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3. Kapitel

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Wieder einmal fährt Norbert Höchst am Morgen die Strecke ab und hofft, dass er diese Melanie sieht. Sie ist ihm in den letzten vier Wochen nicht aus dem Kopf gewichen. Aber sie ist weiterhin nicht auffindbar.

Nach einem Monat sagt er sich, jetzt lässt er es sein. Es bringt doch nichts.

Außerdem kostet ihn dieser Ausflug jedes Mal eine Stunde und die fehlt ihm im Büro. Seine Sekretärin wird in gut zwei Monaten die Firma verlassen. Sie heiratet und zieht zu ihrem Mann nach Karlsruhe.

Mit seinen Geschäftspartnern berät er sich. Während zwei Monaten verläuft die Suche nach einer neuen Sekretärin durch Mundwerbung vergeblich. Sie entschließen sich zu einer Anzeige und melden die freie Stelle auch bei der Jobbörse.

*

Melanie öffnet mittags als sie mit Jonas vom Kindergarten kommt den Briefkasten und zieht einen Brief vom Arbeitsamt heraus. Sie seufzt. Das hat bestimmt nichts Gutes zu bedeuten.

Inzwischen muss Melanie sich noch mehr einschränken und findet kaum Lösungen um die beiden Enden vom Monatsanfang bis zum Monatsende zusammenzufügen. Sie wird immer dünner, weil sie sich alles vom Mund abspart um ihrem Liebling möglichst viel zu gönnen.

Den Brief legt Melanie neben dem Telefon ab. Zuerst muss Jonas etwas essen.

Nachmittags geht sie mit ihrem Sohn in den Park. Sie wollen den Sonnenschein ausnützen und Jonas soll mit anderen Kindern spielen.

Erst am Abend, als sie mit ihren spärlichen Einkäufen wieder nach Hause zurückkehren, fällt Melanie der Brief vom Arbeitsamt wieder auf.

Sie öffnet ihn und stellt fest, dass man ihr einmal mehr eine Stellenanzeige geschickt hat. Hoffnungen macht sie sich nicht, aber morgen wird sie bei der Firma anrufen.

*

Am nächsten Morgen, als Jonas im Kindergarten ist ruft Melanie schließlich bei der Baufirma an. Erst in drei Tagen bekommt sie am späten Vormittag einen Termin.

So bleibt ihr Zeit ihre Bewerbungsunterlagen vorzubereiten und nachzusehen ob ihre einfache Bewerbungskleidung sauber ist und ordentlich gebügelt.

Am Vorabend des Vorstellungsgesprächs klingelt Melanie bei Frau Selend.

„Tut mir leid, dass ich Sie schon wieder belästige“, beginnt sie.

„Frau Frei, das ist doch kein Problem“, Frau Selend tritt zur Seite, „wollen Sie nicht kurz reinkommen?“

Zögernd tritt Melanie schließlich über die Schwelle. Drüben schläft Jonas alleine und sie möchte ihn nicht gerne unbeaufsichtigt lassen falls er aufwacht.

„Setzen Sie sich“, fordert die Nachbarin sie auf. „Möchten Sie eine Tasse Tee.“

„Ja, gerne“, Melanie setzt sich an den Tisch.

„Frau Selend“, beginnt sie nun, „ich habe morgen am späten Vormittag ein Vorstellungsgespräch.“

„Das ist ja wunderbar, Kindchen.“ Frau Selend setzt sich zu ihr und tätschelt ihre linke Hand. „Wo denn?“

„In einer Baufirma“, erklärt Melanie. „Das Arbeitsamt hat sie mir vorgeschlagen.“

„Na, dann drücke ich Ihnen ganz fest die Daumen.“

„Danke, Frau Selend. Ich möchte Sie nicht umsonst belästigen, aber ich weiß nicht ob ich rechtzeitig fertig bin um Jonas abzuholen.“

Wieder tätschelt Frau Selend Melanies Hand. „Machen Sie sich mal keine Sorgen. Sie wissen doch wie sehr mir der Kleine ans Herz gewachsen ist. Wichtig ist, dass Sie wieder eine Arbeit bekommen.“

„Tja, so einfach ist das nicht. Sie wissen ja, die Arbeitszeiten sind immer das Hauptproblem.“

„Nun hören Sie sich erst einmal an, was die zu sagen haben. Dann können Sie immer noch entscheiden.“

Melanie druckst ein bisschen herum. „Nun ja, viele Möglichkeiten zu entscheiden habe ich nicht mehr. Ich muss jetzt unbedingt Geld verdienen. Wir können so nicht mehr weiterleben.“

„Wissen sie was, Frau Frei, Sie hören sich an, was das für eine Arbeit ist. Hinterher setzen wir uns zusammen. Bestimmt finden wir eine Lösung. Mir ist der Tag auch oft zu lang. Da ist es doch schön, wenn man so einen kleinen Kerl um sich hat. Meine Kinder scheinen mich ja nicht mit Enkeln beschenken zu wollen. Also adoptiere ich, bildlich gesprochen, Jonas als meinen Enkel.“

Melanie stehen die Tränen in den Augen. „Ach, Frau Selend, ich weiß nicht was ich ohne Sie machen würde.“

„Und ich ohne meine lieben Nachbarn“, nun fließen auch bei Frau Selend ein paar Tränchen. „Ich bin ja auch allein. Meine Kinder melden sich nur selten bei mir. Das stimmt mich manchmal traurig.“

Frau Selend gießt nochmals Tee nach und knabbert eins von den Keksen, die sie auf den Tisch gestellt hat.

„So, nun muss ich wieder gehen.“ Melanie steht auf. „Ich bin immer beunruhigt, wenn Jonas alleine zu Hause ist.“

Die zwei Frauen wünschen sich gute Nacht und umarmen sich kurz.

„Viel Glück“, ruft Frau Selend noch als Melanie ihre eigene Wohnungstüre aufschließt.

*

„Schatz“, sagt Melanie, als sie mit Jonas am Frühstückstisch sitzt. „Heute holt dich Frau Selend vom Kindergarten ab.“

Jonas, der gerade einen Löffel überfüllt mit Cornflakes und Kakao in den Mund schieben will lässt diesen in die kleine Schüssel fallen. Spritzer verteilen sich auf dem Wachstischtuch. „Warum?“

„Ich muss heute in einem Büro vorbei. Vielleicht kann ich dort arbeiten.“

„Ich will nicht, dass du arbeitest. Du sollst bei mir sein“, schreit Jonas trotzig.

Melanie steht auf und geht um den Tisch herum: „Jonas, mein Liebling, ich muss ein bisschen arbeiten, damit es uns besser geht. Weißt du, ich bin auch gerne bei dir, aber immer geht das eben nicht.“

„Was wird dann aus mir?“, erkundigt sich Jonas beunruhigt.

„Na, morgens bist du doch im Kindergarten“, beruhigt ihn Melanie, „und nachmittags bin ich bei dir, oder vielleicht ab und zu Frau Selend. Die magst du doch auch gern.“

An Jonas Wimpern schimmern noch Tränen. „Ist Frau Selend meine Oma.“

Melanie lächelt. „Sie ist nicht deine richtige Oma, aber sie liebt dich wie eine richtige Oma.“

Jonas schüttelt den Kopf und wendet sich wieder seinen, nun aufgeweichten, Cornflakes zu. Melanie nimmt ebenfalls ihren Platz ein.

„Wie kann Frau Selend mich wie eine richtige Oma mögen, wenn sie nicht meine richtige Oma ist?“

Melanie schmunzelt. „Weißt du, Schatz, bei den großen Leuten ist das manchmal kompliziert. Frau Selend ist nicht meine Mama, deswegen ist sie auch nicht deine richtige Oma.“

„Hast du keine Mama“, Jonas war neugierig geworden.

„Doch“, sagt Melanie langsam, „aber die ist so weit weg, dass sie uns nicht besuchen kann.“

Traurig denkt Melanie an die Vorkommnisse als sie ihren Eltern, die in einem kleinen Dorf in der Nähe wohnen, eröffnet hat, dass sie schwanger ist und keine Aussicht besteht den Vater des Kindes zu heiraten, weil der bereits verheiratet ist.

Melanies Eltern sind streng gläubig. Außerdem hat es von jeher eine Rolle gespielt was die Nachbarn sagen könnten. Eine Tochter mit einem unehelichen Kind passte so gar nicht in dieses Klischee.

Also war es für Familie Frei das Einfachste ihre Tochter des Hauses zu verweisen und ihr zu verbieten jemals wieder Kontakt aufzunehmen.

Für Melanie war dies ein harter Schlag, der ihr immer noch wehtut, wenn sie heute an die damalige Aussprache, oder besser Auseinandersetzung dachte. Wie konnten christliche Menschen nur so hartherzig sein?

Aber sie hielt sich an das Verbot, jemals wieder ins Dorf zu kommen und sei es auch nur um den kleinen süßen Enkel vorzustellen.

So kommt es also, dass Jonas nie seine Großeltern besuchen darf.

„So, Jonas“, kehrt Melanie wieder zum Alltag zurück, „Zähne putzen, wir sind schon spät dran.“

Gerade noch rechtzeitig kommen die Zwei am Kindergarten an. Der Erzieherin sagt Melanie noch, dass die Nachbarin den Jungen abholen wird.

Dann umarmt sie ihren Sohn. Nervös und unruhig kehrt sie alleine nach Hause zurück.

Melanie duscht sich und zieht sich sorgfältig an. Ein bisschen Kajal und Wimperntusche. Auf einen Lippenstift verzichtet sie. Den verwischt sie doch gleich wieder.

Rechtzeitig macht sie sich mit dem Rad auf den Weg, damit sie pünktlich für das Vorstellungsgespräch vor Ort ist.

Die Hände sind mit kaltem Schweiß bedeckt. Peinlich, wenn sie jetzt jemandem die Hand schütteln soll.

Unfall ins Glueck

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