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Vom „Gottesgeschenk“ zum „Sonnenkönig

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Uwe Schultz

„Gottesgeschenk“ hatten die Franzosen den spät geborenen Sohn Ludwigs XIII. genannt. Die eigene Herrschaftsvision des Thronfolgers entwickelte sich im Schatten der langen Regentschaft durch seine Mutter und den mächtigen Ersten Minister Mazarin: Ludwig XIV. wollte sich als ruhmreicher „Sonnenkönig“ profilieren.

Spät in der Nacht des 5. Dezember 1637 war Ludwig XIII. fast wider Willen in den Louvre gekommen, vom Oberst seiner Garden dazu überredet, sich endlich ein weiteres Mal seiner Gemahlin zuzuwenden. Mit Anna von Österreich war der König seit 22 Jahren verheiratet, und deren drei Fehlgeburten, die letzte im Jahr 1623, zudem durch ihren Leichtsinn herbeigeführt, hatten die Hoffnung auf einen Thronfolger, einen Dauphin, immer tiefer sinken lassen. Bei Kinderlosigkeit würde die Krone an seinen Bruder Gaston d’Orléans fallen. Kardinal Richelieu, der mächtigste Mann des Königs, hatte diesen permanent in politische Ränke verstrickten Unruhestifter immer wieder in seine Schranken weisen müssen – nur wegen seines königlichen Blutes durfte er ihn nicht hinrichten lassen.

Das politische Interesse Ludwigs XIII., als er seine Kissen ins Schlafgemach seiner Gemahlin tragen ließ, stand außer Frage. Aber auch die politische Ambition Annas von Österreich spielte eine entscheidende Rolle. Denn sollte sie der jungen Bourbonen-Dynastie keinen Erben gebären, musste sie ihre Rücksendung nach Spanien und danach ihr Verschwinden in einem Kloster fürchten. Im Morgengrauen verließ Ludwig XIII. das gemeinsame Nachtlager – er hatte seine königlichen Pflichten erfüllt. Als neun Monate später der Nachfolger geboren wurde, sprachen die Zeitgenossen, die schon nicht mehr auf den Dauphin zu hoffen gewagt hatten, von einem „Geschenk Gottes“ und gaben dem am 5. September 1638 geborenen Kind den Namen „Le Dieudonné“ (der Gottgegebene).

Ludwig XIII. wusste, dass sein Leben – er war an Tuberkulose erkrankt – sich schnell dem Ende näherte. Der Vater von zwei späten Kindern – 1640 wurde Philippe d’Orléans geboren – starb bereits 1643 – nur ein knappes halbes Jahr nach seinem mächtigen Minister Richelieu. Anna von Österreich, die an seiner Seite im Schloss Saint-Germain-en-Laye auf seinen Tod gewartet hatte, gewann damit ihre persönliche und politische Freiheit zurück, denn Ludwig XIII. hatte ihre Rolle fast völlig auf die einer Gefangenen verringert. Er hatte sie – übrigens zu Recht – der vielfältigen Konspiration mit Spanien verdächtigt. Nun eilte sie bereits am Morgen nach seinem Tod nach Paris, um ihren Rang als Regentin zu sichern. Dazu bedurfte es der Zustimmung des Pariser Parlaments, vor dem der fünfjährige König sich mit der Formel begnügte: „Ich bin hierher gekommen, um dem Parlament meinen guten Willen zu bezeugen; der Kanzler wird das Übrige sagen.“


Ludwig XIII. (1610–1643), bekränzt von der Göttin Victoria. So malte Philippe de Champaigne den Monarchen nach der siegreichen Belagerung der Hugenotten-Festung La Rochelle (1628). Mit der Berufung Kardinal Richelieus zum Ersten Minister stärkte Ludwig die Zentralgewalt – ein erster Schritt auf dem Weg zum Absolutismus.

Die wahre Macht bleibt in den Händen von Mutter und Erstem Minister

Diese Zeremonie der Machtübergabe an den jungen König und deren Weitergabe an seine Mutter vollzog sich bereits vier Tage nach dem Tod Ludwigs XIII. Frankreich stand seit 1635 in einem langen, das Land belastenden Krieg gegen Spanien, und allseits war die Vermutung, dass die sich als Spanierin fühlende Königin, die stets gegen den von Richelieu und Ludwig XIII. hartnäckig betriebenen Krieg gekämpft hatte, nun Frieden mit ihrem Heimatland schließen würde.

Die Überraschung war groß, denn gleichsam über Nacht wandelte sich Anna von Österreich zur reinen Französin und zur Verfechterin von ausschließlich Frankreichs Machtinteressen. Noch größer war die Überraschung, als sie nicht einen französischen Hochadligen, mit denen sie wiederholt konspiriert hatte, zum Ersten Minister berief, sondern den Italiener Giulio Mazarini. Schon Richelieu hatte diesen begünstigt, als „Jules Mazarin“ zum Franzosen naturalisiert und durch seinen Einfluss in Rom auch zum Kardinal ernennen lassen – der Krieg gegen Spanien ging weiter.

Durch die Ernennung Mazarins zum die Geschicke des Landes bestimmenden Minister zog sich die Regentin den Zorn des Hochadels zu, der sich von der Macht ausgeschlossen sah. Die innenpolitische Front ihrer Gegner, die sich langsam zur „Fronde“ formierte, reichte bis zum Kardinal de Retz (eigentlich Jean-François Paul de Gondi) – einem machtbewussten Kirchenfürsten mit den Gelüsten eines Lebemannes, der seinen Gegner Mazarin so charakterisierte: „Er hält alles für Schande, was ein anderer als Ehre betrachtete. Er machte sich über die Religion lustig. Er versprach alles, weil er nichts zu halten entschlossen war. Er war weder sanft noch grausam, weil er sich weder der Wohltaten noch der Beleidigungen erinnerte. Er sah das Übel gut voraus, weil er sich oft fürchtete … Er besaß Geist, arbeitete mit Anspielungen, zeigte stets Heiterkeit, verfügte über Manieren.“

Anna von Österreich ernannte Mazarin 1645 auch zum „Superintendanten für die Hofhaltung und die Erziehung des Königs“, denn der junge Ludwig XIV. war mit dem Eintritt in das „Alter der Vernunft“, das mit sieben Jahren als erreicht galt, von der Betreuung durch Frauen in die Erziehung durch Männer übergeben worden. Mazarin war sorgsam bemüht, dem jungen König eine gute Ausbildung zuteilwerden zu lassen. Für die Hofhaltung des Thronfolgers zuständig war Nicolas de Neufville de Villeroy und für den Unterricht Hardouin de Péréfixe de Beaumont – einstiger Kammerherr Richelieus und späterer Erzbischof von Paris. Er war verantwortlich für die Auswahl der weiteren Lehrer – je einer fürs Schreiben, Lesen, Rechnen, für Italienisch und Spanisch sowie das Zeichnen. Hinzu kam die Unterweisung im Gitarrenspiel, auch die Laute zu schlagen erlernte Ludwig. Vor allem aber der Tanzunterricht weckte in ihm die Leidenschaft zum Solotanz – schon mit 13 Jahren gab Ludwig sein Debüt im Ballett „Cassandre“.

Schweigsam, aber mit einem vorzüglichen Gedächtnis ausgestattet

Ludwig XIV. war ein ziemlich normales Kind, mittelgroß, gesund, gut gewachsen, nicht so lebhaft wie sein jüngerer Bruder, zudem bereit zum Gehorsam, weniger geneigt, oft zu lachen; mäßigen, aber wachen Geistes, eher schweigsam und ausgestattet mit einem vorzüglichen Gedächtnis. Das Fluchen gewöhnte ihm Anna von Österreich selbst ab, indem sie die Peitsche bemühte und ihn für zwei Tage einsperren ließ. Während seine Neigung fürs Lesen und Schreiben begrenzt war, bevorzugte er körperliche Übungen und das Leben im Freien.

Auch ein „Lehrmeister der Übungen des Krieges“ fehlte nicht – mit Spielpistolen und kleinen Kupferkanonen hantierend, erzeugte der kindliche König mit seinen Spielgefährten erheblichen Lärm im Palais Royal, so dass der besorgte Mazarin herbeieilte und das Treiben untersagte. Als der Kardinal eines Tages mit großem Gefolge über die Terrasse des Palais Royal schritt, sagte der König hörbar: „Das ist der große Türke.“ Die Herkunft des Satzes, der Mutter und dem Minister zugetragen, gab Ludwig XIV. trotz eindringlicher Befragung nicht preis – die Tugend des Verschweigens, die er sich lebenslang bewahrte, war früh entwickelt.

Als dann 1648 die ersten Unruhen der „Fronde“ ausbrachen, vollzog sich jene abenteuerliche Szene, in der die königliche Familie bei der von Mazarin organisierten Flucht nach Saint-Germain-en-Laye auswich. Dieses Erlebnis wurde zum mentalen Anstoß für Ludwig XIV., später das Zentrum seiner Macht von Paris nach Versailles zu verlegen. Der Horror, in seiner königlichen Person bedrängt und bedroht worden zu sein, sollte ihn als Trauma begleiten. Voll Bitterkeit blickte er in seinen Memoiren zurück auf die Zeit „… von den schrecklichen Unruhen überall im Königreich vor und nach meiner Volljährigkeit, von einem seltsamen Krieg, durch den die inneren Aufstände Frankreich um abertausend Vorteile brachten … und von den Parlamenten, die noch im Besitz einer usurpierten Macht waren und sie missbrauchten“.

So waren Anna von Österreich und Mazarin, die sorgsam über die Sicherheit und Ausbildung des jungen Königs wachten, bestrebt, dessen Autorität stetig zu steigern, und dafür bot das Erreichen der Volljährigkeit den würdigen Anlass – nur zwei Tage nach seinem 13.Geburtstag am 7.September 1651. Die feierliche Zeremonie fand wieder im Pariser Parlament statt, wohin Ludwig XIV. mit seinem Pferd Isabelle selbst geritten kam – sein Gewand ebenso wie die Decke des Pferdes waren übersät mit den Kreuzen des Heilig-Geist-Ordens, der höchsten Auszeichnung Frankreichs, und an goldenen Lilien als Dekoration fehlte es ebenfalls nicht. Feierlich übergab Anna von Österreich die Machtbefugnisse ihrer Regentschaft ihrem Sohn, nicht ohne ihre Genugtuung darüber zum Ausdruck zu bringen, nun von der Last der Regierungsverantwortung befreit zu sein. Doch umgehend antwortete ihr der nun zur Regierung berechtigte junge König: „Madame, ich danke Ihnen für die Sorgfalt, die es Ihnen gefallen hat, auf meine Erziehung und die Regierung meines Königreiches zu verwenden. Ich bitte Sie, damit fortzufahren, mir gute Ratschläge zuteilwerden zu lassen, und ich wünsche, dass Sie nach mir das höchste Mitglied in meinem Rat sind.“


Nach dem Tod Ludwigs XIII. machte die Regentin Anna von Österreich Kardinal Jules Mazarin zum neuen starken Mann. Ähnlich wie sein Vorgänger und Förderer Richelieu zog Mazarin den Hass des Hochadels auf sich (Gemälde von Philippe de Champaigne).


Seit 1648 entlud sich die Unzufriedenheit des französischen Adels, zunehmend von der Macht ausgeschlossen zu sein, in einer Folge von Aufständen, der sogenannten Fronde, die die königliche Familie zur Flucht zwangen. Das zeitgenössische Gemälde zeigt Kämpfe vor den Mauern der Bastille.

Mazarin war bei diesem feierlichen Akt der offiziellen Regierungsübergabe nicht anwesend. Er war nach Brühl bei Köln ausgewichen, eine kaum verhüllte Flucht, und umgehend wurde vom Parlament ein Kopfgeld von 50.000 Talern auf seinen Kopf ausgesetzt. Obgleich die Parlamentsräte des höchsten Gerichtshofes in Paris hochgebildete Persönlichkeiten waren, beschlossen sie, das für Mazarins Ermordung vorgesehene Geld durch Verkauf seiner Bibliothek zu beschaffen – der Hass auf den ausländischen Kanzler schien keine Grenzen zu kennen.

Mazarin, der selbst kein eifriger Leser war, hatte als Sammler nicht weniger als 40.000 wissenschaftliche Bücher von hohem Wert und Bibel-Raritäten in 200 Sprachen in seinem Palais zusammentragen lassen und diese Bibliothek den Wissenschaftlern seiner Epoche zugänglich gemacht. Die wertvollen Werke wurden zu Schleuderpreisen in alle Welt verstreut – eine kundige Käuferin war übrigens die Königin Christina von Schweden, die 1649 den Philosophen René Descartes an ihren Hof gezogen hatte. Auch er war der Fronde ausgewichen und lebte lange in den liberalen Niederlanden.

Seine vorübergehende Flucht lehrte Mazarin nicht zuletzt, für künftige Situationen ähnlicher Art Vorsorge zu treffen. Für den Fall, erneut rasch das Land verlassen zu müssen, bedurfte es eines Vorrats an Gegenständen von geringem Volumen und zugleich hohem Wert, die sich zu Geld machen ließen: Diamanten. Er sammelte sie später in erheblicher Zahl. Es gelang Mazarin listenreich, auch in Brühl mit Anna von Österreich in brieflichem Kontakt zu bleiben und so die Zügel der Regierung Frankreichs in der Hand zu behalten. Dieser verschlüsselte Briefwechsel, dessen Code heute dechiffriert ist, beweist, dass den Kardinal und die Königin eine sexuelle Liebesbeziehung verband.

Eine Hofdame führt den Monarchen in die Kunst der Liebe ein

Da trotz der Volljährigkeit des Königs die Ausübung der Regierungsgeschäfte vorerst weiterhin ohne Einschränkung in den Händen des Kardinals und der Königin verblieb, verfügte Ludwig XIV. für alle Aktivitäten jenseits der Regierung über einen großen Freiraum – und damit nicht zuletzt für die Liebe. Als er 16 Jahre alt war, hatte Anna von Österreich in sein Ausbildungsprogramm auch die diskrete Kunst des Umgangs mit Frauen eingefügt und als seine Lehrerin ihre Erste Kammerfrau Madame de Beauvais ausgewählt. Diese erfüllte ihre pädagogische Aufgabe offensichtlich so zufriedenstellend, dass der stets bestens informierte Kardinal die geschickte und taktvolle Verführerin zum Dank mit einem Palais bedachte. Ludwig XIV. konnte sich fortan als „Mann mit Erfahrung“ betrachten.

Dass er sich auf diesem Terrain alsbald voll entfalten konnte, dafür hatte Mazarin selbst gesorgt – absichtlich oder auch nicht. Er ließ in mehreren Wellen nicht weniger als sieben Nichten und drei Neffen, die Kinder von zwei Schwestern, aus Italien kommen. Noch vor dem Ausbruch der Fronde waren 1647 die Schwestern Laura und Olympe Mancini eingetroffen. Bereits in seinem 16. Lebensjahr wandte sich Ludwig XIV. leidenschaftlich werbend Olympe zu, die schnell zu seiner bevorzugten Tänzerin aufstieg – Anna von Österreich sah es mit besorgtem Auge. Doch Olympe, mit den strengen Liebes- und Ehegesetzen ihrer Heimat vertraut, versagte dem jungen König gewiss die letzte Gunst. Sie wählte stattdessen 1657 als sichere Partie die Ehe mit dem Prinzen Eugen Moritz von Savoyen-Carignan – kein geringer Aufstieg für ein Mädchen ohne Adel und Geld.

Es kam zu einem erotischen Zwischenspiel mit einer Mademoiselle de La Motte-Agencourt, die, da sie um die Verpflichtung des Königs wusste, aus dynastischen Gründen eine Prinzessin von königlichem Rang zu heiraten, nur die Stellung einer maîtresse en titre anstrebte. Doch der wachsame Mazarin fürchtete den einflussreichen Familienklan, und Anna von Österreich sah in dieser Neigung ihres Sohnes nichts Geringeres als „eine Beleidigung Gottes“. Auch schritt sie zu einer Aussprache mit ihrem Sohn, die mit dem gewünschten Ergebnis endete, dass der junge König, der „zitterte, seufzte, aber sich überwand“, schließlich einlenkte.


Im Spätsommer 1658 verliebte sich Ludwig XIV. in Maria Mancini (1639–1715), eine der Nichten des Kardinals Mazarin. Diese Liebe hatte aus dynastischen Gründen aber keine Chance (Gemälde von Pierre Mignard).

Eine unmögliche Verbindung: Ludwigs Liebesverhältnis mit Maria Mancini

Damit war der Weg frei für eine weitere Nichte Mazarins, die aber ebenfalls nicht erwarten durfte, in der königlichen Gunst bis zum königlichen Rang aufzusteigen, und es dennoch erhoffte – Maria Mancini. Sie war zunächst fast als ein hässliches Entlein in Versailles erschienen, von dem die Schriftstellerin Françoise de Motteville ein keineswegs schmeichelhaftes Porträt zeichnete: „Sie konnte hoffen, von schöner Figur zu sein, weil sie für ihr Alter groß war und sehr gerade; aber sie war mager, und ihre Arme wie ihr Hals erschienen so lang und abgezehrt, dass es nicht möglich war, sie in dieser Hinsicht zu loben. Sie hatte braune Haare und eine gelbe Haut; ihre Augen, die sehr groß und schwarz waren, jedoch noch keinerlei Feuer besaßen, erschienen hart; ihr Mund war groß und flach, und außer ihren Zähnen, die sehr schön waren, konnte man von ihr nur sagen, dass sie hässlich war.“


Am 7. September 1651, zwei Tage nach seinem 13. Geburtstag, wurde Ludwig XIV. für volljährig erklärt. Den Regierungsgeschäften blieb er aber vorerst fern. Auf dem Gemälde von Justus van Egmont (1651/1654) ist er im Krönungsmantel zu sehen.


Die Regentin, der Kardinal und der kleine König: Der zeitgenössische Stich von Nicolas Picart fasst die Machtverteilung nach dem Tod Ludwigs XIII. zusammen.

Aber sie war, zumal sie das Wohlwollen Annas von Österreich gefunden hatte, zunächst zu ihrer Schwester Laura in die Provence geschickt worden – diese Nichte hatte wie ihre Schwester Olympe eine hochrespektable Ehe geschlossen, und zwar mit dem Herzog von Vendôme, der inzwischen zum Gouverneur der Provence aufgestiegen war. Dort erhielt die junge Frau in acht Monaten eine gute Ausbildung in der französischen Sprache sowie in der Lebensart ihrer neuen Heimat. Aber Maria erwarb auch überdurchschnittliche Kenntnisse in Geschichte, Philosophie und Literatur der Antike – sie las griechische und lateinische Texte im Original, zitierte Augustinus, Ovid und Seneca und versank in der Lektüre der spätmittelalterlichen Ritterromane, in denen das Ideal der stolzen, freien und freimütigen Heroen noch einmal auflebte. Von diesem Lesestoff zog sie eine direkte Linie zu den Aufständischen der Fronde, eine Haltung, die keineswegs dem politischen Konsens am Hof Ludwigs XIV. entsprach.

Dennoch und vielleicht gerade deshalb war der junge König von ihr fasziniert – ihre Sprache ließ ihn Ideen jenseits der ihm ständig entgegengebrachten Schmeicheleien der Höflinge entdecken. Selbst kein intensiver Leser, ließ er sich in diese kulturelle Welt locken und machte Maria Mancini im Spätsommer des Jahres 1658, als der Hof in Fontainebleau weilte, zur Königin seiner Feste. Sie blühte auf, denn sie liebte, und auch Ludwig XIV. brachte ihr leidenschaftliche Zuneigung entgegen. Sie dürfte, schließlich war sie ein Temperament von großem Unabhängigkeitsdrang, dem jungen Monarchen zumindest angedeutet haben, dass sie gewillt sei, sich der Fuchtel ihres Onkels zu entziehen, und dass er sich nicht in jedem Fall der Dominanz seines mächtigen Ministers zu unterwerfen habe – vielleicht sogar nicht einmal in der Wahl seiner zukünftigen Gemahlin.

Damit aber störte sie empfindlich die Pläne Mazarins, der seit langem den Frieden mit Spanien anstrebte und als Siegel darauf die Ehe des Königs mit der Infantin Maria Teresa vorsah. In dieselbe Richtung gingen auch die Hoffnungen Annas von Österreich, die sich ihre Nichte zur Schwiegertochter wünschte. Doch Mazarins Perspektive reichte weiter – der spanische König Philipp IV., der mit Elisabeth, der älteren Schwester Ludwigs XIII., verheiratet war, hatte, da von Syphilis und sexuellen Exzessen geschwächt, nur eine überlebende Tochter und keinen Sohn – also würde Maria Teresa die Universalerbin der spanischen Krone sein, denn in diesem Land galt nicht das salische Recht der einzig männlichen Erbfolge.

In seiner Verzweiflung hatte Philipp IV., der befürchten musste, dass ganz Spanien an Frankreich fallen könnte, nach dem Tod seiner Gemahlin Elisabeth noch einmal geheiratet – Maria-Anna von Österreich. Diese gebar nach mehreren Fehlgeburten schließlich einen Sohn – Philipp Prosper. Dieses Kind, gesundheitlich gefährdet, überlebte – damit war die Option einer Vereinigung Spaniens mit Frankreich zwar nicht aufgegeben, aber zumindest aufgeschoben – rund vier Jahre. Diese frühen Ansprüche sollte der späte Ludwig XIV. geltend machen – in einem verlustreichen Krieg von 14 Jahren Dauer, in dem Frankreich sich fast allen Mächten Mitteleuropas feindlich gegenübersah. Es gelang Ludwig XIV., einen seiner Enkel als Philipp V. auf den spanischen Thron zu setzen, aber die machtpolitische Vereinigung beider Länder kam nicht zustande.

Doch im Jahr 1659 war nicht einmal die Ehe mit Maria Teresa gesichert, denn Ludwig XIV. gab erstmals seine wortlose Fügsamkeit auf und war entschlossen, Maria Mancini zu heiraten. Selbst Anna von Österreich, die strikt gegen eine solche Verbindung war, hätte sie doch ihren Lebenstraum eines Friedens mit ihrem Heimatland zerstört, brachte ihrem Sohn dennoch Verständnis entgegen: „Der König erweckte mein Mitleid, er ist zugleich so zärtlich und vernünftig, dass er mir eines Tages für den Schmerz danken wird, den ich ihm bereite, und so wie ich ihn kenne, zweifle ich nicht daran.“ Melodramatisch soll sich die definitive Trennung der Liebenden gestaltet haben: Bevor Maria Mancini in die Kutsche stieg, sagte sie zu dem bewegten Ludwig XIV., der glaubte, dieses Opfer der Machtpolitik seines Landes schuldig zu sein: „Sie weinen. Und Sie sind der Herr. Ach! Sire, Sie sind der König, und ich gehe.“


Madame de Montespan (eigentlich Françoise-Athénaïs de Rochechouart de Mortemart, Marquise de Montespan; 1640–1707) war eine Mätresse Ludwigs XIV. (Gemälde von Pierre Mignard). Mit ihr hatte er sieben Kinder.

Maria Mancini hat diese angemaßte und gescheiterte Hoffnung, die Liebe des Königs bis zur Eheschließung gewinnen zu können, lebenslang nicht verwunden. Ihr Onkel arrangierte das ehrenvolle Eheangebot des Fürsten Lorenzo Onofrio Colonna in Rom, wo sein Vater seinen Aufstieg als Hausverwalter begonnen hatte. Die Braut stimmte eher widerwillig zu, und ihr Gemahl beeilte sich, kurzfristig für den Vollzug der Ehe zu sorgen, denn in Europa verbreitete sich das Gerücht, Maria Mancini sei nicht mehr im Stand der Jungfräulichkeit bei ihm eingetroffen, was auf seinen lauten Protest stieß. Zwar gebar sie Colonna drei Söhne, aber ihre Ehe missriet – auch weil er seine Gemahlin über das übliche Maß hinaus betrog. Sie trennten sich, und Maria zog mit ihrem Bruder Philipp, dem letzten und missratenen Neffen des Kardinals, nach Venedig. Er lebte dort im Karneval seine Homosexualität exzessiv aus, und auch Maria Mancini gab sich diversen Galanen derart freizügig hin, dass ihr Ruf bald völlig ruiniert war.


Im Juni 1660 feierten Ludwig XIV. und die spanische Infantin Maria Teresa von Österreich ihre Hochzeit. Damit machte Frankreich seinen Anspruch auf den spanischen Thron deutlich, sollte Philipp IV. keinen männlichen Erben haben (Ausschnitt aus einem Gobelin).


Frankeich und Spanien hatten 1615 mit einer Doppelhochzeit ihre dynastischen Bande gestärkt: Ludwig XIII. heiratete Anna von Österreich aus der spanischen Linie der Habsburger, und Philipp IV. von Spanien ehelichte Elisabeth von Bourbon (zeitgenössischer Kupferstich).

Erst 1672, als Madame de Montespan zur maîtresse en titre aufgestiegen war, führte ihr Weg wieder nach Paris, doch Ludwig XIV. untersagte ihr den Zutritt zum Hof und bot ihr zum Aufenthalt zwei Klöster an, ausreichend weit von Paris entfernt. Sie lehnte ab und wurde zur Unruhestifterin in Frankreich, weshalb der König sie unter Zwang nach Italien zurückbringen ließ. Auf der Rückreise entzog sie sich ihren Bewachern in Lyon und versuchte in Savoyen, den dortigen Herzog Karl-Emmanuel zu verführen. Als dies misslang, ebenso wie der Ausgleich mit dem Fürsten Colonna reiste sie über die Schweiz, Deutschland und Flandern, wo sie ein Schiff bestieg, nach Spanien. Dort lebte sie im Kloster Santo Domingo el Real wenig diskret wie in einem Gasthof – zudem eingeschränkt in ihren Finanzen. Aus dieser Bedrängnis befreite sie der Tod des Prinzen Colonna im Jahr 1689, und als 1701 der Spanische Erbfolgekrieg begann und Ludwig XIV. Italien angriff, kehrte sie in ihre Heimat zurück. Ihre Unruhe trieb sie noch einmal nach Frankreich, sogar nach Paris, wo ihr der König „tausend Aufmerksamkeiten“ zuteilwerden ließ, ohne dass es zu einer Wiederbegegnung kam. Sie starb 1715 in Pisa, nur wenige Monate vor Ludwig XIV.

Die Staatsräson verlangt nach einer Ehe mit Maria Teresa von Habsburg

Doch zurück ins Jahr 1659, als sich der französische Hof auf die Reise an die spanische Grenze machte, wo es den Friedens- und Ehevertrag auszuhandeln galt. Die Verhandlungen vollzogen sich langsam und zäh, zumal Spanien keinen Quadratmeter Boden seines Landes für den Fall preiszugeben bereit war, dass Maria Teresa zur Universalerbin Spaniens aufsteigen sollte. Schließlich einigte man sich auf eine reiche finanzielle Mitgift von 500.000 Ecus, in französischer und nicht in spanischer Münze, denn deren Wert befand sich im freien Fall – zahlbar in vier Raten, die erste am Tag des Ehevollzugs. Doch der Sekretär Mazarins, Hugues de Lionne, verstand es, ein einziges Wort in das Vertragswerk einfließen zu lassen, das Frankreich einen entscheidenden Vorteil verschaffte.


Im Oktober 1652 kehrte Ludwig XIV. nach Paris zurück – im Juli waren die Truppen der Fronde von königstreuen Einheiten geschlagen worden (Kupferstich). Einen triumphalen Einzug nach Paris vollzog er 1660 mit seiner frischangetrauten Gattin Maria Teresa. Dabei wurde noch einmal an den Sieg über den aufständischen Adel erinnert.

Das simple Wort hieß „mittels“, und die Formulierung im Vertrag lautete: „Dass mittels der effektiven Bezahlung, geleistet von seiner Christlichen Majestät …, die hochedle Infantin durch diese Mitgift sich für zufriedengestellt betrachten würde, ohne dass sie später irgendein anderes Recht geltend machen könne.“ Diese diplomatische Falle schnappte bereits zu, als weder beim Ehevollzug noch jemals später ein einziger Ecu in Frankreich eintraf. Der Vollzug dieses Rechtsanspruchs konnte erst vier Jahrzehnte später geltend gemacht werden – zwar starb der männliche Thronerbe Philipp Prosper schon 1661, aber inzwischen hatte die spanische Königin einen weiteren Infanten zur Welt gebracht, der als Karl II. bis 1700 lebte. Da erst konnte die Klausel, die Frankreich die Einverleibung seines südlichen Nachbarlandes gestatten sollte, zur berechtigten politischen Forderung werden. Ludwig XIV. zögerte nicht, seinen letzten und längsten Krieg zu beginnen.

Doch zunächst, als seine Hochzeit mit Maria Teresa im Juni 1660 in Saint-Jean-de-Luz gefeiert wurde, beschränkte sich Ludwig XIV. auf die Rolle des Bräutigams, der sich schließlich zu der Ansicht durchgerungen hatte, dass seine Braut „viel Schönheit besitzt“ und es ihm leicht sein werde, „sie zu lieben“. Allerdings hatte er da bereits erhebliche Kraftakte der Verdrängung geleistet, denn Maria Teresa hatte den Wuchs einer Zwergin, verfügte über die Habsburger Schlapplippe sowie ein fliehendes Kinn und besaß schlechte Zähne, die sie geschickt zu verbergen wusste, indem sie selten und wenig sprach, zumal sie wegen ihrer dürftigen Ausbildung auch wenig zu sagen hatte. Zudem hatte man es am spanischen Hof versäumt, der schon lange als französische Königin vorgesehenen jungen Frau ein einziges Wort in französischer Sprache beizubringen.


Kardinal Mazarin hinterließ eine von ihm gegründete Stiftung. Diese errichtete einen mächtigen Kuppelbau, in dem eine Bildungsstätte für ausgewählte Schüler untergebracht war – das heutige Institut de France. Dort ist auch der pompöse Sarkophag Mazarins aufgestellt.

Aber Ludwig XIV. hatte sich die Machtmaximen Mazarins zu eigen gemacht, die dieser seinem königlichen Schützling früh angeraten hatte: „Erinnern Sie sich, was ich Ihnen mehrere Male gesagt habe, als Sie von mir zu wissen verlangten, welcher Weg einzuschlagen sei, um ein großer König zu werden: dass er mit den größten Anstrengungen beginnen müsse, von keiner Leidenschaft beherrscht zu werden; denn wenn dieses Unglück eintritt, man mag dabei noch so guten Willens sein, ist man außerstande zu tun, was zu tun notwendig ist.“ Ludwig XIV. war am Ende ein willfähriger Schüler seines politischen Erziehers, beherrscht in seinen Gefühlen und entschlossen, keinen seiner wahren Gedanken in seinem Gesicht sichtbar werden zu lassen. Zu diesem Zeitpunkt waren auch die ersten Züge jener maskenhaften Strenge in seinem Gesicht zu sehen, die sich langsam zur unnahbaren Statuenhaftigkeit des „Sonnenkönigs“ steigern sollte.

Als der Hof gleichsam im Triumphzug des nach 14 Jahren endlich erreichten Friedens nach Paris zurückkehrte, demonstrierte Mazarin dem jungen König noch ein letztes Mal, wie die politische Rechnung aufgehen würde, wenn Ludwig XIV. die Ohnmacht seines Gefühls mit der Macht vergleichen würde, die sich zu königlicher Pracht entfalten könne. Es war zugleich die Demonstration, dass nunmehr die absolute Monarchie zur vollen und unangefochtenen Entfaltung gekommen war – in ihm, dem Alleinherrscher Ludwig XIV.

Der Zug, in der bewussten Tradition des römischen Triumphzugs, führte wie einst in Rom die Besiegten mit sich – die Frondeure des Hochadels, die im östlichen Vorfeld von Paris auf der eigens hergerichteten Place du Trône, heute Place de la Nation, ihre Huldigung darbrachten, indem sie vor einer achtstufigen Empore das Knie beugten, auf der Ludwig XIV. und Maria Teresa huldvoll lächelten. Auf dem Weg zum Louvre war das Pflaster mit einem Teppich aus Blättern und Blüten bedeckt, und Statuen von Herkules und Pallas Athene symbolisierten die Flüsse Seine und Marne. Auch Spanien und Frankreich waren in opulenten Sinnbildern gegenwärtig, zudem durch den Gott Hymen, den Gott der Hochzeit, vereint. Der Zug durchquerte mehrere Triumphbögen – der aufwendigste und prachtvollste an der Place Dauphine war Herkules und Minerva gewidmet: Der Halbgott trug die Züge des Königs und die Göttin jene seiner königlichen Gemahlin.

Mazarin, der die Opulenz der italienischen Oper liebte, hatte die Parade selbst inszeniert und sich seinen „Höhepunkt“ vorbehalten. An der Spitze führten 35 grünlivrierte Männer 72 Maultiere – die ersten 24 Tiere bedeckt mit einfachen Decken, die nächsten 24 mit Schabracken aus Seide, verziert mit golddurchwirkten Figuren, die letzten „24 mit roten Samtdecken, auf denen Wappen und Wappensprüche gestickt sind, daneben Füllhörner, aus denen Früchte und Blumen quollen“. Nach weiteren Steigerungen rollten elf sechsspännige Karossen heran, die Pferde jeweils aus einer anderen Region Frankreichs und zusätzlich einer anderen Rasse zugehörig. Die letzte Steigerung bildete die Karosse seiner Eminenz, des Kardinals, eine Karosse, nicht von sechs Pferden gezogen, welche Ehre den Herzögen und Marschällen zustand, sondern von acht Pferden, aber es war nicht die größte von allen Karossen des Triumphzuges, sondern die kleinste und – sie war leer.

Wo war Mazarin? Er fehlte nicht, denn er stand auf dem Balkon des Palais Beauvais in der Rue Saint-Antoine und genoss seinen Theatercoup – seine Macht bis zur Unsichtbarkeit gesteigert zu sehen und dabei die Überraschung als wesentliches Element seiner Politik zur Anschauung zu bringen. Doch er selbst, an seiner Seite Anna von Österreich und der siegreiche Marschall Henri de Turenne, war erschöpft – die Gicht und die langwierigen Verhandlungen auf der sumpfigen Fasaneninsel im Grenzfluss Bidassoa zwischen Frankreich und Spanien hatten seine Kräfte ebenso verbraucht wie vorher die strapaziösen Reisen zu den diversen Schlachtfeldern, ganz abgesehen von der Flucht ins deutsche Exil. Gab es noch einen letzten Dienst nach der definitiven Friedenssicherung und der gesicherten Vormachtstellung Frankreichs in Europa, den er dem nun über eine stabile Monarchie verfügenden König erweisen konnte – den rechtzeitigen Tod?

Einen Tag nach Mazarins Tod reißt der Monarch alle Macht an sich

Schließlich war Ludwig XIV. bereits 23 Jahre alt, und die Macht lag noch immer ungeteilt in den Händen Mazarins. Aber der nun in seiner Machtfülle unumstrittene Minister wusste um seinen nahen Tod. Er verfügte über ein immenses Vermögen, das er in weniger als acht Jahren nach seiner Rückkehr aus Brühl zusammengerafft hatte – es betrug nicht weniger als 36 Millionen Livres und übertraf damit das seines Vorgängers Richelieu erheblich, in dessen Testament die Summe von rund 22 Millionen Livres aufgelistet gewesen war. Die horrende Geldmasse Mazarins war und blieb die größte in privater Hand, so lange die Monarchie in Frankreich existierte, und die Verfügung darüber war seine letzte Herausforderung.

Hatte Richelieu sein Palais Cardinal gegenüber dem Louvre, das mit seinem Tod zum Palais Royal wurde, rechtzeitig Ludwig XIII. vermacht, so entschloss sich auch Mazarin, alle seine Reichtümer dem jungen König zum Geschenk anzubieten. Drei Tage zögerte Ludwig XIV. und entschied dann, keine Münze vom Kardinal anzunehmen – aus Dankbarkeit, Hochmut oder Vorsicht? Mazarin konnte also unbegrenzt seinen Reichtum auf seine Familie verteilen und Schenkungen in jede beliebige Richtung vergeben – die größte war seine Stiftung des „Collège Quatre-Nations“. Der Name nahm Bezug auf die vier Provinzen, um die er Frankreich vergrößert hatte: Elsass, Pinerolo, Artois-Flandern-Hennegau und Roussillon. Der mächtige Kuppelbau des heutigen Institut de France, der nach seinem Tod am linken Seine-Ufer gegenüber dem Louvre aus Mitteln seines Vermögens errichtet wurde, beherbergte ein Bildungsinstitut für zwölf Professoren und 60 Schüler sowie die Académie française. Der in diesem Gebäude plazierte pompöse Sarkophag Mazarins zeigt ihn in lebensgroßer Statur voll nobler Gelassenheit auf einem Liegebett ausgestreckt – ein Denkmal in Marmor.


Nur einen Tag nachdem der Erste Minister Mazarin gestorben war, ergriff Ludwig XIV. am 10. März 1661 die alleinige Macht. Für den bisherigen Kontrolleur der Finanzen, Nicolas Fouquet (Gemälde von Charles Le Brun), war dies eine schlechte Nachricht. Er wurde durch Jean-Baptiste Colbert ersetzt.


Ludwig XIV. als Sieger über den rebellischen Adel (Gemälde von Charles Poerson).

Als Mazarin am 9.März 1661 in Vincennes starb, wohin er sich mit seiner umfangreichen, aber auch eher willkürlich zusammengestellten Bildersammlung zurückgezogen hatte, zögerte Ludwig XIV. gerade einen Tag. Spät, aber umso entschlossener griff er nach der Macht. In morgendlicher Frühe bestellte er die wichtigsten Mitglieder seiner Regierung zu sich und proklamierte in deutlichen Worten seine Selbstregierung – direkt an den Kanzler gewandt: „Mein Herr, ich habe Sie hier mit meinen Ministern zusammenkommen lassen, um Ihnen zu sagen, dass ich bis jetzt gern den verstorbenen Kardinal meine Regierungsgeschäfte ausüben ließ; es ist aber Zeit, dass ich selbst regiere. Sie werden mir dabei helfen mit Ihren Ratschlägen, wenn ich Sie darum ersuche. Außer den laufenden Geschäften, woran ich nichts zu ändern beanspruche, bitte und befehle ich Ihnen, Herr Kanzler, keinen Befehl zu unterzeichnen, der nicht auf meine Anordnungen zurückgeht und über den Sie nicht mit mir gesprochen haben … Und Ihnen, Herr Finanzminister [Nicolas Fouquet], werde ich erklären, was mein Wille ist; ich bitte Sie, sich Colberts zu bedienen, den mir der verstorbene Kardinal empfohlen hat.“

Fouquet war gewarnt, und der junge König dürfte zu diesem Zeitpunkt über den herausfordernd opulenten Bau Fouquets wohlunterrichtet gewesen sein: Das Schloss Vaux-le-Vicomte hatte schließlich fünf Jahre Bauzeit in Anspruch genommen und war nun gerade fertiggestellt worden. Fouquet mochte von der falschen Annahme ausgegangen sein, dass der junge Monarch, der sich bisher von politischen Problemen ferngehalten und seine Aufmerksamkeit fast ausschließlich seinem Schloss Versailles und den dortigen Festen gewidmet hatte, in dieser Abstinenz von der Regierung verharren würde – nach der Ernennung eines neuen mächtigen, die Regierungsgeschäfte führenden Ministers. Fouquet machte sich vielleicht sogar selbst Hoffnungen auf diesen Posten. Er unterschätzte den Ehrgeiz und auch den Arbeitswillen Ludwigs XIV. sträflich, und die Strafe folgte fünf Monate später in Form seiner Verbannung.

Mit Festen und deren Glanz ließ sich Aufmerksamkeit und Achtung in Europa gewinnen – nicht jedoch Ruhm. Ruhm war nur im Krieg und durch Landgewinn zu erwerben und hatte keineswegs wie heute den moralisch anrüchigen Ruf, Menschen und Wohlstand eines Landes aufs Spiel zu setzen, sondern galt als legitimes Recht eines Herrschers, seine Herrschaft auf Kosten anderer zu vergrößern. Dies war in jener Epoche das Ideal eines großen Königs.

So konnte Ludwig XIV. ohne Skrupel gestehen, die „Neigung, die ich für den Ruhm hatte“, direkt ausleben zu wollen und in dem „Verlangen, den Ruhm meiner Krone zu erhöhen“, sein königliches Recht, ja dessen Zielsetzung zu sehen, mochte diese Maxime ihn auch zum Gegenstand „der Furcht, der Liebe oder auch der Beachtung in ganz Europa“ machen. Wenig später genügte ihm die Begrenzung auf Europa nicht, er wollte „ruhmreich vor allen Nationen der Erde erscheinen“ – es war ein Programm, das sich an einem die Erde umrundenden Sonnengott orientierte. Ludwig XIV. war bereit und willens, diese Doktrin eines kriegerischen, ja imperialistischen Herrschers zum Ziel seiner Herrschaft zu machen. Und er verfuhr konsequent: In den 54 Jahren seiner Selbstregierung befand er sich immer wieder von neuem im Krieg – und stets war er der Angreifer.

Dr. Uwe Schultz

Das Zeitalter des Sonnenkönigs

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