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Kapitel 2 »DU KANNST DAS, FANG EINFACH AN!«

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Sechs Monate vor meinem Klosterbesuch begann meine Reise – im Jahresurlaub, in dem ich mich einfach nicht erholte: Dem Büroalltag kilometerweit entkommen, baumle ich auf den Fidschi-Inseln in einer rot-weiß gestreiften Hängematte – und hänge durch. Einen Grund dafür gibt es nicht. Ich schaukle im Luxus: keine Pläne, keine Termine, Sonne und Traumstrand satt. Gerade habe ich eine frische Kokosnuss geschlürft, ein amüsantes Buch gelesen und Schildkröten beim Schnorcheln entdeckt. Nun schaue ich auf puderweißen Sand und absolut glasklares Meer. Träge knipse ich ein Handyfoto von meinen frisch lackierten knallroten Zehennägeln, im Hintergrund das Paradies live und in Farbe. Ich ziehe einen Filter darüber und poste den angeberisch-oberflächlichen Beweis auf Facebook und Instagram: #welcometoparadise #happy #nowork #beachlife #dreamscometrue.

Während ich verfolge, wer meinen Beitrag alles kommentiert und likt, piepst mein Handy. Mein Kollege, der ebenfalls merkt, dass ich online bin, schickt mir eine Nachricht: »Christine, hast du mal eine Minute? Hier herrscht Chaos, weil wir die Bilder zu deiner Geschichte nicht finden und morgen gedruckt wird. Puh, du hast uns echt Arbeit hinterlassen. Aber erhol dich gut.«

Ein Stress-Tsunami überflutet mich, wirft mich aus der Hängematte auf den Boden, und mit sandigen Fingern tippe ich sofort wie ein Roboter die Antwort. Ich fühle mich wie bei Regenwetter und Bürohektik in Hamburg. Und ich muss mir eingestehen: Abschalten konnte ich die letzten Tage nicht. Einfach den verdienten und längst überfälligen Urlaub genießen, nur daliegen und nichts tun – das fühlte sich fast wie eine Bedrohung für mich an. Würde ich etwas verpassen? Und schließlich galt es, das Paradies auszukosten. So plante ich meinen nächsten Schnorcheltrip und sorgte dafür, auch genügend andere Backpacker kennenzulernen, obwohl ich eigentlich gar keine Lust darauf hatte zu erzählen, wohin ich schon gereist bin und wie viele Kakerlaken in welchem Hostel leben. Was nützt einem denn das Paradies, wenn es nur im Außen existiert und innerlich Aufruhr herrscht? Noch nicht mal hier schaffe ich es, ganz zur Ruhe zu kommen.

Und schon nächste Woche würde ich zurück in Hamburg sein. An meinem Schreibtisch im Großraumbüro, einer Art Legebatterie für Ideen zwischen Konferenz und Mittagspause. Hier fand mein Körper jeden Morgen seinen Weg zur Arbeit; ich jettete mit ihm als rasende Reporterin um die Welt, besprach mein Leben mit meinen Freundinnen, ging in Klubs und entspannte beim Seriengucken. Ein bisschen wie eine leblose Hülle, der es nicht schlecht ging, aber auch nicht gut. Muss ja, passt schon. Wenn ich einen Mann wollte, holte ich ihn mir. Wenn ich ein neues Kleid brauchte, kaufte ich es. Wenn ich intellektuell gefordert werden wollte, ging ich ins Theater oder las ein umständliches Buch. Es lief. Kein Grund zur Klage.

Wirklich? Wenn ich innerlich die Stopptaste drückte, fühlte ich mich schal und leer, ich schaltete also schnell wieder auf Play. Den nächsten Artikel schreiben, ins Fitnessstudio gehen, mit Freunden brunchen, die neueste Ausstellung besuchen und schon wieder ein Date. Ich dachte immer, wenn ich den perfekten Partner und Kinder, den erfüllenden Job oder die Idealfigur hätte, wäre alles gut. Dann würde es endlich losgehen: mein echtes Leben. Aber kaum war der Vertrag für die Führungsposition unterschrieben oder ein neuer gut aussehender, aber nicht beziehungsfähiger Mann verführt, fühlte sich auch das wieder nicht richtig an. Ich hatte keine Vorstellung davon, was das gute Leben ist. Aber ich hatte schon so eine Ahnung, dass es nicht im Außen liegen kann. Ich wünschte mir diesen Glow, diese Zuversicht, dass einfach alles ist, wie es ist. Und sich dabei erfüllt anfühlt – von innen heraus. Ich war aber stattdessen auf der Flucht und selten dort, wo sich der Augenblick abspielte, ich war sehr oft Gefangene meiner Gedanken und der daraus entstehenden Gefühle wie Angst, Traurigkeit und Einsamkeit.

Nur, wo geht man heutzutage hin, wenn es einem gut geht und man ganz viel Freude und Sehnsucht im Herzen spürt, sie sich aber nicht entfaltet, kein Arzt einem helfen könnte und doch etwas fehlt? Diese innere Leere, wie fülle ich die, ohne auf bewährte ablenkende Mittel wie Dates, Filmabende und Bücher-Welten zurückzugreifen?

Mein Leben war voller Überfluss: zu viel Arbeit, zu viele Menschen, zu viel Input, zu viel Konsum. Damit betäubte ich meine Gefühle, wurde aber nie satt. Ein innerer Hunger blieb. Ich schämte mich ohnehin, dass ich nicht glücklich war, obwohl ich so viel erreicht hatte und so ein abenteuerliches Leben führte, um das mich andere beneideten. Ich reise als Journalistin um die Welt, kann mich dabei als Frau freier bewegen als alle Generationen vor mir, lebe bis heute gesund im Wohlstand, in einem Land mit sozialer Hängematte, ohne Krieg, Hunger und große Katastrophen.

Ich hatte echte »Champagner-Probleme«: Es gab nichts Konkretes, über das ich mich beschweren konnte, außer vielleicht zu viel Arbeit, zu viel Druck, die falschen Männer und zu wenig Zeit. Und doch fühlte sich das alles nicht nach mir an. Und mit diesem Problem, im falschen Leben festzustecken, fühlte ich mich allein. Oder war es ein gesellschaftliches Ding? Wenn alles möglich ist und dann doch nicht klappt. Wenn Beziehungen unverbindlicher werden, wenn Partner und Jobs so schnell gewechselt werden wie Schuhe. Wenn nicht klar ist, was Frausein bedeutet und die Männer verwirrt sind, wie sie mit uns umgehen sollen, genauso wie umgekehrt. Wenn es unzählige Methoden gibt, sich selbst zu optimieren und zu verwirklichen – das aber noch mehr Druck aufbaut. Das strengt an! Vor lauter »könnte«, »müsste« und »sollte« erlaubte ich mir nicht mehr, das zu genießen, was ich hatte. Ich wusste nicht einmal, was ich wollte oder was gut für mich war.

Und natürlich musste ich immer alles ausprobieren. Es könnte ja noch mehr geben! Ich konnte sicherlich immer noch besser aussehen, eine schönere Wohnung finden oder einen Job mit höherem Gehalt bekommen. Und bevor ich das nicht alles verwirklicht habe, bin ich eben nicht angekommen, so dachte ich.

Ich kenne noch mehr Menschen, die sich seit Jahren mit Fragen quälen wie: Soll ich lieber eine Wohnung mieten oder ein Haus kaufen? Trenne ich mich oder heirate ich? Schaffe ich mir eine Katze an? Ziehe ich aufs Land? Kündige ich oder frage ich nach einer Gehaltserhöhung? Aber sie ändern nichts. Sie wollen in Wirklichkeit Bücher schreiben, Bilder malen und am Meer wohnen. Oder die Welt mit einer besonderen Idee bereichern, anstatt immer für die Ideen anderer zu leben und zu arbeiten. Doch viele machen es nicht. Die meisten handeln nicht und bleiben irgendwo zwischen ihren Träumen und der Realität stecken. In einem Leben, das sie gar nicht wollen. Das sie den ganzen Tag stresst und unglücklich macht. Es sei denn, es kommt eine Krise.

In diese Falle wollte ich nie tappen, und fühlte mich doch von ihr gefangen. Ich diskutierte all dies mit meinen liebsten Freundinnen, sie stimmten mir zu, und doch fanden wir keine Lösung, außer vielleicht ein schallendes »Ist halt so«-Lachen. Wir drehten uns im Kreis.

Dabei sendete mein Herz ständig Signale, ich hätte nur mal richtig hinhören müssen, was es mir zu sagen hatte: »Ich will frei sein, ich möchte eine erfüllende Partnerschaft, mein Ding machen, die Welt retten und ich will vor allem mehr Sinn im Leben.« Vielleicht hätte ich Kinder kriegen und aufs Land ziehen sollen? Erst wollte ich aber dies alles finden und dann eine eigene Familie gründen. Doch was machte ich? Ich weinte die Emotionen der Serienhelden, ich berauschte mich beim Weggehen an viel zu vielen Menschen, ich verinnerlichte die traurigen Geschichten meiner Interviewpartner und kümmerte mich um alles und jeden, außer um mich selbst. Ich reiste an so viele Orte, dass ich sie gar nicht mehr genießen oder in meinen inneren Speicher aufnehmen konnte. Sie rauschten einfach an mir vorbei, weil es zu viele Eindrücke waren und es zu wenige Momente gab, um mich wieder zu entleeren. Ich war wie ein Schwamm, der sich mit Wasser füllt, aber nie ausgedrückt wird. Ich ließ mich im Alltag davontreiben und verlor mich. Ich fühlte mich immer schwerer und zugebauter. Mit mir hatte das nichts mehr zu tun.

Und gleichzeitig fragte ich mich: Weshalb bin ich nicht glücklich? Wieso spüre ich diese unbefriedigte Sehnsucht nach mehr? Was ist Liebe? Wie geht das wahre Leben? Was ist der Tod? Was bedeutet Frausein? Wie kann ich noch mehr tun für die Welt? Was ist Intuition? Was bedeutet Loslassen? Wo liegen mein Potenzial und meine Kreativität? Woher bekomme ich Kraft? Wie kann ich meine Angst in Mut umwandeln? Wie kann ich lernen, auf mein Herz zu hören? Was ist meine Berufung? Es gibt so viele Ratgeber, Kurse, Beratungen und Tipps auf der Welt – doch nichts sprach mich an oder mit mir. Ich ahnte, dass ich mich selbst zusammenpuzzeln musste.

Ich nahm mir noch im Paradies, ohne echte Krise, vor, all diese Fragen zu lösen, sobald ich wieder zu Hause war. Ich wusste zwar noch nicht, wie ich das konkret bewerkstelligen sollte, aber ich schrieb mir selbst eine Postkarte als Erinnerung:

Liebe Christine, es ist Zeit. Wenn du dies liest, dann geh los. Lass dich nicht von Zweifeln oder Zweiflern aufhalten. Wenn nicht jetzt, wann dann? Du hast weder einen Burn-out, noch ist jemand gestorben, und du bist gesund. Nichts hält dich auf und du hast die Kraft. Suche dein echtes Leben. Finde deinen Weg zu dir, in deine Freiheit! Fang sofort damit an!

Herzensgrüße, deine Christine.

Ich fischte diese Aufforderung an mich aus meinem Briefkasten auf dem Weg zur U-Bahn, in der ich zwischen den ganzen gestressten Menschen kaum Raum zum Atmen fand, und las die Zeilen. Die Karte hatte mehrere Wochen bis zu mir gebraucht. Die Ecken waren abgestoßen und die Schrift durch einen Wasserfleck verlaufen. Doch jetzt war sie da! Sie hatte es bis zu mir nach Hamburg geschafft – und traf mich direkt ins Herz.

Tränen liefen mir über das Gesicht, die anderen gafften, aber jetzt gab es kein Zögern und kein Aufschieben mehr. Ich musste loslegen.

Wie es der Zufall (oder das Schicksal?) so wollte, war ich just an diesem Tag auf dem Weg zu einer Pressekonferenz mit dem Dalai Lama. Ob er mir weiterhelfen konnte? Ich kannte ihn bisher nur aus Kalendersprüchen.

Wie ändere ich mein Leben so, dass es erfüllt und glücklich ist?, hätte ich ihn am liebsten gefragt. Womit fange ich an? Mit dem Job? Mit meinen Beziehungen? Soll ich lästige Freunde aussortieren oder meine Wohnung wechseln? Mich vielleicht endlich politisch engagieren? Alles auf einmal oder immer ein bisschen? Doch natürlich konnte ich ihn das nicht fragen. In einem Raum mit fünfzig anderen Journalisten, von denen mindestens die Hälfte denkt, sie sei schlauer als der Dalai Lama, konnte ich nicht persönlich werden. Ganz businesslike und weil ich im Auftrag eines Magazins da war, und dennoch im eigenen Interesse, fragte ich: »Wie können Frauen die Welt verändern?« Der Dalai Lama richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf mich, zeigte mit einem gewinnenden Lächeln auf mich und sagte: »Du kannst das, fang einfach an!«

Und damit hatte er meine eigentlichen Fragen auch irgendwie beantwortet. Einfach anfangen. Plötzlich wusste ich auch wie: Ich würde mir nicht nur durchlesen und anhören, was der Dalai Lama so schreibt und sagt. Ich wollte erfahren, wie er zu der Freude und Gelassenheit gekommen ist, die ihn so ausmacht. Es heißt doch: Wenn der Wille da ist, findet sich der Weg meist von allein. Und so hörte ich mich um und fand einen Anfang im Kloster des Dalai Lama in Nepal. Dort starb ich, um mich zu beleben. Alles Weitere kann jetzt folgen, auf dem Weg in die Freiheit.

Wo geht´s denn hier zu mir?

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