum Schuster? Mit dem Dienstwagen? Mensch Craig, das kann dich deine Marke kosten.«

»Du wirst mich doch nicht verpfeifen? Hey. Warst doch selbst mal ein Cop.«

»Hieß die Kleine nicht gestern noch Mary? Und neulich erst Adeline? Was erzählst du den Frauen? Du wärst der Urenkel von Columbo? Inkognito in der Stadt, und ’ne Villa in Hollywood?«

Ein scharfer Schmerz durchzog Pauls Wange, schlimmer noch als gestern Abend. Sein Weisheitszahn pochte. »Warum tue ich mir das an? Ich könnte längst im Büro sitzen!«

»Weil dein Kühler futsch ist? Weil du deinen alten Kumpel vermisst? Und den Highway?«

Da war etwas Wahres dran. Er sehnte sich nach diesem persönlichen Eingreifenkönnen. Für Gerechtigkeit zu sorgen. Unmittelbar und direkt. Doch das sagte er Craig nicht.

»… Nur kurz ins Büro bringen! War das zu viel verlangt? Stattdessen: zu unchristlicher Zeit aus den Federn und eine neunschwänzige Katze am Morgen«, brummelte er. »Außerdem würde ich aktuell deiner erlauchten Gesellschaft sogar eine Wurzelbehandlung vorziehen«. Er wunderte sich über sich selbst. Anscheinend war er auf Krawall gebürstet. Er schrieb es seinen Schmerzen zu.

Craig sah ihn an. »Klingt verdammt ungesund. Lass uns mal die Plätze wechseln.«

»Was hast du vor?«

»Per Dienstwagen zum Zahnklempner, was sonst«, knurrte Craig, als wäre es derselbe Vorgang wie Roses Schuhreparatur.

Pauls Wange war heiß und pochte, als sie in die 7th Ave einbogen, an deren Ende die Praxis lag. Vor einer Ampel hielt eine junge Frau im rosa Cadillac. Ihr Lächeln erinnerte ihn an Jades. Ihm war zugetragen worden, dass sie gerade in New York weilte.

Das Blinken des Funkgeräts riss Paul aus seinen Gedanken. Was der Kollege der Einsatzzentrale zu melden hatte, machte etwas mit ihm. Ein Schalter legte sich um und er drückte die Aus-Taste. Dann warf er eine Tramadol ein, schon die zweite heute.

»Einsatzort ist Manhattan«, hatte die Funkstimme gesagt und die komplette Adresse genannt, was Paul unwillkürlich elektrisierte.

»Mach dich auf einen knurrenden Magen gefasst, Craig Murdock.« Er schielte zu Craig hinüber. Frühstück fiel definitiv flach, und nicht nur wegen des kranken Zahns. »Und auf Roses schlechte Laune. Könnte dauern heute.«

In dem Fall sprachen sie von Mord.

Aus dem kalten Schatten

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