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2. Neutralität

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Das Leben spielt sich in Gegensätzen ab: plus und minus, innen und außen, nah und fern, arm und reich, gut und böse, schön und hässlich. Auf deinem Weg in die Meisterschaft verschwimmt das von der Dualität geprägte Denken, bis es vollständig verschwindet. Statt schematisch zu bewerten und zu verurteilen, triffst du im gegenwärtigen Moment einfach deine ganz persönliche Wahl.

In der von der Dualität geprägten Welt gestalten sich Beziehungen als Täter- und Opfer-Szenarien. Auch heute noch kämpfen in vielen Gegenden der Welt die Menschen ums Überleben. Der Überlebenskampf produziert Täter und Opfer, der Täter gewinnt und das Opfer verliert. In der westlichen Zivilisation wird meistens nicht mehr mit körperlichem Einsatz gekämpft, aber die Menschen suchen mit allen Tricks ihren Vorteil. Die Leistungs- und Ellbogengesellschaft basiert nach wie vor auf Täter- und Opfer-Szenarien.

Der Kampf ums Überleben und der Konkurrenzkampf bringt alle Beteiligten an die Grenze der Erschöpfung. In der heutigen Zeit nennt man es Burn-out. Der Kampf erschöpft und vertreibt die Freude aus dem Leben. Der Gewinner versucht krampfhaft, seinen Vorteil festzuhalten, während der Verlierer aus Angst vor neuen Übergriffen nicht zur Ruhe kommt.

In der gegenwärtigen Realität agieren die Menschen daher oft abgespalten von ihrem eigentlichen Selbst und nehmen ihre Gefühle gar nicht mehr wahr oder verleugnen sie.

Die Erfahrungen von Täter und Opfer erschaffen Leid in Form von Schuld und Angst. Der Täter fühlt sich schuldig und strebt nach einem Ausgleich. Sowohl die Schuldgefühle als auch das Streben nach Absolution können vollkommen unbewusst ablaufen. Der Täter wird dann ständig von einem unterschwelligen Gefühl, nicht zu genügen und immer mehr leisten zu müssen, angetrieben. Das Opfer hat Angst und neigt dazu, die Umstände, die die Angst hervorgebracht haben, immer und immer wieder, meistens auch unbewusst, zu wiederholen, um die Angst eines Tages in den Griff zu bekommen. Ein Geschehen, das Leid erzeugt hat, wird also immer und immer wieder generiert und mit unterschiedlichen Protagonisten durchgespielt. Die Seele strebt unermüdlich danach, vergangenes Leid zu heilen, indem sie es wiederholt, um Wiedergutmachung zu erlangen. Ein Handlungsmuster wird endlos perpetuiert… und perpetuiert… und perpetuiert… Was du als Seelenblockade oder als Karma bezeichnest, basiert eigentlich nur auf einer ständigen Wiederholung ein und desselben Handlungsmusters. Aus dieser Wiederholung kannst du aussteigen.

Spätestens wenn Menschen aufwachen und sich daran erinnern, wer sie wirklich sind, werden ihnen die verdrängten Gefühle von Angst und Schuld in vielfältiger Ausformung bewusst. Daher kommt das Aufwachen auch oft wie eine Krise daher. Der Mensch, der bisher in seinem Leben eher auf der Täterseite, auf der Seite der Macht stand, wird sich seiner Verantwortung für das Leid anderer Menschen bewusst. Er fühlt, dass er nichts mehr rückgängig machen kann, obwohl er jetzt seine Schuld erkennt. Der Mensch, der in seinem Leben bisher eher versagt hat und sich unterordnen musste, spürt auf einmal die Angst, die er lange verdrängt hat. Trotz seiner Angst vor neuen Verletzungen kann er aber an seiner ausweglosen Situation nichts ändern. Viele Menschen leben Täterund Opfer-Aspekte parallel in verschiedenen Bereichen ihres Lebens aus. Einer, der im Beruf ganz oben auf der Karriereleiter steht, wird vielleicht zu Hause herumkommandiert. Eine, die zu Hause das Heft in der Hand hat, muss vor dem Chef buckeln. Auf dem Weg in die Meisterschaft müssen die Täter- und Opfer-Aspekte integriert und überwunden werden.

Der Meister agiert jenseits von Täter- und Opfer-Szenarien. In der Vergangenheit hast du womöglich oft mit dir selbst gehadert, weil du gar nicht in der Lage warst, auf sinnlose Machtspiele anderer Menschen einzusteigen. In der Schule oder sogar schon im Kindergarten hast du gemerkt, dass du dich gar nicht so selbstgefällig und herausfordernd verhalten konntest wie die anderen. Selbst wenn du dich bemüht hast, schlagfertig und frech aufzutreten, ist es dir nicht gelungen. Selbst wenn es noch so weh tut, darfst du es dir erlauben, dich an Ereignisse zu erinnern, als du dich nicht behauptet, sondern auch noch die andere Backe hingehalten hast. Mit Sicherheit warst du nicht in extreme Opfer- und Täter-Aktionen verstrickt. Dennoch darfst du dir schmerzhafte Erlebnisse bewusst machen, denn auf deinem Weg in die Meisterschaft integrierst du Frustrationen und Enttäuschungen aus der Vergangenheit. Auf dem Weg in die Meisterschaft ziehst du Bilanz über dein bisheriges Leben. Es kann gut sein, dass du feststellst, dass du noch nie Lust hattest, dich zu sehr unterzuordnen und zu verbiegen. Du hattest aber auch keine Lust, andere dauernd in ihre Schranken zu weisen, sie auszunutzen und deinen Vorteil auf Kosten von anderen zu steigern. Du darfst es annehmen, dass du dich in deinem Leben von Anfang an jenseits der Täter- und Opfer-Rollen bewegt hast. Du warst weder Täter noch Opfer, obwohl du Versuchungen widerstehen und beweisen musstest, dass du es wirklich ernst damit meinst, auf Täter- und Opfer-Spiele zu verzichten.

Tatsächlich wird der Meister von seiner Umwelt immer wieder geprüft, ob er wirklich rücksichtsvolles Verhalten und bedingungslose Liebe leben und Zorn, Streit und Ausbeutung widerstehen kann. Auch du magst in deinem bisherigen Leben schon durch solche Prüfungen gegangen sein. Wenn das Leben dich geprüft hat, darfst du es dir bewusst machen. Von Zeit zu Zeit darfst du dir selbst auf die Schulter klopfen, wenn es dir gelungen ist, dem Sog der Täter- und Opfer-Spiele auszuweichen und in deiner Neutralität standhaft zu bleiben. Du solltest dich nicht über Gebühr verurteilen, wenn du in alte Muster des Zusammenlebens zurückfällst und deine Meisterschaft verleugnest, denn mit deiner Entscheidung zur Neutralität tust du einen großen Schritt. Indem du dich von Täterund Opfer-Spielen verabschiedest, steigst du aus den klassischen Umgangsformen auf der Erde aus. Stattdessen entscheidest du dich für einen neuen Umgang mit den anderen Menschen, der Win–win–Situationen erschafft. Du entscheidest dich für bedingungslose Achtsamkeit gegenüber deiner Umwelt.

Ich möchte dich noch einmal daran erinnern, dass du wahrscheinlich auf deinem Seelenweg schon alle nur denkbaren Täterund Opfer-Aspekte gelebt hast. Du denkst gerne daran, dass du eine Königin oder ein König gewesen bist. Du erinnerst dich womöglich gerne an ein früheres Leben als Herrscher über ein großes Reich und malst es dir aus. Du bist dir möglicherweise bewusst, dass du schon einmal Priester, Heilerin, Papst oder ein erleuchteter Meister warst. Die Goldenen, die Aufgestiegenen Meister aller Epochen und Kulturen der Erde, lachen gerne über deine Vorstellungen von den früheren Leben. Denn die Leben auf deinem Seelenweg, die am meisten zu deinem inneren Aufstieg beigetragen haben und die Schwingung deiner Seelenessenz und sogar deines Körpers ausmachen, sind die ganz normalen, unbedeutenden Leben als Fußvolk der Geschichte. Viele Leben in der Normalität des Erdendaseins ließen deine Seele am effektivsten lernen. In den alltäglichen Erdenerfahrungen hast du dich weiterentwickelt, deinen inneren Diamanten poliert und dich selbst in die Schwingung gebracht, in der du jetzt bist. Dein jetziges Leben weist sicher auch Aspekte der Normalität auf. Man könnte womöglich sagen, du bist nichts Besonderes. Gerade das macht deine Meisterschaft aus. Es hat noch niemand davon gesprochen, dass der Meister der König ist. Im Gegenteil: Der König bittet den Meister zu sich und fragt ihn um Rat.

In diesem Leben lässt du also alle Täter- und Opfer-Szenarien hinter dir. Darin besteht die Meisterschaft des Seins. Du eröffnest dir den Status der Neutralität. Ich möchte dir an einem Beispiel aus der Geschichte verdeutlichen, was Neutralität bedeutet. Henry Dunant, der Begründer des Roten Kreuzes, hat viel Gutes in die Welt gebracht, indem er das Prinzip der Neutralität in Kriegszeiten etabliert hat. Er war ein erfolgreicher Geschäftsmann und eines Tages geriet er auf einer Geschäftsreise zwischen die Fronten und landete unversehens auf einem Schlachtfeld. Er fand sich in einem Krieg wieder, an dem er und seine Nation, die Schweiz, nicht beteiligt waren. Er lag nicht in einem Schützengraben, aber er wurde mit den Folgen des Krieges konfrontiert. Er öffnete sein Herz und schaute sich um. Er sah viele verwundete, schreiende und leidende Soldaten auf beiden Seiten der Front. Er musste den Menschen helfen, obwohl er kein Arzt oder Sanitäter war. Er tat, was er konnte, um Verwundete zu versorgen oder sie einfach nur bei ihren letzten Atemzügen zu begleiten. Als er dann nach Hause kam, hatte er eine Idee und gründete das Rote Kreuz, eine neutrale Organisation, die in den Kriegen seiner Zeit einen unschätzbaren Dienst leistete. Bis heute hat sich diese Organisation der Aufgabe verschrieben, auf der Basis der Neutralität der Welt Rettung, Heilung und Erlösung zu bringen.

Henry Dunant hat sich nicht dafür entschieden, die eine oder andere Partei in diesem Krieg zu stärken. Er hat sich nicht auf die eine oder andere Seite geschlagen. Er hat sich wahrlich in den Status der Neutralität begeben und er hat ihn ausgehalten. Er hat sich nicht in die Dramen des Täters oder des Opfers hereinziehen lassen. Er hätte mit in den Krieg ziehen und versuchen können zu siegen. Aber er hat seinen Status der Neutralität bewahrt und ausgebaut. Du darfst dich immer wieder an das Rote Kreuz erinnern, wenn du beobachtest, wie die Menschen das karmische Spiel von Geben und Nehmen, von Sieg und Niederlage, von Täter und Opfer ausagieren. Dann darfst du dich immer wieder auf deine Position der Neutralität besinnen und sie ausagieren.

Neutralität ist der Schlüssel zur Meisterschaft. Du begibst dich in die Neutralität, indem du aus den Bewertungen aussteigst. Es kommt dir manchmal so vor, als wäre eine Seite besser als die andere. Aber wenn du ehrlich bist und wenn du dein Bewusstsein erweiterst, ist es meistens gar nicht so eindeutig, wie es erscheint. Das Leben ist ein dynamisches Spiel und in diesem Spiel vollzieht sich auch immer wieder ein Ausgleich. Die Menschen pendeln ständig zwischen Täter und Opfer hin und her. Das einzige Gesetz, das das karmische Schicksalsrad beherrscht, ist das Gesetz des Ausgleichs.

Wenn der Täter erkennt, dass er eine Schuld trägt, sagt er: »Es tut mir leid, bitte verzeihe mir.« Er bittet in Gedanken das geschädigte Gegenüber um Verzeihung. Damit lösen sich die Täteraspekte auf. In manchen Fällen ist es sinnvoll, mit seinem Opfer direkt zu sprechen, aber oft lässt sich das gar nicht realisieren. Dann wirkt die Kommunikation von Seele zu Seele im inneren Dialog genauso. Du solltest nicht davor zurückschrecken, das etwas altmodische Wort Schuld zu verwenden. Deine Seele ist einverstanden, ihrer Schuld ins Auge zu schauen. Wenn es dir schwerfällt, das Wort Schuld in den Mund zu nehmen, kannst du auch von Reue sprechen. Vor deinem inneren Auge solltest du einmal alles erscheinen lassen, was du in diesem Leben bereust. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass in der nächsten Zeit in deinem Bewusstsein einiges auftaucht, was du bereust, selbst wenn du es bisher verdrängt hast. Jeder Mensch hat in seinem Leben schon einmal etwas getan, das er im Nachhinein ändern würde, wenn er es könnte. Es gab in deinem Leben sicher einige Gelegenheiten, bei denen du etwas falsch gemacht hast, das besser nicht geschehen wäre. Es gibt aber auch verpasste Gelegenheiten. Du bereust dann, dass du etwas nicht zur rechten Zeit getan hast.

Der Meister integriert seine Täter- und Opfer-Anteile und stellt sich allen Aspekten von Schuld und Ohnmacht. Was die Schuld angeht, braucht er nichts anderes zu tun, als innerlich zu sagen: »Es tut mir leid, bitte verzeihe mir.« Wenn dieser heilsame Lösungssatz von Herzen kommt, wird alles ausgelöscht. Dieser Satz gehört übrigens auch zur traditionellen hawaiianischen Methode der Streitschlichtung, dem Ho’oponopono, die sich immer noch als sehr wirkungsvoll erweist. In der religiösen Tradition des Westens spricht man von Vergebung. Viele Menschen wissen bereits, dass Vergebung etwas bewegt. Anders als in den hierarchisch strukturierten religiösen Institutionen gepredigt, weiß der Meister allerdings, dass er sich nur selbst vergeben kann. Der Meister kann die Vergebung nicht an eine religiöse Autorität delegieren. Selbst wenn das geschädigte Gegenüber seine Entschuldigung akzeptieren würde, müsste er sich noch selbst vergeben.

Du darfst noch einmal stellvertretend für alle Täteraspekte deiner Selbst sagen: »Es tut mir leid, bitte verzeihe mir.« Damit entlässt du aus jeder Zelle deines Körpers die Schuld und die Verstrickung mit deinen eigenen Täteraspekten. Es ist gar nicht nötig, umfassendes Wissen über die Täteraspekte aus vielen, vielen Leben des irdischen Spiels in dein Bewusstsein zu lassen. Deiner Seele sind deine Schulden sowieso ebenso vertraut wie deine Verdienste. Du kannst sogar von Zeit zu Zeit deine Seele um Vergebung bitten, dass du dich in Illusionen verstrickt und von den Beschränkungen des irdischen Daseins in Beschlag hast nehmen lassen, dass du dich sozusagen selbst ins Gefängnis begeben und den Schlüssel verloren hast.

Wenn der Meister den Opferstatus beenden möchte, dann sagt er: »Stopp! Es ist genug!« Du darfst das auch innerlich zu dir selbst sagen. Du sagst es zu deiner Seele, aber in erster Linie zu deinem menschlichen Ich. Du kannst dir bildlich ein Stopp-Schild vor Augen führen und in etwa Folgendes sagen: »Stopp! Es ist genug! Bis hierher und nicht weiter! In meinem Raum passiert so etwas nicht mehr! Ich bin im Sicheren Raum!« Du kannst dich damit entscheiden, weder Täter noch Opfer zu sein. Für dich können die Worte »Stopp! Es ist genug!« magische Worte werden. Du setzt sie immer dann ein, wenn du dich überwältigt fühlst. Du eröffnest mit diesen Worten deine eigene Dimension und stellst dich in deine eigene Dimension hinein. In deiner Dimension wirken die ziehenden, wühlenden, grabenden Energien von Täter und Opfer nicht mehr. In deiner Dimension herrscht Frieden.

Immer wenn du von dir selbst enttäuscht bist, dir vorhältst, was du noch nicht erreicht hast, was du noch nicht leben kannst, wo, wenn du ehrlich mit dir selbst bist, dein Bewusstsein noch Begrenzungen aufweist, dann kannst du die magischen Worte benutzen, die das Täter- oder Opferdasein beenden. Manchmal passt der eine Satz besser, manchmal der andere. Manchmal gibst du dir selbst die Schuld, übernimmst Verantwortung und vergibst dir selbst, dass du immer wieder in alten Mustern hängen geblieben bist und noch nicht weitergehen konntest. Oder du beendest dein Opferdasein, indem du dich davon verabschiedest.

Wenn du aus dem karmischen Schicksalsrad der Täter- und Opfer-Szenarien aussteigst, gewinnst du eine einzigartige Freiheit. Freiheit bedeutet, dass du einfach du selbst bist. Freiheit bedeutet, dass du dich aus allen Vernetzungen mit dem Kollektivbewusstsein ausklinkst. Es geht darum, Täter- und Opfer-Spiele vollkommen aufzugeben und Täter- und Opfer-Anteile deiner selbst in allen Bereichen deines Lebens sterben zu lassen. Damit stehst du außerhalb der Welt. Es werden immer wieder herausfordernde Situationen auf dich zukommen, denn die Täter- und Opfer-Spiele üben eine extreme Anziehungskraft aus. Du tust gut daran, dir immer wieder selbst zu versprechen: »Ich bin weder Täter noch Opfer.« Manchmal musst du ganz bewusst betonen, dass du auch kein Opfer bist. Du liebst es, mit anderen Menschen friedvoll zusammenzuleben, und daher denkst du oft zunächst an die anderen und dann an dich selbst. Du weißt aber, dass du dich selbst genauso lieben solltest wie deinen Nächsten. Der vollkommene Diamant, der in seinem ureigenen Licht erstrahlt, hat seine Seele geheilt und integriert. Die vollkommene Integration der Seele ist die Voraussetzung für den Aufstieg in die Meisterschaft. Dann finden Selbstliebe und Nächstenliebe in dir eine Balance.

Wenn du Frieden findest und wenn sich die Situation verändert, dann kannst du dich bedanken. Dankbarkeit zeigt dem Universum, dass du das Gefühl hast, auf dem richtigen Weg zu sein. Dann wird dieser Weg unterstützt. Du bedankst dich bei dir selbst für die Erfahrung.

SAINT GERMAIN. Die Meisterschaft des Seins

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