Читать книгу Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz - Christoph Heizler - Страница 11

Оглавление

4 Begriffliche Klärungen

4.1 Zum Begriff Gebet

4.1.1 Grenzen einer Gebetsdefinition

Eine Darstellung und Sichtung verschiedener (interdisziplinärer) Konzepte, die dem betenden Geschehen nahekommen wollen, finden sich in entsprechenden Lexikabeiträgen,228 Handbüchern229 und spezielleren Abhandlungen.230 Dabei variiert die Perspektive, unter der das Gebet allein in systematisch-theologischer Hinsicht gesichtet wird, deutlich.

So beschreibt beispielsweise Karl Rahner im „Lexikon für Theologie und Kirche“ das Gebet 1960 eher von einem fundamentaltheologischen Zugang her, der seine transzendentaltheologischen Denkwege231 erkennen lässt232, während Hans Schaller in der 3. Ausgabe des gleichen Lexikons 1995 eine Herangehensweise wählt, die sich dem Ereignis des Betens direkt von der Trinitätslehre und einer spirituellen Christologie und Ekklesiologie her nähert.233 Somit wird schon innerhalb verschiedener Auflagen eines Lexikons die große Diversität und Multiperspektivität erkennbar, die bereits innerhalb einer christlich-theologischen Fachdisziplin mit dem Thema Gebet verbunden wird. Diese Spannbreite vergrößert sich erst recht, wo Verfasser von Beiträgen aus der Sicht der Systematischen Theologie andere Disziplinen und interreligiöse Perspektiven einbeziehen, um das Thema zu konturieren.234

Es würde den Rahmen dieser Untersuchung sprengen, an dieser Stelle eine integrative Sichtung dieser Perspektiven zu versuchen. Um den größeren Gedankengang der Studie an dieser Stelle nicht aus den Augen zu verlieren, wird auch darauf verzichtet, die verschiedenen Akzentsetzungen zu skizzieren, unter denen die betende Begegnung zwischen dem Menschen und seinem wie auch immer im Einzelnen zu verstehenden übermenschlichen „Gegenüber“ in verschiedenen (religions-) wissenschaftlichen Kontexten konzeptionalisiert werden kann.235 Die Bedeutung des jeweiligen Gottesbildes bzw. religiösen Verhältnisses für ein darauf basierende Gebetsverständnis sei nur erwähnt, ohne darauf im Einzelnen näher eingehen zu können.

Als durchgängig anzutreffendes Merkmal aller wissenschaftlichen Darstellungen im Bereich der systematischen Theologie kann immerhin die große inhaltliche Breite und eine tiefgehende konzeptionelle Verschiedenheit angesehen werden, unter der gesichtet wird, was im Phänomen „Beten“ in unterschiedlichen Epochen und religiösen Kontexten zur Erscheinung gelangte und weiterhin bis heute gelangt. Diese Diversität findet sich auch im christlichen Kontext: „Wer sich mit der Gebetsliteratur beschäftigt hat, wird verwirrt sein über die bunte Vielfalt der Möglichkeiten“.236 Aktuell ist insgesamt eine Tendenz zu erkennen, das Geschehen des Gebets entweder sehr breit auszulegen oder aber sehr eng zu fassen. Dazu bemerken Ingo Dalferth und Simon Peng-Keller: „In der theologischen Rede vom Gebet finden sich zwei gegensätzliche terminologische Neigungen: die Verengung des Betens auf nur eine Form des Betens oder die Ausweitung des Betens auf das ganze Leben des Glaubens.“237 In dieser Feststellung spiegelt sich der Sachverhalt, dass innerhalb der Fachdisziplinen eine Unsicherheit darüber herrscht, was und unter welcher Hinsicht unter dem Wort „Beten“ inhaltlich versammelt und konzeptionalisiert werden soll. Das hält auch F. Wulf bereits 1903 fest, der die Schwierigkeit einer Gebetsdefinition ausdrücklich ins Wort bringt: „Aus diesem Überblick mag ersichtlich geworden sein, warum es so schwer ist, das Gebet zu definieren. Es ist in seinem christlichen Wesen so vielschichtig, daß es kaum mit einem einzigen Satz zureichend erfaßt wird. Die in der Frömmigkeitsgeschichte vorkommenden Begriffsbestimmungen des Gebets leiden überdies bisweilen darunter, daß sie zu sehr von zeitbedingten philosophischen Anschauungen geprägt sind.“238

Im Folgenden versuchen drei Annäherungen gleichwohl dem nahe zu kommen, was von der Sache her im Blick ist, wo Edith Stein als betende Frau in Erscheinung tritt. Die Annäherungen sind bewusst zurückhaltend bei der Frage, das zu untersuchende Geschehen im Vorhinein in Begriffen feststellend zu erfassen. Darin mag der Leser dieser Studie eine Sensibilität entdecken, die sich zum einen von der radikalen Entzogenheit des göttlichen Relationspols mit Blick auf das menschliche Erkennen und Verstehens zu denken geben lässt, wie es deutlich in den Spätwerken Steins zu Pseudodyonisius Areopagita und zu Johannes vom Kreuz begegnet. Zum anderen findet die vom definierenden zum beschreibenden Habitus hingewandte Diktion darin Anhalt und Begründung, dass jede Definition unvermeidlich etwas ausschließen muss. Wo das Gebet aber facettenreich gerade die Berührung mit einem Umfassenden in den Sinn des Verstehens hebt, dort legt sich dem entsprechend nahe, im ersten Verstehenszugang zu diesem Ereignis alles Grenzziehende zurückhaltend zu verwenden bzw. gerade das über Grenzen und damit Definitionen Hinausweisende aktiv zu beachten und hermeneutisch von vorne herein zu integrieren. In drei Annäherungen wird nachfolgend versucht, dem zu entsprechen.

4.1.2 Erste Annäherung: Unabschließbare Antwort auf eine innere Berührung

Schon der Versuch, in einem grenzziehenden Begriff umfassend definieren zu wollen, was mit dem Wort „Beten“ auch nur in einem christlichen Kontext bedeutet wird, stößt in jedem Fall auf zwei grundlegende Schwierigkeiten. Die erste besteht in der unhintergehbaren Transzendenz gleichermaßen des Menschen wie auch des göttlichen Parts des Geschehens und deswegen auch des gesamten Gebetsgeschehens selbst. Die zweite Schwierigkeit besteht in der Anachronie des gesuchten Begrifflichen gegenüber dem lebendigen Ereignis des Betens. Beten läuft dem Definitorischen zeitlich uneinholbar voraus und überholt den Begriff immer wieder aufs Neue. Während der Begriff festzuhalten sucht, strömt und läuft das zu Definierende fortlaufend weiter. Bevor gleichwohl eine klärende Formulierung gesucht wird, die den Leser der Studie informiert, was unter „Beten’“ im Verlauf der Untersuchung verstanden wird, soll zunächst den beiden benannten Schwierigkeiten Beachtung geschenkt werden. Anhand dieser mag die Problematik ersichtlich werden, die mit dem Versuch einer wie auch immer zu formulierenden Gebetsdefinition unvermeidlich verbunden ist. Corona Bamberg OSB kommt daher zu dem Schluss, dass keine Umschreibung zureichend ist, um das christliche Gebetsgeschehen umfassend als Definition ins Wort zu bringen: „Im Laufe der christlichen Frömmigkeitsgeschichte hat man oft versucht, Gebet zu definieren. Man könnte hier vieles aufzählen. Aber keine Definition faßt wirklich, was Gebet ist. Oft sind solche Begriffsbestimmungen zu zeitbedingt. Speziell christliches Gebet ist zu vielschichtig, als dass es mit einem Satz oder gar Wort zureichend umschrieben werden könnte.“239

Die erste Schwierigkeit besteht näherhin betrachtet darin, dass das abgrenzende und in begrifflichen Kategorien denkende Zugehen auf das Gebetsgeschehen damit konfrontiert ist, dass sowohl das göttliche Gegenüber als auch der Mensch und somit das gesamte Gebetsgeschehen sich einer definitorischen Festlegung und abschließenden Bestimmung prinzipiell, und nicht nur graduell, im Sinne einer bloß aktuell noch nicht exakt zutreffenden Definition, verschließen. Diese Entzogenheit für das begriffliche Erfassen ist Ausdruck der jeweiligen Transzendenz, die sowohl den Menschen als auch das göttliche Gegenüber zuinnerst und bleibend auszeichnen.240 Weil Gott und Mensch wesentlich „Geheimnis“ sind, muss auch ein Umgreifenwollen dessen, was im Gebet als dem wie auch immer noch genauer zu qualifizierenden „Dazwischen“ sich zuträgt, scheitern. Karl Rahner bringt es so ins Wort: „Wenn wir beten, dann ist das, was wir sagen und in unserem sogenannten Ich davon merken, nur wie das letzte Echo aus unermesslichen Fernen kommend, des Rufens, in dem Gott sich selber ruft, des Jauchzens, in dem Gott selbst selig ist über die Herrlichkeit seiner Unendlichkeit, der Selbstbehauptung, mit der der Unbedingte von Ewigkeit zu Ewigkeit sich selbst gründet.“241

Weil nämlich das Gebetsgeschehen als Relation zum göttlichen Gegenüber an der Unbegreiflichkeit dessen Anteil hat, zu dem im Gebet vielgestaltig eine Relation gesucht wird, deswegen kann dieses Geschehen prinzipiell nicht und auf keine Weise abschließend in Begriffe eingeholt werden. Jean Greisch führt mit Bezug auf Emmanuel Levinas bezüglich der bittenden Haltung im Gebet aus: „Die ursprüngliche Bitte, die nicht vom Subjekt, sondern vom anderen ausgeht, setzt ‚einen unsichtbaren Gott voraus, den keine Relation einholen kann, weil er Gegenstand keiner Art von Relation ist, denn er ist eben kein Gegenstand, sondern unendlich. Ein Unendliches, dem ich aufgrund eines nichtintentionalen Denkens verpflichtet bin.‘ “242 Diese Verpflichtung beinhaltet auch die Anerkenntnis dessen, dass schon die Beschreibung und erst recht eine definierende Annäherung an das gemeinte Geschehen auf fundamentale Schwierigkeiten stößt. Darauf weist Jean-Louis Chrétien mit Blick auf das Gebet hin: „Dieses fundamentale, auf kein anderes reduzierbares Phänomen ist schwer zu beschreiben, so sehr variieren die Formen, die es annehmen kann und die Definitionen, die dafür gegeben wurden.“243 Beten erscheint in der menschlichen Optik somit als Geheimnis, und zwar aus innerer Notwendigkeit.

Doch auch vom Menschen her gesehen ist das betende Geschehen nicht und in keiner Weise in feststellenden Begriffen einholbar. Der erste Grund dafür ist, dass der Mensch sich selbst in Denken, Wollen und Verhalten nicht völlig zuhanden ist, sondern vielmehr bleibend eine wesentliche Entzogenheit seiner selbst aufweist. Er bleibt sich Geheimnis. Entsprechendes findet sich bei unserer Autorin Edith Stein, wo sie auf die menschliche Seele zu sprechen kommt: „Was und wie sie ist, das spürt die Seele in ihrem Inneren, in jener dunklen und unsagbaren Weise, die ihr das Geheimnis ihres Seins als Geheimnis zeigt, ohne es zu enthüllen.“244 So gelingt es dem erkennenden Subjekt nicht, sich selbst restlos zum Objekt der Erkenntnis zu machen und dabei von sich als dem dabei Erkennenden restlos abzusehen. Das wird deutlich ersichtlich an der menschlichen Leiblichkeit. Diese ist unhintergehbar und kann nicht ausgeschaltet werden, wenn z. B. der erkennende Mensch von seinem „Körper“ spricht, den er hat, im Gegensatz zum Leib, der er ist, und dem er sich nicht als Objekt gegenüberstellen kann. Der zweite Grund dafür, dass das betende Geschehen nicht in Begriffen dingfest zu machen ist, liegt in der auf Zukunft hin offenen Dynamik des menschlichen Grundaktes des Betens, mit der ein Mensch sich gegenüber dem Mehr-als-Menschlichen verhält. Diese Dynamik aktualisiert sich als je neue und variable, und zwar unablässig als Wahl unter prinzipiell unbegrenzt vielen Möglichkeiten und Aktualisierungsmomenten. So verschließt sich auch von der anthropologischen Seite her gesehen „Beten“ einem definitorischen Zugriff, der das Geschehen aneignend einzuholen imstande wäre. Der Versuch einer Gebetsdefinition ist somit zweifach begrenzt, sowohl von der Entzogenheit des göttlichen Gegenübers als auch von der unbegrenzten Offenheit der menschlichen Entfaltungsmöglichkeiten, die sich im betenden Geschehen aktuell und auch künftig erst noch äußern mögen.

Die zweite Schwierigkeit für eine Gebetsdefinition besteht neben der beschriebenen Transzendenz von göttlichem Gegenüber, dem Menschen und damit dem, was sich „Dazwischen“ zuträgt, darin, dass eine Definition stets ein nachträgliches Konstrukt ist. Dieses versucht, zeitversetzt zu einer geschichtlichen Wirklichkeit, anhand von bereits Bekanntem, die dem Intellektuellen zugängliche Seite des Geschehens systematisierend zu erfassen und daraus Gesetzmäßigkeiten abzuleiten, die generalisiert werden können. Darin kann aber der lebendige Impetus des Geschehens als den ganzen Menschen vielschichtig berührendes Ereignis in einem jeweils einmaligen, geschichtlichen, auf eine offene Zukunft hin ausgerichteten ‚Jetzt‘ prinzipiell nie eingeholt werden. Die zweite Schwierigkeit einer Gebetsdefinition ist somit deren unvermeidliche Anachronie und engführende Reduktion bezüglich des ursprünglichen Ereignisses. Da nämlich Begriffe etwas aus der Vergangenheit Bekanntes in abgrenzender Weise gegenüber anderem zur Darstellung bringen, können sie nicht erschöpfend vorwegnehmen, was sich erst noch unableitbar neu jeweils in einer konkreten raum-zeitlichen, kulturell geprägten Situation einmalig vollziehen mag. Wo man also Beten auf das festlegen wollte, was sich schon früher zwischen zwei festgelegten Größen zugetragen hat, dort würde man der lebens- und universalgeschichtlich fortschreitenden Dynamik des Geschehens nicht gerecht. Man würde die noch offene und mit neuen Möglichkeiten erfüllte weiträumige Zukunft und seine unzählig mögliche Vielgestalt der Konkretisierungsweisen des Gebets ausblenden.

Zudem stellt das, was in Begriffen davon ausgesagt werden kann, unvermeidlich eine Reduktion dar, bei der ein größeres Ganzes mit intellektuellen, affektiven, und körperlichen Aspekten tendenziell auf das Intellektuell-Begriffliche enggeführt wird, das überdies immer erst nachträglich zum Geschehen entstehen kann. In diesem Sinne kommt jede Definition immer ‚zu spät‘ und schränkt grundlegend ein. Eine solche ‚Definition‘ bliebe hinter dem lebendigen Geschehenszusammenhang unvermeidlich um ganze Dimensionen zurück. Als wesentliches Problem der Frage, was unter „Beten“ verstanden werden kann, zeigt sich, dass stets nur ein Teil des Geschehenszusammenhangs in den Bereich des Sichtbaren und dem Intellektuellen Zugänglichen gelangt. Zudem tritt dieser Ausschnitt dem verstehenden Interesse des Menschen unvermeidlich zeitlich versetzt und nachträglich vor Augen, zu einem Zeitpunkt, da das betende Geschehen schon längst im Gange oder schon vorüber ist und der sich nunmehr als Betende erkennende Mensch auf ihm nicht bewusste Weise schon tief affiziert ist vom göttlichen Gegenüber. Kürzer gesagt: Wo der betende Mensch nach Begriffen sucht für das, was ihm widerfährt, dort ist er schon lange erfasst von dem, was in seinem Inneren die Wahrnehmung, das Denken, Fühlen und körperliche Sein angeht und schließlich bis zur manifesten Sichtbarkeit umgestaltet. Die zweite Schwierigkeit einer begrifflichen Klärung dessen, was „Beten“ meint, besteht somit darin, dass die Begriffe nur einen Ausschnitt des Ganzen zu repräsentieren vermögen, der zudem nur zeitlich versetzt als nachträgliche Systematisierung möglich ist.

4.1.3 Zweite Annährung: Manifestationen im Sichtbaren

Die beschriebenen Schwierigkeiten einer Gebetsdefinition können den Blick dafür schärfen, dass bei einer beschreibenden Sichtung von Gebetsäußerungen zu keiner Zeit das Ganze des Gebets, sondern allein dessen sichtbare Wirkungen, dessen Konsequenzen auf der Außenseite ansichtig werden. Das betende Geschehen als momentan sich Vollziehendes ist somit prinzipiell stets „verhüllt“ und von der Qualität eines sich verbergend-erscheinenden Geheimnisses. Es ist streng genommen im Vollzug als Ganzes unsichtbar. Mit Blick auf Edith Stein und ihr geistliches Leben insgesamt bringt es ihre langjährige Weggefährtin und Freundin Hedwig Conrad-Martius so ins Wort: „Es ist keine leichte Aufgabe, über Edith Stein zu sprechen. Zunächst, weil es im letzten Grunde überhaupt unmöglich ist, über einen so gut wie ausschließlich religiös bestimmten Menschen zulängliche Aussagen zu machen. Das innerste Leben eines solchen Menschen liegt im Geheimnis Gottes.“245

Dass Beten von Entzogenheit geprägt ist, das gilt zunächst für den betenden Menschen selbst, der im Vollzug des betenden Grundaktes seiner Existenz danach sucht, wie er sich selbst verstehen kann. Erst recht gilt das für Außenstehende, zumal wo diese zeitversetzt dem betenden Ereignis im Leben eines anderen Menschen nahe treten wollen. Beten zeigt sich dem Denken somit nur indirekt und zeitversetzt in den sichtbaren Formen, die dessen leib-seelische Folgen sind: es erscheint im Modus des „Vorübergegangenen“. Diese Differenz bleibt stets zu beachten, nämlich zwischen einem im Ganzen radikal entzogenen Geschehen und dessen Manifestationen im Sichtbaren. Diese Differenz zu sehen, das ist für die Erkundung des Betens im Leben der Edith Stein aufschlussreich und kann vor Fehldeutungen bewahren.

Denn die sichtbaren Manifestationen sind einer empirischen Untersuchung und systematisierenden Deutung ihrer situierbaren Verlaufsformen umfassend zugänglich, das innere Gebetsgeschehen selbst jedoch nicht. Wo aber klar ist, dass die sichtbaren Äußerungen und das, was sich als geronnene Konsequenz des bereits geschehenden Vollzugs vernehmbar macht, nicht zu verwechseln sind mit dem persönlichen Begegnungsgeschehen in der Tiefe der menschlichen Psyche, dort öffnet sich der Blick dafür, dass ein und das selbe innerseelische Geschehen bei einem Menschen an biographisch verschiedenen Stationen höchst Unterschiedliches hervorbringen kann. Dann wäre es möglich, im geschichtlich Hochvariablen der Gebetsform und -häufigkeit ein Überdauerndes zu postulieren, das sich in je geschichtlich neuer Weise aktualisieren kann, ja sogar muss, da der Mensch sich je und je wandelt, ohne dabei an innerer Kontinuität verlieren zu müssen. Vielmehr wäre ein Wandel in der Ausdrucksform und eine Vielgestalt in jeweiligen Konkretisierungen betenden Geschehens zu werten als Moment an der Lebendigkeit des sich Zutragenden. Was sich je unterschiedlich am Beten erkennen lässt, das wäre zu verstehen als Entfaltung eines Organischen, von Gestaltwandel und Wachstum Geprägten. Vor dem Hintergrund des Gesagten wird eine dritte Annäherung an das, was mit ‚Beten‘ bedeutet wird, möglich. Diese Annäherung greift den geschichtlichen, relationalen Charakter des Gebetsgeschehens auf und entfaltet ihn als Ausdruck der Existenz des Menschen in seiner gottgegründeten und -orientierten Bezogenheit auf das Mehr- als-Menschliche im Kontext mit anderen. Beten erscheint darin als ein mit Relevanz erfülltes Geschehen, das andere ursprünglich zu berühren vermag, wo ihnen diese religiöse Praxis begegnet.

4.1.4 Dritte Annäherung: Verweischarakter der sichtbaren Seite als Spur

Wo sich einem Menschen das Gebetsgeschehen im eigenen oder fremden Leben von seiner Außenseite sichtbar zeigt und vor Augen stellt, dort bringt diese Erscheinung etwas nahe, was den Charakter einer Spur und eines mit Bedeutung gefüllten Verweises erkennen lässt. Der Beobachter eines betenden Menschen kann aus diesem Grunde im Prozess der Wahrnehmung keineswegs ein neutraler Betrachter bleiben, der gleichsam hinter der Glasplatte der distanzierten Erkenntnisbemühung unberührt bleiben könnte angesichts des existentiellen Geschehens, das bei einem anderen Menschen zu Gesicht bekommt. Vielmehr ist das Gegenteil davon eines der wesentlichen Charakteristika des betenden Grundaktes – dass es den Beobachter dieses Ereignisses zu einer sehr speziellen Form von Nähe führt, bei dem er selbst und sein Menschsein unvermeidbar mit in das Geschehen hineinragt, dessen er inne wird. Das berühmte Diktum Ludwig Wittgensteins „Gott kannst Du nicht zu einem anderen reden hören, sondern nur wenn Du der Angeredete bist“246, bringt die Konsequenz zum Ausdruck, die in dieser evozierenden Dynamik des Betens liegt. Es ist die Konsequenz, dass der Betrachter selbst von dem Geschehen angegangen ist, dessen er zunächst scheinbar nur neutraler Zeuge wird. Wo der Betrachter dann jedoch im anderen betenden Menschen (oder auch nachträglich seinen eigenen Gebetsmomenten) seine eigene Möglichkeit sieht, zu der er sich unvermeidbar selbst verhalten muss, da wird ein Prozess sichtbar, der den Betrachter in eine unabschließbare Begegnung mit dem Phänomen Gebet ‚hineinruft‘, die seine Freiheit gleichermaßen evoziert wie involviert. So könnte man sagen, dass die Gebetsmanifestationen gerade keine neutralen Vorfindlichkeiten sind, sondern vielmehr Ausdruck einer mit Relevanz berührenden Wirklichkeit, die werbend und zur Entscheidung drängend nahe tritt. Wo betendes Menschsein begegnet, da evoziert es in der Betrachterin und dem Betrachter die Frage, wie sie oder er selbst sich dem gegenüber verhalten soll. Warum ist dem so? Vorausblickend sei darauf hingewiesen, dass diese innere Virulenz betenden Menschseins, wo man den metaphysischen Verstehenszugängen Edith Steins folgen mag, darin gründet, dass erkannte und gelebte Wahrheit („verum“ et „bonum“) eine starke Ausstrahlung entfaltet, die man in einem grundlegenden Sinne als Attraktion mit ästhetischer Tiefe begreifen kann. Diese Attraktion ist ein Affiziertsein von einem „splendor“, einem Glanz247, der ins Auge fällt als „pulchrum“.248 Wo dem Betrachter angesichts eines anderen betenden Menschen etwas von dieser Wahrheit einleuchtet, dort ist er von ihr zumindest angezogen und affiziert, auch wenn diese geistliche Radiation momentan ohne sichtbare Konsequenzen bleiben kann. Dass es gleichwohl werbenden Charakter hat, wo betendes Geschehen ins Blickfeld rückt, das liegt unabhängig von einer religiösen Begründung im engeren Sinne daran, dass jedwede erkannte Wirklichkeit anziehenden Charakter249 hat und das erkennende Subjekt „fasziniert“, insofern es sich als vom Gegenüber des Erkennens zu weiterer Erkenntnis eingeladen erfährt.250 Auf diese Dimension aller begegnenden Wirklichkeit als Gabe251, deren Gestalt sich dem Menschen offenbart, hat Hans Urs von Balthasar mit Rückgriff auf den Gestaltbegriff Goethes hingewiesen.252 Da im Abschnitt 4.2. über den Gestaltbegriff davon noch ausführlicher die Rede ist, sei hier nur vorblickend darauf verwiesen.

4.1.5 Statt einer Definition: Deskription eines Grundaktes menschlicher Freiheit

Angesichts der beschriebenen Transzendenz der beiden im betenden Geschehen involvierten Begegnungspartner und angesichts des beständig fortschreitenden, nur zum Teil sich sichtbar manifestierenden Geschehens, ist eine abschließend und vorwegnehmend-umfassende Definition dessen, was ‚Beten‘ in Summe beinhaltet, nicht angestrebt. Stattdessen wird im Folgenden als Horizont der angestrebten Sichtung von einer personalen, für Alterität und Diachronie sensiblen Begegnung zwischen Mensch und in besonderer Weise personal verstandenem göttlichem Gegenüber ausgegangen, die sich im Raum der Sprache im weitesten Sinne entfaltet und als Freiheitsgeschehen253 vollzieht. Jedes einzelne Gebet ist in dieser Perspektive eine Aktualisierung des Grund-Verhältnisses, in dem der aus Gnade zur Freiheit freigesetzte254 und berufene Mensch sich dem gründenden Grund seiner Autonomie bewusst zuwendet, diesen darin als „Du“ anspricht, und darin den Grund als personales Gegenüber erfährt.255 Beten erscheint so als „Grundakt“ des Menschen, das ein basales Verdanktsein anerkennt und daraus lebt.256

Die oben konturierte Arbeitshypothese ist als Rahmen für eine beschreibende Annäherung an das Vollzugsganze des Betens erkennbar nicht voraussetzungslos und nicht ohne inhaltliche Bestimmung. Aber sie ist in ihrer Weite der Autorin Edith Stein angemessen und geeignet, ihrer Diktion mit Blick auf das Gebet entsprechen zu können, was nachstehend belegt werden soll. Die Möglichkeit, das religiöse Geschehen als besonderes, dialogisches Sprachgeschehen zu verstehen, ist im jüdisch-christlichen Kontext angelegt, dem Edith Stein und ihr Beten zugehörten. Diese vom sprachlichen Charakter257 ausgehende Sicht auf das Gebet ist von daher geeignet, als erster Ausgangspunkt für einen verstehenden Zugang zur ihrem Gebetsleben zu fungieren. Dabei umfasst „Sprache“ all das, was sich an Kommunikationsgeschehen auf allen Ebenen zuträgt. Schweigen und Stille sind Teil davon, ebenso wie das ganze Spektrum nonverbaler Sprache258 im Sinne von Gebärden und körperlich-leiblichen, raum-zeitlich und sozial interagierenden Ausdrucksformen.259 Mit Sprache als einem Existential des Menschen ist zugleich angedeutet, dass Beten in einem existentiellen Horizont gesehen und vor diesem Hintergrund beschrieben werden soll als Artikulation seiner gesamten Lebensvollzüge.

Von daher ist der Gebrauch der Worte „Beten“ und „Gebet“ im Verlauf meiner Studie betont deskriptiv zu verstehen und in diesem Sinne in formaler Weise. Beide Worte mögen von daher als Anzeiger verstanden werden für den Versuch einer beschreibenden Explikation dessen, was dem Menschen im Grundakt des Betens geschieht, und zwar als sich in der Zeit und dem Raum der Sprache Ereignendem.

Die Selbstbeschränkung im ersten Teil meiner Studie, sich chronologisch in strikter Weise auf das jeweils im Lebensabschnitt der Edith Stein örtlich, zeitlich und formal nach außen hin Beschreibbare zu konzentrieren, ohne mit einem womöglich engführenden Gebetsbegriff dabei Einzelmomente auszuschließen, das scheint mir vor dem Hintergrund des Dargelegten das Angemessenste, was mit Blick auf den Gegenstand des Interesses möglich ist. Bei allem Gebrauch, der von „Beten“ und „Gebet“ in der vorliegenden Studie gemacht wird, sei daher stets mitgehört, dass vor allem eine beschreibende Entfaltung dessen gesucht wird, was kontinuierlich und wesentlich von einem transitiven und verborgenen Moment zuinnerst charakterisiert wird. Was im Zuge der Untersuchung formuliert wird, das ist nur richtig verstanden, wo es zugleich mit dem Illustrieren von Sachverhalten, Ereigniszusammenhängen und Entwicklungstendenzen den Geheimnischarakter des betenden Geschehens bewahrt. Nur in dieser Haltung scheint es möglich, den göttlichen Interaktionspartner und seinen Anteil am Beziehungsgeschehen von Anfang an angemessen sprachlich zu würdigen, nämlich in der Abstinenz von feststellenden Begriffen und der Vorsicht bei systematisierenden Aussagen. Wo das im Ansatz entschieden vermieden wird, und es unterbleibt, dass vorgängig zur Begegnung an den wesentlich unfassbaren Gegenstand unreflektiert ein Begriffsapparat herangetragen wird, dort mag in aller Beschreibung etwas durchscheinen können von dem betenden Geschehen, das zwar den Betenden und den interessierten Beobachter gleichermaßen betrifft, aber keinem zuhanden ist – am wenigsten dem, der nachträglich dieses Geschehen aus Zeugnissen vergangener Tage erhellen möchte. So mag im Gesamtduktus dieser Studie von Beginn an methodische Beachtung finden, was in den Spätschriften Steins zu Pseudodionysius Areopagita und ihrem Ordensvater Johannes vom Kreuz mit Blick auf die radikale Andersheit und Entzogenheit des göttlichen Begegnungspartners ins Wort gelangt.

4.2 Zum Begriff Gestalt

4.2.1 Bedeutung und Funktion des Gestaltbegriffs bei Hans Urs von Balthasar

Der Begriff Gestalt „zählt zu den Grundbegriffen einer philosophischen Ästhetik […].“260 In dieser Disziplin kann er Thomas Schärtel zufolge gelten als „die Basiskategorie einer auf eidetische/optische Modelle oder Analogien kaprizierten Ästhetik“.261 Schon im Kontext einer philosophischen Ästhetik wird der besondere Bezug augenfällig, bei dem der erkennende Mensch im Gewahrwerden einer Gestalt vom begegnenden Gegenüber affiziert wird. Dies geschieht, insofern die Distanz zum Begegnenden sowohl wachgerufen als auch auf den ersten Blick paradoxerweise zugleich schon überbrückt wird. Dabei entsteht ein Näheverhältnis der „Schau“ zum Begegnenden, das dem Betrachter Kategorien in den Sinn hebt, die eigentlich menschlichen Subjekten zukommen. Der Gestaltbegriff insinuiert somit eine spezielle Qualität der entstehenden Verschränkung von erkennendem Subjekt und dem, was diesem begegnet.

Doch erst im Rahmen einer theologischen Erkenntnislehre (und einer entsprechenden theologischen Ästhetik) und vermittelt in fundamentaltheologischen Entwürfen, kann dieser Begriff zu einer theologischen Kategorie werden, die für unsere Fragestellung nach der Gestalt des Betens bei Edith Stein von erhellender Bedeutung ist.262 Die hier und im weiteren Verlauf der Studie folgenden Überlegungen lenken den Blick ausgehend vom Gestaltverständnis Hans Urs von Balthasars263 auf die erscheinende Gestalt des betenden Geschehens bei Edith Stein. Die Balthasarsche Optik soll somit als „Sehhilfe“ herangezogen werden, um die betende Existenz der Edith Stein als spezielle Form der Christusnachfolge zu beschreiben, die sich im Raum der Kirche als Ausdruck der Mitwirkung an göttlicher Liebe entfaltet. Das theologische Werk Hans Urs von Balthasars ist allerdings überaus umfangreich.264 In seinen thematischen Ausführungen ist es weiträumig angelegt und vielschichtig entfaltet. Das gilt sowohl in verschiedenen Schaffensphasen als auch insgesamt gesehen, wenn sich auch Schwerpunkte benennen lassen, die jeweils besonders virulent sind.265 Die Gefahr, sich bei der Darstellung Balthasarscher Positionen und wichtiger Begriffe seiner Theologie in Einzelaspekten zu verlieren, ist daher ebenso groß wie diejenige, sein originelles Anliegen unangemessen zu verkürzen und auf diese Weise zu verfehlen. Gleichwohl muss sich meine Darstellung an dieser Stelle darauf beschränken, aus dem Gesamten seines Entwurfs lediglich diejenigen Aspekte des Gestaltverstehens schlaglichtartig und verdichtet zu benennen, die mir für meine Fragestellung von besonderer Bedeutung zu sein scheinen. Im weiteren Verlauf meiner Studie kann vor diesem Hintergrund dann der Balthasarsche Ansatz einer christologisch gewendeten Gestaltphänomenologie verständlicher als Matrix beschrieben werden, auf der die einzelnen Gebetsmomente im Leben der Edith Stein zusammenschauend gesichtet und verstanden werden können.

Von besonderem Interesse ist dabei, wie Hans Urs von Balthasar den Begriff „Gestalt“ in theologischer Perspektive verwendet.266 Zu beachten ist, dass es ihm dabei „nicht um eine Ästhetisierung der Theologie“ geht, „sondern um die Ausarbeitung einer theologischen Wahrnehmungslehre. […] Die Haltung ehrfürchtigen Staunens, die bereit ist, ein Phänomen spontan aufzunehmen, liefere eher eine Analogie dafür, wie man sich der Offenbarung zu nähern habe. Balthasar setzt ganz auf das Vermögen rezeptiver Spontanität: Wer im Glauben die geschichtliche Offenbarungsgestalt der Liebe Gottes ‚erblicke‘, der werde über sich hinausgezogen, gleichsam ekstatisch ‚entrückt‘.“267 Er selbst formuliert es in prägnanter Kürze so: „Das Hauptpostulat meines Werkes ‚Herrlichkeit‘ war die Fähigkeit, eine ‚Gestalt‘ in ihrer zusammenhängenden Ganzheit zu sehen: der goethesche Blick sollte auf das Phänomen Jesu und die Konvergenz der neutestamentlichen Theologien angewendet werden.“268 So wird für Baltasar der Gestaltbegriff zum zentralen Moment an seiner theologischen Ausrichtung: „Ich studierte in Wien nicht Musik, sondern vor allem Germanistik, und was ich dort lernte, war das, was sich später in meinem theologischen Schrifttum ins Zentrum stellte: Das Erblicken-, Werten- und Deutenkönnen einer Gestalt, sagen wir: den synthetischen Blick (im Gegensatz zum kritischen Kants, zum analytischen der Naturwissenschaft), und dieses Gestaltdenken verdanke ich dem, der nicht abließ, aus dem Chaos von Sturm und Drang auftauchend, lebendige Gestalt zu sehen, zu schaffen, zu werten: Goethe. Ihm danke ich dieses für alles Hervorgebrachte Werkzeug.“269 Hans Urs von Balthasar greift somit entschieden auf Goethe270 zurück, um seinen Gestaltbegriff im Bereich der Theologie zu entwickeln.271 In einem Interview spricht er ausdrücklich von dieser Wahl: „Rahner hat Kant oder, wenn Sie wollen, Fichte gewählt, den transzendentalen Ansatz. Und ich habe Goethe gewählt, als Germanist. Die Gestalt, die unauflöslich einmalige, organische, sich entwickelnde Gestalt – ich denke an Goethes ‚Metamorphose der Pflanzen‘- diese Gestalt, mit der Kant auch in seiner Ästhetik nicht wirklich zu Rande kommt.“272

Auch Edith Stein bezieht sich wiederholt in ihren Publikationen auf Goethe273 und stellt in ihren philosophischen Studien Betrachtungen über Naturphänomene an274, zu denen sie von der Phänomenologin und langjährigen Weggefährtin Hedwig Conrad-Martius inspiriert ist.275 Eine auffällige Parallele zwischen der Frau aus Breslau und dem Weimarer Literaten. Für die Fragestellung dieser Studie bleibt festzuhalten, dass der Zugang zur Gestalt ihres Betens über den von Balthasar theologisch formulierten Gestaltbegriff Edith Stein insofern angemessen ist, als beide wesentliche Anregungen von Goethe erhalten haben. Von daher ergibt sich eine gemeinsame Wurzel der beiden germanistisch gebildeten und in philosophisch-theologischer Perspektive an Fragen des Seins interessierten Geistesgrößen Edith Stein und Hans Urs von Balthasar.

Bei Balthasar fungiert nun der Gestaltbegriff als theologische Aussageform dazu, Momente am christlichen Offenbarungsgeschehen so ins Wort zu bringen, dass der kommunikativ-dialogische und fortschreitende Charakter von Offenbarung als religiöser Erfahrung des Menschen einsichtig wird und zudem der Zusammenhang zwischen („schöner“) Form und Gegebenheitsweise des Begegnendem und dessen („wahrem“) Inhalt.276 Ein religiöses Geschehen kann somit unter der Hinsicht auf seine Gestalt sowohl in seinem Verlauf als auch hinsichtlich seiner inneren Zielrichtung zur Sprache kommen, bei der Form und Inhalt aufs engste zusammen gehören. Letzteres wird von Hans Urs von Balthasar umfassend versucht im Rahmen seiner für ihn typischen Arbeitsmethode. Peter Henrici skizziert diesen theologischen Stil, der in den Werken Balthasars immer aufs Neue zur Anwendung kommt: „Der dichte kulturelle Hintergrund und seine Herkunft aus der Germanistik bestimmten B.s unverwechselbare (u. unnachahmliche) theol. Methode: Die einfühlende Darstellung und Deutung großer Gestalten der Trad. wie der Ggw. macht diese durchsichtig auf das Christlich-Wesentliche hin, während dieses Wesentliche umgekehrt immer nur in der Spiegelung in Texten und Gestalten faßbar wird – ‚das Ganze im Fragment‘.“277 Henrici kann daher zusammenfassend feststellen: „Ihrer Inspiration und Herkunft nach könnte man B.s Methode als theol. Phänomenologie bezeichnen.“278

Im Rückblick auf die Entfaltung des ersten Teils seiner mit „Herrlichkeit“ betitelten dreibändigen theologischen Ästhetik kommt Balthasar im dritten Band resümierend auf den Begriff der Gestalt zu sprechen.279 Ausgehend von der Vielfalt menschlicher Erfahrungen, die sich in großen Beispielen der Weltliteratur spiegeln, führt er aus: „Hier wo in verschiedenen Graden der Deutlichkeit das je Ganze des Seins am einzelnen Seienden aufleuchtet, bietet sich der Begriff der Gestalt an. Er meint eine als solche erfaßte, in sich stehende begrenzte Ganzheit von Teilen und Elementen, die doch zu ihrem Bestand nicht nur einer ‚Umwelt‘, sondern schließlich des Seins im ganzen bedarf und in diesem Bedürfen eine (wie Cusanus sagt) ‚kontrakte‘ Darstellung des ‚Absoluten‘ ist, sofern auch sie auf ihrem eingeschränkten Feld seine Teile als Glieder übersteigt und beherrscht.“280 Mit Bezug auf Goethe und dessen Verständnis von Erhabenheit fährt Balthasar fort: „Alles begegnende Wirkliche ist in analogischen Abstufungen gestalthaft, wobei die ‚Höhe der Gestalt‘ beurteilt wird nach der größeren Macht der Einheit, gleiche Mannigfaltigkeit zu versammeln (Ehrenfels), aber alle geistig erblickbaren Gestalten über sich auf das vollständige und vollkommene Sein verweisen, das nach Goethe ‚von uns nicht gedacht werden kann‘. Das Licht, das aus der Gestalt bricht und sie dem Verstehen öffnet, ist somit untrennbar Licht der Form selbst (die Scholastik spricht deshalb vom splendor formae) und Licht des Seins im ganzen, worin die Form badet, um überhaupt einshaft Gestalt haben zu können. Mit der Immanenz steigt die Transzendenz. Ästhetisch gesprochen: Je höher und reiner eine Gestalt, desto mehr bricht das Licht aus ihrer Tiefe hervor und desto mehr verweist sie auf das Lichtgeheimnis des Seins im ganzen. Religiös gesprochen: je geistiger und selbständiger ein Wesen ist, um so mehr weiß es in sich um Gott und umso klarer verweist es auf Gott.“281 Mit Blick auf die bibilische Offenbarung, die in der Menschwerdung gipfelt, weist Balthsar schließlich hin auf die der einzelnen Gestalt innewohnende Dimension des Verweisens über sich hinaus: „Somit bedient sich das absolute Sein, um sich in seiner unergründlichen personalen Tiefe kundzutun, der Weltgestalt in ihrer Doppelsprache: unaufhebbarer Endlichkeit der Einzelgestalt und unbedingtem, transzendierendem Verweis dieser Einzelgestalt auf das Sein im ganzen.“282 Das erscheinende Phänomen ist dabei zugleich gelichtet und bleibt doch dem integrierenden, sich eneignenden Verstehen entzogen. Es kann vom erkennenden Subjekt nicht eingeholt werden, da es ihm mit der Qualität eines „Wunders“ begegnet. Das gilt in verdichteter Form von der personalen Begegnung: „Eine mir geschenkte Liebe kann ich je nur als ein ‚Wunder‘ verstehen, empirisch oder transzendental aufarbeiten kann ich sie nicht, auch nicht aus dem Wissen um die gemeinsam umgreifende Menschen – ‚Natur‘; denn das Du ist der je Andere mir gegenüber. Der zweite Ansatz liegt im Ästhetischen, das neben Denkhaltung und Tathaltung eine dritte, nicht rückführbare Späre darstellt. Bei Erfahrungen ausgezeichneter Schönheit – in Natur wie in Kunst – wird das sonst mehr verhüllte Phänomen in seiner Unterscheidbarkeit greifbar: Was uns entgegentritt, ist überwältigend wie ein Wunder und darin vom Erfahrenden niemals einzuholen, besitzt aber gerade als Wunder eine Verstehbarkeit: es ist fesselnd und befreiend zugleich, wie es sich unzweideutig als ‚erscheinende Freiheit‘ (Schiller) von innerer unbeweisbarer Notwendigkeit gibt.“283

4.2.2 Eingestaltung in Jesus Christus und Teilhabe an seiner Sendung der Liebe

Die offenbarungsexplikatorische Funktion, die der Gestaltbegriff bei Balthasar hat, erlaubt dem Basler Autor, (metaphysisch-)philosophische und theologische Sichtweisen mit Blick auf das Christusereignis284 und seine ekklesiologische Bedeutung zu integrieren.285 Der Gestaltbegriff ermöglicht ihm, die spezielle Form der Teilhabe der Gläubigen am Christusereignis zu illustrieren. Diese sind ihm zufolge dazu berufen, der in Christus erschauten Gestalt ‚eingestaltet‘ zu werden. Karl-Heinz Menke führt dazu aus: „Wäre der Erlöser nur ein geistiges, geistliches oder sittliches Vorbild, dann wäre seine Geschichte (sein ‚concretum‘) nur ein Beispiel, nicht aber die Bedingung der Möglichkeit bzw. die Norm (das ‚universale‘) jedes Christen. Christ – so betont Balthasar – wird man nicht durch Nachahmung, sondern durch die vom Heiligen Geist bewirkte Eingestaltung der eigenen Existenz in die des Erlösers.“286 Ziel dieser Eingestaltung ist es, am ‚Sohnesgehorsam‘ Jesu Christi gegenüber der vom göttlichen Vater erhaltenen Sendung Anteil zu erlangen und dieser Sendung aus Liebe zu entsprechen. Für Balthasar ist dieser vertrauensvolle Gehorsam Jesu Christi gegenüber seinem himmlischen Vater das Proprium, das ihn zuinnerst kennzeichnet: „Das Wo des Sohnes, das seinen Stand festlegt, ist also, mag er sich im Schoße des Vaters oder auf den Wegen der Welt befinden, stets eindeutig: es ist die Sendung, der Auftrag, der Wille des Vaters. Hier ist er jederzeit anzutreffen, weil er der Inbegriff der väterlichen Sendung selbst ist.“287 Entsprechend formuliert John O’Donnell: „Wenn es einen Schlüssel gibt, der das Geheimnis der Identität Jesu erschließt, so ist dies für Balthasar der Gehorsam Jesu gegenüber seinem himmlischen Vater.“288 Was vom Basler Theologen mit Gestalt programmatisch gemeint ist, erschließt auch einen Zugang zum Verständnis seiner voluminösen, 16 Bände umfassenden „Trilogie“289, die sein über nahezu drei Jahrzehnte gewachsenes Hauptwerk darstellt. Die Rede von Gestalt ist ihm dabei Teil einer besonderen Bestimmung von Fundamentaltheologie290 als „Erblickungslehre“ und von Dogmatik als „Entrückungslehre“. So muss Balthasar zufolge „eine theologische Ästhetik sachgerecht in zwei Zeiten entwickelt werden. Sie umfasst: 1. die Erblickungslehre – oder Fundamentaltheologie; Ästhetik (im kantschen Sinn) als Lehre von der Wahrnehmung der Gestalt des sich offenbarenden Gottes. 2. Die Entrückungslehre – oder dogmatische Theologie; Ästhetik als die Lehre von der Menschwerdung der Herrlichkeit Gottes und von der Erhebung des Menschen zur Teilnahme daran. Es könnte als spielerisch erscheinen, daß der Begriff Ästhetik in dieser doppelten Bedeutung verwendet wird. Aber ein wenig Überlegung zerstreut das Bedenken, gibt es doch keine theologische Wahr-nehmung außer in der lux tuae claritatis, in der Gnade des Sehen-lassens, die selber schon objektiv zur Entrückung gehört und subjektiv die Hingerissenheit des Menschen zu Gott wenigstens einleitet. In der Theologie gibt es keine ‚bloßen Fakten‘, die man ohne jede (objektive und subjektive) Ergriffenheit und Teilnahme (participatio divinae naturae) wie irgendwelche weltlichen Fakten sonst feststellen könnte, in der angeblichen Objektivität des Teilnahmslosen, Unbeteiligten, Sachlichen. Denn die objektive Sache, um die es geht, ist die Teilnahme des Menschen an Gott, die sich von Gott her als ‚Offenbarung‘ (bis zur Gottmenschheit Christi), vom Menschen her als ‚Glaube‘ (bis zur Teilnahme an der Gottmenschheit Christi) verwirklicht. Diese doppelte beidseitige Ekstase – Gottes zum Menschen und des Menschen zu Gott – ist schlechterdings der Inhalt der Dogmatik, die deshalb mit Recht als Entrückungslehre darstellbar ist, als das admirabile commercium et conubium zwischen Gott und Mensch in Christo Haupt und Leib“291

Der Gestaltbegriff dient Balthasar somit zur Explikation seiner Christologie, die er in ästhetischer Perspektive zu erhellen sucht. Dazu bemerkt John O’Donnell: „Einer von Balthasars Hauptbeiträgen zur Christologie ist sein Versuch, ästhetische Kategorien zur Erleuchtung des Geheimnisses Christi anzuwenden. Für Balthasar besteht die ästhetische Erfahrung im Wesentlichen aus zwei Dimensionen: Der Form, mit ihrer Harmonie, Proportion, und ihrem Maß, und der Ekstase, wenn der Betrachter in die Form hineingezogen wird. Wichtig ist hier, daß die Einheit der Form ihre Teile transzendiert. Die Wahrnehmung der Form besteht darin, die Ganzheit der Form zu erkennen, die mehr ist als die Summe ihrer Teile.“292 Die Balthasarsche Trilogie kann im Ganzen als christologische Explikation gelesen werden, die in jedem ihrer Teile vom geschichtlich und kirchlich sich vermittelnden Christus ausgeht und ihn in den Mittelpunkt stellt. Auf die Schau dieser Gestalt richtet sich der Blick immer neu: „Balthasar beginnt seine Trilogie nicht mit einem ‚philosophischen Ansatz‘, sondern mit einem Blick auf das Phänomen ‚Jesus Christus‘. Am Anfang (Herrlichkeit) steht das Staunen über die ‚Lichtung des Ganzen in der Gestalt diesen Einen‘ […] In der Mitte der Trilogie (Theodramatik) steht die Erklärung der ‚Herrlichkeitsgestalt‘ Jesu Christi als des Stellvertreters, der für alle Menschen aller Zeiten etwas getan hat, was keiner selbst leisten kann, und der jeden, der sich von ihm ergreifen lässt, auf einmalige Weisung in seine Sendung eingestaltet. […] Und am Ende der Triologie (Theologik) steht eine am Phänomen der ‚Herrlichkeitsgestalt‘ Jesu Christi abgelesene Logik Gottes. Sie ist aus keinem Apriori des Menschen ableitbar, gleichgültig, ob dieses Apriori als ‚tranzendentale Erfahrung‘ (Rahner) oder als ‚existentielle Betroffenheit‘ (Bultmann) beschrieben wird“.293

Ilkamarina Kuhr umreißt die Bedeutung des Gestaltbegriffs bei Balthasar zusammenfassend: „Die Gestalt avanciert in Balthasars theologischer Ästhetik zur systematischen und hermeneutischen Grundkategorie. Sie unterstützt sowohl deren Sachanliegen, den Glanz der Herrlichkeitsgestalt Gottes in seiner Entäußerung am Kreuz aufscheinen zu lassen und als phänomenale Mitte der Offenbarung in Welt und Geschichte auszuweisen, als auch deren hermeneutischen Zugang, sich kontemplativ auf jenes von sich selbst her erscheinende Phänomen einzustimmen. In ihr fallen Inhalt und Methode der Offenbarungstheologie zusammen.“294 In die gleiche Richtung weisend formuliert Yves Tourennes: „Gestalt ist ein Umriß, eine feststellbare Form, tiefer noch eine ursprüngliche, fest bestimmte Einheit, die eine Vielzahl von Aspekten, Elementen oder Gliedern eint und einbezieht. Sie läßt sich sehen: Schau der Gestalt, das ist die Basis, worauf die ganze Theologie ruht; indem die Gestalt sich zeigt, liefert und ‚sagt‘ sie sich aus, verstrahlt das Innerlichste ihrer selbst.“295

4.2.3 Einbezug in die exklusive Stellvertretung Jesu Christi

Zentral ist für Balthasar sein Verständnis der inklusiven Teilnahme der Gläubigen an der alle anderen Stellvertretungen begründenden, exklusiven Stellvertretung Jesu Christi, die ihm der Schlüssel zum Verständnis kirchlicher Existenz als Nachfolge Jesu Christi wird.296 In der Teilhabe an der exklusiven Stellvertretung Jesus Christi kommt das Geschehen der Eingestaltung in das Sein des Erlösers an ihr Ziel: „Balthasar beschreibt den Übergang vom ersten (Theo-Ästhetik) zum zweiten Teil (Theo-Dramatik) seines Hauptwerkes als Transformierung eines zweidimensionalen in ein dreidimensionales Bild. Indem er aus der Welt des Theaters Analogien für die Schilderung des einzigartigen Dramas zwischen Gott und Mensch erhebt, spricht er von einer Bühne für das Drama der Weltgeschichte. Gott ist in Christus nicht nur der Autor und Regisseur, sondern auch der Ausführende dieses Dramas. Dennoch ist der einzelne Mensch nicht seine Marionette. Christi Stellvertretung eröffnet den Spielraum für mitspielende Personen, und zwar so, daß diese in dem Maße nicht nur scheinbar, sondern wirklich frei sind, indem sie die Rolle spielen, die ihnen zugedacht ist. Jede Rolle ist eine je einmalige Explikation der Sendung des Erlösers. Balthasar spricht von der exklusiven Sendung und Stellvertretung des Erlösers und den vielen Sendungen und inklusiven Stellvertretungen der Erlösten.“297 Philosophisches und theologischen Denken konvergieren bei Balthasar in der beschriebenen Denkfigur der inklusiven Stellvertretung: „Denn als Stellvertreter verhält sich Jesus Christus zu jedem einzelnen Menschen so ähnlich wie der eingangs beschriebene actus essendi (das nichtsubsistente Sein) zu jedem einzelnen Seienden.“298 Insofern ist für den Basler Theologen jedwede Ekklesiologie immer nur als Entfaltung von Christologie denkbar: „Es gibt keine Ekklesiologie, die nicht Christologie wäre.“299 Da für Balthasar alles Kirchliche im Christusereignis bleibend fundiert und von dort her je und je neu getragen ist, plädiert er für eine grundlegende Selbstrelativierung beim Verstehen und Sprechen von der Kirche.300 Diese gründet nicht in sich, sondern in Christus: „Recht verstandene Ekklesiologie muß, um sich echt zu begründen, sich immer erst aufgehoben haben.“301 Nur wo ihre Bezogenheit auf Jesus Christus zu Gesicht kommt, kann eine adäquate Sicht auf die Kirche erlangt werden: „Die Kirche hätte, wollte man einen Augenblick von ihm absehen und sie als eigene Gestalt betrachten und zu verstehen versuchen, nicht die geringste Plausibilität. […] Sie verliert im Gegenteil so jede Glaubwürdigkeit, weshalb die Kirchenväter ihr Licht häufig mit dem von der Sonne geborgtem Licht des Mondes (das seine Relativität ab deutlichsten anzeigt) verglichen.“302

4.2.4 Sein als Liebe und Beten als Anerkenntnis göttlicher Liebe

Die derart begriffene Nachfolge Jesu Christi als Teilhabe an seiner Stellvertretung und Inklusion in seinen Sohnesgehorsam ist Balthasar Ausdruck und höchste Verwirklichungsform des menschlichen Seins als Liebe. Peter Henrici sieht darin den Schlüssel zum Werk Balthasars: „Sein ist nur als Liebe verständlich; Seinsphilosophie weist über sich hinaus auf eine Philosophie der Liebe […] Das alles ist mehr als ‚personale Ontologie‘ (oder gar oberflächlicher ‚Personalismus‘); es ist mehr als bloße Dialogik: Metaphysik der Liebe, die sich im Gegenlicht einer Liebestheologie abzeichnet. Liebe ist das einzig ‚Glaubhafte‘, weil sie das einzig wirklich Verstehbare, ja das einzig ‚Vernünftige‘ ist: ‚id quo majus cogitari nequit‘; denn ihr Wunder liegt je schon über alles Erdenkliche hinaus und ist doch nicht weniger wirklich, ja der Grund zu allem Wirklichsein. Hier liegt, offen-verborgen, der Schlüssel zu Balthasars Werk und deshalb auch zu seiner Philosophie. Erst wenn es gelingt, das Sein als Liebe zu verstehen – und zwar ineins als Armut des Eros und als selbstloses Sich-Verschenken –, erst dann ordnen sich die Perspektiven dieses kaum überschaubaren Denkens zu einer schlichten und eindrücklichen Gestalt. Weil das Sein Liebe ist, deshalb steht im Zentrum der Triologie nicht die Ästhetik, sondern die Dramatik.“303 Im Zentrieren der theologischen Diktion auf das in Jesus Christus unüberbietbar anschaulich-konkrete und universal bedeutsame Phänomen „Liebe“ ist ein wesentlicher Beitrag Balthasars für die Fragestellung nach der Gestalt des Betens bei Edith Stein zu sehen. Dies insofern Balthasar nämlich vom Phänomen der Liebe her eine relationale und aus trinitarischen Bezügen hergeleitete Anthropologie entwickelt,304 die auch bei Edith Stein aufgewiesen werden kann und die im Zentrum ihres religionsphilosophischen Hauptwerkes steht.305

In Balthasarscher Sicht ist der Mensch dazu berufen, sich von der Liebe, die innertrinitarisch anhebt, und ihm in Christus vermittelt nahe kommt, anstecken zu lassen, um schöpferisch daran mitzuwirken. Dabei lässt er sich in die unfassbare Distanz, den „Hiatus“, der den göttlichen Sohn vom ewigen Vater „trennt“, sofern er von ihm innergöttlich gezeugt wird, hineinnehmen und in die Rückkehrbewegung des Sohnes zum Vater integrieren. Dazu führt Balthasar in seinem Werk „Das betrachtende Gebet“ aus: „Aber Christus kehrt aus aller sinnlich und geistig faßbaren Weltgestalt wieder zum Vater zurück, und hierdurch öffnet er erst den wirklichen Weg der Kontemplation: indem er die vom Vater redenden Bilder und Begriffe nicht so auf Erden hinterläßt, wie er sie zunächst als fleischlicher Mensch unter Menschen gesetzt hat, sondern sie – das ist der Inhalt der ganzen paulinischen Theologie – aus dem Irdisch-Buchstäblichen-Prophetischen ins Himmlisch-Geistig-Erfüllte empornimmt und übersetzt, und uns, als mit ihm zusammen Sterbende, Auferstehende und zum Himmel Fahrende in seiner eigenen Bewegung von der Welt zum Vater ermächtigt, die Verwandlung der alten in eine neue, geisthafte und göttliche Welt mitzuvollziehen.“306 Insofern nimmt der Mensch an der innergöttlichen Dynamik teil und lässt sich dabei von der Hingabe Jesus Christi und seinem Sohnesgehorsam dem liebenden Vater gegenüber tragen. Diese Haltung ist für Balthasar die Gestalt des christlichen Seins im Ganzen. Gestalt wird so zu einer lebenspraktisch relevanten Kategorie, zu einem Begriff, der die ganze menschlichen Existenz in ihrem Charakter als gottbegründete Sendung meint: „ ‚Gestalt‘ ist ein Verlegenheitsausdruck für diese geheimnisvolle Wirklichkeit, die das ideale Urbild des erlösten und glaubenden Menschen in Christus und doch zugleich seine wahre, eigentliche Realität ist, auf die hin der Vater ihn nunmehr ansieht und bewertet und von der her er als Glaubender zu leben aufgefordert ist. […] Wir können diese Gestalt des Christen, die zugleich reine Gnade des Vaters, die Gliedform des Menschen im mystischen Leib Christi, schließlich er selbst, der Mensch in seiner ganzen Konkretheit, aber innerhalb der Erlösung, ist: wir können diese Gestalt seine Sendung nennen. Das, wofür er seine Natur ganz zur Verfügung stellen und halten soll, damit sie in dieser Hingabe, in diesem Gottes-Dienst ihre eigene, höchst persönliche Erfüllung jenseits ihrer natürlichen und unvollkommenen Möglichkeiten finde. Das, worin sie unfehlbar über ihre eigenen Kräfte hinaus befähigt und fruchtbar werden wird. Das auch, worin der Mensch sich letztlich im Glauben verstehen wird, weil die Sendung christus- und damit wort-, logosförmige Gestalt hat. Wer seiner Sendung gehorcht, der erfüllt sein Wesen […].“307

Entsprechend hat auch das Beten für den Basler Theologen neben dem Moment der Anbetung als „absolute Anerkennung“308 eines „uneinholbar Größeren, Mächtigeren und Freigebig-Gütigeren als ich es bin“ den Charakter einer „Sendung“. Diese besteht zunächst darin, die Gabe seiner eigenen Freiheit anzuerkennen und zu aktivieren, in dem sich der Mensch sowohl dem göttlichen Grund seines Seins zuwendet, als auch dem göttlichen Heilswillen gegenüber der Welt. An letzterem mitwirkend, erfüllt der gläubige Mensch seine Gebetsmission. Er darf Balthasar zufolge darauf hoffen, dass Gott „unser Gebet und unsern Selbsteinsatz in seine Vorsehung miteinbezieht, und zwar nicht willkürlich, nicht nur dann, wenn es ihm paßt, sondern jedesmal, wo echtes, das heißt selbstlos hingegebenes Gebet zu ihm dringt.“309 Es wird sich im Verlauf meiner Studie zeigen, inwieweit Edith Stein in ihrer betenden Existenz ähnliche Momente ansichtig werden lässt. Eine trinitätstheologisch „unterfasste“, metaphysisch-theologisch entwickelte Christologie ist dabei in jedem Fall ein verbindendes Merkmal der theologischen Diktion sowohl Edith Steins als auch derjenigen von Hans Urs von Balthasar.310 Mit Blick auf den in Jesus Christus sich offenbarenden dreifaltigen Gott formuliert der Basler Theologe: „Von hier aus erhellt die für Christen unabdingbare Pflicht einer trinitarischen Kontemplation, die das, was Jesus uns an sich selbst zeigt und als nachahmbar empfiehlt, als das Hervortreten, ja Uns-Überfallen innergöttlichen Lebens versteht.“311

4.2.5 Integration der Gestaltüberlegungen in eine Gebetstheologie nach Auschwitz

Beispielhaft für eine grundlegende Infragestellung betont ästhetischer Zugänge zur (Gebets-) Theologie kann die Position von Johann Baptist Metz gewertet werden. In ihren konzeptionellen Grundzügen wurde sie bereits oben skizziert. Mit Blick auf die Gestalttheologie Balthasars wird die Metzsche Perspektive hier erneut eingenommen, um die Gefährdungen zu markieren, die mit der Diktion des Basler Theologen gegeben sein können.312 Auf dieser Basis mag im weiteren Fortgang der Untersuchung eine reflektierte Verwendung des Gestaltbegriffs möglich werden, der die Balthasarschen Anregungen kritisch reflektiert aufnimmt.

Wenn Metz eine betonte Ästhetisierung der Theologie kritisiert, will er dabei auf Gefahren aufmerksam machen, die ihm zufolge eine in sich geschlossene, gegenüber Brüchen und desintegrierbaren Momenten sich verweigernde, subjekt- und geschichtsvergessene Theologie stets als Begleiter bei sich hat. Eine solche Theologie sieht er durch eine betont dem „Schönen“ sich zuneigende Diktion noch stärker solchen Gefährdungen ausgesetzt. Sie weist in hohem Maße eine „Affirmationsfreudigkeit“313 auf und eine „Verblüffungsfestigkeit“,314 die sich gegenüber Nichtintegrierbarem verschließt. Nichtintegrierbares jedoch scheint Metz zufolge im Gebet auf als Klage und Sehnsucht, als Vermissen und Schrei. Es kann kaum erstaunen, dass vor allem Hans Urs von Balthasar in dieser Perspektive von Metz kritisch gesichtet wird.315 So moniert Metz an der Diktion dieses Theologen: „Kein Hauch von Unversöhntheit liegt über der Theologie! Keine Erfahrung von Nichtidentität, in der die ach so gewisse Rede über Gott in die ratlose Rede zu Gott umschlägt.“316 Mit Blick auf Hans Urs von Balthasar bemerkt auch Martha Zechmeister: „Denn so sehr die Theologie Balthasars als ‚geschichtliche‘ und ‚theodramatische‘ entworfen ist, so legt sie doch diese ‚Gottes-Geschichte‘ und dieses ‚Gottes-Drama‘ so aus, daß sie kaum von der Gebrochenheit und Katastrophizität der Weltgeschichte affiziert ist.“317

Die Gefahren solcher theologischen Ansätze bestehen für Metz schon darin, dass die in der biblischen Gebetssprache sich überdeutlich zeigenden Kategorien der „Frage“ und der leidgespannten „Klage“ als Ausdruck theologischer Rede grundlegend depotenziert werden, wo jedwedes Leid in der Gestalt Jesu Christi schon systematisch integriert gesehen und innergöttlich in trinitätstheologischer Perspektive „verewigt“ wird. Metz sieht das am Werke, wo Autoren geneigt sind, „mit explizit trinitätstheologischen Motiven“ die Theodizeefrage „auf eine innergöttliche Geschichte hin zu durchschauen und zu beschreiben“.318 Diese Tendenz erblickt er auch beim Basler Theologen: „[…] auf katholischer Seite vor allem bei Hans Urs von Balthasar […] spricht man vom leidenden Gott, vom Leiden zwischen Gott und Gott, vom Leiden in Gott. Ich kann mich nicht anschließen.“319

Tatsächlich sieht Balthasar bei Jesus Christus eine alle menschliche Verlassenheit grundlegend und qualitativ übersteigende „Gottverlassenheit, zu der er allein als der Sohn fähig ist, und die jede mögliche Hölle quantitativ unterfaßt“.320 Für Balthasar ist diese radikale Differenz allerdings begründet und situiert in der „innertrinitarischen Differenz zwischen Vater und Sohn“321 und ein Moment am umfassenden Heils- und Erlösungswillen Gottes, das der Basler Theologe nahe bringen will. Diese innergöttliche Trennung sieht Balthasar in soteriologischer Perspektive wirksam bei der Frage, wie die Qualität von „Hölle“ als gesteigerter Gottesferne überwunden werden kann, „nämlich nur an diesem Ort innerhalb der Differenz der Hypostasen“.322 Die Entfernung zwischen „Vater und Sohn weitet sich, um der Überwindung der ‚Hölle‘ in den trinitarischen Relationen willen, gleichsam in einer letzten Überdehnung: Gott – der Sohn – sucht in der letzten Finsternis der Sünde Gott – den Vater.“323 Balthasar kann daher jedes negative Moment der Geschichte und der Sünde als in der „innersten Positivität des trinitarischen Lebens“ bereits überwunden und „aufgehoben“ ansehen.324 Dort erblickt er ein Geschehen der innergöttlichen Selbstverherrlichung: „der Gang der Liebe ‚bis ans Ende‘ (Joh 13,1) ist als solcher Selbstverherrlichung.“325 Wo jedoch jedwedes menschliche Leid im Hiatus zwischen dem göttlichen Sohn und dem ewigen Vater innertrinitarisch situiert und von daher in seiner Perspektive schon total überwunden und erlöst angesehen wird, da werde Metz zufolge326 dem Abgründigen des menschlichen Leids nicht entsprochen und auch der Schrei Jesu Christi am Kreuz überhört. Metz befürchtet, dass dadurch die innere Virulenz des in der Klage sich manifestierenden Gebetsgeschehens auf diese Weise entschärft wird, dass diese Virulenz gleichsam in Gott „aufgehoben“ und dadurch in ihrer schmerzlichen Schärfe verdeckt wird. Dabei sieht er gerade im „Schrei“327 diejenige Anrede an Gott, die um seine baldige Initiative zur Rettung ruft und die den Horizont einer leidvoll gespannten Erwartung seines machtvollen Kommens immer neu wachhält. Dem gegenüber sieht er ästhetisierende Entwürfe in der Tendenz, sich gegen das menschliche Leid zu immunisieren und es zu integrieren, statt sich von ihm fundamental irritieren und unterbrechen zu lassen. Er sieht eine fatale Entspannung am Werke, wo es um das Gegenteil, nämlich eine apokalyptische Zeitsensibilität und eine gespannte, entsprechende Aufmerksamkeit gehe. In verdichteter Form fasst Maria Zechmeister zusammen: „Den zerstörten Antlitzen standhalten – und Gott-vermissen. Auf diese kürzeste Formel kann wohl die Karsamstagserfahrung im Kontext neuer Politischer Theologie gebracht werden.“328

Dieser von Metz durchgängig aufgeworfenen Anfrage an in sich geschlossene, theologisch-ästhetisch formierte Gedankengänge möchte sich die vorliegende Untersuchung stellen und in ihrem Duktus darauf Bezug nehmen. Das Anliegen dabei ist, die Darstellungsweise und theologische Begrifflichkeit Balthasars im Rahmen seines Gestaltverstehens so aufzugreifen, dass die genannten Gefährdungen möglichst vermieden werden. Nur wo es gelingt, die Gestalt des Betens der Edith Stein aufzuweisen, ohne dabei das Ersticken ihrer Stimme in Auschwitz vom Duktus der eigenen theologischen Darstellung her zuzudecken oder auszublenden, kann die Aussicht bestehen, eine Rede von der ‚Gestalt‘ ihres Betens im Munde zu führen, die nicht inadäquat wird. Wo der Versuch unternommen wird, die an Edith Stein aufscheinende Gebetsgestalt zu konturieren und aus sinndeutenden Horizonten zu erschließen, dort soll der Gedanke an die Brüchigkeit im Sinn bleiben, die dem Kapuziner Thomas Dienberg zufolge alle theologische Sprache und auch das Gebet nach Auschwitz auszeichnet. Er schreibt: „Die Sprache nach Auschwitz ist gebrochen, das Gebet nach Auschwitz ist gebrochen.“329 Eine Skizze der Gebetsgestalt unserer Autorin kann daher nur so gezeichnet werden, dass jener Bruch als geschichtliche Erschütterung die ausführende Hand des Zeichners berührt und dass diese Berührung in aller Darstellung von Gebetsmomenten der Edith Stein untergründig wirksam bleibt.

4.3 Zur Formulierung „Kirchliche Existenz“

In der Formulierung „kirchliche Existenz“ ist eine Verbindung von zwei mit Bedeutung gefüllten Wortfeldern geschaffen. Dadurch entsteht ein neuer semantischer Bedeutungsraum. Dieser ermöglicht, das Beten des Menschen Edith Stein zum einen raumzeitlich und zugleich geistlich zu verorten – im umfassenden Raum der Kirche. Zum anderen kann das Gebet als Ausdruck einer geschichtlich-einmaligen Erscheinungsweise, als menschlicher Daseinsakt verstanden werden – als Existenz. Edith Stein versteht unter Existenz „Ins-Dasein-gesetzt sein330. „Sie akzentuiert diesen Gebrauch des Begriffs in Absetzung zu Heidegger, “indem sie der Geworfenheit ins Dasein ihre Einsicht der darin gefundenen Geborgenheit zur Seite stellt“, wie René Raschke ausführt.331

Die Bezugnahme auf die Pole „Kirche“ und „Existenz“ will somit eine Sehhilfe sein, um die Optik für das Beten der Edith Stein zu schärfen, und zwar indem das erkundende Interesse der Untersuchung den Ort und die Art der Gegebenheit ihres betenden Menschseins stets im Blick zu behalten sucht. Durch die zweifache Rückbindung der Gestaltüberlegungen an die Referenzpunkte „Kirche“ und „Existenz“ versucht die vorliegende Studie somit, eine ungeschichtliche und darin ortlose und so ins Zeitlose entzogene Gestaltformulierung des Betens der Edith Stein schon im Ansatz zu vermeiden. Stattdessen soll mit den beiden Dimensionen „Kirche“ und „Existenz“ das, was an Gestaltformulierungen zum Beten der Edith Stein im Verlauf meiner Studie benannt wird, bleibend zurückgebunden werden an das geschichtlich Konkrete, wie es sich in der Biographie dieser Frau als Prozess und als Werden manifestiert hatte. Die gesuchte Rückbindung dient somit dazu, die Gestaltformulierungen gleichsam zu „erden“ und eine idealisierende Diktion zu vermeiden. Der Verfasser dieser Studie ist bei diesem Anliegen von Johann Baptist Metz und seiner Theologie angeregt, die besonders in frühen Phasen danach suchte, eine „nachidealistische Theologie“ zu verwirklichen.332

4.3.1 Kirche als „Klangraum“ und Existenz als „Tonart“ des Gebets der Edith Stein

Das Adjektiv „kirchlich“ verweist zunächst unmittelbar sowohl auf den geschichtlich-sozialen Entstehungsort als auch den geistlichen Lebensraum, in den hinein sich das betende Geschehen im Leben der Edith Stein entfaltet hat. Denn zugleich und verbunden mit der sichtbaren Dimension von Kirche ist auch die dem äußeren Blick entzogene, christologisch-pneumatologisch-eschatologische Dimension von Kirche gemeint. Diese ist „im Heiligen Geist geeint“, „dem Sohn Jesus Christus zugestaltet“ und darin im Modus der Pilgerschaft zum „Reich Gottes des Vaters berufen“, wie Medard Kehl mit Bezug auf die Kirchenkonstitution des II. Vaticanums formuliert.333 In diesen umfassenden, eschatologisch geöffneten Raum hinein wirkt das Beten der Edith Stein als geschichtliches Ereignis über ihren Tod hinaus weiter fort. Daher ist mit dem Referenzpunkt „Kirche“ auch der Raum der Wirkungs- und Entfaltungsgeschichte dessen angesprochen, was sich im Leben der Breslauer Philosophin bis hin zu ihrem Tod als Gebet zugetragen hat. In einem bildhaften Vergleich gesprochen markiert das Wort „Kirche“ somit gleichsam den „Klangraum“, aus dem heraus das betende Wort der Edith Stein bis zur heutigen Zeit verlautet. Dabei klingt und „ruft“ das Gebetswort und auf seine Weise das Schweigen der Edith Stein nicht nur aus diesem Raum heraus. Es ertönt auch in einem zeitversetzten Sinn in ihn hinein und in ihn zurück, wo es sich als geschichtliches Zeugnis den damaligen Zeitgenossen vernehmbar machte und darüber hinaus weiterhin bis heute vernehmbar macht.

„Existenz“334 als das zweite bedeutungsgebende Wort der Formulierung „kirchliche Existenz“ verweist auf die konkrete, raum-zeitlich situierte, individuelle Weise, in der die Entfaltung des Betens der Edith Stein sich ereignete und zur Erscheinung kam. Wie also das Wort „Kirche“ den Blick auf den Entstehungs- und Entfaltungsraum lenken will, so will der Begriff „Existenz“ auf die besondere Art hinweisen, wie etwas in diesen Raum als originäre menschliche Erscheinung eingetreten ist und darin weiter wirksam bleibt. Das obige Bild von der „Kirche“ als „Klangraum“ für das Beten der Edith Stein aufnehmend, könnte man entsprechend sagen, dass das Wort „Existenz“ gleichsam die ursprüngliche, individuelle „Klangfarbe“, seine „Tonalität“ und akustische „Fortdauer“ markiert, in der Beten bei Edith Stein im Raum der Kirche erschien und „zu Gehör“ gekommen ist.

Die Wortverbindung „kirchliche Existenz“ mag auch Sensibilität wecken für eine von vorne herein möglichst weiträumig angelegte Sicht des Gebets bei Edith Stein. Diese Sicht entgeht einer Einengung der Perspektive und Verkürzung der Sehweise auf das rein Individuelle, Private und Innerliche an ihrem Beten. Vielmehr öffnet eine von den Perspektiven „Kirche“ und „Existenz“ orientierte Sicht den Blick für den Aspekt des Gemeinschaftlichen und des sich nach außen hin im Raum der Kirche datierbar Zeigende ihres Betens. Wenn Edith Stein im philosophischen Denken den Einzelnen nie in Absehung von seiner sozialen Verwobenheit335 und gemeinschaftlich-staatlichen Verfasstheit336 begreift, sondern vielmehr direkt darauf bezogen und davon getragen, dann scheint es angemessen, entsprechend auch mit Blick auf ihr Beten vorzugehen und es mithin als soziales Geschehen im Raum der eschatologisch weit gefassten Kirche zu begreifen und von vorne herein auch so zu sichten. Denn es eignet dem Beten der Edith Stein ein durchgängig kirchlicher Zug: „Ihre Beziehung zur Kirche ist sehr lebendig, wobei die Kirche als Leib Christi ein bevorzugtes Bild war: Da hatte jedes Glied seine Aufgabe. Erstaunlich war, wie sehr sie die Kirche nicht als starre, sondern als geschichtsbezogene Wirklichkeit sah. […] Das Gebet – nicht nur das liturgische ist ein Gebet der Kirche, sondern auch das private – hat seine unersetzbare Bedeutung.“337

Edith Stein lässt eine (bisweilen in ihren Schriften implizite) Ekklesiologie erkennen, bei der zwei Merkmale auffallen: universale Weite und christologische Zentrierung. Beide Gravitationsfelder des Denkens und Sprechens von der Kirche hängen bei ihr zusammen. Das hat seinen Grund darin, dass ausgehend vom Gedanken einer universalen Bedeutung des Christusereignisses für alle Menschen,338 und der Überzeugung, als Glied am Leib Christi an der proexistenten Seinsweise des erhöhten Herrn für die Welt teilzuhaben,339 sich für Edith Stein eine weiträumig angelegte Ekklesiologie nahe legt, bei der Kirche als Moment an der Wirksamkeit Gottes in den Blick rückt. Daher kann sie 23. 3. 1938 an Adelgundis Jaegerschmid mit Blick auf Edmund Husserl schreiben: „Um meinen lieben Meister habe ich keine Sorge. Es hat mir immer sehr fern gelegen zu denken, daß Gott sich an die sichtbaren Grenzen der Kirche binde. Gott ist die Wahrheit. Wer die Wahrheit sucht, sucht Gott, ob es ihm klar ist oder nicht.“340

4.3.2 Die Begriffe Existenz und Existenzphilosophie

Eine genauere inhaltliche Klärung dessen, was mit Existenz gemeint ist, steht am Ende der Begriffsklärungen, die zur Sichtung der Konturen des Betens im Leben der Edith Stein hinführen. Nachstehend wird in gebotener Kürze dargestellt, was mit Existenz bedeutet wird, und welche Aufnahme der Begriff im Rahmen der Existenzphilosophie gefunden hat. Was dabei zutage tritt, kann im Fortgang der vorliegenden Untersuchung eine Hilfe sein, das Geschehen des Gebets als Prozess zu begreifen, in dem der Mensch fundamental in seiner zeitlichen Verfasstheit, seiner Transzendenzfähigkeit und seiner Anlage zu Entscheidungen und zur Übernahme seines Daseins angesprochen ist. Der geschichtlich konturierte, je einmalige „Augenblick“, der dem Menschen widerfährt, gewinnt für ein zeitsensibles Verständnis von Gebet an Bedeutung.

Lexikalische Definitionen von „Existenz“341 illustrieren eine Begriffsgeschichte342, bei der etymologisch ein „Hervorgehen“ und „Herausgehen“ von etwas in den Blick kommt: „Die volle Schreibweise ex-sistere gibt zu erkennen, daß mit diesem Wort anfänglich ein Ortssinn verbunden war: aus der Erde, aus dem Fluß herausbrechen, aus dem Mutterleib hervorgehen, aus dem Hinterhalt hervorbrechen u.ä. […] Schließlich wird die lokale Herkunft ganz fallen gelassen, und existere rückt in die Bedeutung von vere esse ein.“343 Der Inhalt des Begriffs konzentriert und konkretisiert sich immer mehr auf das spezifisch menschliche Dasein in seiner Entfaltung: „Das Wort E. wird auf vielfache Weise verwendet: in seiner Grundbedeutung besagt es, daß etwas ist im Gegensatz dazu, was es ist. In einem weiteren Sinn ist E. gleichbedeutend mit ‚es gibt‘, in einem engen mit ‚als selbständiges Etwas da sein‘. Eine spezif. Bedeutung gewinnt E. in der Existenzphilosophie, indem es auf die unableitbare individuelle Daseinsweise des Menschen beschränkt und dem dinglich-gegenständl. Vorhandensein entgegen gestellt wird.“344 Geschichtlich-raumzeitlich erfahrbares Menschsein wird betont zum Ausgangspunkt der Frage nach dem Sinn des Seins. Mit Existenz und existentia ist Edmund Runggaldier zufolge im Sinne einer „aktualen“ oder „temporalen“ Existenz „die Aktualität eines Dinges gemeint, insofern es Veränderungen unterliegt und aktiv und passiv in kausale raum-zeitliche Abläufe einbezogen ist (in actu esse).“345 Der temporale Aspekt einer hervortretenden Gegebenheit, zumal einer menschlichen, ist somit implizit mitausgesagt, wo der Begriff „Existenz“ in jüngeren Publikationen Verwendung findet.

Die solcherart anthropologisch formulierte menschliche Verfasstheit erfährt in der „Existenzphilosophie“ betontes Augenmerk. Diese „ist seit Ende der zwanziger Jahre eine Sammelbezeichnung für eine Mehrzahl philosophischer Ansätze und Ausbildungen. Sie sind dadurch gemeinsam kennzeichenbar, dass sie die philosophische Frage nach dem Sein und dem Seienden im Ganzen festmachen am menschl. Dasein […], dem das Wirklichkeitsganze als naturaler und soz. Bedeutungszusammenhang nicht nur z. Nach- u. Mitvollzug schon schlechthin vorgegeben, sondern als zu Entwerfendes im ursprüngl. Vollzug seiner endlich-geschichtlichen Freiheit je aufgegeben ist.“346 Bei den Vertretern dieser Denkrichtung sind die geschichtliche Aufgegebenheit des menschlichen Daseins, und die Anforderung zu je individueller Aneignung derselben ebenso im Blick, wie die grundlegende Transzendenzmöglichkeit und -tendenz des Menschen. Nach Alois Halder „steht“ die Existenzphilosophie „in einer Traditionslinie der neuzeitl. Philos. der sich überantworteten Subjektivität, betont aber in deren Verfassung radikaler das Handlungsbewußtsein u. die Tat d. Entscheidung in jeweil. Situation vor dem Erkenntnisbewußtsein und dem objektivierenden und bleibende Gültigkeit suchenden Wissen, insg. die konkrete menschliche Individualität mit ihrer unabnehmbaren Last, sich u. ihre eigene Lebens- u. Weltgestalt ‚echt‘ selbst zu gewinnen oder zu verfehlen, worin zugleich ihr ausgezeichneter Rang begründet ist.“347 Das Transzendieren des Menschen stößt jedoch angesichts des Uneinholbaren des Seins im Ganzen (sowie gleichermaßen seines eigenen In-der-Welt-seins) an eine unüberwindliche Grenze, von der der Mensch unausweichlich und bleibend angegangen wird. An dieser Grenze öffnet sich ihm die Möglichkeit des bleibenden Scheiterns seiner Transzendenzbemühungen und seiner Suche nach Gelingen des aufgegebenen Lebens (K. Jaspers).348 Andere Vertreter der Existenzphilosophie, oder solche, die von ihr Anregungen aufnehmen, sehen aber die Möglichkeit, sich in Form der Hoffnung (G. Marcel)349 auf die Grenze zu beziehen, an die das menschliche Tranzendieren stößt; oder es besteht die Möglichkeit, dem „ursprünglichen Geheimnis“, das an den Menschen in seinem Über-sich-hinaus-verwiesensein rührt, in Form der „Andacht“ und der „Anbetung“ zu begegnen und zu entsprechen (B. Welte).350

Die Aufnahme des Begriffs „Existenz“ in eine phänomenologisch sensibilisierte Beschreibung der Gebetsäußerungen Edith Steins kann somit existenzphilosophisch eine Hoffnungs- und Anbetungsdimension in den Blick heben, die aus den Bedingungen des Menschseins als Möglichkeit ableitbar ist. Wo von Existenz die Rede ist, dort ist philosophisch einschlussweise intellektuell möglich und verantwortbar, von der Denkbarkeit und der Möglichkeit einer Daseinsaktualisierung zu sprechen, die dem Moment des hoffnungsbereiten Gebets Raum gibt. Insofern scheint eine entschiedene Justierung der Optik auf das Gebet bei Edith Stein mithilfe von Begriffen der phänomenologisch orientierten Existenzphilosophie erhellend und sinnvoll zu sein.

Guggenberger unterscheidet diesbezüglich neben dem Zugang zu „Existenz“ in „metaphysischer Sicht“ denjenigen in „phänomenologischer Auslegung“.351 Dabei weist er darauf hin, dass letztere von der erstgenannten den Bezug auf die Bedingtheit der eigenen Existenz und den Verweis auf eine „absolute Existenz“ zu beachten habe, wolle die phänomenologische Sicht nicht dazu genötigt sein, die „Bedingtheit und Endlichkeit“ der menschlichen Existenz zu verabsolutieren, wie das bei Sartre gegeben sei. Die phänomenologische Sicht und ihr Denken „verlegt sich mit aller Anstrengung darauf, aufzudecken, wie sich die in den Raum des Zeitlichen und Endlichen gestellte, die ‚geworfene‘ Existenz, die der Mensch ist, von sich aus zeigt.“ Das Moment des Zeitlichen findet betonte Beachtung: „Der Mensch, der existiert, ist ein ständig ‚Sich-Zeitigender‘. Als solcher ist er immer nur bei sich im jeweiligen Augenblick.“352 Dieser Augenblick ist, wo er betend geschieht, Ausdruck der geistlichen Existenz eines Menschen. Der Abfolge, Form und inhaltlichen Prägung dieser Augenblicke gelten die nachfolgenden Erkundungen der Konturen des Betens im Leben der Edith Stein.

228 Vgl. exemplarisch Rahner, K.: Artikel „Gebet. IV. Dogmatisch“, in: LThK, 2. Auflage, Freiburg 1960, Bd. 4, Sp. 542–545, sowie Schaller, H.: Artikel „Gebet. IV. Systematisch-theologisch“, in: LThK, 3. Auflage, Freiburg 1995, Bd. 4, Sp. 313–314, sowie die jeweils angegebenen weiterführenden Literaturangaben.

229 Vgl. Lang, B.: Artikel „Gebet“ in: NHThG, Paderborn 1993, S. 469–486, sowie Wulf, F.: Artikel „Gebet“, in: HThG, München 1962, S. 424–436.

230 Vgl. zum Ganzen das Standardwerk von Heiler, F.: Das Gebet: eine religionsgeschichtliche und religionspsychologische Untersuchung, Marburg 1923. Eine instruktive Zusammenfassung von Aspekten, unter denen das Beten theologisch im christlichen Raum bis zur Scholastik gesichtet wurde, findet sich bei Maidl, L.: Desiderii interpres. Genese und Grundstruktur der Gebetstheologie des Thomas von Aquin, Paderborn 1994, S. 65–120. Moderne Stimmen zum Gebet unter Einbezug antrophologischer Fragestellungen und interreligiöser Perspektiven sichtet Sudbrack, J.: Beten ist menschlich. Aus der Erfahrung unseres Lebens mit Gott sprechen, Freiburg 1973, besonders S. 116–139. Vgl. auch die im Abschnitt 2.1.1. dieser Studie angeführten Publikationen jüngeren Datums.

231 Vgl. zu Rahners Gebetsverständnis Stolina, R.: Die Theologie Karl Rahners: Inkarnatorische Spiritualität. Menschwerdung Gottes und Gebet, Innsbrucker theologische Studien, Bd. 46, Innsbruck 1996, besonders S. 11–30 und S. 129–250, sowie Reisenhofer, J.: „Ich glaube, weil ich bete“. Zur Theologie des Gebetes bei Karl Rahner, in: Siebenrock, R. (Hg.): Karl Rahner in der Diskussion, Innsbruck 2012, S. 149–158, sowie Deutsch, T.: O-Ratio. Versuch einer Verhältnisbestimmung von Beten und Denken nach Karl Rahner, Hans Urs von Balthasar, Richard Schaeffler und Gerhard Ebeling, Trier 2010.

232 Rahner, K.: Artikel „Gebet. IV. Dogmatisch“, in: LThK, 2. Auflage, Freiburg 1960, Bd. 4, Sp. 542–545. Diese bereits 1960 formulierte Wesensbeschreibung des Gebets spannt einen weiten Horizont aus, in dem der menschliche Grundakt des Betens sich zuträgt: „In seinem Wesen ist das Gebet die ausdrückliche und positive Realisierung unserer natürlich-übernatürlichen Bezogenheit auf den persönlichen Gott des Heils; es verwirklicht also das Wesen des rel. Aktes schlechthin; […] Alle positiven religiösen Akte, die sich erkennend und wollend direkt und ausdrücklich auf Gott beziehen, können als G. bezeichnet werden. Durch seinen responsorischen Charakter ist das (christl.) G. Annahme jener Transzendenz auf den Gott des ewigen Lebens hin, die durch Gottes Selbsterschließung allererst in der Gnade eröffnet ist.“ (ebd. Sp. 543). Zur Gebetstheologie hat sich der Jesuit wiederholt geäußert, sein glaubenserschließendes Anliegen wird dabei durchgängig erkennbar, vgl. dazu Rahner, K.: Von der Not und dem Segen des Gebetes, Freiburg 1958 sowie ders.: Vom Beten heute, in: GuL 42 (1969) S. 6–17, ders.: Über das Beten, in: GuL 45 (1972) S. 84–98, ders.: Vom Mut und der Gnade, sich auf das Ganze einzulassen. Beten als Grundvollzug menschlicher Existenz, in: GuL 56 (1983) S. 12–14.

233 Schaller, H.: Artikel „Gebet. IV. Systematisch-theologisch“ in: LThK, 3. Auflage, Freiburg 1995, Bd. 4, Sp. 313–314. Hans Schaller kennzeichnet das christliche Beten in seiner trinitarischen Verfassung und als Teilhabe am Gebet Jesu. Christliches Beten ist wesentlich Beten mit der Kirche und zweckfreies Tun. (vgl. ebd. Sp. 313 f.).

234 Vgl. dazu Lang, B.: Artikel „Gebet“, in: NHThG, 3. Auflage, München 2005, S. 469–486.

235 vgl. dazu Gensichen, H. W.: Artikel „Gebet. Religionswissenschaftlich“, in: LThK, 3. Auflage, Freiburg 1995, Bd. 4, Sp. 308–309 sowie die dort aufgeführten Literaturangaben.

236 Sudbrack, J.: Beten ist menschlich. Aus der Erfahrung unseres Lebens mit Gott sprechen, Freiburg 1973, S. 199.

237 Dalferth, I. U./Peng-Keller, S. (Hg.): Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Hermeneutik des Gebets, Freiburg 2016, S. 9.

238 Wulf, F.: Artikel „Gebet“, in: HThG, München 1963, S. 424–436, hier S. 435.

239 Bamberg, C.: Beten und Menschsein, in: GuL 68 (1995), S. 324–335, hier S. 326.

240 Diese unhintergehbare Tranzendenz scheint mir auch begründend dafür zu sein, das Bernhard Welte eine Definition dessen, was mit Liebe bedeutet wird, ablehnt. Darin kommt Liebe ihm zufolge mit dem Personalen überein, das ebenfalls wesentlich transzendent ist. „Ich glaube nicht, dass man Liebe definieren kann. […] Es spricht vielmehr alles dafür, dass Liebe etwas durchaus Ursprüngliches ist, ein erstes und anfängliches Phänomen, das eigentlich nur aus sich selbst verstanden, nicht aber aus zweiter und dritter Hand oder anderswoher gewonnen werden kann. Liebe hat vermutlich keine wirklich relevanten Oberbegriffe. […] Den konkreten, sich selbst gehörenden Ursprung dürfen wir das Personale nennen. Wir verstehen es als den sich selbst gehörenden und aus sich selbst anfangen könnenden Anfang. Das so verstandene Personale ist das der Liebe zutiefst Konnaturale, das eigentlich Liebenswerte.“ Welte, Phänomenologie der Liebe, S. 79 f.

241 Rahner, K.: Von der Not und dem Segen des Gebets, 6. Auflage 1964, S. 38.

242 Greisch, J.: „Mit Leib und Seele. Prolegomena zu einer Hermeneutik des Betens, in: Dalferth, I. U./Peng-Keller, S. (Hg.): Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Hermeneutik des Gebets, Freiburg 2016, S. 108–137, hier S. 121.

243 Chrétien, J.-L.: Das verwundete Wort – Phänomenologie des Gebets, in: Dalferth, I. U. /Peng-Keller, S. (Hg.): Beten als verleiblichtes Verstehen. Neue Zugänge zu einer Phänomenologie des Gebets, Freiburg 2016, S. 50–82, hier S. 51.

244 ESGA 11/12, S. 372.

245 Conrad-Martius, H.: Meine Freundin Edith Stein, in: Herbstrith, W.: Ein Lebensbild in Zeugnissen und Selbstzeugnissen, Mainz 1993, S. 87–101, hier S. 87.

246 Wittgenstein, L.: Zettel, Oxford 1967, S. 124.

247 Vgl. Müller, L.: Das Schöne im Denken des Thomas von Aquin, in: ThPh 57 (1982) 413–424, besonders S. 422 ff. Müller weist auf die Ausführungen des Aquinaten in der Summa Theologiae I, 39 a. 8 c hin, wo drei Merkmale von Schönheit bestimmt werden: „‚Denn zur Schönheit wird dreierlei gefordert: zuerst nämlich Unversehrheit oder Vollkommenheit – was nämlich gemindert ist, ist dadurch schon entstellt (turpe) – und geforderte Proportionen oder Übereinstimmung (consonantia) und wiederum Klarheit. Daher sagt man von dem, das eine glänzende Farbe hat, daß es schön sei.‘ Wenn man von diesem Text ausgeht, müssen drei Begriffs-Elemente der Schönheit genannt werden: perfectio, proportio und claritas.“ (ebd. S. 415).

248 Vgl. dazu die Ausführungen Edith Steins zu den Transzendentalien in „Endliches und ewiges Sein“ (ESGA 11/12, S. 239–279). In diesem Rahmen formuliert sie Überlegungen zur „künstlerischen Wahrheit“ (ebd. S. 260–264) sowie zu „Schönheit als transzendentale Bestimmung“ (ebd. S. 275–279).

249 Vgl. zum Phänomen des Berührtwerdens von begegnender Wirklichkeit mit der Qualität des Staunens Verweyen, H.: Mensch sein neu buchstabieren. Vom Nutzen der philosophischen und historischen Krititk für den Glauben, Regensburg 2016, S. 26–32, hier S. 28: „Im Erstaunen bricht das Staunenswerte in meine bereits geordnete und zur Verfügung vorbereitete Welt ein und bringt mich selbst in Verwirrung. Dann muss ich dem Objekt der Bewunderung möglichst rasch einen festen Platz in meinem System des Umgangs mit anderem zuweisen, um dadurch wieder ‚zu mir selbst‘ zu kommen. Aus dem Erstaunen kann aber auch ein Staunen werden, dann nämlich, wenn das völlig Unerwartete mein gesamtes aus Intentionen und Kategorien gewobenes Netz, das ich über die mir als wirklich erscheinende Welt werfe, zerreißt und damit auch meine subjektiven Selbstverständlichkeiten durcheinanderwirbelt.“

250 Vgl. zum komplexen Geschehen des Aufmerksamwerdens und dessen verschiedenen Verlaufsformen und modalen Erscheinungen die phänomenologische Untersuchung von Waldenfels, B.: Phänomenologie der Aufmerksamkeit, 3. Auflage, Frankfurt 2015.

251 Vgl. dazu Hoffmann, V.: Ambivalenz des Gebens. Das Phänomen der Gabe aus philosophischer und theologischer Perspektive, in: HerKorr 63 (2009) S. 304–308.

252 Vgl. dazu die Studie von Kuhr, I.: Gabe und Gestalt – Theologische Phänomenologie bei Hans Urs von Balthasar, Regensburg 2012.

253 Vgl. zum Gebet als Freiheitsgeschehen und Stellungnahme des Menschen gegenüber dem Grund seiner Freiheit Haeffner, G.: Die Philosophie vor dem Phänomen des Gebets, in: ThPh 57 (1982) S. 526–549.

254 Vgl. zum Verhältnis von Freiheit und Gnade Greshake, G.: Geschenkte Freiheit. Einführung in die Gnadenlehre, Freiburg 1977, S. 106–122, sowie Schockenhoff, E.: Theologie der Freiheit, Freiburg 2007, S. 248–331, besonders S. 319–330.

255 Haeffner führt zu dieser betend gemachten Grund-Erfahrung aus, dass „das Gebet einen Sinn in sich selbst hat. Denn in ihm wird die Beziehung des Menschen zu seinem Ursprung und Ziel ausdrücklich als Beziehung zu einem Du offenbar, nur in ihm wird dieser Ursprung als Person offenbar und angesprochen. Eine solche relationale Beziehung ist nicht relativ, sie ist nicht bloß Mittel für etwas anderes. Das wäre eine Herabwürdigung. Sie ist Selbst-Zweck.“ (Haeffner, Die Philosophie, S. 549). Vom Gebet gilt daher: „Es kommt nicht aus Zwang, es kommt aus einer Armut und Fülle, die wir in uns tragen und die auf keine unserer weltlichen Beziehungen eingeschränkt ist. […] Über alle Notwendigkeiten, über alle Funktionalitäten hinaus ist das Gebet Feier des zwecklosen Daseins, es ist freie Antwort. In ihr findet der Mensch zu seiner Vollendung, in ihr wird das, was wir Grundhaltung des Gebetes genannt haben, konkret.“ (ebd. S. 549). Vgl. zum Gebet als Vollzug von Freiheit auch Salmann, E.: Neuzeit und Offenbarung. Studien zur trinitarischen Analogik des Christentums, Rom 1986, S. 215–270.

256 Vgl. dazu Ulrich, F.: Gebet als geschöpflicher Grundakt, Einsiedeln 1977, S. 19: „[…] im Sich-Überlassen liegt der über-flüssige, weil nicht haben-wollende Grundakt, der Neubeginn der Freiheit: im Sich-Empfangen das Selbstsein, im Begabtwerden das Fruchtbringen. Dank ist der Grundakt menschlicher Freiheit, die einzig angemessene Form des lebendig sich auszeugenden Befreit-Seins.“ Dieses Geschehen erfordert vom Menschen die Bereitschaft und den Mut zu geistlicher Armut: „Den Grundakt erkennen vermag nur, wer das Ausatmen wagt, die Luft nicht anhält, ins Sterben einwilligt, Leib und Seele läßt, um vom leben-erweckenden Pneuma her neue Zu-kunft zu gewinnen; wer, aus Armut heraus, gerade am Punkt der Leere beruhigt verweilen kann, da die zukommende Gabe ihm nichts Fremdes, keine ausstehende Zukunft, sondern mitten in seiner Armut gegenwärtiges Leben ist.“ (Ebd. S. 23).

257 Vgl. zur religionsphilosophischen Analyse der religiösen Sprache Schaeffler, R.: Religionsphilosophie, Freiburg 2002, besonders S. 145–196, sowie ders.: Kleine Sprachlehre des Gebets, Einsiedeln 1988 und ders.: Das Gebet und das Argument. Zwei Weisen des Sprechens von Gott, Düsseldorf 1989. Schaefflers Gebetsverständnis findet ausführliche Besprechung bei Walser, S.: Beten denken. Studien zur religionsphilosophischen Gebetslehre Richard Schaefflers, Scientia & Religio, Bd. 13, Freiburg 2015. Vgl. zu Schaefflers sprachphilosophischen Überlegungen zu seiner Verschränkung von transzendentalen und sprachanalytischen Methoden zur Reformulierung von Sprachspieltheorien Wüst-Lückl, U.: Impulse und Anregungen für eine Theologie des Gebetes. Über die Bedeutung sprachphilosophischer Betrachtungen, in: Schmidt, T. M./Wiedenhofer, S. (Hg.): Religiöse Erfahrung. Richard Schaefflers Beitrag zur Religionsphilosophie und Theologie, Freiburg 2010, S. 242–258. Das Gebet als Sprachgeschehen formuliert auch Pesch, O. H.: Sprechender Glaube. Entwurf einer Theologie des Gebetes, Mainz, 1970.

258 Vgl. zu gebetstheologischen Überlegungen, die betont auf die Köperlichkeit statt auf Worthaftigkeit abstellen, dabei allerdings das Sprachgeschehen auf Nonverbalität einzuengen drohen, Hoff, J.: Spiritualität und Sprachverlust. Theologie nach Foucault und Derrida, Paderborn 1999.

259 Die leibliche Verfasstheit des Betens und den responsiven Charakter dieses religiösen Vollzugs beschreibt Jean-Louis Chrétien. Vgl. dazu Braunschweig, M. U.: Was uns das Gebet lehrt – Jean-Louis Chrétiens Phänomenologie des Gebets als Beitrag zu einer Hermeneutik des Gebets als leibliches Verstehen, in: Hermeneutische Blätter 2014/2, S. 160–172, besonders S. 163 ff.

260 Schärtel, T.: Artikel „Gestalt“, in: Franz, A./Baum, W./ Kreuzer, K. (Hg.): Lexikon philosophischer Grundbegriffe der Theologie, Freiburg 2003, S. 169–171, hier S. 169.

261 Ebd. S. 169. Gestalt zeichnet sich in ästhetischer Perspektive durch acht Merkmale aus, in denen sich die Eigenart dieser Erkenntnisweise spiegeln. Darin wird der besondere Bezug zwischen Subjekt und Objekt erkennbar, der in der Gestaltwahrnehmung gegeben ist: „In ontologischer und erkenntnistheoretischer Hinsicht deutet die Rede von G. a) die Bezugnahme auf eine Ganzheit an, b) deren Eigenschaften nicht einfach aus der Summe der Teile abgeleitet werden können […] und c) deren Wahrnehmung sich ebenfalls als in sich vollständige, nicht in Teilwahrnehmungen zerlegbare Operation darstellt, die d) – sofern es um das Gewahrwerden der G. gerade in ästhetischer Hinsicht, d. h. mit Bezug auf das Schöne geht – ebenfalls eine spezifische epistemische Signatur hat. […] e) Andererseits schließt die Betonung des Form-Elements, das mit der Rede von G. mitgesetzt wird, eine begriffliche Bestimmung des als Gestalt Wahrgenommenen durchaus ein, f) geht aber über die herkömmlichen Operationen der begrifflichen Bestimmung eines Gegenstandes im Vollziehen des Erkenntnisaktes hinaus, weil die in die Perspektive des Schönen vollzogene Wahrnehmung von G. nicht den Status einer (für den Prozess wissenschaftlicher oder lebensweltlicher Orientierung unentbehrlichen) Gegenstandserkenntnis hat. g) Vielmehr wird die Gegenstandsdistanz des Subjekts im Rekurs auf die im Akt der G.-Wahrnehmung erfahrbare Besonderheit seines Welt- und Gegenstandsbezuges sowohl wachgerufen als auch überbrückt, h) insofern als die wahrgenommene G. Eigenschaftszuschreibungen, die gewöhnlich dem Subjekt vorbehalten sind, spiegelt.“ Schärtel, Gestalt, S. 169–171.

262 Vgl. zum Ganzen des Gestaltbegriffes im Rahmen der Erkenntnislehre und Theologie Manz, U.: Das Wesen der Gestalt. Ein Beitrag zur theologischen Erkenntnislehre, München 1990.

263 Vgl. zum Ort seiner Gestaltüberlegungen im Rahmen seiner Philosophie Henrici, P.: Zur Philosophie Hans Urs von Balthasars, in: Lehmann, K/Kasper, W. (Hg): Hans Urs von Balthasar – Gestalt und Werk, Köln 1989, S. 237–260, besonders S.243 ff.

264 Guido Sommavilla SJ weist auf eine Bibliographie von 1980 hin, der zufolge Balthasar bereits damals „siebzig Bücher (sowie 358 Artikel, 79 Beiträge zu verschiedenen Autoren, 79 große und kleine Übersetzungen, 115 Vor- und Nachworte und 85 Rezensionen) geschrieben und veröffentlicht hatte.“ Sommavilla, G.: Opfer und Stellvertretung. Erinnerungen eines Übersetzers, in: Lehmann, K./Kasper, W. (Hg.): Hans Urs von Balthasar. Gestalt und Werk, Mainz 1989, S. 277–284, hier S. 277.

265 Vgl. dazu Henrici, P.: Artikel „Balthasar, Hans Urs v.“, in: LThK, 3. Auflage, Freiburg 1993, Bd. 1, Sp. 1375–1378, hier Sp. 1376–1377.

266 Vgl. zum Gestaltbegriff als ästhetischer Grundkategorie der Theologie Balthasars Wedler, E.-M.: Splendor caritatis. Ein ökumenisches Gespräch mit Hans Urs von Balthasar zur Theologie der Moderne, Erfurter Theologische Studien, Bd. 94, Würzburg 2009, S. 119–165, besonders 136 ff.

267 Tück, J.-H.: Zur bleibenden Aktualität Hans Urs von Balthasars. Drama zwischen Gott und Mensch, in: HerKorr 59 (2005) S. 389–393, hier S. 390.

268 Balthasar, H. U. v.: Unser Auftrag. Bericht und Weisung. Einführung in die von Adrienne von Speyer gegründete Johannesgemeinschaft, 2. Auflage, Einsiedeln 2004, S. 32.

269 Dank des Preisträgers an der Verleihung des Wolfgang Amadeus Mozart-Preises am 22. Mai 1987 in Innsbruck, in: Guerriero, E.: Hans Urs von Balthasar – Eine Monographie, Freiburg 1993, S. 419–424, hier 420 f.

270 Vgl. zur Bedeutung Goethes für Balthasar Legnowski, P.: Die „letzte säkulare Verwirklichung der Herrlichkeit“. Zur Goetherezeption Hans Urs von Balthasars, in: Kapser, W. (Hg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes. Hans Urs von Balthasar im Gespräch, Mainz 2006, S. 134–145.

271 Vgl. dazu Kuhr, I.: Gabe und Gestalt – Theologische Phänomenologie bei Hans Urs von Balthasar, Regensburg 2012, S. 16.

272 Baltharar, H. U.: Geist und Feuer. Interview mit Michael Albus, in: HerKorr 30 (1976) 72–82, hier 75 f.

273 Vgl. Urban, B.: Edith Stein und die Literatur. Lektüren, Rezeptionen, Wirkungen, Stuttgart 2010, S. 39–52. Urban illustriert, wie Edith Stein schon früh mit Goethe in Kontakt kam, als ihr ältester Bruder ihr Vorträge über Schiller und Goethe hielt (ESGA 1, S. 377). Anschließend begegnete sie den Schriften Goethes in der Zeit auf dem Gymnasium und während des Germanistikstudiums (ESGA 1, S. 112, 132, 138, 145, 195 f., 258, 231, 236). In ihrer Vorlesung zur philosophischen Anthropologie „Der Aufbau der menschlichen Person“ von 1932/33 (ESGA 14) wird Goethes Faust zum Thema und seine Übersetzung des Johannesprologs, (vgl. Urban, Edith Stein, S. 38). Einen Vortrag widmet Stein dem Thema „Natur und Übernatur in Goethes Faust“ (ESGA 16, S. 157–168). Die Gestalt der Iphigenie bei Goethe wird von Edith Stein eigens aufgegriffen im Vortrag „Christliches Frauenleben“ von 1932 (ESGA 13, S. 79–114). Iphigenie komme ein „besonderer Symbolwert zu“ (ESGA 13, S. 81), und sie konfrontiere damit, „zu prüfen, welches die bildenden Kräfte sind, durch die eine Frauenseele zu dem Sein geführt werden kann, für das sie bestimmt ist“ (ebd. S. 88). Bernd Urban stellt zusammenfassend fest: „Der Rückblick zeigt: Herder (für die Dissertation), Lessing (‚Spezialgebiet‘ für das Staatsexamen), Schiller (für Gedankenwelt und ‚Weltanschauung‘) waren wohlbekannt, Goethe aber ist der Eckstein zwischen Husserl und Thomas von Aquin, die die längeren Seiten im Dreieck bilden.“ (Urban, Edith Stein, S. 53).

274 Vgl. z.B. ESGA 11–12, S. 215 ff. zum Thema ‚Pflanzenseele‘. Naturphilosophische Betrachtungen finden sich auch in der Vorlesung „Der Aufbau der menschlichen Person“ (ESGA 14). Dort spricht sie vom „Eigenwesen der Pflanzen“ (ebd. S. 39).

275 Auf Hedwig Conrad-Martius kommt Edith Stein im Vorwort von „Endliches und ewiges Sein“ eigens zu sprechen, vgl. ESGA 11/12, S. 7. Edith Stein zitiert in dieser Studie Conrad-Martius mehrfach, vgl. etwa ebd. S. 42 Fußnote 10, sowie S. 60 Fußnote 54, S. 100 Fußnote 89.

276 „Im theologischen Kontext kann der G.-Begriff dazu dienen, das Spezifikum einer religiösen Erfahrung (die den Status des Gewahrwerdens einer Offenbarung hat) in Anlehnung an eine ästhetische und in Abgrenzung von einer empirischen Erfahrung zu bestimmen. Zudem ist mit dem Schauen einer G. – wie dies in beeindruckender Weise H. U. v. Balthasar unterstreicht – eine Kategorie formuliert, die ihrerseits zwischen Wissen und Glauben vermittelt, insofern dieses Gewahrwerden Evidenz vermittelt, ohne dabei die freie Zustimmung des Subjekts zum Gehalt dabei in Abrede zu stellen. Zugleich ermöglicht es der in der Ästhetik klar umreißbare Zusammenhang von Gehalt und Gestalt, die geschichtliche Antreffbarkeit der Offenbarung (ihre zeitliche Signatur und ihre Instanzen) als mit ihrem Inhalt aufs engste verbunden zu denken. Balthasar bettet diese verschiedenen Vermittlungsfunktionen in einen allgemeinen, philosophisch plausibilisierbaren Zusammenhang von Wahrheit und Schönheit ein (vgl. Herrlichkeit I, bes. 110–120. 134–148).“ Schärtel, Gestalt, S. 171.

277 Henrici, Balthasar, Sp. 1376.

278 Ebd. Zum hermeneutischen Anliegen seiner die Inkarnation des ewigen Wortes auslegenden phänomenologischen Methode Balthasars und zur Verhältnisbstimmung von Theologie und Philosophie vgl. Greisch, J.: Eine phänomenologische Wende der Theologie?, in: Kasper, W. (Hg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes. Hans Urs von Balthasar im Gespräch, Mainz 2006, S. 386–401.

279 Balthasar, H. U.v.: Herrlichkeit. Eine Theologische Ästhetik. Band III, 1. Im Raum der Metaphysik, Teil I: Altertum, 3. Auflage, Einsiedeln 2009, S. 29–39.

280 Ebd. S. 30.

281 Ebd. S. 32.

282 Ebd.

283 Balthasar, H. U.v.: Glaubhaft ist nur Liebe, 6. Auflage, Einsiedeln 2000, S. 33 f.

284 Vgl. dazu Marion, J.-L.: Das „Phänomen Christi“ nach H. U. von Balthasar, in: Striet, M./Tück, J.-H. (Hg.): Die Kunst Gottes verstehen. Hans Urs von Balthasars theologische Provokationen, Freiburg 2005, S. 49–53 sowie Löser, W.: Kleine Hinführung zu Hans Urs von Balthasar, Freiburg 2005, besonders S. 102–117.

285 Vgl. zur Integration als Modell des Zueinanders von Theologie und Philosophie Zaborowski, H.: Katholische Integration. Zum Verhältnis von Philosophie und Theologie bei Hans Urs von Balthasar, in: Striet, M./Tück, J.-H. (Hg.): Die Kunst Gottes verstehen. Hans Urs von Balthasars theologische Provokationen, Freiburg 2005, S. 28–48, besonders S. 30 ff.

286 Menke, K.-H.: Trotz dieser Polemik: Worauf es von Balthasar ankommt. in: Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Bonn (Hg.): Wenn das Salz dumm wird. 100 Jahre Hans Urs von Balthasar und noch immer nicht genug?, Bonn 2006, S. 29–38, hier S. 34. 5

287 Balthasar, H. U. v.: Christlicher Stand, Einsiedeln 1981, S. 149.

288 O’Donnell, J.: Alles Sein ist Liebe: Eine Skizze der Theologie Hans Urs von Balthasars. in: Lehmann, K./Kasper, W. (Hg.): Hans Urs von Balthasar. Gestalt und Werk, Mainz 1989, S. 260–276, hier S. 263.

289 „Balthasar entfaltet eine ‚trinitarische Sendungstheologie‘ in der Trilogie (Ästhetik, Dramatik, Logik) seiner letzten Schaffensperiode (1961–1987). Anders als herkömmliche Entwürfe der systematischen Theologie lässt dieser Entwurf aus verschiedenen Perspektiven immer wieder das gleiche id, quod maius cogitare nequit aufleuchten. B.s darstellend-deutende Methode führt hier zu einer ‚relecture‘ der ganzen Theologie. Zentral und am zugänglichsten ist die zuerst geplante Theodramatik (5 Bde.; 1973–1983), die anhand des literar. Paradigmas ‚Welttheater‘ das Drama zw. göttlicher und menschlicher Freiheit bis z. eschatolog. ‚Endspiel‘ darstellt. Vorbereitend hatte Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik (7 Bde, 1961–1969) das Aufleuchten (u. die Vergessenheit) der Theologie-Gesch., der Metaphysik-Gesch. und der bibl. Gesch. sichtbar gemacht. Abschließend rechtfertigen Theologik (3 Bde, 1985–1987) u. ein Epilog (1987) das zugrunde liegende Offenbarungsverständnis philosophisch u. theologisch, während Glaubhaft ist nur Liebe (1985) seine Grundeinsicht bereits progammatisch vorgestellt hatte.“ Henrici, Balthasar, S. 1377.

290 Vgl. Balthasars fundamentaltheologischem Ansatz Verweyen, H.: Die Bedeutung Hans Urs von Balthasars für die Erneuerung der Fundamentaltheologie, in: Kasper, W. (Hg.): Logik der Liebe und Herrlichkeit Gottes. Hans Urs von Balthasar im Gespräch, Mainz 2006, S. 386–401.

291 Balthasar, H. U. v.: Herrlichkeit. Eine theologische Ästhetik. Band I. Schau der Gestalt, 3. Auflage, Einsiedeln 1988, S. 118.

292 O’Donnell, Alles Sein ist Liebe, S. 262–263.

293 Menke, Trotz dieser Polemik, S. 29.

294 Kuhr, Gestalt und Gabe, S. 16.

295 Tourenne, Y.: Im Einsatz Gottes leben für die Welt. Die Gestalt der Kirche bei Hans Urs von Balthasar. Ausfaltung und Einfaltung, in: Hans Urs von Balthasar-Stiftung (Hg.): „Wer ist die Kirche?“. Die Referate am Symposion zum 10. Todesjahr von Hans Urs von Balthasar, 16.–18. September 1998 in Freiburg (Schweiz), S. 151–186.

296 Vgl. dazu Menke, K.-H.: Einziger Erlöser aller Menschen? Die Heilsuniversalität Christi und der Kirche bei Hans Urs von Balthasar, in: Striet, M./Tück, J.-H. (Hg.): Die Kunst Gottes verstehen. Hans Urs von Balthasars theologische Provoktationen, Freiburg 2005, S. 146–180.

297 Menke, Trotz dieser Polemik, S. 35.

298 Menke, Trotz dieser Polemik, S. 29–38, hier S. 35.

299 Balthasar, H. U.v.: Sponsa verbi. Skizzen zur Theologie II, dritte unveränderte Auflage, Einsiedeln 1971, S. 22.

300 Vgl. zur Ekklesiologie Balthasars Ackermann, S.: Schale und Kern. Der ekklesiologische Beitrag Hans Urs von Balthasars zur Diskussion um Strukturreformen in der Kirche, in: Striet, M./Tück, J.-H. (Hg.): Die Kunst Gottes verstehen. Hans Urs von Balthasars theologische Provokationen, Freiburg 2005, S. 280–297.

301 Balthasar, Sponsa verbi, S. 22.

302 Balthasar, Herrlichkeit, Bd. 1, Schau der Gestalt, S. 445.

303 Henrici, P.: Zur Philosophie Hans Urs von Balthasars. in: Lehmann, K./Kasper, W. (Hg.): Hans Urs von Balthasar. Gestalt und Werk, Mainz 1989, S. 237–259, hier S. 258–259.

304 Vgl. dazu Henrici, Zur Philosophie Hans Urs von Balthasars, S. 258 f.

305 Vgl. ESGA 11–12, besonders S. 303–393 unter dem Titel „Das Abbild der Dreifaltigkeit in der Schöpfung“.

306 Balthasar, H. U. v.: Das betrachtende Gebet, Einsiedeln 1965, S. 46.

307 Ebd. S. 51.

308 Balthasar, H. U. v.: Beten. Eine Grundlegung, Freiburg 1989, S. 4.

309 Ebd. S. 11.

310 Balthasar, Das betrachtende Gebet, S. 159.

311 Ebd.

312 Eine Sichtung der Einseitigkeiten und konzeptioneller Schwächen der balthasarschen Theologie, die im Gesamt seines gleichermaßen gelehrten wie innovativen verdienstvollen Ansatzes ins Auge fallen, findet sich bei Dupré, L.: Hans Urs von Balthasars Theology of Aesthetic Form, in: Theological Studies 49 (1988), S. 299–318. Vgl. dazu auch Striet, M.: Wahrnehmung der Offenbarungsgestalt. Annäherungen an die Ästhetik Hans Urs von Balthasars, in: Ders./Tück, J.-H. (Hg.): Die Kunst Gottes verstehen. Hans Urs von Balthasars theologische Provokationen, Freiburg 2005, S. 54–81.

313 Vgl. Balthasar, H. U.v., Das betrachtenden Gebet, S. 51 f.

314 Metz, Landschaft aus Schreien, S. 82.

315 Metz, Landschaft aus Schreien, S. 94.

316 Metz, J. B.: Glaube in Geschichte und Gesellschaft. Studien zu einer praktischen Fundamentaltheologie, Mainz 1992, S. 15 f.

317 Vgl. dazu Zechmeister, M.: Karsamstag. Zu einer Theologie des Gott-Vermissens, in: Reikerstorfer, J.: Vom Wagnis der Nichtidentität. Johann Baptist Metz zu Ehren, Münster 1998, S. 50–78, hier S. 63.

318 Metz, Landschaft aus Schreien, S. 94.

319 Ebd.

320 Balthasar, H. U. v.: Theodramatik, Bd. IV: Das Endspiel, Einsiedeln 1983, S. 252.

321 Zechmeister, Karsamstag, S. 57.

322 Balthasar, H. U. v.: Theodramatik, Bd. III: Die Handlung, Einsiedeln 1980, S. 310.

323 Krenski, T. R.: Passio Caritatis. Trinitarische Passiologie im Werk Hans Urs von Balthasars, Einsiedeln 1990, S. 318.

324 Vgl. dazu Zechmeister, Karsamstag S. 57, mit Bezug auf Balthasar, Theodramatik IV, S. 87.

325 Balthasar, H. U. v.: Pneuma und Institution. Skizzen zur Theologie V, Einsiedeln 1974, S. 399.

326 Vgl. zur nachstehend dargelegten Haltung von Metz seinen Beitrag „Theodizeeempfindliche Gottesrede“, in: Metz, J. B.: „Landschaft aus Schreien“. Zur Dramatik der Theodizeefrage, Mainz 1995, S. 81–102.

327 Vgl. ebd. S. 84.

328 Zechmeister, Karsamstag, S. 77.

329 Dienberg, Ihre Tränen sind wie Gebete, S. 419.

330 Raschke, R.: Artikel „Existenz“, in: Edith Stein-Lexikon, herausgegeben von Marcus Knaup und Harald Seubert unter Mitwirkung von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz, Martin Hähnel und René Raschke, Freiburg 2017, S. 117–119, hier S. 118.

331 Ebd. S. 119.

332 Vgl. dazu Schuster/Boschert-Kimmig, Trotzdem hoffen, S. 17 sowie die Ausführungen zu Metz im Abschnitt 3.2.2. dieser Studie.

333 Kehl, M.: Die Kirche. Eine katholische Ekklesiologie, Würzburg 1993, S. 63–102.

334 Zur näheren Bestimmung des Begriffs vgl. die Ausführungen im folgenden Abschnitt meiner Studie.

335 Vgl. dazu Gerl-Falkovitz, H.-B.: Unerbittliches Licht. Versuche zur Philosophie und Mystik Edith Steins, Dresden 2015, S. 41–49 „Die Sozialphilosophie Edith Steins“.

336 Vgl. Edith Stein Gesamtausgabe Bd 7. Edith Stein. Eine Untersuchung über den Staat. Einleitung, Bearbeitung und Anmerkungen von I. Riedel-Spangenberger, Freiburg 2006.

337 Schmid, M.: „Wer zu mir kommt, den möchte ich zu ihm führen“. Edith Stein eine bedeutende Pädagogin?, in: Christliche Innerlichkeit 22 (1987) S. 150–155, hier S. 155.

338 Dass Edith Stein von einer universalen Bedeutung der Gestalt Jesu Christi und mit ihr verbunden der Kirche für die ganze Schöpfung ausgeht, das zeigt ihre Rezension zu Band 25 der Deutschen-Thomas-Ausgabe. Dort stellt sie diesen Gesichtspunkt eigens heraus: „Im ewigen Wort des Vaters ist der Schöpfungsplan ausgesprochen, die Schöpfung setzt ihn ins Werk. Sollte es nicht im ewigen Ratschluß beschlossen gewesen sein, sie durch die Krönung mit dem gottmenschlichen Haupt zu vollenden und den mystischen Leib Christi als den sichtbaren Tempel des dreifaltigen Gottes zu erbauen, damit sich der Reichtum des dreifaltigen Gottes darein ergieße?“. Stein, E.: Rezension zu Bd. 25 der Deutschen-Thomas-Ausgabe, in: Edith Stein Gesamtausgabe Bd. 27. Miscellanea thomistica. Übersetzungen – Abbreviationen – Exzerpte aus Werken des Thomas von Aquin und der Forschungsliteratur. Herausgegeben von Andreas Speer und Francesco Valerio Tommasi unter Mitwirkung von Mareike Hauer und Stephan Regh, Freiburg 2013, S. 213–215, hier S. 214.

339 Im Zusammenhang eines Vortrags am 5. 1. 1933 in Berlin zu Fragen der Jugendbildung kommt Edith Stein auf den Menschen und seine Lebensaufgabe zu sprechen. Was sie vorträgt, lässt ekklesiologische Grundpositionen erkennen: „Gott zu finden, mit ihm in Liebe vereint zu sein, von ihm geleitet in dieser Welt zu wirken, das ist das Ziel, zu dem er in diesem Leben geformt werden soll. Was er selbst und was andere dazu beitragen, das kann nur wirksam sein, sofern es in die Bildungsarbeit eingestellt ist, die Gott selbst am Menschen vollbringt. Das geschieht in der Kirche, die der mystische Christus, der sichtbar in dieser Welt fortlebende Christus ist. Seine Glieder und Organe sind alle Gläubigen, die aus dem Glauben leben.“ Stein, E.: Jugendbildung im Lichte des katholischen Glaubens. Bedeutung des Glaubens und der Glaubenswahrheiten für Bildungsidee und Bildungsarbeit, in: Edith Stein Gesamtausgabe Bd. 16. Edith Stein. Bildung und Entfaltung der Individualität. Beiträge zum christlichen Erziehungsauftrag. Einleitung von B. Beckmann-Zöller, bearbeitet von M. A. Neyer, und B. Beckmann-Zöller, Freiburg 2001, S. 71–90, hier S. 88.

340 ESGA 3, S. 285.

341 Vgl. A. Guggenberger: Artikel „Existenz“, in: Fries, H. (Hg.): Handbuch theologischer Grundbegriffe, Bd. 1, München 1962, S. 368–375; Oeing-Hanhoff, L.: Artikel „Existenz“, in: LThK, 2. Auflage, Freiburg 1959, Band 3, Sp. 1306–1308, sowie Runggaldier, E.: Artikel „Existenz“, in: LThK, 3. Auflage, Freiburg 1995, Band 3, Sp. 1116 f.

342 Vgl. dazu besonders Guggenberger, Artikel „Existenz“, S. 368–372.

343 Ebd. S. 368.

344 Runggaldier, Artikel „Existenz“, Sp. 1116.

345 Runggaldier, Artikel „Existenz“, Sp 1117.

346 Halder, A.: Artikel „Existenzphilosophie“, in: LThK, 3. Auflage, Freiburg 1995, Band 3, Sp. 1117–1119, hier Sp. 1117.

347 Halder, Artikel „Existenzphilosophie“, Sp. 1117.

348 „Auch bei K. Jaspers ist der Mensch v. vornherein verwiesen über sich hinaus, freilich so, dass der Vollzug dieser Verwiesenheit stets scheitern muss, in den Grenzsituationen (Leiden, Schuld, Tod) der Transzendenz zwar inne wird, aber nie unmittelbar in ihre Ggw. zu kommen vermag, da sie nur mit Chiffren zu bezeichnen ist, die der philos. Glaube stets in der Schwebe belässt.“ Halder, Artikel „Existenzphilosopie“, Sp. 1118.

349 „Für G. Marcel ist die konkret-leibl. Existenz des Menschen, der sich in seinem Selbstverhältnis nie restlos verobjektivieren und in den Besitz bringen kann, eingelassen in das Geheimnis des Seins, in dem Gott sich verbirgt, u. dieses Grundverhältnis ist damit geprägt durch Glauben, Vertrauen, Hoffnung.“ Halder, Artikel „Existenzphilosophie“, Sp. 1118.

350 Vgl. dazu die Ausführungen zur Gebetstheologie Bernhard Weltes im Abschnitt 2.1.2.1 dieser Studie.

351 Guggenberger, Artikel „Existenz“, S. 373.

352 Ebd.

Beten bei Edith Stein als Gestalt kirchlicher Existenz

Подняться наверх