Читать книгу Die Hochstaplerin - Christine Grän - Страница 7
3. Kapitel
ОглавлениеDie Ferienanlage an der kenianischen Küste inklusive Golfplatz bereicherte Wondrascheks Konten um fünf Millionen Mark. Die Serviererin in einem zweitklassigen Hafenrestaurant verdiente, inklusive Trinkgeld, eintausendfünfhundert Mark im Monat. Steuerfrei, versicherungsfrei, gefangen im sechstägigen Trott zwischen Küche und Restaurationsräumen. Klara schwankte zwischen Bewunderung für mein Durchhaltevermögen und gerechtem Zorn auf die Ausbeutungsmechanismen des Gaststättenkapitals. Sie war sehr blond gefärbt und trug hanseatische Oberklassengarderobe, Twinset mit Perlenkette über dem Faltenrock aus Kaschmir. Der Rock, den ich unter der roten Schürze als Arbeitskleidung trug, war von Woolworth, und der Pullover mit tiefem Ausschnitt kratzte, was immer noch besser war, als unter Synthetikware zu schwitzen.
Ich war arm, aber unglücklich, und ich erfreute mich an Klaras Leid in Gestalt einer Schauspielerin, die Vaters momentane sexuelle Gunst errungen hatte. Beate war mehr als einen Kopf größer als er, blonder noch als Klara und von gut einstudierter Hochnäsigkeit. Ich schätzte sie auf vierzig, sie spielte die Dreißigjährige und hielt die Dietrich für eine armselige Kopie ihrer selbst. Beate war, das mußte selbst Klara zugeben, eine Galionsfigur der Kosmetikindustrie, so perfekt geschminkt, daß ihr Gesicht einer Tarnkappe glich. Solche Gesichter kennen keine Falten, keine mimischen Entgleisungen, keinen Ausdruck von Leid oder Freude. Wenn sie lachte, hielt sich Beate die Hand vor den Mund.
Claire haßte sie, wie sie alle Frauen haßte, die Vater ins Haus brachte, allesamt schöne Geschöpfe von großer Künstlichkeit. «Bei Frauen hat er einen ordinären Geschmack», sagte Claire (wenn Fremde im Haus waren, war der Name Klara tabu). Und sie variierte Brecht: «Die Kunst der Männer ist’s: vögeln oder denken.»
Napoleon Wondraschek gab sich nur in seinen erfolgreichen Phasen mit Frauen ab, weil Frauen seiner Meinung nach den Erfolg krönten, und es kümmerte ihn nicht, wenn Klara, Claire, sein guter Mensch um ihn litt. «Wer sich in seinen Gefühlen verstrickt, bleibt auf der Strecke», sagte Vater, der in seinen gottähnlichen Zeiten in heiterer Gelassenheit durch die Räume schwebte, den Duft einer Havanna hinterließ, Claire ein aufmunterndes Lächeln schenkte und mir Tausendmarkscheine in die Handtasche steckte. Ließ sich über diesen meinen Vater Klage führen?
Meinen «Flirt mit der Arbeiterklasse» bedachte er mit liebevollem Spott. Er habe auch einmal im Hotelgewerbe gearbeitet, sagte Vater, doch eine Felix-Krull-Karriere sei ihm nicht beschieden gewesen. «Es war ein mieses Hotel in Brünn, mein Kind, mit miesen Gästen, die noch schlechter rochen, nachdem sie bei uns logiert hatten. Ich schleppte ihre abgewetzten Koffer und wartete auf das schäbige Trinkgeld wie ein Hund, der mit dem Schwanz wedelt. Und wenn sie nichts gaben, dienerte ich mit einer Unverschämtheit, die sie nicht wahrnahmen, und genau das konnte ich nicht ertragen. »
«Ich trage keine Koffer, Vater.»
«Gewiß. Aber du riechst auch ziemlich schlecht, wenn du mir die Bemerkung gestattest. Wie ein berückendes Fischweib.»
Ich fand interessant, daß Wondraschek in seiner Jugend Gefühlen freien Lauf gelassen hatte. Nun, da alles geglättet war, alle Texte durchdacht und die Fußstapfen für sämtliche Schritte vorgegeben, waren die Geheimnisse seines Lebens nur noch Anekdoten, die er Klara und mir gelegentlich zur Kenntnis brachte, und er erzählte sie so, als beträfen sie einen bewundernswerten Fremden.
«Und dann? Was hast du dann gemacht?»
Claire, im Sonntagskostüm, brachte Tee auf die Terrasse. Es war zu windig, um draußen zu sitzen, doch das Zeremoniell mußte befolgt werden: Der feine Hanseate trinkt Sonntagstee mit freiem Blick auf die Elbe. Claire setzte sich zu uns mit jenem vorwurfsvollen Blick, der seiner Herzlosigkeit galt. Ich wußte, was sie dachte: daß sie ihn verlassen würde, endgültig, und daß das Wunder eines Bühnenengagements geschehen würde diesmal, denn wenn Beate, die Konturlose, hier auftreten durfte, mußte Hamburg der ideale Ort für Schauspielerinnen sein.
«Es schmeichelt mir, daß meine Tochter neugierig auf meine Vergangenheit ist», sagte Vater zu Claire, und ich wußte, daß er bereits über geschönte Versionen nachdachte, vielleicht mit einem Schuß Komik, in jedem Fall unterhaltend, das Leben als Boulevardstück und niemals als Drama.
«Ich habe meinem Vaterland den Rücken gekehrt und bin nach Deutschland geflohen. Der Osten war schon immer ein uneleganter Misthaufen, und für eine brutale Karriere war ich nicht geeignet. Eine Weile habe ich bei einem Leichenbestatter gearbeitet und dort mein Talent entdeckt, Menschen zu manipulieren. Das Mütterlein, das seine letzten Ersparnisse in den Mahagonisarg investiert: Das erfordert hohe Kunstfertigkeit, meine Liebe. Wer Menschen zu überzeugen versteht, ist ein Künstler, ein Prophet, ein Messias ...»
Das Wort Gott traut er sich nicht auszusprechen, dachte ich. Claire hing an seinen Lippen. Vielleicht träumte sie davon, ihn eines Tages zu überzeugen, die Weltrevolution in Gang zu setzen. Sie würde bleiben und Beate überdauern und ihn abschirmen, wenn das Gewitter hereinbrach. Es war ihre Bestimmung, ihre Rolle im Leben, und ich war dankbar, daß es Klara gab, denn wie hätte ich ihn sonst verlassen können, meinen Vater, den Magier der Luftschlösser, den Mann, der mir die Luft zum Atmen nahm, weil ich an seinen Lügen zu ersticken glaubte, nachdem ich sie erkannt hatte. Klaras Liebe war von einer anderen Qualität. Kritiklos und bedingungslos. Drei Ausbruchsversuche waren vergeblich gewesen. Wie Brechts Ruth Berlau hatte sich Klara seines Lebens bemächtigt, als könne man das eigene auflösen, ohne Spuren zu hinterlassen.
Vater tätschelte Claires Hand, er ersetzte Gefühle durch Gesten. Das Leben sei nichts weiter als Improvisationstheater, sagte Wondraschek, und je stärker man seinen Part interpretiere, desto unwahrscheinlicher seien die überraschenden Wendungen. «Ich habe Enzyklopädien verkauft, Autos, Lebensversicherungen, alles, was der Mensch nicht braucht. Bis ich beschloß, meine Talente nicht für anderer Leute Profit zu vergeuden und mich selbständig zu machen. Wirklich kein spektakulärer Lebenslauf», schloß der Erzähler in falscher Bescheidenheit.
Klara murmelte etwas von der Umverteilung des Kapitals. Auf dem Terrassentisch lag der Prospekt der «Hacienda Sunshine», vierfarbig und glänzend. Lebenslanges Wohnrecht in großzügigen Villen zwischen Golfplatz und Sandstrand. Abschreibungsmodelle, Steuervorteile, vierzehn Prozent Rendite, garantierte Gewinnausschüttung. Der kenianische Partner lächelte strahlend von der Rückseite. Vater meinte, daß wir dort die nächsten Ferien verbringen sollten, obwohl wir noch nie in Urlaub gefahren waren, weil er diesen Umstand als völlig überflüssig erachtete, die Beschwerlichkeiten von Reisen haßte und grundsätzlich kein Flugzeug bestieg. Umzüge fanden mit dem Auto statt. Und ich war mir ganz sicher, daß die «Hacienda Sunshine» ein wertloses Stück Land war, das Vater einem kenianischen Betrüger abgekauft hatte. Daß weder Bebauungspläne noch Baufirma existierten. Die Fotos in der Broschüre waren beeindruckend, doch sie mußten so falsch sein wie die Namen der Sponsoren und die Zahlenkolonnen, die Glück in Form von Geld verhießen.
Claire sagte: «Das ist eine wundervolle Idee. Ich war noch nie in Afrika.»
Vater erzählte von Kenia, als habe er sein halbes Leben dort verbracht, und es war mir neu. So authentisch klangen seine Geschichten, er mußte sie von jemandem gehört haben, der dort gelebt hatte. So etwas kann man nicht erfinden, dachte ich, als er von seinem Abenteuer mit dem Arzt erzählte, der die Massai im Norden versorgte und nur im betrunkenen Zustand die Twinotter in die Luft brachte, weil er Angst vorm Fliegen hatte. Oder der irische Priester, der den Bau seiner Kirche mit dem Verkauf vom Playboy finanzierte, die er als «Bibellektüre» ins Land schmuggeln ließ. Es waren Geschichten von weißen Abenteurern im schwarzen Wunderland, von stolzen Massaikriegern, der Unendlichkeit des Sternenhimmels, von seltsamen Krankheiten und korrupten Beamten und der Vergeblichkeit aller Bemühungen, zwischen gestern und morgen das Afrika von heute zu finden. In Kenia hatte Wondraschek Jagdsafaris für reiche Touristen organisiert und mit Elfenbein gehandelt. Sagte er, und ich glaubte ihm kein Wort. Und wünschte mir, daß es wahr wäre, und wir, Mutter und ich, mit ihm in Kenia lebten, auf einer Farm, die uns gehörte, eine ganz normale Familie, die sonntags zur Kirche ging, um läßliche Sünden zu beichten.
Claire meinte, daß sie auch Tansania besuchen wolle, um Nyereres sozialistisches Experiment hautnah zu erleben. Vater lächelte gütig und erklärte alle sozialistischen Experimente in Afrika für gescheitert. Er wähnte sich im Besitz aller Wahrheiten, vielleicht liebte er deshalb die Lüge so sehr. Sie sei, sagte Vater, ein Instrument, das Mißklänge ausschließe, und die erste Geige in allen Aufführungen des Geldes und der Liebe.
Claire schien nicht in Stimmung für ein Streitgespräch über afrikanischen Sozialismus. Sie fragte mich nach meiner Arbeit, und ich antwortete, daß sie mir großen Spaß mache. Nette Leute, sagte ich, und erzählte Heiteres aus Küche und Keller, erwähnte nicht, wie sehr ich mich vor dem Fischgeruch ekelte oder dem Besitzer, der im Repertoire der Demütigungen von öligem Charme in schneidende Obrigkeit wechselte, übergangslos, so daß es schwerfiel, sich darauf einzustellen. Meine Kolleginnen im Service waren wehrhafter; sie hatten nicht wie ich in Elfenbeintürmen gelebt und wußten mit einem umzugehen, der Herrschaftsallüren auf Heringsniveau auslebte. Ich bemühte mich um Anpassung und Demut zu bewußt, um damit durchzukommen. Ich war die Außenseiterin, die sie brauchten, um kollektives Klassenbewußtsein zu entwickeln. Die miesesten Tische, die unangenehmsten Schichten, sie fielen mir zu, und Dialektik war angesichts der feindlichen Mehrheitsverhältnisse eine relativ brotlose Kunst. Die Männer in der Küche, die afrikanischen Spüler, der slowenische Koch, die Lehrlinge, sie beschränkten sich auf derbe Witze und sexuelle Anzüglichkeiten. Das Arbeitsleben, das ich seit zwei Monaten kannte, war lustig und gemein, meine Füße schmerzten, und ich begann, die Sehnsucht nach Kanonenbooten zu verstehen und die unbestimmte, unerfüllte Wut derjenigen, die unten waren. Nur Wondraschek, den schloß ich aus. Mit siebzehn erwartet man von denen, die man liebt, Vollkommenheit. Und wie er so dasaß in makelloser Selbstzufriedenheit, ein wenig fett schon von dem guten Leben, aber immer noch ein anziehender Mann, wie er so dasaß und mit schwarzpolierten Schuhen wippte, die Zigarre zwischen den Lippen und den Blick auf die Elbe gerichtet, wie er so dasaß und alles richtig fand, so wie er immer alles richtig gefunden hatte, da hätte ich ihm gerne die Zigarre aus dem Mund gerissen und sie auf seiner Stirn ausgelöscht. Für alle, die er betrogen hatte, für Mutter und Klara – und besonders für mich.
Die Vorstellung war so lebendig, daß ich verbranntes Fleisch zu riechen glaubte und auf eine selige Art lächelte, die Claire zu der Frage veranlaßte, ob es hier draußen nicht schöner sei als in dem stickigen Zimmer am Hafen, über der Restaurantküche, ein Verschlag mit einem Bett, in das ich nach der Nachtschicht fiel, um sofort einzuschlafen und von Tellern zu träumen, auf denen Fische tanzten, und ich bemühte mich, die Teller dennoch heil zu den Tischen zu balancieren, wo Leute mit offenen Mündern und aufgepflanzten Messern warteten.
Gäste war ein seltsames Wort für die Menschen, die das Restaurant besuchten, in dem ich als Kellnerin arbeitete. Unsere Gäste waren Herrscher, wenn sie die Stühle ockupierten oder ihren Platz an der Theke. Es waren Fischer und Fischverkäufer, Zuhälter, Huren, Türsteher, Touristen und Penner, es war die Hamburger Hafenmischung, die rauh und herzlich, betrunken, verkatert, aggressiv für ihr gutes Geld das Beste forderte, das freundlichste Lächeln, den Hundert-Meter-Sprint, das perfekt gezapfte Bier und die Drei-Sterne-Scholle. Wer im «Walfisch» strandete, hatte keinen besonderen Anlaß, das Leben wundervoll zu finden oder Höflichkeiten mit dem Personal auszutauschen. In den Stunden zwischen Mitternacht und Morgengrauen, im Gestank von Fisch und Fritten, im Dunst von Zigaretten und Alkohol, Melancholie und Müdigkeit war Zeit eine zähe, unbewegliche Masse. Sie riefen oder brüllten «Frollein», wenn sie hungrig oder durstig waren, Stammgäste nannten mich Fee, viele hatten gierige Hände, doch sie gaben großzügig Trinkgeld, während die Touristen geizig waren und zu betrügen versuchten, aus sportlichem Ehrgeiz oder weil sie dachten, daß eine wie ich es nicht besser verdiente.
In der ersten Woche hatten mich zwei Zechpreller um den Lohn gebracht, doch ich lernte schnell, die Gäste besser einzuschätzen, nach Trinkgeld und Trunkenheit, Streitsucht und verbaler wie handgreiflicher Zudringlichkeit. Die Huren waren angenehm, weil sie nichts weiter suchten als einen wannen Platz, Ruhe und Essen und Trinken. Die Loddels fand ich albern, das war eine gefährliche Fehleinschätzung. Ich lernte Männer kennen, die anders waren als mein Vater, weil sie die Feinheiten der Tarnung nicht beherrschten. Meine Kolleginnen sagten, daß ich zu langsam im Ausweichen sei oder zu provozierend im Auftreten. Es war so, daß ich die Jüngste und Hübscheste war, frisches Fleisch für den Hunger, und die Schweine rochen es, sie hatten eine Schweinenase für Schwäche, Schweineaugen, die an einem klebten, Schweinepfoten, die ein Glas festhalten mußten oder eine Zigarette oder das, was sie an Frauen sexuell erregend fanden. In den von Alkohol entstellten Gesichtern war die Gier ihr Erkennungsmerkmal. Nein, sie meinten es nicht böse, die meisten von ihnen waren Familienväter oder Großväter, harte Arbeiter, Gewerkschaftsmitglieder, der Stoff, aus dem Klaras proletarische Heldenklasse gewoben war. Sie waren Verlierer, Arbeitslose, Penner mit dem Anspruch auf Vergnügen, das nichts kostet. Sie waren Männer. Und ich war noch nicht einmal eine Frau. Nur eine Kellnerin, ein Dienstleistungswesen, eine, die Aufträge entgegennahm und ausführte, die Tische abwischte und Aschenbecher leerte. Es sei eine interessante Erfahrung, sagte ich zu meinem Vater, dessen Tausendmarkscheine ich unter der Matratze in der Villa versteckte, zwanzigtausend Mark, mein Notgroschen für die Freiheit, für die Zeit; wenn Wondraschek bei seinen Gläubigern hausieren ging, weil er sich um seiner Freiheit willen mit ihnen arrangieren mußte. Zwei Tage pro Woche schlief ich in der Villa, weil ich es nicht ertrug, das Gemeinschaftsbad des Personals zu nutzen, das niemals sauber war. Der kollektive Schmutz war Anlaß zu Streitereien unter den Serviererinnen, die im Haus wohnten, denn es waren die Frauen, die für Dreck zuständig waren. Wer den slowenischen Koch zu reizen wagte, der an Haarausfall litt, auch unter der Dusche, büßte dies mit Schikanen beim Personal essen oder der verzögerten Ausgabe von Bestellungen, was wiederum zu Streit mit Gästen führte. Die Küche war Vinkos Reich, und wir waren die Kuriere des Königs, die als Überbringer schlechten oder kalten Essens verbal geköpft wurden. Vinko, dessen Kochkünste mit seinen Launen variierten, hatte einen ausgeprägten Sinn für groben Humor. Wenn er aus der Durchreiche «Labskaus für den Wichser von Tisch sieben» brüllte, lachten die Stammkunden, und die Touristen lächelten verschämt. Sie fanden uns exotisch, und wir verachteten sie dafür, daß sie anders waren.
«Wir haben viel Spaß», sagte ich zu meinem Vater, der noch nie im «Walfisch» gewesen war, weil er meine Milieuverirrung lächerlich fand. Wondraschek dinierte mit seinen Kunden im «Fischereihafenrestaurant» oder im «Landhaus Scherrer», wo Beleidigungen oder Obszönitäten in feine Worthülsen gekleidet wurden, wo es nicht um hundert Mark ging, sondern um hunderttausend, und der Fisch nicht roch, sondern duftete. Da ich hübsch sei und auch nicht blöd, bot Vater mir an, mir eine Lehrstelle in einem Nobellokal zu vermitteln, was ich natürlich ablehnte. «Sie will auf eigenen Füßen stehen», sagte Klara, zu deren Rolle in unserer Dreierbeziehung gehörte auszusprechen, was er und ich nicht konnten. Es stimmte nicht ganz, denn ich hing noch an der Nabelschnur, weil ich ein Bad brauchte, zumindest zweimal die Woche, und sein Geld nahm, sein Betrügergeld in großen Scheinen, denn auch in meiner Billigung der Welt fehlte in dieser Zeit der Schwung, das gänzlich zu verachten, was sie antrieb und bewegte.
Geld, Sex, Macht waren die Themen, wenn Hunger und Durst befriedigt waren: Darum ging es, so verstand ich meine beiden Welten, selbst wenn Klara nicht so eindeutig zu definieren war. Klara liebte und diente, sie war machtlos, wenn auch nicht in ihren Worten und Träumen. Im «Walfisch» träumten sie auch, aber kleinere Dinge. Die Serviererinnen, soweit sie nicht verheiratet waren, sprachen von der Liebe, von dem tollen Typen oder dem anständigen Heiratskandidaten. Ein Mann, eine Wohnung, Kinder, versorgt sein war die Alternative zur Abendschicht und die Fahrkarte ins Paradies; der Urlaub auf Amerongen ein kleines Stück davon. Sie buhlten um den Chef, der ein mieser Kerl war, oder um Vinko, den Choleriker mit dem, schwindenden Haarkranz, weil sie nach Selbständigkeit strebten, ein bißchen Macht über das Produktionsmittel Arbeit, die eigene Gaststätte, in der sie sich oben wähnten. Sie schminkten und beugten sich für ihre Träume, jede für sich und gegen den Rest der Welt. Sie waren hart, bevor sie alt wurden. Sie waren hart, weil sie wußten, unter der Schminke, daß jedes Lächeln vergeblich war, vielleicht bis zum Traualtar reichte, zur Taufe und bis zur nächsten, und daß dann nichts mehr kommen konnte, das weich und zart machte.
Heidis Mann war Alkoholiker; Monika wurde von ihrem Verlobten verprügelt; Elfies Tochter hing an der Nadel und ging auf den Strich. Alle anderen liierten Frauen flüsterten von geringfügigeren Dramen; der Chef nannte seine Frau, die einen Friseursalon auf St. Pauli betrieb, eine alte Hure. Für Vinko waren Weiber «Fotzen», und die Lehrlinge plapperten nach seinem Mund, weil sie ihn fürchteten. Ich hörte ihnen zu. Die Sprache, der höflichen, gebildeten, verbergenden Maske beraubt, feierte den Aschermittwoch der verkaterten Gefühle. Für eine wie ich, die mit dem Unausgesprochenen aufgewachsen war, mit Phrasen und Prosa und Poesie, war diese Sprache gleichermaßen abstoßend und faszinierend. Ihre Grobheit machte mir angst. Ihre Ehrlichkeit verblüffte mich. Die Sprache trennte mich von ihnen, und nichts, was ich sagte oder tat in anbiedernder Weise, konnte sie täuschen. Sie mochten mich nicht. Sie nannten mich «Edelnutte». Sie waren anständige Frauen, und wenn es ihnen schlechtging, dann gab es Gott sei Dank noch jene, die schlechter dranwaren, die Huren mit den gewalttätigen Loddels, die Junkies auf dem Babystrich, die Mädchen mit Mandelaugen und ohne Paß. Am Hafen gab es immer das noch größere Unglück, auch das konnte als Glück empfunden werden.
Ich lernte, aber nicht schnell genug, und so geschah nach vier Monaten, was sie hinterher alle vorher gewußt hatten. Felicitas Wondraschek war zu jung, zu hübsch, zu naiv, um unbeschädigt in eine neue Welt einzutauchen.
«Wie kann man nur so blöd sein, morgens um vier allein vor die Tür zu gehen», sagte Elfie hinterher. Nun, ich war so blöd, weil ich frische Luft brauchte nach der Nachtschicht, weil ich nach Zigaretten, Alkohol und Fisch stank und nicht müde genug war, mich in den Verschlag zurückzuziehen. Ich hatte abgerechnet und die Stühle auf die Tische gestellt, hinter den letzten Gästen abgeschlossen, und ich hatte die Cheffrage ignoriert, ob ich mit ihm noch Sekt trinken wollte irgendwo; irgendwo war der Rücksitz seines amerikanischen Schlittens, wie ich von den Kolleginnen wußte.
Der Mond schien, und die Hafenlaternen leuchteten, und vor dem «Walfisch» standen noch ein paar Leute, die nicht nach Hause gehen mochten, das Touristenpaar aus dem Rheinischen, zwei Huren, die nach dem Gold in der Morgenstunde suchten, ein Rausschmeißer aus der Bar nebenan, ein Küchenlehrling, der auf die Mädchen mit den Lackstiefeln schielte und sich wohl überlegte, ob es um diese Zeit Rabatt gab. Alfred, der Penner, der von den Touristen Bier geschnorrt und dafür Hans Albers imitiert hatte, und zwei Griechen, die vorher nie im «Walfisch» gewesen waren, standen noch vor der Tür, über der die Neonlichter erloschen waren.
Mein Chef stieg ins Auto, zum Abschluß hatte er mir zugerufen, daß ich eine dumme Nutte sei, und ich hatte meinen Mittelfinger gehoben, weil es für alte, vulgäre und gemeine Typen kein adäquates Wort gab. Ich überlegte, ob ich eine Taxe nach Hause nehmen sollte und dort ein Bad, eines, das alle Gerüche auslöschte, alle Worte dieser Nacht. Der Angriff der beiden Fremden, die ich für Griechen hielt, kam überraschend. Erst rempelten sie mich an, und meine Handtasche fiel zu Boden. Dann hielt mich einer der beiden von hinten fest, er hielt meine Brüste fest, und während ich aufschrie und nach dem anderen trat, der vor mir stand und obszön mit seiner Zunge spielte, während ich schrie, daß die Dreckskerle mich loslassen sollten, flüsterte mir der Hintermann ins Ohr, daß er guten Stoff im Wagen habe, guten Stoff und guten Schwanz, und als ich ihn anspuckte, schlug er mir ins Gesicht.
Die unbeteiligten Passanten waren zurückgetreten. Ich sah, daß mein Chef die Szene beobachtet hatte, bevor er mit quietschenden Reifen wegfuhr. Ich bettelte und kreischte um Hilfe. Die beiden Huren wandten sich ab und gingen weiter. Das Prinzip der Nichteinmischung war eine Überlebensformel auf St. Pauli, doch stehen alle Prinzipien in konkreten Situationen auf dem Prüfstand, worüber ich in den ersten Sekunden des Überfalls intensiv nachdachte. Die anderen sahen zu, auch der Lehrling, sie alle sahen schweigend zu, wie ich versuchte, meinem Angreifer das Knie zwischen die Beine zu rammen, während ich von hinten festgehalten wurde, wie er auswich und mit der Faust mein Gesicht traf. «Laß das und schaff die Fotze ins Auto», sagte der Hintermann, während meine Lippe aufplatzte und mir das Blut übers Kinn lief. Meine Jacke war nach oben gerutscht, und Alfred, der betrunkene Penner, stierte auf meine Brüste. «Das ist ja ekelhaft», sagte die Frau aus dem Rheinischen. Der Mond war bleich und ungeheuer oben, und ich schrie tausendmal nein, als sie zu zweit begannen, mich in Richtung eines Autos zu zerren. Um Hilfe schrie ich nicht mehr, ich kratzte und trat und war völlig furchtlos und so wütend wie nie zuvor in meinem Leben. Nicht ins Auto war der alles beherrschende Gedanke, der stärker war als die Angst. «Sollte man nicht die Polizei rufen?» hörte ich einen sagen, als ich plötzlich losgelassen wurde und fiel.
«Laßt das Mädchen in Ruhe.» Ich lag unten und sah nach oben. Es war der Türsteher des Nachbarlokals, den sie King Kong nannten, weil er ein bißchen zurückgeblieben war, nicht ganz dicht im Kopf, der zu klein auf seinem mächtigen Körper saß. Sein Gesicht sah völlig unbeteiligt aus, als er einen der beiden Angreifer mit beiden Armen schüttelte und ihn dann mit großer Kraft gegen den zweiten warf, der ein Messer gezogen hatte. Ich duckte mich, als der Typ über mich hinweg gegen den Mann mit dem Messer flog, der vom Aufprall gegen das Auto gedrückt wurde. Das schmerzverzerrte Gesicht desjenigen, der das Messer in die Hüfte bekam, war ein sehr schöner Anblick. Er fluchte und stöhnte und sackte dann zu Boden, während der andere auf seine blutige Hand schaute, das blutverschmierte Messer, blöde und ungläubig, stumm.
«Man muß die Polizei holen.» Eine Stimme aus dem Hintergrund.
«Bring sie um.» Meine Stimme.
King Kong nahm meine Hand und zog mich hoch, doch er ließ den Messermann nicht aus den Augen. Er war ganz ruhig. Ich zitterte und konnte nicht aufhören, mit den Zähnen zu klappern. Der Mond war noch da, und die Leute glotzten. Der Mann am Boden wimmerte. Meine Lippen und Wangen fühlten sich taub an. Als ich am Boden aufschlug, hatte ich mir das Knie geschrammt. Ein Schuh war weg. Ich nahm den zweiten vom Fuß und stieß ihn dem am Auto Lehnenden mit aller Kraft in den Unterleib. Nun schrie auch er, und mein Zittern hörte auf. Ich sprang zurück, bevor er sich auf mich stürzen konnte, was ohnehin schwierig gewesen wäre, weil sein Freund mit der blutenden Wunde an der Hüfte zwischen uns lag.
«Gehen wir», sagte King Kong und nahm mich am Arm.
Der Lärm hatte mehr Gaffer angelockt, sie standen in angemessener Entfernung, und als wir an ihnen vorbeigingen, sah ich sie an, den Lehrling und Alfred und das Touristenpaar, und als der Mann sagte «Sie können doch nicht einfach weggehen», spuckte ich vor ihm aus, was ziemlich weh tat, doch ich traf seine Schuhe, und das war gut. Ganz leicht fühlte ich mich, und die Kälte des Bodens unter meinen nackten Füßen berührte mich nicht. Der Lehrling hielt mir einen Schuh entgegen, doch einer war zuwenig, und ich ließ ihn stehen.
King Kongs Arm war sehr stark und warm, und als wir weit genug weg waren von den anderen, fragte ich nach seinem Namen.
«Heinrich Globbe.»
«Danke, Heinrich.»
Heinrich der Löwe lächelte. Sein Kopf war so klein, und seine Augen standen zu nah beieinander. Der Mund war in Ordnung, doch jemand hatte ihm die Nase gebrochen, irgendwann. Wie ein zu groß geratenes, beschädigtes Kind sah er aus, und obwohl ich nicht klein war, reichte ich kaum bis zu den breiten Schultern. Ich wußte nicht, wohin wir gingen, ich ließ mich von ihm führen und sah nach vorn. Obwohl er öfter im «Walfisch» war, hatte ich ihn bisher nicht sonderlich beachtet, weil er leiser war als die anderen, nicht pöbelte oder grapschte oder anbot, mir Schnaps auszugeben. Vielleicht versuchte er, sich möglichst unauffällig zu benehmen, weil er ein Riese war, ein Monstrum für die anderen, die Kleinen. Im Haus an der Elbchaussee besaßen die Nachbarn eine Dogge, und eines Tages hatte ich beobachtet, wie sie von einem Yorkshireterrier angebellt wurde. Die Dogge hatte einfach dagestanden und sehr erstaunt ausgesehen, belästigt, jedoch unberührt von dem lächerlichen Auftritt eines sich überschätzenden Zwerges. Yorkshireterrier wurden früher von britischen Arbeitern gehalten, weil sie groß und stark waren, weil sie die Ratten in den Arbeiterwohnungen jagten und fraßen, bis die Züchter sie klein machten, immer kleiner für den Geschmack von Menschen; nur die blöden Hunde kapierten nicht, was mit ihnen geschehen war, und fühlten sich immer noch als Giganten. So gesehen hatten die Ratten gesiegt.
«Wohin gehen wir?»
«Zu mir. Da kannst du baden, und ich mache Frühstück. Es ist nur noch eine Straße.» Er sah auf meine nackten Füße, dann hob er mich hoch und trug mich das letzte Stück, auf beiden Armen, und eine Hure, die am Hauseingang lehnte, sagte: «Seht mal, King Kong hat eine weiße Frau gefangen.»
Er zuckte zusammen, ich spürte es, doch er schwieg, und es fiel mir leicht, mich tragen zu lassen. Der Hafen erwachte zum Leben mit all seinen Geräuschen und Gerüchen, und Heinrich trug mich zu einem alten Mietshaus und schloß die Tür auf, ohne mich abzusetzen. Seine Wohnung lag im Parterre, zwei Zimmer mit Bad und Küche, nicht groß, aber sehr viel schöner, als das Haus vermuten ließ. Er führte mich mit Stolz durch die Wohnung, während ich dachte, daß einer wie er allein lebte und nicht oft Besuch empfing: Im Wohnzimmer, an das eine winzige Küche angrenzte, befanden sich eine Couch, ein Sessel, ein Tisch, ein Stuhl. An den Wänden klebten Bilder von Boxern, eine Galerie von zerschlagenen Gesichtern, und auch seines war darunter, Heinrich der Junge, obwohl es schwer war, sein Alter zu schätzen, dreißig vielleicht oder vierzig, die Züge hatten sich eine Kindlichkeit erhalten, die an einem erwachsenen Mann seiner Ausmaße dümmlich wirkten. Er verstärkte diesen Eindruck durch seine Art zu sprechen, langsam, als ob er nach Worten suchen müßte und sie ihn quälten, wenn er sie aussprach.
«Du warst Boxer?»
Er warf mir ein Paar Wollsocken zu. «Ja, ja. Früher. Ich war gut, aber das andere war schlecht. Sie betrügen. Es geht nur ums Geld.»
Heinrich hatte daran gedacht, meine Handtasche aufzuheben, die er jetzt auf den Tisch legte, neben den Stapel von Playboys, die er nicht hastig wegräumte, sondern liegenließ. «Du kannst jetzt baden», sagte er, «ich mache inzwischen Kaffee und hole frische Brötchen. Im Badeschrank sind Jod und Pflaster.»
Es war beruhigend, mit jemandem zu sein, der nur das Notwendige sagte. Der Wasser in die Wanne laufen ließ, mir Handtuch und Bademantel gab und dann in die Küche verschwand. Der die Wohnungstür hinter sich absperrte, während ich mich auszog. Es war eine große, altmodische Wanne, in der man sich ausstrecken konnte. Im Spiegel sah ich ein blasses Gesicht mit großen Augen und einer aufgesprungenen Unterlippe, die nicht mehr blutete. Die schwarzen Haare waren verklebt, ich war in Dreck gefallen. Ich tupfte Jod auf die Lippe und das aufgeschürfte Knie. Es tat weh, doch es hätte schlimmer kommen können, wie sie am Hafen sagten, wenn sie in der Scheiße steckten. Wie hatte Vater es formuliert: Für eine brutale Karriere waren die Wondrascheks nicht geeignet. Er lag in Satinbettwäsche und hatte ein gutes Gewissen. Es ging ja nur um Geld. Ich glitt in die Wanne und genoß das heiße Wasser. Das Badezimmer war weiß gekachelt, sauber und warm. Ein Zuhause, dachte ich, keine Mietvilla und kein Verschlag mit Außentoilette. Die Seife roch nach Zitrone, und an der Wand hing ein Poster mit einem Landschaftsmotiv aus der Toskana. Ich war noch nie in Italien gewesen, an Orten außerhalb Deutschlands oder Österreichs. Das Bild war sehr schön und friedlich, es waren keine Menschen darauf. Kellnerin war kein Beruf für mich, man mußte auch mal einem Vater recht geben, der alles besser wußte und vieles falsch machte. Ich war müde und sehr wach, das Knie brannte im heißen Wasser, und ich hörte, wie er die Tür aufschloß und in die Küche ging mit behutsamen Schritten. Ich tauchte unter.
Heinrichs Bademantel war zu groß. Der Tisch war zu klein für die Mengen an Wurst, Käse, Brot und Marmelade, an Fisch und Pasteten, die er darauf ausbreitete, auf Papier, denn Globbes Geschirrvorrat beschränkte sich auf zwei Teller, zwei Tassen und entsprechendes Besteck. «Ich habe nicht oft Leute hier», sagte er, und das war gewiß eine Übertreibung. Ich dachte an Klaras Küchenphilosophie, den Tag mit einem guten Frühstück zu beginnen, an die sich Vater und ich nie gehalten hatten. Heinrich schenkte Kaffee ein und sah mir zu, wie ich das Brötchen mit Butter und Marmelade bestrich. Er nahm mit den Fingern Sardellen aus der Dose, klemmte sie zwischen zwei Brötchenhälften, und als er hineinbiß, lief das Öl über sein Kinn. Es sah ekelhaft aus.
«Ich wollte nicht, daß du sie umbringst. Auch wenn ich es in dem Moment so gemeint habe.»
«Ist schon gut.» Heinrich griff nach dem zweiten Brötchen und belegte es mit einem Hering.
«Ich habe nicht gedacht, daß mir so etwas passieren würde.»
«Es passiert.» Er lächelte mich an, er war ein glückliches, unkompliziertes Kind mit Tischmanieren, die aus kurzer Distanz schwer zu ertragen waren. Auf das dritte Brötchen schmierte er Mayonnaise und Krabben, würzte alles mit Tabasco und biß dann zu, so daß es an den Rändern weiß herausquoll. Mir wurde übel, und ich sprang auf, um ins Bad zu laufen. Trotz meiner abwehrenden Handbewegung, sprechen konnte ich nicht mehr, folgte er mir, und er hielt meinen Kopf, als ich mich in der Toilette erbrach. Er hielt mich ganz sanft, und als es vorbei war, wischte er mir mit einem nassen Handtuch das Gesicht ab. «Ich bin ein Idiot», sagte er, und: «Du schläfst jetzt besser.»
Ich wollte nicht schlafen, doch ich war so müde, und ich saß auf dem Boden neben dem Bett, während er die Wäsche wechselte, und ich dachte, daß ich ihn lieben könnte, wenn er ein Hungerkünstler wäre. Ich zog den Bademantel aus, als er fertig war, was gäbe es noch vor ihm zu verbergen? Und als er gehen wollte, als ich im Bett lag, nahm ich seine Hand und bat ihn, sich zu mir zu legen. Ich war klein, und er war ein glückliches Kind, groß und so erstaunlich sanft, ich wollte es hinter mich bringen, und warum nicht mit einem komischen Kerl, der Frauen beistand, sie zum Erbrechen brachte und dabei ihren Kopf hielt?
Heinrich lächelte, als ich seine große Hand auf meine Brust legte, er nahm sich Zeit mit meinen Brüsten, und wenn ich die Augen schloß, spürte ich viel beruhigendes, beschützendes Gewicht auf mir, und er sagte nichts, sondern küßte sich meinen Körper entlang, lange, bis ich sein Glied nahm und dorthin führte, wo der einzig angemessene Platz war in dieser Situation. Der Schmerz war viel geringer, als ich erwartet hatte, doch er erschrak und zog sich zurück, so daß er über meinen Schenkeln kam, die naß und klebrig wurden. «O Gott», sagte er, und ich dachte an Vater, der die Wahl meines ersten Liebhabers gewiß mißbilligt hätte. Es war ohne Bedeutung, denn ich war jetzt erwachsen und wußte Glück von Unglück zu trennen. Heinrich sah so verstört aus, daß ich seinen Kopf auf meine Brüste legte und seinen Hinterkopf mit den borstigen hellblonden Haaren streichelte. «Es ist gut», sagte ich schläfrig, «der kann uns nichts tun.»
Klara hatte mir oft das Gedicht mit dem Pflaumenbaum vorgetragen, als ich Kind war und nicht einschlafen konnte. Der Baum war so klein, daß man ihn mit einem Gitter schützte. War so klein, weil die Sonne nicht auf ihn schien, weshalb er keine Pflaumen trug und man ihn nur an den Blättern erkennen konnte. Ich brauchte Klara nicht mehr, niemanden, außer Heinrich hier und jetzt, der auf meine Brüste weinte und den ich liebte, bis ich einschlief.