Читать книгу Mein Leben mit dir hat bereits begonnen - Christine Schöpf - Страница 7

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Hanna wartete bereits im ‚Sahneschnittchen‘ als Nelly mit dem Taxi ankam. Nelly konnte bereits von der Tür aus sehen, wie Hanna dort saß, wie angespannt sie augenscheinlich war. Sie ging auf den Tisch zu und Hanna sprang direkt auf und umarmte Nelly kurz.

„Ich habe uns bereits 2 Kaffee bestellt. Vielleicht möchtest du auch einen Kuchen?“ Hanna schaute Nelly fragend an.

„Nein, ich habe heute noch nichts gegessen. Kuchen wäre jetzt nicht das Richtige, aber du kannst dir gerne etwas bestellen.“

Nelly ließ sich auf die Eckbank fallen, und die Kellnerin kam und brachte ihnen ihren Kaffee. Nelly legte ihre kalten Hände um den heißen Kaffeebecher.

„Dr. Schumacher war heute da. Sie geben ihm nur noch 3-4 Monate und in 4 Wochen gehen wir ins Spital.“ Nellys Stimme klang so traurig, wie sie sich fühlte.

Tränen liefen Nelly über ihr Gesicht und Hanna legte ihre Hände um Nellys Hände, die immer noch den Kaffeebecher umklammerten.

„Oh Nelly, das tut mir so unendlich leid. Ich hatte so sehr auf mehr Zeit für euch gehofft.“

Nelly nickte, beide schwiegen und hingen ihren Gedanken nach. Obwohl Nelly es ahnte, fragte sie Hanna nach einiger Zeit: „Über was wolltest du mit mir sprechen?“.

Hanna schaute Nelly an: „Nicht so wichtig wie das jetzt hier. Kann ich etwas für euch tun? 4 Wochen, das ist so bald… “

Nelly nickte wieder: „Ja, alles geht so wahnsinnig schnell. Mir bleibt nicht mehr viel Zeit mit ihm. Benno schläft jetzt, ich konnte mit ihm noch gar nicht darüber reden, dass wir jetzt schon ins Spital sollen.“

Nelly löste sich von der Kaffeetasse und trocknete sich die Tränen. Sie tranken schweigend ihren Kaffee.

„Komm ich lade dich zum Essen ein. Im Clubhaus gibt es heute Braten mit Klößen und Rotkohl -wie bei Muttern“, Hanna lächelte aufmunternd.

Nelly lief erstaunlicherweise wirklich das Wasser im Munde zusammen, ja darauf hatte sie jetzt echt Appetit. Sie schrieb Lina eine kurze WhatsApp und erst im Auto kam ihr der Gedanke, dass Aaron auch da sein könnte. Vorsichtig fragte sie bei Hanna nach.

„Ich glaube nicht.“ Hanna überlegte kurz, „Ron ist nicht häufig im Clubhaus -keiner weiß wirklich, wann er auftaucht. Er weigert sich ein Handy zu benutzen und das bringt alle zum Verzweifeln. Wenn Kalle ihn auch nicht auf dem Festnetz erreicht, schickt er ihm einen seiner Laufburschen nach Hause. Meist ist er aber noch nicht mal da erreichbar, dann hinterlassen sie ihm Nachrichten auf seinem AB oder piepen ihn an. Wer zum Henker hat heutzutage kein Handy und nur einen Festnetzanschluss?!“

Hanna schüttelte den Kopf als würde sie es immer noch nicht begreifen können.

Nach einer kurzen Pause sprach Hanna in einem ungewöhnlich weichen Ton weiter: „Nelly, ich weiß nicht, was zwischen euch beiden gestern abgelaufen ist, das war wie in einem beschissenen Horrorfilm von Besessenen und ich krieg es nicht in und aus meinen Kopf. Wir müssen nicht jetzt darüber rede, aber ich würde es gerne verstehen. Ich kenne dich schon mein Leben lang und Ron -hatte ich geglaubt- auch zu kennen, aber das gestern waren weder er noch du.“

Nelly starrte aus dem Autofenster. Was sollte sie Hanna sagen, sie verstand es selbst nicht. Sie verstand auch nicht, dass Aaron ihr eine Handynummer von sich gegeben hatte, wo doch niemand, selbst Kalle, keine Nummer von ihm hatte.

War das wirklich seine Nummer und warum wollte er ihre nicht? Warum hatte er ihr gestern einen Osbourne gebracht und nicht wie Hanna ein Bier -woher kannte er ihr Lieblingsgetränk? Und warum nur hatte er diese magische Wirkung auf sie und wird das beim nächsten Aufeinandertreffen wieder so sein?

Nelly schwirrten die Fragen kreuz und quer durch den Kopf, aber sie konnte keinen klaren Gedanken fassen und erst recht keine Antwort hierzu finden.

Als sie am Clubhaus ankamen hatte Nelly solch einen Hunger, dass ihr schon schlecht war. Sie schaute sich auf dem Parkplatz um, aber sie wusste nicht wirklich wonach sie Ausschau halten sollte. Hatte Aaron überhaupt ein Auto oder fuhr er wie die meisten hier Motorrad? Nelly schüttelte den Kopf und wollte sich jetzt nicht mehr mit Aaron befassen, sie hatte Hunger.

Sie betratn das Clubhaus und waren überrascht wie gut dieses am frühen Abend besucht war. Natürlich bekam Hanna trotzdem noch einen freien Tisch und die Kellnerin rief ihnen im Vorbeigehen zu, dass es selbstverständlich den Mittagstisch für sie Beide noch gebe würde.

Nelly freute sich auf das Rotkohl, sie hatte es schon einmal hier gegessen und Elke die Köchin machte es immer mit frischen Apfelstückchen, so wie sie es liebte.

Hanna bestellte sich ein Bier und ihr eine Coke, während sie die Zeit nutzte und sich umschaute. In der Ecke erkannte sie Kalle mit seinem Gefolge, darunter auch Nick -Aaron war aber augenscheinlich wirklich nicht da. Nelly atmete auf, sie wusste jedoch nicht, ob sie froh oder enttäuscht über diese Tatsache sein sollte.

Als sie die Männer am Tisch beobachtete, merkte sie, dass Nick zu ihr rüber sah. Er beugte sich dabei zu Kalle rüber und sprach mit ihm. Er hatte die Ellenbogen vor sich auf den Tisch aufgestellt und sprach mehr oder weniger gegen seinen Unterarm, so dass Nelly nicht wirklich erkennen konnte, ob Nick tatsächlich sprach. Nelly fiel ein, dass auch Aaron gestern seine Hand vor seinen Mund gehalten hatte, nicht direkt, aber sie war sich ganz sicher, dass er diesen abgedeckt hatte.

„Hanna, was ist das für eine Sache mit der Hand vor dem Mund, wenn die sich hier Unterhalten?“

Hanna hätte fast das Bier ausgespuckt: „Wie kommst du jetzt darauf?“

Nelly zeigte mit einem kurzen Kopfnicken zu dem Tisch von Kalle. Hanna drehte sich um und schaute nun auch kurz hinüber.

Abrupt drehte sie sich wieder um.

„Scheiße Nelly -starr da nicht so hin,“ fauchte sie und sah Nelly ärgerlich an.

„Die halten die Hand vor den Mund, damit keiner von ihren Lippen ablesen kann. Augenscheinlich wollen die nicht, dass andere mitbekommen, über was sie sich unterhalten, deshalb schau da nicht so rüber! Wir wissen untereinander nicht wirklich wer das Lippenlesen beherrscht und wer nicht.

Nick kann das, das weiß ich ganz sicher und sicherlich kann das auch Kalle.“

Hanna hielt kurz inne.

„Du sitzt denen genau gegenüber, und ich bin mir sicher, dass Nick sich daraus einen Spaß macht, von deinen Lippen abzulesen. Vielleicht war das nach gestern eine blöde Idee mit dir hierher zu kommen. Wollen wir lieber gehen?“

Nelly schüttelte den Kopf, auf keinen Fall würde sie jetzt auf ihr Essen verzichten, das ganze Clubhaus roch nach Rotkohl und egal was sie jetzt noch anderes zu Essen bekommen würde, es würde ihr einfach nicht mehr schmecken.

„Nein Hanna, ist schon okay. Wer weiß, wie oft Nick das schon gemacht hat. Ich habe nichts zu verheimlichen und bin so uninteressant wie weiß Gott wer.“

Nelly hatte das provokativ in Nicks Richtung gesprochen und hielt sich dann dramatisch die Hand vor den Mund: „Lass uns bitte hier essen, und dann verschwinden wir wieder -okay?“

Die Kellnerin kam gerade auch mit dem Essen an ihren Tisch und Hanna konnte nur noch zustimmen. Während des Essens unterhielten sie sich über alles Mögliche und gaben sich die größte Mühe nicht über Ron oder Benno zu sprechen.

Es war ein schöner Abend und das Essen war wie erwartet köstlich. Sie hatten gerade der Kellnerin ein Zeichen zum Bezahlen gegeben, als die Tür aufging und Nelly Aaron hereinkommen sah.

Sofort traf sie die Erregung wie ein Blitz, ihr Herz raste und ihre Hände wurden augenblicklich feucht. Doch Nelly musste schmerzhaft feststellen, dass Aaron nicht alleine war. Eine gutaussehende, jedoch etwas billig wirkende, junge Frau folgte ihm und als Aaron Nelly sah blieb er stehen, was die junge Frau wohl als Aufforderung ansah, sich mit ihren gemachten Titten an ihn zu schmiegen.

Nelly spürte, wie sich ihr Magen drehte und ihr die Magensäure in den Mund schoss. Schnell legte sie die Hand auf ihren Mund und während Hanna zahlte sprang sie auf und rannte zum Klo.

Obwohl der Club voll war, sah Aaron Nelly sofort. Er hatte den Raum nicht mit seinen Augen absuchen müssen, er hatte gespürt, dass sie heute hier sein würde. Er hatte dummerweise Jaqueline auf dem Parkplatz getroffen, die ihm bereits auf dem Parkplatz angeboten hatte, ihm im Auto einen zu blasen. Aber er hatte dankend abgelehnt, das war noch nie sein Ding gewesen.

Er dann sah er Nellys erschrockene Augen und wie sie die Farbe aus dem Gesicht verlor, als Jaqueline sich an ihn drückte.

Die Kellnerin kam an Nellys Tisch und versperrte ihm für einen Augenblick den Blick. Dennoch sah er, dass Nelly schnellen Schrittes Richtung WC ging. Er schob Jaqueline von sich, die bereits die ersten Frauen begrüßte und ging Nelly hinterher. Er zögerte kurz, ob er das Damen-WC betreten sollte, entschied sich aber Nelly zu folgen.

Im Vorraum bei den Waschbecken standen 2 Freundinnen seiner Kameradschaft und machten sich vor den Spiegeln zurecht.

„He Ron- falsche Tür, oder haben wir da was verpasst?!“, die beiden Frauen lachten.

„Raus!“ knurrte Ron die zwei an und ohne noch etwas zu sagen griffen die beiden schnell ihre Taschen und liefen raus.

„Nelly“, rief Ron. Keine Antwort.

„Nelly, ich weiß, dass du hier drin bist. Sag was, bevor ich hier jede Tür auftrete“, und um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, schlug er gegen die erste Türe, die sich knallend gegen die Wand öffnete.

Plötzlich hörte er, dass jemand sich in der neben Kabine übergab.

„Ach shit, was machst du da drin?“, Aarons Stimme wurde weicher.

„Nach was hört sich das denn an?“ hörte er eine schwache Stimme aus der Kabine.

„Okay, Kleines -mach die Tür auf… “, aber bevor er den Satz beenden konnte, flog die Vorraumtür auf und Hanna stand im Rahmen.

“Raus -sofort“, schrie Hanna ihn an.

“Hallo Han,“ Aarons Stimme klang übertrieben süßlich: „Ich kann deiner freundlichen Bitte leider erst Folge leisten, wenn mir hier jemand erklärt hat, was hier los ist und warum Nelly mit dem Kopf über dem Klo hängt.“

Aarons Stimme wurde bei jedem Wort aggressiver und nun stand er, mit verschränkten Arme vor seinem Brustkorb, vor Hanna.

„Auch wenn ich der Meinung bin, dass dich das einen Scheiß angeht…“, fauchte Hanna und drehte sich dann aber zu einem Mädchen um, dass gerade an ihr vorbei aufs Klo wollte:

„Hey, wie heißt du?“ fragte Hanna ziemlich schroff.

Das Mädchen sah verwirrt abwechselnd Ron und Hanna an.

„Dana…Warum?“

„Pass auf Dana“, kommandierte Hanna, „Du gehst jetzt pissen und danach hilfst du meiner Freundin Nelly, die das Essen nicht vertragen hat und sich gerade auf dem Klo auskotzt.“ Dabei schaute Hanna Aaron giftig an, „Danach bringst du sie wieder in den Clubraum an ihren Tisch -hast du das verstanden?“

Nelly konnte die Antwort nicht hören, wahrscheinlich konnte die Ärmste gerade nur noch nicken.

„Und du mein Freund kommst jetzt mit, ich denke wir sollten uns mal unterhalten!“

Aaron klopfte vorschichtig an Nellys Klotür: „Ist das okay für dich, Kleines?“

Aarons Stimme klang so liebevoll, dass Nelly, obwohl es ihr so schlecht ging, eine Gänsehaut auf ihrem Körper spürte.

„Ja, alles okay. Wir sehen uns später.“

Nelly hörte wie die Tür zugeknallt wurde.

„Ähm, hallo… Ich heiße Dana –ich soll mich um dich kümmern. Alles klar bei dir?“

„Es geht, nicht richtig gut. Du kannst aber ganz in Ruhe erst Mal aufs Klo gehen, ich komme hier noch nicht weg“, sprach Nelly und musste wieder würgen.

Vielleicht war das Essen doch etwas zu mächtig gewesen, dachte Nelly, aber im gleichen Augenblick fiel ihr wieder das Bild von Aaron mit dem hübschen jungen Mädchen ein und wie sie sich an ihn geschmiegt hatte. Bestimmt war das seine Freundin. Nelly traten die Tränen in die Augen und sie musste erneut würgen. Wie blöd war sie eigentlich, warum hatte sie nur angenommen, dass so ein Mann keine Freundin hätte?!?

Neben ihr ging die Toilettenspülung und sie hörte wie die Nebentür entriegelt wurde und das Mädchen sich danach die Hände wusch.

Bei Nelly drehte sich alles und sie legte ihren Kopf auf ihrem Arm ab, der auf der Klobrille lag. Nelly hatte zwar Klopapier unter ihrem Arm gelegt, trotzdem ekelte sie sich davor und der Geruch aus der Kloschüssel machte es nicht besser.

„Kann ich reinkommen?“ frage Dana.

„Besser nicht, ich glaube, das ist hier kein schöner Anblick“, antwortete Nelly schwach.

„Wenn ich mich aber nicht gut um dich kümmere, reist mir Hanna den Kopf ab.“

„Das wird sie schon nicht“, entgegnete Nelly kraftlos.

„Oh, da kennst du Hanna aber nicht. Ich habe Geschichten von ihr gehört über dies das. Alter, da wird dir echt übel.“ Dana kicherte, wahrscheinlich fiel ihr gerade ein, wie übel es Nelly bereits gehen musste.

„Und einmal war ich dabei, da hat sie einem Mädchen von hinten in die Haare gegriffen und sie mit der Stirn auf die Theke geschlagen, bis der das Blut über das komplette Gesicht spritzte. Scheiße war das heftig!!! Keiner von uns hat sich getraut dazwischen zugehen und die hätte die Tod gemacht, wenn Kalle nicht dazwischen gegangen wäre.

Und weißt du, warum die das gemacht hat? Haste keine Ahnung?“, fragte Dana.

Nelly brummte nur und fing wieder an zu würgen. Sie hoffte, das dies nur eine rein rhetorische Frage war.

„Die hat die fast totgemacht, weil -und jetzt halt dich fest- Alter- weil die ihr Bier zur Seite gestellt hatte. Zieh dir das rein, weil die ihr Bier weggestellt hat! Siehste selbst, oder? Also wenn Hanna sagt, dass ich auf dich aufpassen soll, dann tu ich das. Sie hat gesagt, du bist ihre Freundin- und das weiß jeder hier, das ist mehr wert als ein blödes Bier. Oder was meinst du?“

Dana klopfte an der Tür.

„Ja, ich gehe davon aus, dass ich ihr mehr Wert bin als ein Glas Bier.“

Nelly erschöpfte das Reden, sie konnte zwar nicht glauben, was das Mädchen vor ihrer Tür über Hanna sagte, aber sie wollte jetzt auch nicht mit ihr diskutieren.

„Ich habe ein nasses Tuch für dich aus den Papierhandtüchern gemacht, willste die haben? Ich gebe sie dir unter der Tür durch.“

Nelly hörte wie Dana sich an ihrer Tür hinuntergleiten lies und ihr die feuchten Tücher unter der Tür reichte.

Nelly nahm sie und legte sie auf ihre Stirn. Ja, dachte sie, das tut echt gut.

„Ich habe mich jetzt vor deine Tür gesetzt. Wenn Hanna fragt, ich habe dich gefragt, ob ich reinkommen soll. Hab ich gefragt, oder?“

„Ja, du hast dich angeboten, und ich habe dankend abgelehnt. Ich brauche noch ein bisschen Zeit.“

„Okay, ich warte hier und wenn was ist, sagste Bescheid.“

Nelly hörte wie Dana in ihrer Tasche kramte und danach das Tippen von ihren Fingern auf dem Handy. Nelly schloss ihre Augen und hoffte, dass die Übelkeit bald erträglicher wurde.

„Hast du den Verstand verloren, oder was wird das hier zwischen Dir und Nelly?“

Hanna war mit Ron vor die Tür gegangen und viele aus dem Club hatten ihnen neugierig hinterher geschaut.

Augenscheinlich hatte es sich bereits wie ein Lauffeuer herumgesprochen, das Ron auf dem Damen-WC gewesen war und Hanna ihn da jetzt rausgeholt hatte.

Aaron schaute Hanna zornig an und man konnte nicht nur seiner Stimme anhören, wie bemüht er war, ihr nicht den Hals umzudrehen. Die Ader auf Rons Stirn schwoll immer an, wenn er sauer war, und die Ader war jetzt gerade zum platzen angeschwollen.

„Was zum Teufel willst du von mir? Was das mit Nelly und mir ist, willst du wissen?! Ich weiß es selber nicht und solange ich es nicht weiß, werde ich nicht mit dir oder sonst wem darüber sprechen. Und du solltest auch kein Wort darüber verlieren. Ist das angekommen?!“

Hanna blickte Ron an, so hatte sie ihn ihr gegenüber noch nie erlebt. Was war hier nur los? Sie schüttelte den Kopf.

„Sie ist meine beste und einzige Freundin, Ron. Du weißt, was das in unserem Job bedeutet -ich kann und will sie nicht verlieren. Ich will nicht, dass man ihr weh tut -das du ihr weh tust! Ich kann das hier nicht, ist das bei dir angekommen?!“

Hanna fuchtele mit ihren Armen in der Luft herum, um deutlich zu machen, was sie mit dem hier meinte.

„Sie ist gerade nicht in der besten seelischen Verfassung und ich bin mir sicher, dass sie das hier wirklich nicht braucht!“

„Sie braucht mich“, Ron sprach so ruhig und leise, aber bestimmt, das Hanna zögerte und dann doch leise weitersprach:

„Nellys Lebenspartner stirbt. Die Ärzte geben ihm noch maximal 3-4 Monate.“

Hanna schluckte und ließ ihre Worte wirken. „Nelly geht mit ihm sehr bald schon in die Schweiz, in ein Spital, sie wird ihn beim Sterben begleiten -ihm dabei zusehen, wie er stirbt!“

Hanna sah Aaron direkt in die Augen.

„Meinst du immer noch, dass sie das hier alles braucht?“

Ron schaute Hanna überrascht an.

„Das habe ich nicht gewusst, ich…“ er verstummte.

„Fuck, natürlich hast du das nicht gewusst, zum Henker auch. Woher solltest du das auch wissen, du kennst sie ja nicht!“

Hanna hatte große Schwierigkeiten ihre Stimme in den Griff zu bekommen. Wenn sie ihn nicht besser kennen würde, würde sie glauben in seinen Augen Tränen zu sehen. Aber Hanna hatte noch nie jemanden getroffen, der so abgebrüht und emotionslos war wie Ron.

„Was zum Teufel ist zwischen dir und Nelly? Oder besser gesagt, was glaubst du, was das ist zwischen euch beiden? Meinst du wirklich, dass hier tut ihr gut?“

Ron blickte zu Boden.

„Ich hole ihr ein frisches T-Shirt von mir aus dem Wagen. Warte hier“.

Ron ging an ihr vorbei zu seinem Auto und Hanna sah ihm sprachlos nach. Sie sah wie er den Kofferraum aufschloss und eins seiner schwarzen Shirts -sauber gefaltet- aus dem Kofferraum holte und wieder auf sie zukam.

„Hier, gib es ihr, sie wird es brauchen“.

Hanna nahm es entgegen und Ron ging wieder zum Clubhaus zurück. Dann drehte er sich zu ihr um und sagte:

„Das mit ihrem Freund wird nichts, aber auch rein gar nichts daran ändern und auch du wirst es nicht verhindern können“, dann steckte er die Hände in seine Hosentasche und ging zurück ins Clubhaus.

Hanna stand mit dem Shirt in der Hand da und wusste nicht, ob sie ihm hinterherrennen sollte. ,Ich könnte ihm von hinten eine drüberziehen,‘ dachte Hanna, vielleicht würde er dann zur Besinnung kommen. Hanna schüttelte den Kopf und ging dann aber ebenfalls rein, um sich den Weg ins Damen Klo zu bahnen.

Dana saß vor Nellys Klotür und spielte an ihrem Handy rum. Als sie Hanna sah packte sie es schnell weg und sprang auf.

„Ich wollte zu ihr rein, aber sie wollte das nicht. Ich habe ihr aber feuchte Tücher unter der Tür durchgereicht…“

„Verpiss dich!“ schnauzte Hanna sie an und Dana sah zu, dass sie so schnell wie möglich wegkam.

„Nelly -mach die Tür auf“.

„Ich kann nicht“, jammerte Nelly durch die Tür. „Ich habe mir meine Bluse vollgekotzt und mein Reißverschluss der Sweetshirt Jacke habe ich mir auch gerade kaputt gemacht“.

Hanna schaute auf das T-Shirt in ihrer Hand, „Mach die verdammte Tür auf, ich habe ein frisches Shirt für dich.“

Sie hörte wie Nelly die Klospülung betätigte und dann die Türe einen Spalt öffnete und ihre Hand rausstreckte.

„Kannst du meine Jacke halten -sie ist noch sauber.“

Hanna nahm im Tausch die Jacke entgegen und während Nelly sich umzog, versuchte sie den Reißverschluss zu reparieren.

„Scheiße, wie haste das denn schon wieder hinbekommen? Ich dachte du musstest nur kotzen und nicht dir dabei die Klamotten vom Leibe reißen“.

Sie hörte Nelly leise auflachen.

„Ich bekomm den Scheiß nicht repariert. Ich glaube von der kannst du dich verabschieden“, sagte Hanna und in dem Moment kam Nelly leichenblas aus dem Klo.

„Wer war das an Aarons Seite?“ fragte Nelly unvermittelt und ging zum Waschbecken.

„Wahrscheinlich irgend so eine Schlampe mit der Ron mal was hatte,“ antwortete Hanna absichtlich härter als notwendig.

Nelly schluckte.

„Doch noch eine Runde kotzen, oder geht’s?“ Hanna schaute Nelly besorgt an und es tat ihr fast leid, Nelly so hart geantwortet zu haben.

„Nein, geht schon wieder“.

Nelly betrachtete ihr Gesicht im Spiegel, sie sah so aus, wie sie sich fühlte -zum kotzen. Das Shirt war ihr viel viel zu groß, aber sie fühlte sich trotzdem in diesem Shirt geborgen, es roch unglaublich gut.

„Können wir uns noch ein paar Minuten nach draußen an die frische Luft setzten? Ich glaube nicht, dass ich mich jetzt ins Auto setzten kann.“

Nelly stützte sich am Waschbecken ab.

„Kein Problem“, Hanna warf sich die Jacke über die Schulter und nahm die schmutzige Bluse, die Nelly auf dem Handtuchpapierhalter abgelegt hatte.

„Schaffst du es allein raus, dann besorge ich dir noch ein Wasser.“

Nelly nickte, „Vielleicht mit einer Scheibe Zitrone…?“ schob Nelly nach.

Hanna schaute sie an: „Aber sonst geht’s noch, oder?“

Hanna klopfte ihr auf die Schulter und beide verließen zusammen das Damen-WC.

Nelly war so mit sich selbst beschäftigt, dass sie nicht die neugierigen Blicke um sich herum bemerkte. Draußen setzte sie sich auf eine der Bänke, die auf der Außenterrasse standen und holte tief Luft. Sie schloss die Augen und erst als sich alles um sie herumdrehte, öffnete sie diese wieder.

Sie zuckte zusammen, vor ihr stand Aaron mit einem Glas Wasser in der Hand. Sie hatte ihn nicht kommen hören und sie wusste nicht, wie lange er da schon stand. Obwohl es ihr so schlecht ging, blieb die gewohnte Reaktion bei seinem Anblick nicht aus.

„Trink“, er hielt ihr das Glas hin und setzte sich neben sie.

Nelly nahm das Glas und trank ein paar Schlucke.

„Da ist Zitrone drin“, stellte Nelly überrascht fest.

„Du magst keine Zitrone?“ Aaron sah sie fragend an.

„Doch, ich liebe Wasser mit einem Spritzer Zitrone“, antwortete Nelly leise. Sie spürte, wie Aaron sie von der Seite beobachtete. Nelly mochte sich nicht zu ihm umdrehen, sie wusste wie schlecht sie aussah und schämte sich dafür.

„Geht’s dir jetzt besser?“ fragte Aaron sie und seine Stimme klang so weich, dass sie sich zu ihm umdrehen musste.

Sie wollte ihn sehen und am liebsten hätte sie sich an ihn gelehnt. Er schaute ihr in die Augen und der Blick von ihm war so weich wie seine Stimme.

Er hob die Hand und strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. Nelly schloss die Augen und diesmal war das Schwindelgefühl unglaublich süß und angenehm. Seine Bewegung war so langsam wie eine Liebkosung und sie genoss es hier einfach nur neben ihm zu sitzen und seine Hand an ihrem Haar zu spüren.

„Nelly?“ hörte sie ihn mit rauer Stimme sagen.

„Hmm?“ Nelly wollte ihre Augen nicht öffnen, sie war hier im Jetzt und sie wollte nicht weiter. Wenn es nach ihr ginge, könnte die Welt nun stehen bleiben und sie würde hier bis an ihr Lebensende mit Aaron auf dieser Bank sitzen.

„Nelly?“ Nelly öffnete widerwillig ihre Augen.

„Ich wollte dir nur sagen, dass das Mädchen mit der ich reingekommen bin, nur eine Bekannte ist. Ich hatte mal was mit ihr, absolut belanglos -rein sexuell- ehrlich. Jetzt ist da nichts mehr und wird es auch nicht mehr sein.“

Er schaute sie an und wartete auf eine Reaktion von ihr. Nelly schaute ihn aber nur an.

„Nelly, hast du gehört?“

„Aaron“, Nelly richtete sich auf, sie wusste nicht, wo sie beginnen sollte.

„Ich lebe mit einem Mann zusammen, mit meinem Freund. Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen und ich habe keine Rechte auf dich…“.

Aaron legte ihr den Finger auf den Mund und Nelly verstummte.

„Du hast alle Rechte auf mich, die du möchtest“, er nahm seinen Finger wieder von ihren Lippen und wo sein Finger noch vor wenigen Bruchteilen von Sekunden gelegen hatte, breitete sich eine wohlige Wärme aus.

Nelly schauerte innerlich und ihr ganzer Körper begann zu glühen. Sie konnte nicht anders und berührte mit ihrer Zungenspitze die Stelle, die er eben noch berührt hatte.

„Ich weiß von deinem Freund -Hanna hat es mir gesagt.“

Aaron schaute erst auf ihre Zunge, die über ihre Lippe fuhr und dann auf seine Hände: „Ich hoffe ich mache dir keine Angst, wenn ich dir solche Worte sage, aber ich gehöre zu dir und du zu mir. Ich weiß das, und ich weiß, dass du es weißt.“

Aaron sah Nelly nun wieder an und Nelly nickte, ja sie wusste es, genauso sicher wie er es wusste.

„Nichts und niemand wird mich jemals von dir fernhalten können, außer du schickst mich fort. Mein ganzes Leben wusste ich, dass es dich gibt. Ich wusste aber nicht, wo du warst, bis ich dich gestern gesehen habe. Verstehst du was ich dir sage?“

Nelly nickte ihn an und dabei fiel ihr erneut eine Strähne ins Gesicht. Aaron strich sie ihr wieder aus dem Gesicht und strich sie ihr hinter ihr Ohr und glitt unendlich sanft mit seinen Fingern an ihrem Hals herunter. Nelly stöhnte leise auf, tausend kleine Ameisen kribbelten auf ihrer Haut. Aarons Augen verdunkelten sich und bekamen einen milchigen Glanz. Er spürte, wie sein Schwanz hart wurde und er nahm seine Hand von Ihrer Halsbeuge. Nelly schaute ihn verlangend an.

„Es ist unglaublich was du mit mir anstellst“, hauchte Aaron ihr mit belegter Stimme entgegen.

Er hätte sie jetzt am liebsten geküsst, aber er hatte sich noch unter Kontrolle. Das war bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort für ihren ersten Kuss. Er wusste, er würde sie küssen und er war sich sicher, sie würde ihn darum bitten. Hinter ihnen räusperte sich jemand und als sie sich umdrehten, sahen sie Hanna dort stehen.

Sie hielt 2 Wassergläser in der Hand -eins mit einer Zitronenscheibe am Glasrand dekoriert.

„Das ist wohl für mich“, sagte Nelly, stellte das leere Glas ab und streckte Hanna ihre Hand entgegen.

Hanna gab wortlos Nelly das Glas. Sie sah von Nelly zu Ron und dann wieder Nelly an.

„Könnt ihr mir jetzt sagen was das zwischen euch ist?“ fragte Hanna bissig.

Aaron sah Nelly an und legte seine Hand auf Nellys Hand, die neben ihm auf der Bank lag.

Dann schaute er Hanna an: „Han, ich weiß, dass Nelly deine beste und einzige wirkliche Freundin ist und ich werde sie dir auch nicht wegnehmen oder sie verletzten. Aber ich weiß jetzt, sie ist der Grund, warum ich jeden Morgen aufstehe, sie ist der Grund warum ich lebe.“

Aaron grinste und streichelte dabei sanft Nellys Handrücken: „Ich werde sie nicht mehr hergeben und damit musst du jetzt leben. Es wird für mich keinen Kompromiss geben, Hanna, Freundschaftsschwur hin oder her.“

Aaron drückte Nellys Hand und stand auf, er richtete seine Hose und strich sich mit beiden Händen durch sein Haar.

„Das ist so klar, wie dass Morgen wieder die Sonne auf geht.“

Er schaute Hanna an, „Nimm es hin- das ist Sparta!“

Nun lächelte er, klopfte Hanna auf die Schulter und ging mit den Händen in den Hosentaschen davon.

Kurz vor der Tür drehte er sich um und rief ihr zu: „Wir sehen uns“, und dann formulierte er etwas lautlos mit den Lippen und verschwand dann im Clubhaus.

„Spinner“ sagte Hanna.

„Warum?“, wollte Nelly wissen.

Hanna dreht sich zu ihr um: „Er meinte, er würde dich überall finden, egal wo ich dich verstecken würde.“

Nelly musste schmunzeln, Hanna konnte also auch von den Lippen lesen.

Mein Leben mit dir hat bereits begonnen

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