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ОглавлениеDas verschwundene Kloster
Achtung Einsturzgefahr
Der ehemalige Rektor Franz Heinrich Glogowsky der Robert-Gerwig-Schule in St. Georgen im Schwarzwald hatte die Lehrer immer gewarnt: „Parken Sie Ihr Auto nicht im Schulhof. Es könnte unerwarteterweise im Boden versinken, denn darunter befinden sich noch die Gewölbe des ehemaligen Klosters von St. Georgen. Sie sehen die Spuren eindeutig an dem rissigen und teilweise abgesunkenen Asphalt.“
Und dann passierte es tatsächlich! Aber nicht den Lehrern, sondern uns Schülern! Mitten in der großen Pause, als wir Schüler uns gerade eine wilde Verfolgungsjagd auf dem Pausenhof lieferten, da krachte der Boden unter unseren Füßen ein. Weg waren wir, einfach wie vom Erdboden verschluckt: Benedikt, Georgia und Niko.
Später erzählte man uns, dass unsere Klassenkameraden völlig aufgeregt zum Sekretariat rannten. Der Rektor, alle Lehrer und Schüler kamen angestürmt. Es bildete sich ein großer Auflauf rund um das Loch, in dem wir verschwunden waren.
Der damalige Hausmeister, Herr Wissler, und die alarmierten Bauarbeiter vom Bauhof bahnten sich einen Weg durch die Schülermenge. Sie baten die Schüler zurückzutreten und sperrten das Loch mit einem rot-weiß-gestreiften Plastikband ab, das an Eisenstangenständern befestigt war. Der Rektor legte die Hände wie ein trichterförmiges Mikrofon an seinen Mund und forderte alle Schüler zu Ruhe und Disziplin auf. Die Rettungsaktion für uns drei verschwundene Schüler wurde vorbereitet. Man besorgte in höchster Panik das lange Seil aus der Sporthalle, das wir normalerweise immer zum Tauziehen benutzten, um es in die Einsturzstelle hinabzulassen.
Punktlandung
Für uns aber war es, als schloss sich über uns die Asphaltdecke und wir standen mitten in den Gewölben des Kreuzganges des ehemaligen Klosters von St. Georgen. Die Mönche gingen gerade schweigend in die große Kirche.
Wir hatten noch gar nicht richtig unser Bewusstsein wiedererlangt, als uns plötzlich auffiel, dass wir ärmellose schwarze Kutten mit Kapuzen anhatten, die seitlich gebunden waren. Darunter trugen wir langärmlige Wollhemden, die in der Hüfte gegürtet und an der Brust mit Lederschnüren geschlossen waren. Unsere Füße steckten in gestrickten Strümpfen mit Schnürschuhen.
Georgia hielt gerade noch ihren Lachanfall zurück, als sie an sich heruntersah, denn wir standen am Rande einer großen Schar von Mönchen, die langsam an uns vorbeizog. Sie lächelten uns freundlich zu. Einer von ihnen, es war wohl ihr Vorsteher, der Abt, kam mit offenen Armen auf uns zu und umarmte uns schweigend. Er legte uns behutsam seine Hände auf und segnete uns: „Seid herzlich willkommen, ihr neuen Novizen“, flüsterte er leise. „Ich bin der Abt Theoger, schön, dass ihr da seid. Wir haben auf euch gewartet. Kommt, ihr dürft gleich an unserem Stundengebet in unserer Abteikirche teilnehmen.“
Schweigend schlossen wir uns dem Zug der Mönche an. Wir staunten nicht schlecht, als wir die megagroße Kirche betraten. Der lange schmale Kirchenraum mit seinen hohen Säulen, welche oben die Rundbögen trugen, war in ein warmes goldenes Licht getaucht durch die vielen brennenden Kerzen und die hellen Glasfenster. Nach dem Lärm im Pausenhof war das hier ein wahrhaft heiliger Ort der Stille. Immer mehr Mönche, es waren bald an die 100 Mann, betraten schweigend das große Kirchenschiff. Sie setzten sich vorne in den Chorraum auf die einander gegenüber stehenden langen Holzbänke.
Plötzlich zuckten wir zusammen. Aus dem Schweigen heraus erhob sich laut und klar die Stimme eines Vorsängers. Er war aufgestanden und in die Mitte getreten. Da er kein Mikrofon hatte, wendete er uns allen den Rücken zu und sang in die Chor-Nische hinein, aus der sein Gesang überraschend laut widerhallte. Sein vorgetragener Liedvers wurde mit dem stimmgewaltigen Psalmengesang der Mönche wechselseitig beantwortet. Wir waren einfach überwältigt. So etwas hatten wir noch nie gehört. Ein urchristlicher Schauer lief uns über den Rücken. Eine halbe Stunde lang dauerte das Stundengebet, wie die Mönche es nannten.
Dann läuteten die Mittagsglocken. Die große Schar der Mönche verließ schweigend die Kirche. Wir folgten ihnen lautlos durch den sonnendurchfluteten Kreuzgang zum Refektorium, dem Speisesaal. Abt Theoger stand an der großen offenen Holztür und gab jedem Mönch persönlich die Hand, bevor er den Saal betrat. Wir reihten uns in die lange Schlange der Mönche ein.
Ein Mädchen im Männerkloster
„Ich glaube, ich bin hier in einem Männerkloster gelandet“, jammerte Georgia leise, „aber ich bin doch ein Mädchen.“ „Macht nichts, Georgie“, flüsterte Niko liebevoll, „du hast doch auch so eine schwarze Kutte an wie wir, und zum Glück hast du kurze Haare. Du nennst dich jetzt bei den Mönchen einfach Georg, dann fällst du gar nicht auf.“
Und schon waren wir an der Reihe. Abt Theoger begrüßte uns jetzt nochmals freundlich und erfragte unsere Namen: Benedikt, Georg und Niko. Über unsere Namen zeigte er sich sichtlich erfreut, weil sie, wie er uns mitteilte, die Namen von Heiligen waren. „Ihr seid hier in einem Benediktinerkloster, das nach der Regel des hl. Benedikt lebt und den hl. Georg zum Schutzpatron auserwählt hat. Natürlich verehren wir auch den hl. Nikolaus“, meinte der Abt gütig lächelnd an Niko gewandt.
Schließlich stellte er uns als Neulinge stolz der ganzen Mönchsgemeinschaft vor und führte uns zum Tisch der anderen Novizen. Auch diese nickten uns wohlwollend zu, denn am Tisch galt das Schweigegebot. Man unterhielt sich nur mit Zeichensprache. Zu unserem großen Glück! So mussten wir keine lästigen Fragen beantworten, wie zum Beispiel, woher wir gekommen waren.
Kaum hatten wir unsere Plätze eingenommen, da erhoben sich alle zu einem gemeinsamen Tischgebet. Der Vorleser bezog danach seinen Posten, um während der gesamten Mahlzeit aus der Bibel vorzulesen. Dann erschienen die Mönche, die Tischdienst hatten, mit weißen Schürzen und trugen das Essen auf. Es gab leckere Hühnersuppe und danach Getreidereis mit Fisch. „Den Fisch haben sie bestimmt aus dem Klosterweiher gefischt“, lächelte Benedikt leise vor sich hin. Zum Trinken gab es Wasser und für die Mönche sogar Wein.
Nach dem Mittagessen zeigten uns die anderen Novizen das „Badezimmer“. Es war ein überdachter Waschplatz mit einem Brunnen im Freien. „Also mehr als das Gesicht, die Hände und Füße werden hier wohl nicht gewaschen“, stöhnte Niko kläglich. „Zum Glück“, lächelte Georgia vielsagend.
Es war jetzt 13.00 Uhr, Zeit für Erholung und Mittagsschlaf. Wir folgten einigen Novizen und Mönchsbrüdern zum Dormitorium, dem großen Schlafsaal für alle Mönche. Es gab keine Betten. Stattdessen lagen auf dem Boden wie bei einem Massenlager eng aneinander gelegte Leinensäcke mit Stroh gefüllt als Matratzen. Die anderen Novizen wiesen uns unsere Schlafplätze zu.
Sie zeigten uns, wie wir das schwarze Ordensgewand seitlich aufschnüren und ausziehen konnten. Wir sollten es ordentlich zusammenfalten und unter unser Kopfkissen legen. Den Gürtel unseres Untergewandes sollten wir locker binden. Das war dann sozusagen unser Nachthemd. Ein Paar Filzschuhe als Bettschuhe standen auch bereit. Einer der Novizen meinte:
„Wenn ihr neue Kleider braucht oder wärmere, dann könnt ihr diese in der Kleiderkammer holen. Für die kalten Tage gibt es für jeden noch ein zweites Kleid und ein wollenes Hemd zum Darunterziehen und einen Schafspelz, den man unter dem Obergewand trägt. Ihr könnt euch auch Hosen aus Schaf- oder Katzenfellen holen. Immer samstags werden die frisch gewaschenen Unterbeinkleider auf einer Bank im Kreuzgang zum Abholen ausgelegt.“
Dankbar für die Ruhe kuschelten wir drei uns auf die raschelnden Strohsäcke und deckten uns mit den handgesponnenen Wolldecken und Fellen zu. Die anderen Brüder legten sich schweigend neben uns. Denn auch in den Betten galt wiederum das Schweigegebot.