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Krimi-Mimi-Tipps

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„So, dieses Parkhaus haben wir ohne einen weiteren Toten hinter uns gebracht“, stellte Lale fest, als sie mit Mandy den Aufzug betrat, der sie hinauf in die Leipziger City bringen sollte.

Mandy überprüfte ihre Frisur im Spiegel. „Deine Idee mit der Zeitung war spitze!“

„Wir werden sehen.“ Lale zog ihrem Spiegelbild eine Grimasse. „Und jetzt habe ich Hunger.“

„Geht gleich los“, versprach Mandy. „Hier ist immer Betrieb. Es gibt keine Sperrstunde. Und zur Buchmesse soll sowieso die Luft brennen.“

„Ein solides warmes Essen reicht mir völlig aus“, erklärte Lale. „Vielleicht ein Glas Wein dazu.“

Mit einem Pling öffnete sich die Aufzugtür und Lale eilte hinaus. Nanu, eine Einkaufsgalerie … Hoppla! Auf den glatten Fliesen geriet sie ins Rutschen und rumste gegen einen Pflanzenkübel. „Aua, verdammt!“

Sogleich sah Lale zahlreiche Augenpaare auf sich gerichtet und vernahm verärgerte „Psssts“. Sie stutzte. Warum saßen und standen denn überall Leute herum? Dann hörte sie Stimmen, reckte sich und sah Menschen an Tischen auf einer kleinen Bühne sitzen. Sie beugten sich über Bücher und lasen abwechselnd Sätze wie „Hör auf und geh weg!“ und „Bleib hier, geh nicht fort!“ oder „Alle Mühe ist vergebens“.

Irritiert wandte Lale sich um. Mandy machte ein enttäuschtes Gesicht, als sie sich nun bei ihr unterhakte und sie zwischen den Zuhörern hindurch aus der Galerie zog.

„Was hast du?“, fragte Lale.

„Ich habe meine Bücher vergessen“, erklärte Mandy missmutig. „Die Tasche mit den Büchern ist im Kofferraum.“

„Na und?“ Lale sah sich um. Nicht nur ganz Leipzig schien auf den Beinen zu sein, sondern auch internationale Besucher. Sie meinte neben Englisch in verschiedenen Akzenten auch spanische und französische Wortfetzen zu vernehmen.

„Du weißt doch, dass ich ein großer Fan von Samson Perowski bin“, erklärte Mandy. „Dieser Krimiautor, der kaum in der Öffentlichkeit auftritt.“

Lale nickte, während sie das flanierende Publikum musterte. Sie machte sich angesichts der Masse an Leuten Sorgen um ihr Abendessen. Ob sie noch einen freien Tisch finden würden? „Lass uns mal losgehen.“

Mandy zappelte an Lales Arm herum. „Und nun habe ich gelesen, dass Perowski dieses Jahr einen Auftritt zur Buchmesse hat und alle meine Bücher mitgebracht.“

Lale sah Mandy verwundert an. „Nennt man das nicht ‚Eulen nach Athen tragen’? Du schleppst Bücher mit zur Buchmesse? Meinst du nicht, die haben hier genug davon?“

„Ach Lale.“ Mandy schüttelte grinsend den Kopf. „Ich will sie mir von Samson Perowski höchstpersönlich signieren lassen!“ Sie hatten jetzt einen kleinen Platz mit Brunnen erreicht, an dem verschiedene Gassen zusammenliefen. „Komm.“ Mandy zog Lale nach rechts mitten ins größte Getümmel. „Außerdem wollte ich Perowski schon immer mal sehen. Der macht sonst nie Lesungen.“

Lale schmunzelte. Sie kannte durchaus Mandys Leidenschaft für Krimis, und auch wenn sie sie selbst nicht teilte, kannte sie inzwischen einige Kollegen, die kriminelle Fiktion nach Feierabend zu schätzen wussten. Sie mochten vermutlich die Spannung, die ihnen im Berufsalltag zwischen Papierkram und Zuständigkeitsgerangel abhandenkam. Sie hätte wetten können, dass auch Soraya Mayer gerne Krimis las und von einer hundertprozentigen Aufklärungsquote träumte.

Mandy schien ihre Gedanken zu erraten. „Ich weiß, dass du keine Krimis magst. Aber gerade die Perowski-Krimis finde ich toll, weil sie so weit weg sind vom Polizeialltag.“

„Du meinst, so wie im ‚Tatort’ oder im ‚Polizeiruf’?“ Lale mochte auch Fernsehkrimis nicht besonders.

„Nein, soooo weit weg nun auch wieder nicht“, protestierte Mandy. „Was wollen wir eigentlich essen?“ Sie deutete auf die belebte Straße, in der sich ein Restaurant an die nächste Kneipe kuschelte.

Lale zuckte die Schultern und beobachtete die plappernden, lachenden und gestikulierenden Menschen. Es war eine Stimmung wie an einem Sommerabend am Mittelmeer und nicht wie Mitte März in Mitteldeutschland. Es war noch zu kühl, um draußen zu sitzen, doch die beschwingte Atmosphäre schien die Gemüter wohlig aufzuheizen.

Als sie nach einigem Gedränge und Gewühle endlich einen kleinen Tisch hinter einer halb offenen Fensterfront ergatterten, hatte Lale den Überblick längst verloren. Es war ihr völlig egal, in welchem Lokal sie saß und welche Spezialitäten hier genau angeboten wurden. Hauptsache, es gab endlich etwas zu essen. Gierig stürzte sie sich auf die Speisekarte und bestellte Kartoffelsuppe mit Würstchen.

Mandy war schon wieder in Gedanken bei ihrem Lieblingsautor. „Ich bin so gespannt, was für ein Mensch Samson Perowski ist. Irgendwie stelle ich ihn mir groß und weißhaarig und mit Pfeife vor.“

„Sie lesen auch so gerne die Bücher von Perowski?“, mischte sich eine Dame vom Nebentisch ein. „Ich liebe seine Krimis!“

Mandy bekam leuchtende Augen. „Haben Sie ihn schon mal persönlich getroffen, also den Autor selbst?“

Die Krimifreundin schüttelte den Kopf. „Nein, aber ich hoffe, dass es diesmal klappt.“ Sie zog ein Heftchen hervor. „Schauen Sie, das Programm.“

Mandy lehnte sich hinüber zum Nachbartisch. „Wissen Sie, wann er auftritt?“

„Ja, er liest aber nicht auf der Messe selbst.“ Die Dame zeigte Mandy einen Eintrag am Ende des Heftchens. „Die Premierenlesung ist am Sonntagabend in einem kleinen Theater hier um die Ecke.“

„Wie schön!“ Mandy strahlte Lale an. „Da gehen wir hin. Am Abend sollen wir ja wohl nicht mehr die Messehallen bewachen.“ Jäh änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Entsetzen machte sich breit. „Was für ein Veranstaltungsprogramm ist das denn?“

Nun war auch Lales Interesse geweckt. Sie ahnte, was Mandy befürchtete. „Gehört diese Abendveranstaltung zur Buchmesse?“

Die Krimi-Mimi vom Nebentisch nickte begeistert. „Aber klar! Das ist das Programm ‚Leipzig liest’, das rund um die Buchmesse überall in Leipzig stattfindet.“ Sie klopfte auf den Titel ihres Heftchens. „Wenn Sie mich fragen, ist das das Beste an der ganzen Buchmesse! So ein tolles Rahmenprogramm gibt es in Frankfurt nicht.“ Sie ließ die vielen Seiten des Veranstaltungsheftchens über ihren Daumen gleiten. „Dieses Jahr sind es besonders viele Lesungen: bei der Polizei, in Museen, in Theatern und in Kneipen sowieso.“

Mandy sah Lale mit weit aufgerissenen Augen an. „Denkst du das Gleiche wie ich?“ Sie schien bemüht, eindeutige Vokabeln zu vermeiden. „Bei unserer Besprechung heute, da war von einem Rahmenprogramm an verschiedenen Orten gar nicht die Rede.“

„Du meinst“, hob Lale mit einem Seitenblick auf ihre Zuhörerin an. „Du meinst, wir haben bei unserer Planung die Veranstaltungen von ‚Leipzig liest’ nicht berücksichtigt und sollten das unbedingt nachholen?“ Sie atmete tief durch. Wenn diese Bombendrohung tatsächlich ernst gemeint war, dann musste das keineswegs heißen, dass sich der Bombenleger auf die Messehallen konzentrierte. Im Gegenteil: Der oder die Bombenleger wären schön blöd, ein unkalkulierbares Veranstaltungspotenzial nicht zu nutzen.

„So ein Desaster“, schimpfte Mandy. „Das hätte nicht passieren dürfen! Was machen wir denn jetzt?“

„Machen Sie sich mal keinen Kopp“, besänftigte die Bücherfreundin vom Nebentisch und zog ein weiteres Heft aus der Tasche. „Viel haben Sie noch nicht verpasst, und alle Veranstaltungen kann man ohnehin nicht besuchen. Dieses Programmheft können Sie haben, ich habe zwei davon.“ Sie drückte Mandy das Heft in die Hand. „Die Krimi-Lesungen habe ich angestrichen. Ich mag es, wenn es so richtig zur Sache geht, mit Leichen, Blut und so.“

Lale schluckte und hoffte, dass die erzählerischen Vorlieben dieser Krimi-Mimi nicht die Realität heimsuchten.

Allerlei Leipzig

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