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„Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.“

Erstaunt hebt Jutta den Kopf und blickt in ein freundlich lächelndes Gesicht. Der junge Mann verschließt gerade einen metallfarbigen BMW. Er ist größer als sie, hat blondes, nicht zu kurzes Haar und sieht für ihre Begriffe umwerfend aus.

„Woher wissen Sie das?“, fragt sie immer noch verblüfft.

Er deutet auf das Zulassungsschild ihres Fahrzeugs, das unverkennbar das Datum ihres Geburtstags anzeigt. Sie war stolz darauf, ein Wunschkennzeichen zu bekommen, doch jetzt fragt sie sich, ob die Idee wirklich so gut war.

Trotzdem nickt sie und lächelt nun auch.

„Darf ich Sie auf einen Kaffee einladen“, will der Fremde wissen. „Zur Feier des Tages“, fügt er schnell hinzu.

Jutta zögert nicht lange. Ihr Mann ist auf Montage in Singapur. Die Zwillinge haben vor einem, beziehungsweise einem halben Jahr das Haus verlassen. Dieser Fremde ist der erste, der ihr heute zum Geburtstag gratuliert. Und was ist schon dabei, mit diesem Mann einen Kaffee zu trinken.

Sie hat sich heute frei genommen und wollte an diesem Nachmittag im Sonnenschein einen kleinen Bummel in Kempten machen. Ob Bummel oder Kaffee? Diese Frage stellt sich plötzlich nicht mehr.

„Ja, gerne“, antwortet sie deshalb spontan.

Der Fremde nähert sich ihr und streckt ihr die Hand entgegen: „Darf ich mich vorstellen, Peter Schützer.“

Jutta ergreift die Hand und nennt ebenfalls ihren Namen: „Jutta Habers.“

„Sehr erfreut, Jutta. Wollen wir in Richtung Forum gehen. Vielleicht bekommen wir noch einen Platz beim Cuccina.

Schweigend folgt sie ihm zum Forum. Inzwischen bekommt sie doch Gewissensbisse. Der Mann ist mindestens zehn Jahre jünger als sie. Und überhaupt, lernt man nicht schon als Kind, dass man fremden Männern nicht folgen soll, vor allem, wenn sie einem etwas anbieten? Jetzt ist es zu spät. Jutta macht gute Miene zum undurchsichtigen Spiel.

Sie kommen beim Forum an. Vor dem Cuccina ergattern sie tatsächlich einen kleinen Tisch in der Sonne und lassen sich nieder.

Peter setzt sich ihr gegenüber und lächelt sie weiter freundlich an. Diese Freundlichkeit kann doch nicht echt sein. Jutta ist mulmig zumute, aber das will sie nicht zeigen. Tapfer lächelt sie zurück.

„Was darf ich Ihnen bestellen?“, erkundigt sich ihr Begleiter. „Ein Glas Sekt vielleicht, um auf Ihren Geburtstag anzustoßen?“

„Nein“, wehrt Jutta vehement ab, „ich trinke nicht, wenn ich Auto fahre.“

„Gut, wie wäre es mit einem Eiskaffee oder überhaupt mit einem Eis?“

Jutta überlegt nicht lange: „Eiskaffee? Das ist eine gute Idee.“

Die Bedienung nähert sich und Peter bestellt zwei Eiskaffee. Dann wendet er sich an sie: „Wie kommt es, dass sie an Ihrem Geburtstag alleine sind? Eine schöne Frau wie Sie?“

Jutta fühlt sich geschmeichelt, findet aber die Bemerkung „schöne Frau“ etwas weit hergeholt. Wo soll sie mit ihren fünfundvierzig, die sie heute wird, bitte noch schön sein. Trotzdem glaubt sie antworten zu müssen:

„Nun ja, während der Woche haben die Leute keine Zeit zu feiern, also habe ich es auf das Wochenende verschoben.“ Das entspricht sogar der Wahrheit. Ihre Familie, außer ihrem Mann, der nach wie vor in Singapur verweilt, wird am Sonntag zum Kaffee zu ihr kommen. Der Samstag ist mit Kuchen backen und putzen bereits verplant.

„Ja, das stimmt natürlich“, gibt Peter zu. „Umso mehr freut es mich, dass ich mit Ihnen anstoßen darf, auch wenn es nur mit Eiskaffee ist.“

Der Eiskaffee wird ihnen serviert und beide stochern mit ihren Strohhalmen im Eisbecher um Eis, Kaffee und Sahne etwas durcheinanderzumischen. Über den Eisbecher hinweg schauen sie sich an und plötzlich lächeln sie.

„Schon witzig, dass Sie auch erst den Eiskaffee vermischen“, stellt Jutta immer noch lächelnd fest.

Peter nickt jetzt ernst und antwortet: „Die erste Gemeinsamkeit haben wir also festgestellt.“

Jutta fragt sich nach wie vor, weshalb dieser gut aussehende Mann sich mit ihr abgibt. Er kann doch bestimmt Dutzende junge und hübsche Mädchen verführen. Sie hat nichts und stellt auch nicht viel dar.

„Ich würde viel darum geben, zu erfahren an was Sie jetzt gerade denken“, holt ihr Gegenüber sie aus den Gedanken.

„Ach nichts Besonderes.“

„Das sah aber nicht so aus.“

Sie widmen sich wieder ihrem Eiskaffee, den sie langsam und genüsslich löffeln und mit dem Strohhalm trinken.

„Sagen Sie“, fährt Peter nun fort, „wenn Sie heute nicht feiern und alleine sind, dann könnten Sie mit mir doch zum Essen gehen.“

Jutta blickt ihn mit großen Augen an und schüttelt den Kopf. Schließlich sagt sie: „Das geht nicht.“

„Ich könnte jetzt sagen: Geht nicht, gibt’s nicht“, lacht Peter kurz und spricht weiter, „aber das sage ich nicht. Es ist zu abgedroschen. Überlegen Sie es sich doch. Was wollen Sie an Ihrem Geburtstag alleine zu Hause tun? Machen Sie mir die Freude. Bitte.“

Man sieht Jutta förmlich an, wie sie hin- und herüberlegt und sich nicht entscheiden kann. Natürlich hat dieser Mann Recht. Was soll sie allein in ihrem kleinen, leeren Reihenhaus? Niemand wartet auf sie. Ja, niemand hat sich überhaupt die Mühe gemacht, sie zu ihrem Geburtstag anzurufen. Trotzdem zögert sie noch. Sie wird aus diesem Mann nicht schlau.

„Und, was ist?“, hakt Peter nach, der Juttas Unentschlossenheit bemerkt. „Geben Sie sich bitte einen Stoß“, fleht er sie scheinbar an.

Jutta schaut ihm in die Augen, die sie freundlich anlächeln. Schließlich sagt sie: „Also gut, aber ich bezahle selbst.“

Peter streckt seine linke Hand aus und legt sie kurz auf Juttas rechte an der ihr Ehering steckt. „Freut mich, dass Sie das Abendmahl mit mir teilen wollen.“ Die Bezahlung schneidet er nicht an. Er zieht sein Handy aus der Hemdtasche und sucht offensichtlich eine Nummer. Dann spricht er und reserviert einen Tisch. Wo, das kann Jutta nicht hören. Und wieder einmal fragt sie sich, in was sie sich eingelassen hat.

„So“, sagt der schöne Mann und lächelt sie wieder an, „Sie wollten bummeln gehen, oder habe ich etwas falsch verstanden?“

Zögernd antwortet Jutta: „Ja, aber das war nur ein Zeitvertreib.“

„Wir können doch trotzdem bis zur Fischerstraße bummeln. Zum Abendessen ist es ein bisschen zu früh.“

„Wo haben Sie denn reserviert?“, wagt Jutta nun doch zu fragen.

„Kennen Sie das Mylord? Es ist gar nicht weit von hier entfernt.“

„Ja“, Jutta nickt, „ich habe davon gehört, bin aber nie dort gegessen. Es soll gut sein, habe ich mir sagen lassen.“

Peter lächelt schon wieder: „Das dürfen Sie heute Abend selbst testen.“

Wieder nickt Jutta, sagt jedoch nichts. Das wird bestimmt ganz schön teuer. Hoffentlich akzeptieren sie die EC-Karte.

Die Eisbecher sind leer. Peter zückt seinen Geldbeutel um zu bezahlen. Jutta öffnet rasch ihre Handtasche und holt ebenfalls ihre Geldbörse heraus.

„Was machen Sie denn da?“, erkundigt sich Peter neugierig und zieht die Augenbrauen hoch.

„Meinen Eisbecher bezahlen“, kommt es von Jutta.

„Aber Jutta, ich habe Sie doch eingeladen. Bitte nehmen Sie mir die Freude nicht.“

Jutta wird es zu bunt. Lange genug hat er mit ihr gespielt, sie wird nicht weiter für seine Verlockungen zur Verfügung stehen. Schließlich ist sie eine reife, noch verheiratete Frau und ist nicht auf ein schnelles Abenteuer aus, das dieser Mann ganz offensichtlich anstrebt. Und so sagt sie:

„Hören Sie Peter, es war nett mit Ihnen hier Eis zu essen. Sie hatten auch Ihren Spaß, mich auf den Arm zu nehmen, aber ich bezahle mein Eis selbst. Dann werde ich aufstehen und den Rest des Tages alleine verbringen. Suchen Sie sich bitte ein anderes Opfer über das Sie sich lustig machen können.“

Scheinbar betreten und mit traurigen Augen blickt er sie an. „Diesen Eindruck habe ich also auf Sie gemacht? Entschuldigen Sie, das lag nicht in meiner Absicht. Wirklich nicht! Ich finde Sie schön, anziehend und Sie sehen so alleine und verloren aus. Lassen Sie mich Ihnen einen schönen Geburtstag schenken. Mehr ist es doch nicht. Bitte, bitte. Das wird meine gute Tat des Tages. Und ich kann heute Nacht ruhig schlafen.“ Jetzt lächelt er sie entwaffnend an.

Wider Willen muss Jutta ebenfalls lächeln. Was soll sie tun? Ihr Vorhaben in die Tat umsetzen, bezahlen und verschwinden oder mit diesem Menschen bummeln gehen und später zu Abend essen. Sie schwankt und wieder sagt sie sich, was soll sie denn alleine zu Hause anstellen?“

Schließlich willigt sie ein.

„Das ist ein Wort.“ Peter gibt sich erleichtert über Juttas Entscheidung. „Sie machen mich zum glücklichsten Mann des Tages.“

Wie kann dieser junge Mann nur so schmalzig daherreden, denkt sich Jutta und muss schon wieder lächeln.

Wann hat zum letzten Mal ein Mann so nette Dinge zu ihr gesagt. Jutta kann sich nicht erinnern. Fünfzehn Jahre sind es bestimmt her. So lange fühlt sie sich in ihrer Ehe schon nicht mehr glücklich.

„Nun stecken Sie mal Ihr Geld wieder ein“, reißt Peter sie aus ihren Gedanken. Er ruft die Bedienung und verlangt die Rechnung. Nachdem er bezahlt hat, erheben sie sich und schlendern in Richtung Fischerstraße.

Sie berühren sich nicht. Trotzdem prickelt die Luft spürbar zwischen der Frau und dem Mann.

„Hatten Sie ein bestimmtes Ziel oder ein Geschäft in das Sie gehen möchten?“, erkundigt sich Peter.

„Nein, einfach nur schauen. Vielleicht sehe ich etwas, das mir gefällt.“

Zunächst betreten sie K & L. Sie streifen durch die Abteilungen und schon schickt Jutta sich an, das Geschäft wieder zu verlassen. So besuchen sie verschiedene Kaufhäuser ohne etwas zu erwerben. Schließlich gelangen sie zum Rathausplatz.

„Ich habe Durst. Sie nicht auch?“, fragt Peter.

Jutta nickt. „Ja, doch.“

„Bis wir ins Restaurant gehen bleibt noch Zeit. Lassen Sie uns hier etwas trinken. Es ist so schön in der Sonne.“

Sie finden einen freien Tisch und setzen sich nebeneinander.

„Wie schön und interessant die Menschen zu beobachten“, glaubt Jutta erklären zu müssen.

„Ja, das finde ich auch. Deshalb setze ich mich gerne in Straßencafés.“

Beide bestellen ein Holunderschorle und lächeln sich dann an.

„Unsere Geschmäcker ähneln sich“, stellt Peter fest.

„Nun ja, so viele Möglichkeiten zu vergleichen hatten wir ja noch nicht“, schränkt Jutta sofort ein.

Peter schaut sie von der Seite an und zwinkert mit dem linken Auge: „Das lässt sich ändern.“

Jutta zieht es vor, nicht näher auf diese Andeutung einzugehen und sagt deshalb, „die Schorle schmeckt gut.“

„Ja, das stimmt.“

„Sehen Sie den Mann dort im grauen Polohemd?“, Peter deutet diskret auf einen Mann, der über den Platz spaziert.

Jutta nickt.

„Das war mein Biologielehrer am Gymnasium. Wir mochten uns nicht sonderlich.“ Dabei hebt er die Schultern.

„Nun ja, das kommt vor“, sagt Jutta.

„Er hatte aber auch allen Grund dazu“, Peter lächelt bei der Erinnerung. „Ich war kein guter Schüler. Zumindest nicht in Fächern, die mich nicht interessiert haben und in denen man zu viel auswendig lernen musste. Als wir einmal einen nicht angesagten Test geschrieben haben, war ich natürlich nicht vorbereitet. Anstelle die Fragen zu beantworten oder ein leeres Blatt abzugeben habe ich zu jeder Frage einen Witz geschrieben“

Jutta dreht sich erstaunt Peter zu: „Das haben Sie gewagt?“

„Ja. Ich fand es sehr lustig, aber leider nicht Herr Müller. Außer einer Sechs bekam ich eine Strafaufgabe und musste an einem Freitagnachmittag nachsitzen. Selbst der Direktor ist eingeschaltet worden. Heute würde man das vielleicht nicht mehr so streng sehen, aber dieser alte Herr hatte wenig Sinn für Humor. Danach hat er mir das Leben in der Schule zur Hölle gemacht. Meine Eltern hatten ein Einsehen mit mir und ich durfte die Schule wechseln.“

„Ihre Eltern haben viel Verständnis gezeigt“, wundert sich Jutta, die in dieser Hinsicht ganz andere Erfahrungen gesammelt hat.

„Sagen wir es so, ihnen lag daran, dass ich das Abitur mache und studiere. Aus mir sollte schließlich etwas werden.“ Peter lacht bei den Gedanken.

Die Frage ob aus ihm etwas geworden ist, stellt sie vorsorglich nicht. Sie möchte nicht zu viel Persönliches erzählen, also fragt sie auch bei ihm nicht nach persönlichen Dingen.

Aber da erkundigt sich Peter schon: „Und, haben Sie auch einen Schwank aus Ihrer Kindheit oder Schulzeit zu erzählen?“

„Ich war eine brave Schülerin. Meine Eltern hätten mir das Leben schwer gemacht, wenn ich mir in der Schule einen Patzer erlaubt hätte. Und einen Lehrer zu ärgern, das wäre einer Katastrophe gleich gekommen. Schließlich sind für meine Eltern Lehrer, Ärzte und Pfarrer so etwas wie Halbgötter.“

„Das war bei uns nicht ganz so. Man hat sich immerhin regelmäßig im Golfclub oder sonst an einem Ort getroffen“, gibt Peter zu.

Die Erwähnung des Golfclubs zeigt Jutta ihre Grenzen. Sie leben nicht in der gleichen Welt. Das hat sie schon gesehen, als er sie angesprochen hat und das wird ihr jetzt wieder bewusst. Und erneut stellt sie sich die Frage, was dieser Mann, der um einiges jünger ist als sie, überhaupt von ihr will. Heute wird sie einen netten Geburtstag mit einem fremden Mann verbringen, den sie danach nie mehr treffen wird. Es ist also alles im grünen Bereich. Und dann sagt sie um das Schweigen nicht allzu lange andauern zu lassen:

„Nun ja, ich gehe davon aus, dass dieser Herr Müller nicht zum Golfclub gehörte. Sonst hätte er sie vielleicht nicht so abgestraft.“

Peter lacht und ergreift ihre Hand, die auf der Lehne ihres Stuhls liegt. „Da haben Sie Recht. Nein, da hätte er nun wirklich nicht hineingepasst.“

Jutta entzieht ihm ihre Hand wieder. Nur nicht zu viel Körperkontakt. Schließlich ist sie auf Entzug und möchte keinen falschen Schritt machen, auch wenn ihre Ehe nur noch auf dem Papier besteht.

„Woran sieht man, ob jemand in einen Golfclub passt?“, hakt Jutta etwas verärgert nach. Diese Überheblichkeit findet sie nicht angebracht und spricht weiter: „Am Geldbeutel?“

Peter dreht sich auf dem Stuhl nun ganz zu ihr hin, schaut ihr offen ins Gesicht, ergreift wieder ihre Hand und sagt mit bedrückter Stimme:

„Ich wollte Sie nicht kränken. Aber, Sie haben Recht. Leider ist immer noch der Geldbeutel ein wichtiges Kriterium. Zumindest in den meisten Clubs.“

Jutta will ihm ihre Hand entziehen, doch er lässt es nicht zu. Sie gibt nach und belässt ihre Hand in seiner.

„So“, hört sie ihn sagen, „dann lassen Sie uns aufbrechen und zum Essen gehen. Ich bin mir sicher, es wird Ihnen schmecken.“

Nun legt er ihre Hand wieder auf der Lehne ihres Stuhls ab und zieht seine Geldbörse aus der Gesäßtasche. Jutta nimmt ihre Handtasche und zieht ebenfalls ihren Geldbeutel heraus.

Peter legt die Hand auf Juttas Arm und sagt: „Bitte machen Sie mir eine Freude und seien Sie heute mein Gast.“

Jutta will sich widersetzen, als der Kellner mit der Rechnung kommt um abzukassieren. Peter hat schnell einen Schein bei der Hand und drückt ihn dem Kellner in die Hand. Wieder bleibt Jutta nichts anderes übrig als zuzusehen wie Peter ein großzügiges Trinkgeld gibt.

Ist er ein Aufschneider oder kann er tatsächlich auf großem Fuß leben. Jutta ist sich unschlüssig, was sie glauben soll.

„Vielen Dank“, sagt sie schließlich.

Sie erheben sich und gehen in Richtung Forum zurück. Diesmal erlaubt sich Peter Jutta am Ellbogen zu halten. Sie wehrt sich nicht. Im Gegenteil, es ist ihr angenehm.

Es darf nicht sein, sagt sie sich immer wieder, aber sie wehrt sich trotzdem nicht. Zu einsam fühlt sie sich seit einiger Zeit.

Nach einem Spaziergang an den Geschäften vorbei, die sie vorhin besucht haben kommen sie im Restaurant Mylord an. Sofort werden sie in Empfang genommen und an einen Tisch für zwei Personen geführt.

Jutta setzt sich auf die Bank. Peter ihr gegenüber auf den Stuhl. Lächelnd blickt er ihr in die Augen. Der Chef des Hauses, der nach Juttas Empfinden wie ein Süditaliener aussieht, reicht ihnen die Speisekarten. Die Auswahl ist groß und Jutta hat Mühe eine Entscheidung zu treffen. Diesmal will sie wirklich ihre Zeche selbst bezahlen. Sie möchte sich nicht von diesem Fremden aushalten lassen. Wer weiß, welche Rechnung er ihr hinterher präsentiert.

Sie entscheidet sich für ein Lachscarpaccio und im Anschluss für Tagliatelle mit Meeresfrüchten. Wieder trifft Peter die gleiche Entscheidung wie sie, obwohl sie sich nicht abgesprochen haben. Auf einen Aperitif verzichten sie.

„Darf ich dich, ich darf doch du sagen“, erkundigt sich Peter vorsichtig, „zu einem Glas Wein einladen?“

„Nein, lieber nicht.“

Peter zieht die rechte Augenbraue fragend hoch und hakt nach: „Nein, lieber nicht zum Du, zum Wein oder zu beidem?“

„Zum Wein“, klärt Jutta ihn auf. Zum Du äußert sie sich nicht. Er wird daraus schließen, dass sie nichts gegen dieses Du einzuwenden hat. Obwohl es ein weiterer Schritt der Annäherung ist, die sie nicht möchte, wehrt sie sich nach wie vor nicht. Heute ist ihr Geburtstag. Sie wird fünfundvierzig. Da darf man schon einmal mit dem Feuer spielen, sagt sie sich und muss über sich selbst schmunzeln.

„Wie schön du bist, wenn du lächelst“, nimmt Peter sofort ihre Stimmung auf. „Darf ich fragen worüber du schmunzelst?“

Jutta muss sich schnell eine sinnvolle Antwort einfallen lassen. Und so erklärt sie: „Ich hätte mir nie träumen lassen, dass ich meinen Geburtstag mit einem fremden Mann verbringe. Das ist doch verrückt und unwirklich.“

„Verrückt ist tatsächlich, dass wir uns gerade heute begegnet sind. Doch so wildfremd bin ich doch gar nicht mehr. Schließlich haben wir bereits“, er schaut auf eine offensichtlich teure Armbanduhr und lächelt sie wieder an, „mehr als drei Stunden zusammen verbracht.“

„Stimmt, das ist für eine erste Begegnung schon ziemlich lange.“ Jutta lächelt wieder, „aber trotzdem.“

„Nichts, aber trotzdem“, mit der rechten Hand macht er eine Bewegung als wolle er ihre Bemerkung wegwischen. „Ich habe dir schon meine Untat in der Schule gebeichtet.“

Jutta lacht. Der Kerl muss verrückt sein. Kein normaler Mensch benimmt sich so locker und naiv. Oder dient alles nur dazu sie zu umgarnen? Natürlich will er sie um den Finger wickeln. Wo soll das nur enden?

Der Wirt kommt um die Bestellung aufzunehmen. Peter schaut sie nochmals an: „Also wirklich keinen Wein?“

Jutta schüttelt den Kopf. Peter gibt die Bestellung auf und bittet um eine große Flasche Wasser mit zwei Gläsern.

„Tanzt du gerne?“, will er aus heiterem Himmel wissen.

Mit großen Augen schaut Jutta ihn an. Was soll das nun wieder? Ja, natürlich tanzt sie gern. In Gedanken versucht sie nachzurechnen, wann sie das letzte Mal getanzt hat. Sie erinnert sich nicht. Es muss schon Jahre her sein.

„Peter an Station Jutta!“ Peter winkt mit seiner rechten Hand vor ihren Augen und wiederholt die Frage: „Tanzt du gerne?“

Er hat Juttas Aufmerksamkeit wiedererlangt. Sie lächelt ihn traurig an. „Ja, ich habe gerne getanzt, aber das ist so lange her, dass ich es gar nicht mehr kann.“

„Quatsch, das verlernt man nicht. Das ist wie Schwimmen oder Radfahren. Wenn man es einmal kann, kann man es immer.“

Jutta schüttelt den Kopf: „Da wäre ich mir nicht so sicher.“

Peter streckt seine linke Hand aus und legt sie auf Juttas rechte, an der immer noch ihr Ehering steckt. „Dann lass es uns heute versuchen“, schlägt er vor.

„Nein, Peter, nach dem Essen verabschieden wir uns. Jeder geht dann seinen Weg. Es ist nett, dass du diesen Tag mit mir verbringst, aber mehr ist da nicht.“

„Was hat das bitte mit Tanzen zu tun?“, ungläubig schaut er sie an. „Du tanzt gerne, ich tanze gerne; weshalb sollen wir nicht tanzen gehen?“

„Ich bin eine verheiratete Frau“, glaubt Jutta ihn auf den Boden der Tatsachen zurückholen zu müssen.

„Das habe ich gesehen“, bestätigt er schlicht. „Aber trotzdem bist du an deinem Ehrentag alleine.“

„Das hat nichts zu sagen“, rechtfertigt sie sich, „mein Mann ist auf Montage im Ausland.“

„Und du meinst jetzt, er hat etwas dagegen, wenn du mit mir zum Tanzen gehst?“

„Nein, das nicht.“

Ein Kellner bringt die Flasche Wasser und zwei Gläser. Er gießt ein. Peter ergreift sein Glas und prostet Jutta wieder zu.

„Auf deinen Ehrentag. Es freut mich, ihn mit dir verbringen zu dürfen.“

Sie stoßen an und trinken einen Schluck. Ein kurzes Schweigen tritt ein, dann sagt Peter:

„Ich habe selten Gelegenheit Tanzen zu gehen. Du offensichtlich auch. Weshalb sollen wir uns also nicht zusammentun?“

Das hört sich logisch an, muss Jutta sich selbst eingesehen. Trotzdem kann sie sich nicht mit dem Gedanken anfreunden. Und so fragt sie:

„Hast du keine Freundin, Frau, Lebensgefährtin mit der du Tanzen gehen kannst?“

Traurig schüttelt Peter den Kopf: „Das ist nicht so einfach“, gesteht er. „Seit fünf Jahren bin ich mit Anita zusammen. Vor einem halben Jahr hat sie einen guten Job in München bekommen. Seither läuft es nicht mehr rund zwischen uns. Ich kann es nicht erklären. Ich spüre es einfach.“ Dann lächelt er. „Aber das hat doch nichts mit uns zu tun. Wir können doch unser Zusammensein trotzdem mit einem Tänzchen ausklingen lassen.“

Über so viel Ehrlichkeit und Jutta geht davon aus, dass er ehrlich ist, hat sie nicht gerechnet. Ja, weshalb soll sie nicht wieder einmal tanzen gehen. Gefahr scheint von diesem jungen Mann keine auszugehen.

„Ja, vielleicht ist es gar keine schlechte Idee“, gibt sie zu.

„Das ist ein Wort!“ Peter zeigt sich erfreut.

Die Vorspeise wird serviert und sie wünschen sich einen guten Appetit. Die Vorspeise, wie auch das Hauptgericht schmecken vorzüglich. Jutta sagt das Peter auch. Die Wahl des Restaurants war gut.

„Noch einen Nachtisch“, erkundigt sich der Wirt. Jutta will den Kopf verneinend schütteln, als Peter schon um die Karte bittet.

„Peter, ich kann nichts mehr essen.“

„Nichts da, du wirst sehen, der Nachtisch schmeckt genauso gut.“

„Das mag ja sein, aber ich bin satt und mag kein Blatt mehr“, lacht sie.

Peter hört nicht auf sie und studiert die Karte. „Hier, die Variationen sind hervorragend. Ich kann sie nur empfehlen.“

„Wirklich nicht“, winkt Jutta etwas energischer ab.

„Gut“, sagt Peter ohne auf ihren Einwand einzugehen. „Wir bestellen eine Portion mit zweimal Besteck. „Dann kannst du ein wenig versuchen. Ist das ein Wort?“

Jutta nickt nur.

Peter gibt die Bestellung auf. Den Digestif, der ihnen angeboten wird, lehnen sie ab.

Der Nachtisch ist auf einem großen Teller angerichtet. Er wird zwischen den beiden abgestellt.

Sehr ansprechend, muss Jutta feststellen. Schließlich isst sie mehr als sie sich vorgenommen hat.

„Und habe ich zu viel versprochen?“, hakt Peter nach.

„Wirklich köstlich“, ist alles was Jutta dazu sagen kann.

Sie trinken einen Espresso. Dann geht es ans Bezahlen. Jutta hatte beim Forum erklärt, dass sie das Abendessen selbst bezahlen wird, doch davon will Peter jetzt nichts mehr wissen.

„Bitte, Peter“, versucht es Jutta erneut. „Ich möchte mich nicht aushalten lassen. Ich bezahle selbst.“ Dabei schiebt sie ihm zwanzig Euro über den Tisch zu. Er ergreift ihre linke Hand und legt den Schein wieder hinein.

„Mein Geburtstagsgeschenk für dich.“ Sanft drückt er ihre Hand zur Faust zu, damit der Schein nicht herausfällt.

„Du kennst mich doch nicht.“

Freundlich lächelt er sie an. „Für mich bist du die schönste Frau und ich möchte dieser schönen Frau, der ich heute zum Glück begegnet bin, das Geschenk machen.“

Welch eine schmalzige Rede. In Jutta nagen erneut die Zweifel über die guten Absichten dieses Mannes. Nein, sagt sie sich, er macht sich nur lustig über mich.

„Jutta, ich meine es so wie ich es gesagt habe.“ Peter scheint ihre Gedanken lesen zu können.

Inzwischen wird ihm die Rechnung gebracht und er bezahlt mit der Kreditkarte. Als er die Karte zurückerhält, steht er auf und reicht ihr die Hand. Auch sie erhebt sich und sie verlassen das Mylord.

Vor dem Restaurant bleibt er stehen, nimmt sie kurz in den Arm und drückt ihr einen Kuss links und rechts auf die Wange. „Danke für den schönen Nachmittag und Abend.“

Jutta ist überwältigt. „Ich habe zu danken“, sagt sie nur.

„Wollen wir mit dem Auto näher an den Rathausplatz fahren oder sollen wir bei dem lauen Wetter nochmals zu Fuß gehen?“

„Ich denke, ein bisschen Bewegung tut uns gut.“

Mit seiner linken ergreift er Juttas rechte Hand und sie gehen zielstrebig in Richtung Rathausplatz, dort wo es Tanzlokale gibt.

Bis zwei Uhr in der Nacht tanzen die Zwei begeistert. Sie harmonieren wunderbar in ihren Bewegungen. Es gibt kein Befremden. Auch der eine oder andere Kuss wird getauscht. Jutta wehrt sich nicht. Schließlich tauschen sie die Handynummern aus. Sie wollen sich wieder einmal zum Tanzen verabreden. So haben sie es vereinbart.

Es ist an der Zeit aufzubrechen. Morgen ist für Beide ein Arbeitstag. Nun bedauert Jutta, dass sie nicht darauf bestanden hat, das Auto in der Nähe zu parken. Der ganze weite Weg bis zur Tierzuchthalle steht an.

Die Nacht ist kühl geworden. Peter spürt, wie Jutta friert. Er legt den Arm um ihre Schultern und zieht sie fest an sich.

Die Nähe und Wärme dieses Mannes tun Jutta gut. Ja, stellt sie erneut fest, sie ist auf Entzug. Wann hat sie zum letzten Mal mit einem Mann geschlafen? Mit ihrem eigenen schon lange nicht mehr. Seit mindestens zwei Jahren hat er sie nicht mehr angerührt und sie hatte auch kein Verlangen danach. Aber ans Fremdgehen hat sie nie gedacht. Das kommt für sie nicht infrage. So ist der Stand der Dinge bis zum heutigen Abend

Schließlich gelangen sie am Parkplatz bei der Tierzuchthalle an. Beide Autos stehen verlassen in der hinteren dunklen Ecke des völlig verlassen daliegenden Parkplatzes. Nun wird Jutta klar, wie dumm die Idee war, das Auto hier stehen zu lassen. Aber es ist zu spät.

Als sie bei den Autos ankommen schließt Peter sie fest in seine Arme und küsst sie fordernd. Seine Zunge sucht sich ihren Weg durch ihre Lippen. Nur zu willig öffnet sie ihren Mund und schon betasten sich die Zungen begierig. Peters Arme beginnen an ihrem Rücken entlangzuwandern.

Peter drückt sie fester an sich. Sie fühlt seine Härte. Beide ringen nach Atem. Als Peter seinen Schenkel zwischen ihre Beine drängen möchte, schiebt sie ihn von sich.

„Nein!“, stößt sie atemlos aus. „Lass mich!“ Sie schreit es fast.

Peter schaut sie entsetzt an. „Meine Güte, Jutta, entschuldige. Das wollte ich nicht. Bitte entschuldige.“ Betreten schüttelt er den Kopf. „Es war so ein schöner Tag. So wollte ich mich nicht bedanken. Bitte glaube mir.“ Flehend hebt er die Hände.

„Wir haben beide Schuld“, sagt Jutta nur. Sie ist den Tränen nahe. „Lass uns einfach auseinandergehen und nach Hause fahren.“

„Darf ich dir einen Abschiedskuss geben?“

„Nein!“ Jutta hat inzwischen den Autoschlüssel in der Hand und schließt ihr Fahrzeug auf.

Peter tritt an die Fahrertüre: „Jutta, bitte nimm meine Entschuldigung an. Und vielen Dank für den schönen Tag. Komm gut nach Hause und pass auf dich auf. Du bist so schön.“

Jutta sitzt inzwischen im Auto. „Danke für den Tag, Peter. Tschüs.“

Er schlägt die Türe zu und wartet bis sie davongefahren ist.

Sie ist völlig aufgewühlt, als sie den Heimweg nach Durach antritt. Das war entschieden der verrückteste Tag, den sie seit langem erlebt hat. Und beinahe hätte er in einem Fiasko geendet. Aber es ist noch einmal gutgegangen.

Zu Hause, in dem leeren Reihenhäuschen, duscht sie sich und legt sich ins Bett, ohne jedoch Schlaf zu finden.

*

Peter steht noch einige Zeit auf dem menschenleeren Parkplatz und kann sich nicht erklären, was das für ein grandioser Nachmittag und Abend waren.

Er ist von Memmingen gekommen um einige Dinge in Kempten zu erledigen und trifft auf diese schöne, reife Frau, die zufällig neben ihm parkt.

Sein erster Blick ist auf das Kennzeichen gefallen. Eindeutig ein Wunschkennzeichen! Der Geburtstag!

Es ist sonst nicht seine Art, Frauen anzusprechen, aber heute hat er es dennoch gewagt.

Sie haben schöne Stunden miteinander verbracht, auch wenn Jutta immer wieder Zweifel an seiner Lauterkeit hatte. Er hat es sehr wohl bemerkt, aber es war ihm egal. Er kann es sogar nachvollziehen.

Dass sie einsam war und verlassen, hat er schnell festgestellt. So wie er natürlich den Ehering an der rechten Hand bemerkt hatte. Aber er vermutet, dass diese Ehe keinen Bestand mehr hat. Es handelt mehr oder weniger um die Gewohnheit. Vielleicht ist da ein Haus abzubezahlen oder die Kinder sind noch kleiner und wohnen im Haus. Aber eine glückliche, erfüllte Ehefrau ist Jutta bestimmt nicht.

Wie gut sie harmoniert haben. In den wenigen Stunden konnte er viele gemeinsame Punkte feststellen. Am Schönsten war es jedoch mit ihr zu tanzen. Sie hat sich wunderbar führen lassen, ist jeden seiner Schritte wie selbstverständlich mitgegangen. Jede Bewegung war schwungvoll, elegant und weich. Einfach himmlisch!

Schließlich haben sie den Rückweg zu den Autos angetreten und da war es um ihn geschehen. Wie konnte er sich nur so gehen lassen? Er hadert mit sich selbst

Er wollte sie wirklich nur zum Abschied küssen. Das hatte er sich vorgenommen, doch plötzlich konnte er sich nicht mehr beherrschen. Zum Glück hat sie dem Ganzen Einhalt geboten.

Seine Entschuldigungen sind bei ihr nur teilweise angekommen. Das weiß er und er bedauert es zutiefst, dass er die Beherrschung verloren hat. Damit hat er sie selbstverständlich in ihrem Vermutungen bestätigt, dass er ihr für den Abend die Rechnung präsentieren wollte. Aber nichts lag ihm ferner. Er hatte das Zusammensein mit ihr genossen.

Die geschäftlichen Erledigungen, die er in Kempten tätigen wollte, sind offen. Aber das ist jetzt Nebensache.

Soll er sich bei Jutta nochmals entschuldigen oder Gras über die Sache wachsen lassen? Er weiß es nicht. Heute kann er nichts mehr unternehmen. Zu viel hat er zerstört.

Bedrückt fährt er in sein einsames Zuhause nach Ammendingen zurück. Er duscht sich und legt sich ins Bett. An Schlaf ist im Augenblick nicht zu denken.

Glueckwunsch zum Geburtstag

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