Читать книгу Sprache, Haltung, Freiheit. Ein Zustandsbericht - Christof Sperl - Страница 7
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Rede und Öffentlichkeit. Was wir mit Sprache tun, und was wir über sie wissen sollten
Wer redet, agiert. Sprache kann auch als Verhalten beschrieben werden, das sich zum Ziel setzt, auf Gesprächspartner einzuwirken. Die verschiedenen Arten sprachlicher Einflussnahme vom Sprecher auf den Hörer werden von Sprachhandlungstheorien erklärt.1 Durch gezielte Auswahl, Kombination und Erfindung neuer Metaphern und Bezeichnungen kann es unter anderem auch gelingen, unterschiedliche soziale Gruppen gezielt auszugrenzen. Klemperer2 hat solche wortbasierten Segregationsversuche schon vor langer Zeit eindrucksvoll belegt. Selbst die Erniedrigten seiner Epoche bedienten sich mit Erfindungsreichtum einer eigens geschaffenen Herrensprache, ohne dass genau erkennbar geworden wäre, ob sie die besondere Sprechweise der sich tausendjährig wähnenden Sieger bereits übernommen hatten oder die Regelhaftigkeiten nur im Sinne einer subversiven Strategie ad absurdum nutzen wollten: „Zähnejude“, „Fahrjude“, „Laufjude“, „Waschjude“ und „Saujude“ waren beispielsweise, im dritten Reich erdachte, Bezeichnungen eines jüdischen Arztes für seine malträtierten Mitmenschen. Die hämischen Redeformen und die Syntax der Diktatorensprache, das Voranstellen der erniedrigenden Bezeichnung als verbalen Stern, Superlative, aber auch Abkürzungen wie das subversive GröFaZ und viele andere Beleidigungen und Provokationen gingen durch millionenfache Wiederholung3 in die Allgemeinsprache über. Sprache bildet die Welt nicht nur ab, sie schafft sie neu, wie der Poststrukturalismus lehrt. Das Objektive sollte man im Sprachlichen also lieber nicht an jeder Stelle suchen.
Aus welchem Grund führe ich diese Beschreibung aus den Dreißigern hier an? Wer das 1947 erschienene Werk LTI von Klemperer heute neu liest, ist schockiert über die auffälligen Parallelen zur unverschämt galligen Sprache moderner, rechtsradikaler Foren. Der Ausruf des im Jahre 1941 vorbeifahrenden Autofahrers: „Lebst du immer noch, du verdammtes Schwein? Totfahren sollte man dich (…)!“ klingt wie ein Zitat aus einer einschlägigen Telegram- oder facebook-Gruppe des Jahres 2021. Absicht und Formentsprechung der Sprache ändern sich nicht. Wir ändern uns nicht, und sind die „immergleichen Bastarde, die wir schon vor zwanzigtausend Jahren waren“, wie David Bowie einmal gesagt hat (Dylan Jones: 2018, 429. Übersetzung des Verfassers). Was früher der sichtbare, obligatorische Zwangsaufnäher für die Erniedrigung war, ist für die moderne Ausgrenzung die andere Auffassung, oder der nach Ferne klingende Name. Die unter einer nicht abreißenden Serie von Drohmails geplagte Berliner Gesundheitsreferentin Sawsan Chebli oder die Anwältin Basay-Yildiz können ein Lied davon singen. Gar nicht so seltsam aber ist: Namen wie Miazga und Chrupalla werden im Kontrast dazu von interessierter Seite her auch an dieser Stelle sehr deutlich ausgenommen. Zu diesen definitorischen Widersprüchen innerhalb der Rechten und extremen Rechten berichte ich später noch viel mehr.
Metaphern und Framing tragen ihren ganz eigenen Teil zur Sprachhandlung bei. Die „Notwehrerzählungen“ aus der „Opferpose“4 rechter Hetzer sind getragen von sprachlichen Mustern, die nur bestimmte Aspekte der Gegebenheiten grell beleuchten5 sollen. Bilder wie „Asylantenflut“, „Migrationswaffe“, oder „Rapefugees der Merkelmeute“ sollen mit einer fein austarierten Technik der linguistischen Einflussnahme Ängste wecken, und lexikalisches Öl ins Feuer gießen. Angereichert durch Falschnachrichten, wie die vom islamistischen Hintergrund der Volkmarser Amokfahrt in 2020, wird versucht, den Brand am Schwelen zu halten. Dumme, Leichtfertige und rechtsaffine Aktivisten mit zersetzenden Absichten teilen solche Informationen.6 Oftmals überraschend clever formuliert und in Memes eingebettet, ist dies nicht immer der Diskurs „Abgehängter“ (Lobo) oder „Unzufriedener“ (Klemperer). Im Gegenteil. Die Rechte zieht seit jeher gutsituierte Eliten an, die heute auch noch um ihren Abstieg fürchten müssen: Man ist gebildet und kann sich gut artikulieren, um dem Gegner das Wort im Munde herumzudrehen. Zudem lässt sich mit geschickt gesetzten Wörtern auch en passant einiges an Geopolitik bewerkstelligen: Im eigentlichen Sinne bedeutungsreiche und gewollt verstaubte Konstruktionen, wie die Bezeichnung für den Mitteldeutschen Rundfunk, lassen bei Zeitgenossen mit Sprachgefühl die Frage offen, wo sich Ostdeutschland nun eigentlich befindet, wenn Sachsen geografisch nach links rückt und unvermittelt im Zentrum des deutschen Geschehens liegt.
Metaphern helfen, die Komplexität der Welt zu ordnen und begreifen. In diesen psychischen Mechanismus greifen Hassprediger jedweder Couleur in der Art intelligenter, verbaler Viren gezielt ein, indem sie kognitive Erkenntnisprozesse erfolgreich in die gewünschte Richtung zu steuern versuchen. Dies wird umso gefährlicher, wenn solch lenkende Frames zusätzlich mit emotionalen Komponenten angereichert sind, die das innere Erleben als Konnotate intensivieren. So entstehen die wertvollsten Ressourcen der Rechten: Die Währungen aus Furcht und Angst. Die Falschmünzer sind nicht so dumm, stellen sich nur dumm, wie das ein genialischer und prägender Musiker einmal augenzwinkernd als eigene Pick-Up-Strategie propagiert hat: Lass’ sie erst gar nicht wissen, dass du clever bist. Die Rechten spielen sehr klug auf und mit der Klaviatur der Beschränktheit ihre simplen Melodien. Wir aber müssen ihnen mindestens ebenso klug begegnen, nachfragen, und sprachlich immer das eine Quäntchen besser sein. Neueste Ansätze der rechten Kommunikationsmechanismen nutzen das Corona-Virus als vorgebliche „Migrationsseuche“, um damit gezielt zu diskreditieren. Die aktuelle Polemik um den gezielt wohl nachlässig zitierten Wieler und die notorische BILD-„Zeitung“ sprechen Bände.7 Die Setzung sprachlicher Mechanismen verbindet sich gefährlich schnell mit psychischem Erleben. Der klassische österreichische Ortstafelstreit zeigt, wenn auch auf einer anderen sprachlichen Ebene, die tiefe Verknüpfung von Sprache, Politik und Seelenzustand.
Sprachliche Zeichen sind in einen mehrdimensionalen Kontext eingebettet. Durch hunderttausendfache Wiederholungen immergleicher Wortzusammenhänge werden semantische Routinen geschaffen. Und was oft genug wiederholt wird, so geht das unbewusste Denken vieler, muss doch irgendwie auch stimmen. Millionen Fliegen können sich schließlich nicht irren, ein Spruch, den man gern immer neu zitiert. Dabei bietet leider auch die viel gerügte Linke in ihrer naiveren Ausformung genügend sprachliche Angriffsfläche. Wer Probleme gewandt ausblendet und die spezifische, aber verlässlich rosarote Brille vor den blauen Augen auch dann nicht abnimmt, wenn dies dringend geboten sein sollte, schafft durch die erleichterte Produktion billiger Schlagzeilen einiges an übertoleranter Sicht auf von vielen mittlerweile als gesellschaftlich relevant erkannten Probleme – und damit eine Menge Vulnerabilität. Da ist es den Angreifern ein Leichtes, immer weiter über die so bezeichneten „Kulturbereicherer“, „Traumatisierten“ und „Gutmenschen“ herzuziehen.
Ob sich die Kämpfer der Sprache damit selbst zu den Schlechtmenschen zählen, bleibt genauso unklar wie die Frage, ob es für den Fortschritt zielführend ist, sich gegenseitig unterschiedlich gewichtete Kriminalstatistiken und Vokabellisten um die Ohren zu hauen. Während die rechte Intelligenz der alten Bundesrepublik jahrzehntelang nicht müde wurde, mit mehr oder weniger Subtilität darüber zu streiten, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei oder nicht, die Herkunft zeitungsrelevanter Missetäter genannt werden sollte, oder ob man es, für den nach links orientierten Diskurs, mit Nazis, besorgten Bürgern, Flüchtlingen, Geflüchteten, Auszubildenden oder Lehrlingen, Ausländern oder Menschen mit Migrationhintergrund zu tun habe, und damit auch die dynamische Entwicklung der Gesellschaft an sich vollkommen aus dem Blick verlor, wurde es dem Fußvolk der Rechten überaus leicht gemacht, die Gesellschaft mithilfe der beschriebenen, verrohten Sprache durch die geöffneten Schleusen zunächst noch unbekümmert begrüßter Netzfreiheit nachhaltig zu vergiften. Die Reise vom „wir sind das Volk“ zum fliegenden Handel mit den Merkel-Galgen ging schneller als jemals befürchtet werden konnte.8 Von den spezifischen Wahrnehmungsfiltern beider Lager und ihren jeweiligen Widersprüchen soll später noch die Rede sein.
Wie kommen wir aus diesem sprachlichen und argumentativen Dilemma heraus? Sascha Lobo9 baut voller Optimismus auf das „Einsichtspotential“ moderat rechtsoffener Streiter und plädiert dafür, das traditionell Konservative spürbar zu stärken. Wo der Konservatismus stark sei, hätten es Rechtspopulisten schwer. Ein attraktiver Gedanke zu einer Strategie, die das Traditionsbewusstsein mit verbalen Belohnungshäppchen zu sedieren trachtet. Gleichzeitig unterläuft dem stets beängstigend luziden Denker Lobo an dieser Stelle vielleicht aber auch ein Gedankenfehler: So sei es komplett falsch zu behaupten, man müsse nur eine vernünftige linke Politik machen, um den Rechtspopulismus zu schwächen, was in eine in eine politische Sackgasse führe. Nur zwei Seiten weiter aber preist er die gute Politik Atónio Costas10 in Portugal an, ein Politiker dem es gelungen sei, sein Land durch einen wohlüberlegten sozialdemokratischen Ansatz am Ende „glänzend“ (Lobo) dastehen zu lassen. Völlig richtig, für den klassischen Rechten selbstverständlich eher uninteressant, aber ein Ausweg für die seit Jahrzehnten im unteren einstelligen Prozentbereich dümpelnde deutsche Linke ist das allemal.
Wie dem auch sei, eine Mischung aus stringenter Faktenpräsentation, Wertschätzung, Zu-Wort-kommen-lassen und gepflegtem Streit im näheren Umfeld und im Netz scheinen die antiviralen Mittel der Stunde zu sein. Es darf nicht durchgehen, dass die AfD von den sonntäglichen Streitereien im Öffentlich-Rechtlichen weitgehend ausgeschlossen wird, und die Hundekrawatte keinen Platz bei Plasberger und Will findet. Viel besser wäre es, Personen und Organisationen in der Debatte zu stellen, statt sich öffentlich und privat nur in den eigenen Blasen zu bewegen. Nur durch Streit entsteht Fortschritt, Schweigen aber ist kontraproduktiv fürs Demokratische. Wer von den Älteren erinnert sich nicht an die erbitterten, aber mit großer Freude geführten Debatten der Siebziger, in denen es um die Reizthemen BRD oder Bundesrepublik, SPD, Kirche, Augstein, Spiegel-Affäre und FJS ging. Eine Zeit voller Fernsehsendungen, deren Ausgang vollkommen unabsehbar war. Hier könnte man ansetzen, um die Streitkultur neu anzuregen. Der kontrollierte, thematisch langweilige Diskurs der immergleichen, haltungsschwachen und -unauffälligen Sprechmaschinen im öffentlichen Fernsehstudio stärkt lediglich das Radikale auf der Straße. I’m only in it for the Zeilenhonorar heißt eines der schlauen Bücher des Musikjournalisten Bruckmaier: Auch die sprechende Köpfe im TV wollen Aufmerksamkeit und möglichst lange reden, dabei aber wenig sagen, um nicht unnötig festgenagelt werden zu können. Was früher noch hoch spannendes Live-TV war, ist längst ganz furchtbar öde geworden.
Im engsten Umkreis kann man hochintelligente Leute ausmachen, die auf Fehlinformationen hereinfallen, und in der unbedachten Schnelligkeit des digitalen Zeitalters übereilt allerlei Fake-Bildchen teilen. Ob manipulierte Zitate von Trittin, Stefanie von Berg oder gefälschte Fotos wie das manipulierte Kinderinnenplakat am Spielplatz: 11 Halten wir mit Fakten dagegen. Nur eine Korrektur ist besser als gar keine. Vermeiden wir dabei, in die berühmte Falle von Godwin’s Law und ihrem zwanghaften Hitlervergleich zu tappen. Darauf warten viele nur. Beschränken wir uns, mit der scharfen Waffe ausgesuchter Höflichkeit auf nur einen griffigen Aspekt, um ein Ausufern der Diskussion zu verhindern. Lassen wir uns gegenseitig ausreden und betrachten wir den Gegner als willkommenes Mittel, die eigenen Argumente in der Demokratie zu schärfen.
Leute wie Nikolaus Blome, Jan Fleischhauer und, meinetwegen, Nick Land kitzeln die Widersprüche in der Betriebsblindheit eigener Überzeugungen heraus. Nicht indem wir Gegner bequem in die Naziecke schieben, schaffen wir Fortschritt. Wir erreichen ihn, indem wir das Streitige in uns selbst erkennen, und dann kritisch und klug hinterfragt ausräumen. Die berühmte Ordnungsberaterin Mari Kondō bringt durch eine radikale Reduktionsstrategie unsere Wohnungen auf Vordermann. Versuchen wir, uns selbst beim strukturierten Sprechen und Denken auf ebensolche Art zu helfen.
Gerade die Kunst des Ausreden- und auch diejenige des Schweigenlassens sollte dabei zentrales Anliegen bleiben. Denn wer bloß übertönen oder canceln will, gibt sich selbst im Grunde dieser Lächerlichkeit preis. Im Übrigen ist letzterer Ansatz kein neues Phänomen, wie die Tumulte während eines Frank-Zappa-Konzertes am 16.10.1968 im Berliner Sportpalast zeigen, als studentische Funktionäre des sozialistischen Studentenbundes SDS den großen Musiker aufforderten, Sprecher für eine ihrer Demonstrationen zu werden. „Dieser lehnte mit der Begründung ab, er wolle sich nicht vor einen politischen Karren spannen lassen. Daraufhin lief das Konzert völlig aus dem Ruder. Über 70 Studenten enterten die Bühne und schrien: ‚Mothers of Reaction’, und die Halle stimmte mit ein! Konzertveranstalter Fritz Rau versuchte vergebens, die Studenten davon zu überzeugen, die Bühne zu verlassen. Also blieb den Mothers of Invention, um weitere Tumulte oder sogar Schlimmeres zu verhindern, nichts anderes übrig, als auf der überfüllten Bühne weiterzuspielen.“12 Gerade Zappa, den genialen Großmeister einer völlig neuartigen Siebziger-Konzeptmusik der Reaktion zu verdächtigen, war ein Ansatz, der trotz der großen Verdienste des SDS um die Entmuffung der durch Altnazis verseuchten Nachkriegsgesellschaft an dieser Stelle nur als steindumm bezeichnet werden kann. Er selbst hat später in einem Interview dazu gesagt, Teile der damaligen extremen Linken zeigten „faschistische Züge“ (Eat that Question, Thorsten Schütte 2016), eine Haltung, die ihn allerdings nicht davon abgehalten hat, den Künstlerkonkurrenten Bowie, der als sein Verehrer gern mit ihm ins Gespräch gekommen wäre, in einem Restaurant fortwährend mit dem spröden Ausspruch „f*** you, Captain Tom“ zu beleidigen.13 Diese peinliche Entgleisung, sofern sie nicht eine Facette von Zappas typischen Performances war, führt uns zum täglichen Umgang mit der Sprache.