Читать книгу Das verschwundene Kloster - Christine Rösch-Isak - Страница 7
ОглавлениеA wie am Anfang
Als wir langsam zur Ruhe kamen, begriffen wir erst richtig, was mit uns eigentlich passiert war. Wir waren offensichtlich durch einen Zeittunnel voll ins Mittelalter gestürzt und zwar ins 12. Jahrhundert, wie unser schlauer Benedikt wohl richtig vermutete. Benedikts Vater, der Mitglied im Geschichtsverein war, hatte Benedikt schon von klein auf von der Geschichte des St. Georgener Klosters erzählt, vor allem auch von Abt Theoger, einem der bedeutendsten Äbte der Klosters.
Dieser ist ja auf dem Marktplatz am Glockenspiel mit den Jahreszahlen 1088-1118 als Bronzefigur mit seinem Kloster in der Hand dargestellt. Traurig hatte der Vater Benedikt gegenüber bemerkt: „Die meisten St. Georgener Einwohner haben dieses Kloster längst vergessen. Es gibt von ihm an Ort und Stelle ja nur noch ein paar Steine hinter Glas im Pausenhof der Robert-Gerwig-Schule und eine Bronzetafel mit der Aufschrift:
Nicht von ungefähr hatte Benedikts Vater seinen Sohn „Benedikt“ genannt zur Erinnerung an den hl. Benedikt und an das verschwundene Benediktinerkloster.
Und jetzt sollte es das Kloster da unter der Erde doch noch geben? Benedikt kam sich vor wie im Traum. „He, Benny“, riss Georgia Benedikt aus seinem Halbschlaf, „hast du eine Ahnung, wie wir jemals wieder zurück oder nach vorne in unsere Zeit, das 21. Jahrhundert, kommen sollen? Da sind doch mehr als 900 Jahre dazwischen?“ „Psst‟, machte Benedikt und legte dabei seinen Finger auf den Mund, „darüber reden wir später, wenn wir unter uns sind.‟
Mit der Glocke des Novizenmeisters wurden wir unsanft geweckt. Nach dem Mittagsgebet zeigten uns die anderen Novizen den Weg zur Klosterschule, indem sie uns vorangingen. Um Abstand zu gewinnen, folgten wir ihnen nur langsam durch den langen Kreuzgang.
„Ich hab die Lösung, wie wir hier wieder wegkommen“, flüsterte Niko kaum hörbar, als die anderen Novizen mit ihrem Meister um die Ecke verschwunden waren. „Benny, du hast doch sicherlich dein Handy dabei. Das trägst du doch immer heimlich in deiner Hosentasche! Schau mal auf das Display, ob wir irgendwie in Kontakt mit unseren Mitschülern kommen können.“ Benedikt zog eine enttäuschte Miene: „Ich habe schon unter meiner Bettdecke geschaut. Da ist vollkommene Funkstille. Wir haben offensichtlich jeden Kontakt zu unserer Neuzeit verloren.“ Erneut zückte er sein Handy, um es noch einmal zu starten.
„Wartet mal“, pfiff Benedikt jetzt leise durch die Zähne, „da erscheint irgendein Buchstabe. Seltsam, was soll das denn? Jetzt ist er schon wieder weg!“ „Hast du ihn gespeichert?
Vielleicht handelt es sich um einen Geheimcode“, gab Niko flüsternd zu bedenken. „Also, da war ein A. A wie Anfang“, überlegte Benedikt aufgeregt. „Kinders, wir befinden uns wohl in der Anfangszeit des Klosters von St. Georgen!“
Strenge Schulmeister
Doch ehe wir uns leise weiter untereinander bereden konnten, kam uns schon der Novizenmeister entgegen und seine strenge Stimme hallte in dem langen Gewölbe des Kreuzgangs: „Wo bleibt ihr? Wir erwarten euch zum Unterrichtsbeginn!“ Benedikt ließ sofort sein Smartphone in der Tasche seiner Mönchskutte verschwinden.
Jetzt hatten wir allerstrengsten Gesangsunterricht zusammen mit den anderen Novizen. Zunächst lernten wir mit dem Chorleiter die lateinischen gregorianischen Gesänge, damit wir diese in der Kirche bei den Stundengebeten mit den anderen Mönchen mitsingen konnten. Wir bekamen auch ein Musikbuch mit dem Titel „De Musica“, das, man höre und staune, eigens von Abt Theoger handschriftlich verfasst war.
Dann stellte sich uns ein neuer Lehrer mit dem Namen Bruder Rupert vor. Benedikt gab mit seinen Ellenbogen Niko und Georgia rechts und links einen kleinen Stoß in die Rippen. Bei beiden funkte es gleichzeitig. Rupert, das war doch der Mönch, nach dem der heutige Rupertsberg in St. Georgen benannt ist und dessen Fingerkuppe man in der St. Georgskirche als Reliquie noch heute bestaunen kann. Echt makaber!
Jetzt stand er also leibhaftig vor uns und hatte noch alle seine Finger. Er lächelte gütig und weise und teilte uns mit, dass wir bei ihm in den sieben freien Künsten Unterricht hätten. Wir könnten diese Fächer auf unserem Stundenplan finden. Es waren die Fächer Grammatik in lateinischer Sprache, Rhetorik (da lernte man das Halten einer Rede und das Diskutieren), Dialektik (hier lernte man das logische Denken), Arithmetik (das war so etwas wie Mathematik), Geometrie, Musik und Astronomie (die Lehre von den Himmelskörpern).
Alle Fächer wurden nur in lateinischer Sprache unterrichtet. Als Niko sich zu Benedikt hinüberlehnte, um ihn zu fragen, ob er etwas verstanden hätte, da sagte Bruder Rupert streng: „Dona nobis pacem.“
Da mussten wir alle drei schmunzeln, weil wir diese Worte sofort verstanden. „Gib uns deinen Frieden“, sagte Georgia lächelnd vor sich hin. „Bene dicat“, antwortete daraufhin Rupert überraschend freundlich. „Das heißt: gut gesagt“, erklärte jetzt Benedikt lachend. „Das ist nämlich die Übersetzung meines Namens. Benedikt heißt so viel wie „der Gutgesagte“ oder besser „der Gesegnete“.“ „Also“, meinte Niko aufatmend, „die lateinische Sprache, die wir jetzt wohl lernen müssen, kann doch gar nicht so schwer sein.“
„Wenn ihr mich fragt, ich finde den Unterricht bei den Mönchen viel anstrengender als denjenigen in der Robert-Gerwig-Schule“, meinte Georgia mit Tränen in den Augen nach dem Unterricht.
„Unsere Lehrmeister sind wirklich ziemlich streng. Uns gegenüber haben sie heute wohl noch Gnade walten lassen, weil wir die Neulinge sind, aber bei den anderen Novizen haben sie bei jeder kleinen Verfehlung mit dem Stock gedroht.“
„Aber nur gedroht, Schläge auf die Finger hat doch keiner bekommen. Und das Schreiben auf den Schiefertafeln macht richtig Spaß“, versuchte Niko Georgia aufzumuntern.
No Fun im Klosteralltag
Nach zwei weiteren Gebetszeiten mit dem Abendessen dazwischen und einer Stillen Zeit fielen wir in unsere Strohbetten. Es war erst 20.30 Uhr. Zum Nachdenken blieb für uns den ganzen Tag über keine Zeit. Zu unserer größten Überraschung riss uns eine Glocke kurz vor 2.00 Uhr nach Mitternacht, sozusagen zu Beginn des neuen Tages, mitten aus dem Tiefschlaf. Alle Brüder, wie die Mönche sich freundlich untereinander nannten, mussten aufstehen zum Nachtgebet. Wir jungen Novizen durften freundlicherweise liegen bleiben und weiterschlafen. Das genossen wir sehr.
Nach den sogenannten Vigilien durften auch die anderen Brüder angekleidet nochmals für ein einhalb Stunden in die Betten liegen. An Ausschlafen war nun aber auch für uns nicht mehr zu denken. Kurz vor 4.00 Uhr war für alle die Nacht vorbei. Dann mussten auch wir das Obergewand überlegen, die Schuhe anziehen und über die kurze Treppe, die Dormenttreppe, welche der direkte Zugang vom Dormitorium in die Kirche war, schlaftrunken in die kalte Kirche schwanken, um an den Laudes, dem ersten Morgenlob, teilzunehmen. Und wehe, einer kam zu spät, der wurde hart bestraft.
Nach nur einem ganzen Tag „Mitleben im Kloster“ begriffen wir, dass der Tagesablauf der Mönche völlig „getaktet“ war, das hieß: Die Gebets-, Arbeits-, Ruhe- und Schlafenszeiten waren vollkommen festgelegt. Jeder Tag verlief im gleichen Rhythmus.
Nach den Laudes durfte man sich „waschen“. Das Frühstück konnte man vergessen. Jeder Mönch bekam für jeden Tag ein Pfund Brot zum Verzehr. Wir Novizen bekamen etwas weniger. Es gab nur eine Schale mit warmem Tee oder Milch, in die man das harte Brot aus der erhaltenen Tagesration eintauchte, um es leichter essen zu können. Anschließend gab es um 6.00 Uhr das gemeinsame Morgengebet, die Prim genannt.
Danach versammelten sich alle Brüder im Kapitelsaal zur gemeinsamen Besprechung. Hier wurde jeden Morgen aus der Regel des Hl. Benedikt vorgelesen. Die Brüder mussten vor versammelter Mönchsgemeinschaft ihre Verfehlungen aussprechen. Je nachdem wurden sie hart bestraft.
„Ein Kloster soll ein Ort des Friedens sein“, schärfte uns Abt Theoger in einem ernsten Ton ein. „Nur im rücksichtsvollen Umgang miteinander, in der Versöhnungsbereitschaft und im Gebet füreinander kann der Friede wachsen. Für jeden persönlich gilt: Meide das Böse, tue das Gute, suche den Frieden und jage ihm nach!“
Es folgte die Morgenmesse um 7.30 Uhr. Um 8.00 Uhr begann für alle die Arbeitszeit, für uns Novizen die Schule. Die Arbeitszeit bzw. die Schulzeit wurde zwischendurch um 9.00 Uhr durch ein weiteres Gebet, die Terz, unterbrochen. Um 12.00 Uhr mittags, sozusagen zur Halbzeit des Tages, fand die Mittagshore, die Sext, statt.
Anschließend folgte das Mittagessen um 12.30 Uhr. Das war, wie Niko mit Genugtuung feststellte, wenigstens sehr gut und reichlich. Es gab immer zwei gekochte Speisen zur Auswahl. Weil die Regel des heiligen Benedikt es so vorschrieb, gab es kein Fleisch von vierfüßigen Tieren, also weder Schweineschnitzel noch Rindersteak, dafür Fisch, Hühner- und Gänsebraten, Eier, Getreide, frisches Obst und Gemüse. Alles war sehr reichhaltig und gesund.
Weil wir morgens so früh aufstehen mussten, freuten wir uns anfangs sogar auf einen Mittagsschlaf. Da sanken wir dann oftmals müde in einen Tiefschlaf. Um 15.00 Uhr fand die Non statt, das nachmittägliche Stundengebet.
Anschließend gingen wir wieder zur Schule, bis uns abermals die Glocke erlöste und zur Vesper um 18 Uhr rief. Anfänglich dachten wir, die Vesper wäre das Abendessen. Doch wir hatten uns zu früh gefreut: Es war nur ein weiteres Stundengebet. Richtig gevespert wurde anschließend um 18.30 Uhr im Speisesaal.
Dann kam für uns die schönste Stunde des Tages. Natürlich war es auch wieder eine Zeit der Stille, die man eigentlich dem Bücherlesen widmen sollte. Aber man durfte sich in dieser Stunde auch im Wärmeraum, dem Calefaktorium, aufhalten. Das war der einzige gewärmte Raum im ganzen Kloster und auch der einzige Raum, wo man leise miteinander reden durfte. Im Sommer gingen wir gerne ein bisschen im Klostergarten spazieren, wo wir uns auch leise und unauffällig unterhielten. Auf diese Stunde freuten wir uns den ganzen Tag.
Vollendet wurde der Tag sozusagen mit der Nachthore, der Komplet, um 20.00 Uhr. Danach hieß es auch schon wieder für alle Brüder: Ab ins Bett! Da gab es kein Chillen, kein Zocken, keinen Computer, kein Fernsehen. Schließlich mussten die Brüder ja schon wieder um 2.00 Uhr für das Nachtgebet und wir kurz vor 4.00 Uhr für das erste Morgengebet aufstehen. Wir hatten dann immerhin etwa acht Stunden Schlaf hinter uns.
„Ob wir aus diesem Mönchsleben jemals wieder befreit werden?“, jammerte Georgia verzweifelt. „Wie kann man das ein ganzes Leben lang aushalten? Wir haben ja gar keine Freizeit für Spiel, Sport und Spaß.“ „Mönche sollen ja auch keine persönlichen Vergnügungen haben. In Arbeit und Gebet sollen sie ganz für Gott da sein“, gab Benedikt weise zu bedenken. „Schließlich haben sie ja auch die drei Gelübde (Versprechen) abgelegt: die Armut, den Gehorsam und die Ehelosigkeit.“