Читать книгу Geile Zeit - Christine Rey - Страница 7
Track 1
ОглавлениеAuf dem Plattenspieler drehte sich eine Scheibe. Bon Scott sang von Jean, deren Lächeln ihn Sterne sehen lässt und von der er weiß, wie sie es haben will.
»Du hättest dort dein Abi machen können«, sagte Jayden. Er saß vor dem Bett. Mein Kopf lag in seinem Schoß, und er begann, sich eine Strähne meines Haares um den Finger zu wickeln. »Mir bei den Viechern helfen. Und dich von meiner Granny verwöhnen lassen.«
Vorsichtig zog er den Finger aus der Locke und legte sie mir zurück auf die Brust.
Ich schloss die Augen und schüttelte den Kopf.
»Dein Texas ist verdammt weit weg. Wie soll 'n das gehen?«, fragte ich und zeigte auf meinen Brustkorb. »Es fängt an, mich in die Knie zu zwingen. Die Turnerei kann ich schon mal an den Nagel hängen.«
Ich ballte meine Hände zu Fäusten. Öffnete sie, schloss sie. Öffnete sie und schob sie mir unter den Hintern.
»Ich weiß. Es ist nur … Fuck, ich hätt dich so gerne dabei.«
»Meine Eltern würden's eh nicht erlauben«, sagte ich und merkte selbst, wie trotzig das klang.
»Fünf Jahre, Honey. Höchstens. Dann machen wir Nägel mit Köpfen.«
Ich sah zu ihm auf: Seine Locken standen wild vom Kopf ab und umrahmten das schmale Gesicht. »Wird das jetzt 'ne Verlobung, Killinger?«
Jaydens Mundwinkel fielen nach unten. »Was reagierst 'n gleich so angefressen? Ey, wir mögen uns seit der ersten Klasse. Spricht was dagegen, mal zu heiraten?«
»Die Tatsache, dass ich vielleicht tot bin, wenn du zurückkommst.«
Ruckartig zog er die Beine unter mir hervor und sprang auf. »Hör auf, immer so 'nen Scheiß zu reden. Wenn du leben willst, dann quatsch nicht vom Sterben«, schnauzte er, war mit zwei Schritten an der Tür und warf sie knallend hinter sich zu.
Don't go and leave me. Cause I love, I love you, I love you. Don't leave me(1) sang Bon und ich musste an mich halten, um nicht gegen den Plattenspieler zu treten.
Was für eine beknackte Woche. Und jetzt war auch noch Jayden wütend. Kam einfach nicht mit der Wirklichkeit zurecht. Verdrängte. Ignorierte. Ließ nichts an sich heran. Mein armer Jayden.
Paar Minuten später war er wieder da. Ich hatte mich auf die Seite gedreht. Lag auf seinem Bettvorleger, schluchzte und der Plan war, mich in den Schlaf zu heulen.
Jayden legte sich hinter mich, schob mir seinen Arm unter den Kopf und machte: »Sch … sch.«
Gleichzeitig streichelte er mein Haar. Vom Scheitel bis zu den Spitzen, immer in diese Richtung. Er wusste, wie sehr ich das mag. Jayden kaute, roch nach Wrigley's Spearmint und wenn ich dicht an ihn rückte, konnte ich seinen Herzschlag und das Heben und Senken des Brustkorbs spüren. Ich liebte das. Gab mir das Gefühl, seine Lebendigkeit würde auch für mich reichen.
Als ich mich beruhigt hatte, sagte er: »Ich versteh's nicht, wie man 'nem Kind sowas sagen kann. Nee, ich krieg das wirklich nicht in mein Hirn.«
»Die wollten, dass ich mir keine falschen Hoffnungen mache.«
»Bullshit – du warst da viel zu jung. Scheißweißkittel. Schau dich an. Wann hast 'n das letzte Mal durchgeschlafen, hm?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Und? Können die in die Zukunft gucken? Wissen die, was in zehn, zwanzig Jahren is'? Wissenschaftler pennen doch nicht. Medikamente werden besser …«
Er hatte sich in Fahrt geredet. Jetzt senkte er die Stimme und sagte: »Vielleicht kann man's eines Tages sogar heilen.«
Ich lachte auf.
Viel hatten wir nicht gewusst, über meine Krankheit. Groß erforscht war die noch nicht. Irgendwas mit den Genen. Husten und Sekret in der Lunge. Und dass die Kinder keine hohe Lebenserwartung hätten. Wie ich es gehasst habe, wenn meine Eltern damit hausieren gingen, Aufklärung betrieben. Selbst vor meiner Lehrerin machten sie nicht halt. Ich malte mir damals aus, wie das Gerede seine Kreise zog. Erst in meiner Klasse, dann in der Schule, bis am Ende das ganze Dorf Bescheid wusste. Ich fühlte mich gebrandmarkt wie ein Rind auf der Killinger-Ranch. Dachte, alle würden tuscheln, sagen: »He, da kommt die, die nicht lange leben wird.«
»Kann ich mir nicht vorstellen, dass die mal was erfinden und alles wird gut«, antwortete ich ihm.
»Du musst's endlich zulassen, so zu denken«, sagte Jayden. »Was machst 'n in vier Jahren? Nimmst 'n Strick und hängst dich auf?«
»Also echt, Ki…«
Jayden drehte mich zu sich und legte die Hand auf meinen Mund. »Ich will dich nicht ärgern. Ich wünsch mir nur, dass du deine Einstellung überdenkst. Wirst du das für mich tun?«
Er lächelte mich an. Ich sah seine Grübchen, hob den Kopf und küsste sie. Keine Ahnung, ob ich das konnte, worum er mich bat. Wo ich bis eben nicht mal wusste, dass meine Angst, bald sterben zu müssen, nur eine Einstellung von mir war.
Ich zuckte die Schultern, und Jayden pikste mich. Drückte den Finger in die Stelle über meiner Hüfte, wobei ich immer die Beherrschung verlor, wenn er das tat.
»Wirst du das für mich tu-un?«
Ich gluckste und schüttelte den Kopf.
»Wirst … du … das … für … mich … tun?«
Mit jedem Wort ein Stich. Ich kreischte, Jayden lachte. An seinen Lippen hingen Speichelfäden, und ich spürte Spucke im Gesicht.
»Sag schon, sag schon, sag schon, sag schon!«
Er feuerte eine Salve Pikser auf mich ab; ich strampelte mit den Beinen, schrie, lachte, bäumte mich auf – und dann passierte, was ich mehr hasse als eine Kur im Schwarzwald: Ich musste husten. Laut, lang und heftig. Mit Stechen im Brustkorb und Kanonendonner im Schädel. Um besser Luft zu bekommen, setzte ich mich auf. Dieser Husten war anstrengender als eine Zehn-Punkte-Kür am Stufenbarren, und eines Tages wird er mich in der Mitte entzweireißen – so viel ist sicher.
Jayden rutschte hinter mich, legte die Hände auf meinen Rücken. Fühlte. Mal oben, mal unten, mal an den Seiten. Einmal klopfte er ein bisschen. Mit der hohlen Hand, so tat es am wenigsten weh.
Als es vorbei war, hätte ich auf der Stelle in einen Tiefschlaf fallen können, und ich lehnte mich gegen Jayden. Mein Bauch schmerzte, die Lunge fühlte sich an, als ob sie jeden Moment platzen würde; ich rang nach Luft.
»Das wollt ich nicht«, sagte Jayden und nahm mich in den Arm.
»Niemals Jaydi … wird mich … der Scheißhusten … davon abhalten, … mit dir zu lachen«, stieß ich hervor.
»Gut so. Du musst das echt ändern, sonst gehst du dran kaputt.«
Jayden zog ein Kissen vom Bett und ließ sich mit mir auf den Fußboden fallen. Er murmelte was von einer ordinären Lache, die ich hätte.
Ich machte es mir auf ihm bequem. Spürte seine Hand, die mir durchs Haar fuhr, hörte auf das Rauschen in meinen Ohren und blies beim Ausatmen die Luft durch die Lippen, bis sich alles in mir entspannte. Dann schloss ich die Augen und dachte nach.
Langsam wurde mir klar, wie sehr ich mich getäuscht hatte. Wie konnte ich mich bloß so irren? So Verrennen? Annehmen, Jayden würde etwas verdrängen? Er setzte sich mit meiner Krankheit auseinander und machte sich seine Gedanken. Sie waren nur anders als meine. Viel hoffnungsvoller.
»Ach Jaydi, was mach ich nur ohne dich?«
»Du kriegst das hin. Hundertpro.« Jayden lächelte mich an. »Geht's wieder?« Ich nickte, und er gab mir einen Klaps auf den Po. »Wir sollten mal los«, sagte er, doch als ich aufstehen wollte, hielt er mich fest. »So viel Zeit muss sein …«
Und dann knutschten wir noch eine Weile.