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Ein Traumschloss gegen das Trauma

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Uwe Schultz

1661 entschloss sich der junge Ludwig XIV. zur Alleinherrschaft. Er begann, das ehemalige Jagdschloss in Versailles auszubauen. Es sollte das Zentrum seiner Pracht- und Machtentfaltung werden. Das traumatische Erlebnis von 1649, mit seiner Mutter aus Paris fliehen zu müssen, hatte Ludwig dazu angeregt.

Es war die Nacht vom 5. auf den 6. Januar 1649. Königin Anna von Österreich, die Witwe Ludwigs XIII., war mit ihrem ältesten Sohn Ludwig, elf Jahre alt, ins Glücksspiel vertieft. Im Kleinen Kabinett des Palais Royal herrschte familiäre Ruhe. Ihre Vertraute, Madame de Motteville, erklärte später, dass ihr die Königin in dieser Nacht „sogar fröhlicher als gewöhnlich“ erschienen sei und angeordnet habe, die Karosse am frühen Morgen vorfahren zu lassen, denn sie wollte sich – dies geschah nicht selten – zu Andachten in das Kloster Val-de-Grâce zurückziehen. Ihr Sohn bot ihr den Gute-Nacht-Gruß, und sie versprach ihm, er dürfe sie am nächsten Morgen begleiten.

Nachts um drei Uhr erhob sich Anna von Österreich in ihrem Schlafgemach und ließ ihre beiden Söhne wecken. Charles de Neufville, der Erzieher des jungen Königs wie seines jüngeren Bruders Philippe d’Orléans, kleidete beide eilig an. Über eine Geheimtreppe gelangte Anna von Österreich mit ihren beiden Söhnen in den Garten des Palais Royal, wo eine Karosse wartete. Über den Coursla-Reine flüchtete die königliche Familie aus Paris, in Richtung Westen zum Schloss Saint-Germain-en-Laye, wohin der regierende Minister, der vorsichtige Kardinal Jules Mazarin, nur vier Feldbetten hatte transportieren lassen, um die Aktion strikt geheim zu halten.

Die Flucht vor der gegnerischen „Fronde“, in der Hochadel und Parlament sich zur Gegnerschaft gegen den König vereinigt hatten, gelang. Aber zwei Jahre später, in der Nacht vom 9. auf den 10.Februar 1651, drang eine aufrührerische Volksmenge mit Waffengewalt ins Palais Royal ein – bis in das Schlafgemach Ludwigs XIV., und der junge König konnte nur mit Mühe entkommen. Diese Bedrohungen hinterließen tiefe Spuren in der Psyche des Königs – beide Erniedrigungen sollte er nie vergessen und noch weniger verzeihen. Die Folge dieses Traumas war das Schloss Versailles.


Sofort nachdem er sich im Jahr 1661 zum Alleinherrscher erklärt hatte, begann Ludwig XIV. mit dem Ausbau von Versailles. Das Gemälde von Pierre Patel entstand 1668.

Als er 1661 nach dem Tod des Kardinals Mazarin die Alleinherrschaft übernommen hatte, wandte sich Ludwig XIV. dem schlichten Jagdschloss seines Vaters zu – von den Zeitgenossen wurde es als „Kartenschloss“ bespöttelt. Aber schon im nächsten Jahr fand zum letzten Mal im Hof der Tuilerien ein Reiter- und Tanzfest statt, bei dem Ludwig XIV., der einer der besten Tänzer Frankreichs war, brillierte – das Fest trug den Namen „Carrousel“, und ein gelehrter Pater meinte sogleich, das politische Programm entdeckt zu haben. „Carrus soli“ („der Sonnenwagen“) sollte den König siegend und Segen spendend um den Erdkreis tragen. Alle späteren Feste fanden in Versailles statt.

Nicht einem Minister, dem König steht das prächtigste Schloss zu

Aber es fiel noch ein Schatten auf den „Sonnenkönig“ – diesen Namen für sich selbst entlieh Ludwig XIV. alsbald von den Ägyptern. Es war der Glanz des Schlosses Vaux-le-Vicomte, 50 Kilometer südlich von Paris gelegen, für dessen Errichtung 18.000 Arbeiter tätig gewesen waren und für dessen harmonische Gestaltung es sein Eigentümer Nicolas Fouquet, der Generalkontrolleur der Finanzen, tatsächlich der Finanzminister Frankreichs, verstanden hatte, die besten Künstler zu gewinnen – den Architekten Louis Le Vau, den Maler Charles Le Brun und den Gartenarchitekten André Le Nôtre.

Das Einweihungsfest in Vaux-le-Vicomte sprengte alle festlichen Dimensionen jener Epoche – wie es nur dem Herrscher Frankreichs zugestanden hätte. Man aß von 6000 silbernen Tellern, eine Lotterie wies nur wertvolle Gewinne aus, und die Fontänen bildeten eine Allee aus glitzernden Wasserbäumen. Der mit seiner Mutter und seiner jungen spanischen Gemahlin Maria Teresa eingeladene König war zur Bewunderung gezwungen und verzieh Fouquet diese Demütigung nicht.

Nur 17 Tage später ließ Ludwig XIV. Fouquet verhaften und verlangte vom Gericht das Todesurteil für ihn, das die Richter jedoch in Verbannung abmilderten. Dieser Spruch missfiel dem jungen König, und er veränderte die Strafe, obgleich einem Herrscher mit dem Gnadenakt nur die Verminderung einer Strafe zustand, in lebenslange Festungshaft. Wichtigster Zeuge war Jean-Baptiste Colbert, der Tausende Seiten der Dokumente, die zugunsten Fouquets sprachen, verschwinden ließ und sein Nachfolger als Generalkontrolleur der Finanzen wurde.

Fouquet starb erst 1680 in der fernen Grenzfestung Pignerol, aber unmittelbar nach seiner Verhaftung 1661, dem ersten Jahr der Selbstregierung Ludwigs XIV., bewegte sich ein endloser Raubzug von Vaux-le-Vicomte nach Versailles. Möbel, Gemälde, Bücher, Essbestecke, Teppiche, Statuen und Orangenbäume – alles wechselte ins Tal von Galie. Louis Le Vau, Charles Le Brun und André Le Nôtre folgten nun dem Ruf des „Sonnenkönigs“, bot er doch Aufträge in weit größerer Dimension. Aus Vorsicht, der königlichen Gnade verlustig zu gehen, hat es Le Nôtre später nicht gewagt, nach Vaux-le-Vicomte zurückzukehren.

Aber die Zielsetzungen Fouquets und Ludwigs als Bauherren waren völlig unterschiedlich. Fouquet wollte ein Palais der spielerischen Faszination, der verführerischen Liebesspiele, der heiteren Poeten-Phantasie. Ludwig XIV. wollte dagegen eine massive Maschine seiner Macht und deren reibungsloses Funktionieren. Zunächst und vor allem sollte Versailles das glanzvolle Gefängnis seines unruhigen Adels werden. Schon in den ersten zwei Jahren investierte der junge König zum Entsetzen Colberts, der das Zentrum der königlichen Macht im Louvre sah, nicht weniger als 1,5 Millionen Livres in den Ausbau des bescheidenen Jagdschlosses seines Vaters. Es wurde nicht zerstört, sondern in immer größeren Dimensionen in der Breite umbaut – noch heute ist es zwischen Marmorhof und Park der Mittelpunkt der ausladenden Schlossanlage.

Dort im ersten Stockwerk hatte die königliche Macht im prachtvollen Schlafgemach ihr Zentrum, hier zelebrierte der König den strengen Rhythmus von „Coucher“ (schlafen gehen) und „Lever“ (aufstehen). Verlässlich wie der Lauf der Sonne sollte sich die Zeremonie vollziehen und seinen Untertanen das sichtbare Symbol seiner fördernden und kontrollierenden Herrschaft sein. Ursprünglich hatte der König im Nordflügel seine Gemächer, die Königin die ihren im Südflügel. Aber nach deren Tod im Jahr 1683 zog Ludwig in die Mitte des sich über Jahrzehnte erweiternden Gebäudekomplexes, wo er bis zu seinem Tod ausharrte und wo auch sein Nachfolger Ludwig XV. nächtigte – dieser allerdings nur zum Schein, denn war das Ritual der feierlichen Bettlegung vollzogen, flüchtete er heimlich in seine Privatgemächer und in die Arme vom Madame de Pompadour und später die der Madame Du Barry.

Ausbau und Erweiterung des Schlosses zogen sich über Jahrzehnte hin, bis zu 30.000 Handwerker waren bisweilen vor Ort tätig, doch bis zum Tod Ludwigs XIV. blieb die weitläufige Anlage, einschließlich des Trianon – ein Seitenpalais am rechten Arm des Kanals –, eine permanente Baustelle. Nur in den Perioden des Friedens konnte sich die Bautätigkeit voll entfalten, weil dann ausreichend Geld und Arbeitshände zur Verfügung standen, aber Ludwig XIV. führte während seiner 54-jährigen Regierungszeit nicht weniger als 34 Jahre Krieg. Der Südflügel wurde zur heutigen Galerie des Batailles verlängert, der Nordflügel gegen Ende seiner Herrschaft um die Kapelle erweitert – ein großer finanzieller Kraftakt in der Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714). Erst Ludwig XV. hat die Schlossanlage schließlich zur Vollendung gebracht – anlässlich der Hochzeit des Dauphins mit Marie Antoinette entstand der Anbau der Oper – wie die Kapelle die Staatsschulden in immer neue Höhen treibend. Der Schuldenstand war schließlich im Jahr 1715 auf drei Milliarden Livres gestiegen, so dass auf den Tod des „Sonnenkönigs“ sogleich der Staatsbankrott folgte.


Nicolas Fouquet, Generalkontrolleur der Finanzen, hatte sich 50 Kilometer südlich von Paris das prunkvolle Anwesen Vaux-le-Vicomte errichten lassen (Blick vom Park auf das Schloss). Rund 18.000 Arbeiter wirkten am Bau mit.

Der Adel ist zur permanenten Anwesenheit am Hof gezwungen

Aber das Schloss von Versailles sollte schließlich auch und vor allem Regierungszentrum sein, was 1682 nach dem Ausbau der beiden Flügel für die Ministerien vollzogen wurde. Bis zu 5000 Aristokraten bildeten den Hofstaat. Sie nahmen, einschließlich der 8000 Bediensteten, ihren Wohnsitz im Schloss. Hinzu kam eine große Zahl von Amtsträgern, die für das Funktionieren der Regierung notwendig waren und zum überwiegenden Teil in der aufblühenden Stadt Versailles wohnten. Im Schloss selbst waren die Appartements oder auch nur Kammern streng nach dem Rang, den der Bewohner in der Hierarchie des Adels einnahm, geordnet – entsprechend wohnte er näher oder ferner vom königlichen Schlafgemach. Wenn jedoch ein Hochadliger sich die Freiheit nahm, länger vom Schloss abwesend zu sein, wurde er mit steinernem Gesicht empfangen, und der König behauptete, ihn nicht zu kennen.


Das Schlafzimmer Ludwigs XIV. in Versailles: Dort durften ausgesuchte Untertanen dem Monarchen beim Ritual des Aufstehens (lever) und des Zubettgehens (coucher) zuschauen.

Anders als der englische oder preußische Adel, der den Sommer auf seinen Landsitzen verbrachte und nur zur Wintersaison mit festlichen Bällen in der Hauptstadt erschien, war der französische Adel an den Hof Ludwigs XIV. gefesselt. Damit verlor er seine Machtbasis auf dem Land, büßte so auch die Gelegenheit zu jeglicher konspirativen Aktivität ein. Und er war nicht zuletzt der Verarmung ausgesetzt. Denn die Adligen, zu Höflingen degradiert, lieferten sich einen ständigen Wettstreit um den höchsten Aufwand für Garderobe, Karosse, Tafel – oder überboten sich gegenseitig bei den Verlusten im mit hohen Einsätzen geführten Glücksspiel.

Einen Ausweg aus den Schulden konnte nur Ludwig XIV. bieten, indem er Posten und Donationen vergab. In den Glanz seiner Gunst drängten sich alle, und diese Gnadenakte waren für die Begünstigten nicht nur Beweise ihres Rangs am Hof, sondern auch Indiz für den Grad ihrer Abhängigkeit.

Waren es 95 Millionen Livres, die Ludwig XIV. über Jahrzehnte für seine Schlossanlage aufwendete, so gab er im selben Zeitraum nicht weniger als 37 Millionen Livres für seine Feste aus – eine kostspielige Fesselung seines Adels. In seinen Memoiren von 1662, die nicht für die Veröffentlichung, sondern für die politische Erziehung seines Sohnes bestimmt waren, hat Ludwig XIV. die Einbindung aller Bewohner des Schlosses in jene pompösen Spektakel gefordert, die er selbst so grandios zu gestalten verstand: „Diese Gemeinschaft der Vergnügungen, die den Personen des Hofes eine ehrenvolle Vertrautheit mit Uns gewährt, berührt und begeistert sie mehr, als man zum Ausdruck bringen kann. Einerseits haben die Menschen ihr Vergnügen am Spektakel, bei dem Wir im Grunde stets zum Ziel haben, ihnen zu gefallen; und andererseits sind alle Unsere Untertanen entzückt zu sehen, dass Wir lieben, was sie lieben. Auf diese Weise nehmen Wir ihren Geist und ihr Herz gefangen, gelegentlich viel wirkungsvoller als durch Belohnungen und Wohltaten.“

Die so beschworene Festgemeinschaft bezog sich nicht auf die gemeinsame Betrachtung von Spektakeln, sondern auf deren gemeinsame Gestaltung. Das achttägige Spektakel vom 7. bis zum 14.Mai 1664, das erstmals den Ruf des Königs als Arrangeur glanzvoller Festlichkeiten begründete, trug den Namen „Vergnügungen der Zauberinsel“ (Plaisirs de l’île enchantée), und schon im Morgengrauen des ersten Tages vollzog sich eine kunstvolle Reiterkavalkade. An ihrer Spitze ritt, als königlicher Page in antikisierendem Kostüm, der Kommandant der königlichen Garde, Charles d’Artagnan, der Fouquet verhaftet hatte. Es folgten zwölf Trompeter, in ihrer Mitte der Kammerherr des Königs, Paul de Saint-Aignan, der den neuen Roland ankündigte – natürlich Ludwig XIV. In Gold und Silber gekleidet, ritt der König im mit Edelsteinen besetzten Harnisch einher, und in seinem Gefolge waren sie alle, mit bunten Federhüten und in Phantasiekostümen, die Adligen der ältesten und mächtigsten Geschlechter seines Königreichs: die Guise, Noailles, Armagnac, Foix, Lude, Humières, Duc.


Ludwig XIV. hielt den Adel am Hof – mit sanftem, aber wirksamem Zwang (Kammerherren in Versailles; Kupferstich von 1699).

Versailles: Demonstration französischer Macht für ganz Europa

Auch der medialen Fernwirkung war sich Ludwig XIV. früh bewusst und bestrebt, sie als außenpolitisches Programm einzusetzen: „In Hinsicht auf die Fremden macht es [das Fest] einen sehr vorteilhaften Eindruck des Großartigen, der Macht und des Reichtums und der Größe, ohne noch die Geschicklichkeit in allen Körperübungen zu rechnen.“ Ludwig XIV., der nicht selten im strahlenden Sonnenkostüm auftrat, liebte die eigenen Auftritte bis zum Jahr 1664: Damals konfrontierte ihn Jean Racine in seinem Drama „Britannicus“ mit dem Vergleich, dass Nero seinen kaiserlichen Rang aufs Spiel gesetzt habe, als er sich im Wettbewerb der Schauspieler erniedrigte: „Als erstes Verdienst, als höchste Tugend,/Glänzte er, einen Wagen in der Spur zu halten;/Um Preise zu gewinnen, unwürdig seiner Hände,/Gab er sich den Römern zum Schauspiel hin.“


Latona, die Mutter Apolls und Dianas, im gleichnamigen Brunnen im Schlosspark von Versailles. Die von Fröschen (nicht im Bild) umgebene Göttin sollte offenbar für Anna von Österreich stehen, die sich als Regentin des rebellierenden Adels erwehren musste.


Ludwig XIV. arrangierte im Mai 1664 erstmals persönlich ein achttägiges Spektakel, die „Vergnügungen der Zauberinsel“. Dazu gehörte auch dieses Feuerwerk (kolorierter Kupferstich).

Die großen Gartenfestspiele Ludwigs XIV. in Versailles endeten nach Theater, Ballett, Konzert, Tanz und Festmahl mit einem furiosen Feuerwerk, das Isaac Sylvestre als Graphik festzuhalten beauftragt war, damit die bildliche Opulenz auch Bewunderer sogar an den Höfen mancher europäischen Kleinstaaten finden konnte. Diese beeilten sich, mit ähnlichen, wenn auch kleiner dimensionierten Schlossbauten und imitierenden Spektakeln diesem Ideal nachzueifern.

Der Machtanspruch Ludwigs XIV. nahm zunehmend auch in den Statuen des Schlossparks Gestalt an – im Zentrum der Sonnenwagen Apolls, mit dem sich der Gott am Morgen aus dem Wasser seiner Fontäne erhebt und seinen Lauf wie die Sonne um die Erde nach Westen beginnt. Aber der König blickte auch im Zorn zurück – die Göttin Latona, die Mutter Apolls und Dianas, geflüchtet auf einen Wasserfelsen und umringt von ihren beiden ihre Hilfe suchenden Kindern, ist bedroht von höhnisch quakenden Fröschen, den zu kleinen hässlichen Kröten degradierten Mitgliedern der Parlamente, welche die königliche Familie während der Fronde in Bedrängnis gebracht hatten. Und im Wasser seiner Fontäne versinkt auch der Gigant Enceladus, der es wagte, Felsen gegen die Götter im Olymp zu schleudern – er wird für seinen anmaßenden Aufstand von seinen Steinen selbst erschlagen.

Zum universalen Machtanspruch des Sonnengottes hat Ludwig XIV. sich in seinen Memoiren unverhüllt bekannt: „Ich würde ohne Zweifel stark genug sein, auch noch andere Reiche zu regieren, wenn sie ebenfalls meinen Strahlen ausgesetzt wären.“ Dies war eine deutliche Warnung an die europäischen Mächte, unter denen Frankeich im 17. Jahrhundert mit rund 18 Millionen Bewohnern das reichste und volkreichste war.


Fontäne im Garten des Schlosses Marly-le-Roi, das Ludwig XIV. bauen ließ (Gemälde von Hubert Robert, um 1780).


Unterhalb von Marly-le-Roi wurde an der Seine ein mechanisches Pumpwerk – die sogenannte Maschine von Marly – errichtet. Diese einzigartige Anlage sollte Versailles mit Wasser für die aufwendigen Fontänen versorgen.

Nur das Wasser widersetzt sich dem Willen des „Sonnenkönigs“

Aber da war noch das Wasser, neben dem Licht der Sonne der zweite Garant für Leben und Wachstum, das im Park von Versailles nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stand – es ließ sich im Gegensatz zum gestaltenden Beschnitt der Eiben auch nicht in immer neuen geometrischen Figuren beliebig domestizieren. Sein Widerstand wurde für Ludwig XIV. zu einem lebenslangen Ärgernis, einfach nur dadurch, weil die zahlreichen Fontänen, unter anderem in den kunstvoll gestalteten Wäldchen (den bosquets) wie dem „Wassertheater“ oder den „Quellen“, nur für kurze Zeit glitzernd emporsteigen konnten.

Zwei Großprojekte der Wasserbeschaffung betrieb Ludwig XIV. mit immensem Einsatz von Material und Menschen. Zum einen ließ er die „Maschine von Marly“ bauen, die neben den ober- und unterirdischen Bassins zusätzliches Wasser aus der Seine liefern sollte – diese floss im Nordosten von Versailles in 14 Kilometern Entfernung zum Schloss und 150 Meter tiefer gelegen in einem Mäander dahin. Mit Hilfe kühner Ingenieurkunst, für die der belgische Zimmermann Rennequin Sualem aus Lüttich angeworben worden war, gelang es, das Flusswasser zu stauen und in ein Reservoir zunächst ans Ufer zu befördern – 48,45 Meter über dem Wasserspiegel des Flusses. Eine erste Pumpstation hob es weitere 56,52 Meter in die Höhe und eine zweite nochmals 57,17 Meter, bis das monumentale Aquädukt erreicht war, so dass die begehrte Flüssigkeit nach Versailles fließen konnte. Doch die aufwendige Anlage machte einen Höllenlärm und beförderte täglich nur 2000 Kubikmeter Wasser in die Höhe – bei weitem nicht ausreichend, um die Fontänen in die vom König gewünschte Höhe springen zu lassen, schon gar nicht für die gesamte Dauer seiner Feste.

Das zweite, noch anspruchsvollere Projekt sollte einen wesentlichen Teil des Flusses Eure, der südlich von Rouen in die Seine mündet, an seinem Oberlauf abzweigen und in einem separaten Flussbett bis nach Versailles führen – nur 26 Meter betrug der Höhenunterschied. Sogar Schiffe sollten von der Seine auf der Eure bis zum Schloss Versailles segeln können. Ludwig XIV. ließ Zehntausende Soldaten, zumal gerade nicht Krieg geführt wurde, für die Erdarbeiten antreten, und sein Festungsbaumeister Sébastien Le Prestre de Vauban sollte für die stabile Konstruktion eines Aquädukts von fünf Kilometern Länge und einer Höhe von zweimal der Pariser Kathedrale Notre-Dame sorgen – Vorbild war natürlich das Aquädukt von Gard (Pont du Gard), wie in jener Epoche generell das Vorbild der Römer häufig der gültige und möglichst zu übertreffende Maßstab war.


In einem der künstlichen Wäldchen des Schlossparks von Versailles befindet sich der Enceladus-Brunnen, benannt nach einem Giganten aus der griechischen Mythologie (Gemälde von Jean Cotelle d.J.).

6000 Soldaten waren an Fieber gestorben, und neun Millionen Livres hatte die Konstruktion bereits verschlungen, als Ludwig XIV. das Unternehmen abbrach – es war zu gigantisch, und seine Soldaten wurden auch wieder im nächsten Krieg gebraucht. Die schöne Ruine des unvollendeten Aquädukts konnte Madame de Maintenon, seine zweite Gemahlin zur linken Hand, später von ihrem gleichnamigen Schloss melancholisch betrachten – sie bietet noch heute von dort einen romantischen Anblick.

1789: Das System von Versailles funktioniert nicht mehr

Das Schloss von Versailles war eine monumentale Machtdemonstration, allein seine Masse sollte Bewunderung erzwingen und ebenso der Glanz seiner Prachtsäle, an ihrer Spitze der Spiegelsaal. Aber die spielerisch-heitere Lebenskultur, die sich in Vauxle-Vicomte und Chantilly, ja sogar im nahen Saint-Cloud, wo sein Bruder Philippe d’Orléans residierte, entfaltete, hat Ludwig XIV. mit Versailles nie erreicht. Zum Wassermangel des Tals von Galie fügte sich ein unerwünschtes Element der Natur, das der Marschall François de Bassompièrre gegenüber dem König zu erwähnen sich erlaubte, als dieser stolz darauf hinwies, dass da, wo nunmehr sein grandioses Schloss stehe, einst nur eine Windmühle gestanden habe: „Ja, Sire, die Mühle ist verschwunden, aber der Wind ist geblieben.“

Am Ende, als 1789 die Pariser Marktfrauen in revolutionärem Furor nach Versailles zogen, funktionierte das mit dem Schloss verbundene politische System nicht – einerseits geographisch nicht, was Ludwig XIV. hätte bedenken können, denn es lag zu nah an Paris. Andererseits funktionierte es auch machtpolitisch nicht, denn der hohe Schwertadel Frankreichs, den Ludwig XIV. zu kontrollierter Anwesenheit in seiner Nähe und zur permanenten Teilnahme an seinen Festen gezwungen hatte, dachte 74 Jahre später nicht daran, seinen Nachfolger Ludwig XVI. zu verteidigen.

Und im Gegensatz zu Anna von Österreich, die im letzten Augenblick vor ihren politischen Gegnern zu flüchten verstand, zögerte Marie Antoinette zu lange, als eine Karosse für sie im Park von Versailles zur Flucht bereitstand. Schon einen Tag später, als es zu spät war, lamentierte sie: „Ich werde niemals verstehen, warum ich gestern nicht fortgegangen bin.“ Das System Versailles, das nach dem Willen Ludwigs XIV. seine Dynastie aus der Falle von Paris befreien sollte, war selbst zur Falle geworden.

Dr. Uwe Schultz, geb. 1936, ist Rundfunkjournalist, Literaturforscher und Publizist. In zahlreichen Werken hat er sich mit dem absolutistischen Frankreich beschäftigt.

Das Zeitalter des Sonnenkönigs

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