Читать книгу Rosenhain & Dschinnistan - Christoph Martin Wieland - Страница 6

Die Entzauberung

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Inhaltsverzeichnis

Rosalie von Eschenbach, ein liebenswürdiges junges Mädchen, welches seine Eltern schon in der Kindheit verloren hatte, war unter den Augen einer bejahrten und begüterten Vatersschwester, zu deren Erbin sie bestimmt war, mit allen Vorteilen und Nachteilen einer ländlichen Erziehung, fern von der Hauptstadt auf einer alten Ritterburg in einer wildanmutigen romantischen Gegend erzogen worden. Von ihren frühesten Jahren an war Lesen ihr angenehmster Zeitvertreib; das gute Kind hatte aber nichts zu lesen als Ritterbücher und Feenmärchen, wovon die alte Tante selbst eine große Liebhaberin war und deren sie eine ziemliche Menge besaß, welche, nebst einigen Andachtsbüchern und einer mit silbernen Buckeln beschlagenen großen Kupferbibel, die ganze Bibliothek des Schlosses ausmachte. Im Lesen und Schreiben hatte das Fräulein von dem Pfarrer des Orts, in der Musik von dem Kantor eines benachbarten Städtchens, in weiblichen Arbeiten von einer ziemlich geschickten Hausjungfer und im Tanzen von einem gewesenen Kammerdiener ihres Vaters, einem alten Hausratsstück des Schlosses, Unterricht bekommen. Von der Ausbildung, so sie auf diese Weise erhielt, war eben kein hoher Grad von Vollkommenheit zu erwarten; aber die Natur hatte das Beste bei ihr getan, und da Fähigkeit und innerer Trieb sie in allen weit über ihre Lehrmeister hinausführte, so fand sich's, daß sie, den Mängeln ihrer Erziehung zu Trotz, mit einer sehr einnehmenden Gesichtsbildung, einem nymphenmäßigen Wuchs, einer festen, blühenden Gesundheit und einer sanften, gutlaunigen und gefälligen Gemütsart, in ihrem sechzehnten Jahr das reizendste und liebenswürdigste Fräulein auf zwanzig Meilen in die Runde war.

Alles dies, mit dem nicht unbedeutenden Zusatz der gewissen Anwartschaft auf ein ansehnliches Vermögen, machte Rosalien zum Gegenstand der Bewerbung aller heuratslustigen Jünglinge, Hagestolzen und Witwer ihres Standes weit umher. Aber unter den wenigen, welche von irgendeiner Seite Mittel gefunden hatten, einige Auszeichnung von ihr zu erhalten, war doch nur ein einziger, der sich schmeicheln konnte, mit einer Achtung von ihr begünstiget zu werden, die den Keim einer geheimen, vielleicht ihr selbst noch verborgenen Neigung zu verraten schien.

Dieser Glückliche war Alberich, eine Art von irrendem Ritter von der fröhlichen Gestalt, dem die besondern Gnaden, worin er bei den Schönen stand, und die Vorteile, so er daraus zu ziehen wußte, einen glänzenden Namen in der Hauptstadt des Landes gemacht hatten. Er war mehrere Jahre lang im Besitz des Rufs gewesen, daß seinen Reizungen und seiner Gewandtheit in den Künsten der Verführung nicht zu widerstehen sei. Dieser Ruf wird (wie ich höre) oft so wohlfeil erkauft, daß seine Besitzer wenig Ursache haben, stolz auf ihn zu sein. Ob dies auch bei Alberichen der Fall war, ist mir unbekannt; genug, nach einigen Jahren hatte der Aufwand, den er zu Behauptung desselben machte, von seinem sehr mäßigen Erbgut so viel aufgezehrt, daß er sich genötigt sah, aus dem Kreise, worin er bisher geschimmert hatte, herauszutreten und sich in die Provinz, wo Rosalie wohnte, zurückzuziehen, in der Absicht, um irgendeine reiche Erbin zu werben, die ihn in den Stand setzen könnte, mit neuem Glanz in der Hauptstadt zu erscheinen und seine gewohnte Lebensart fortzusetzen.

Unter denen, die er zu dieser Absicht tauglich fand, schien ihm Rosalie von Eschenbach durch ihre Unerfahrenheit, Unschuld und wenige Weltkenntnis diejenige zu sein, deren Eroberung die wenigste Mühe kosten würde; und da sie zugleich die Reichste und Schönste war, so hatte er durch bedeutende Empfehlungen aus der Hauptstadt sich um so leichter Zutritt bei der alten Tante verschafft, da er aus einer wohlbeurkundeten, obgleich etwas entfernten Verwandtschaft seines Hauses mit dem ihrigen sich eine ganz besondere Ehre machte und der unbegrenzten Gefälligkeit, die er für ihre Eigenheiten und Grillen zeigte, durch seine persönlichen Vorzüge einen desto höhern Wert in ihren Augen zu geben wußte. Denn Ritter Alberich, ungeachtet dessen, was einige Hauptstädte Europens von seiner Blüte abgestreift, war noch immer der schönste Mann, den sie je gesehen hatte, und wären nicht vierzig wohlgezählte Jahre zwischen ihnen gestanden, sie würde sich nicht lange bedacht haben, ihn für sich selbst zu behalten.

So leicht war nun freilich die junge, zartfühlende und ihres eignen Werts sich nicht ganz unbewußte Rosalie nicht zu gewinnen. Indessen hatte doch die blendende Außenseite des Ritters ihre Augen, die geschmeidige Leichtigkeit, womit er sich in den unbedeutendsten Dingen nach ihrer Denkart und ihrem Geschmack richtete, ihre Eigenliebe – und die vorgebliche Übereinstimmung ihrer Gemüter, die er mit der feinsten Schauspielerkunst zu heucheln wußte, ihr Herz zu seinem Vorteil bestochen; und wenngleich das, was sie für ihn fühlte, noch nicht Liebe war, so schien es doch das namenlose Etwas zu sein, woraus, mit Zeit, Geduld und unablässiger Sorgfalt, es fein warmzuhalten, zuletzt unversehens Liebe hervorgekrochen kommt.

Unter Rosaliens übrigen Verehrern, die nicht bedeutend genug sind, um uns in nähere Bekanntschaft mit ihnen zu setzen, war nur einer, der eine Ausnahme zu verdienen scheint. Es war der einzige Sohn eines begüterten Landmanns, welcher den Willen und das Vermögen gehabt hatte, seinem Sohn eine bessere Erziehung zu geben, als seinesgleichen gewöhnlich erhalten. Hulderich (so nannte man den jungen Mann) besaß zu einem hellen, ruhigen, mehr gründlichen als schimmernden Verstand ein so warmes und gefühlvolles Herz, als je in der Brust des adeligsten aller Ritter der Tafelrunde schlug. Sein Äußeres war ebensowenig blendend als das Innere; doch konnte er, sogar neben dem schönen Alberich, für einen wohlgebildeten Mann gelten, und (wessen sich dieser nicht zu rühmen hatte) sein Blut war rein wie seine Sitten und sein Körper so gesund und ungeschwächt wie seine Seele. In der Tat hatte er nur einen einzigen Fehler, der ihm aber größern Schaden tat als Alberichen alle seine Laster. Eine Bescheidenheit, die zuweilen an Schüchternheit grenzte, warf auf seine ohnehin nicht schimmernden Verdienste einen Schatten, der sie den Augen derjenigen entzog, die ihn nur eines flüchtigen Anblicks würdigten; und unglücklicherweise war Rosalie eine dieser Unachtsamen.

Hulderichs Vater hatte zu einem hübschen Gut, das sein Eigentum war, die Ländereien der alten Dame gepachtet. Dieser Umstand hatte dem Sohn, von früher Jugend an, häufige Gelegenheit verschafft, in das Schloß zu kommen und Rosalien, solange sie noch unter vierzehn Jahren war, öfters zu sehen und zu sprechen; und so hatte sich das Bild ihrer Liebenswürdigkeit nach und nach tief in sein Gemüt eingesenkt. Ihr munteres, sanftes und holdseliges Wesen, die Güte ihres Herzens und die Anlage zu allen weiblichen Tugenden, die er darin aufkeimen sah, hatte sich des seinigen unvermerkt dergestalt bemächtigt, daß er sie wie seine Seele liebte und daß ihm nichts so schwer deuchte, daß er es nicht für sie zu unternehmen, nichts so kostbar, daß er's ihr nicht aufzuopfern, nichts so peinvoll, daß er's nicht für sie zu leiden bereit war. Diese Gesinnung für Rosalien verwebte sich so innig mit seinem ganzen Wesen, daß sie noch immer in gleicher Stärke fortdauerte, als Rosaliens Übergang in das Alter der aufblühenden Jungfrau ihm beinahe alle Gelegenheit entzog, ein paar Worte mit ihr zu wechseln oder sie nur in der Nähe zu sehen. Er fühlte diesen Verlust schmerzlich; aber da er es schon für Verbrechen gehalten hätte, sich ihren Besitz nur als etwas Mögliches zu denken, so genügte ihm daran, sie schweigend und von fern zu lieben; und es würde ihm, glaubte er, nichts zu wünschen übriggeblieben sein, wenn sie ihm nur zuweilen durch einen gütigen Blick hätte zu erkennen geben wollen, daß sie seinem Herzen Gerechtigkeit widerfahren und sich eine Liebe gefallen lasse, welche, in der Tat, mehr von der andächtigen Inbrunst eines frommen Einsiedlers zu der Königin des Himmels als von dem irdischen Feuer einer eigennützigen Leidenschaft für eine Sterbliche in sich hatte. Aber Rosalie schien seit ihrem funfzehnten Jahre, und noch mehr seit ihrer Bekanntschaft mit Alberich, nicht die mindeste Kenntnis mehr von dem armen Hulderich zu nehmen. Daß es nicht stolze Verachtung war, dafür bürgt uns die Güte des Herzens, wovon sie täglich bei allen Gelegenheiten die unzweideutigsten Beweise gab; auch war es wirklich weiter nichts, als daß Hulderich gänzlich aus ihrem innern Gesichtskreise verschwunden oder wenigstens in den tiefen Schatten zurückgetreten war, worin tausend andere von ihr unbemerkte Menschen standen, mit denen sie, weil sie weder ihres Mitleidens noch ihrer Wohltätigkeit nötig hatten, sich außer allem Verhältnis glaubte.

Alles dies, meine gnädigen Damen und Herren, mußte ich vorausschicken, bevor ich zu dem Abenteuer fortgehen konnte, welches der eigentliche Stoff meiner Erzählung ist.

Ich sagte gleich anfangs, daß Rosalie, aus Mangel eines Bessern, von Kindheit an nichts als Ritterbücher und Feenmärchen gelesen habe. Aus diesen Quellen hatte sie eine Art von idealischer Welt- und Menschenkenntnis geschöpft, die mit dem wirklichen Lauf der Welt und dem Tun und Lassen der wirklichen Menschen einen starken Abstich machte und sehr vieler Berichtigungen und Zusätze bedurfte, wenn sie auch nur für den engen und einförmigen Kreis, worin sie lebte, zureichen sollte, aber auf keine Weise so beschaffen war, daß sie auf einem größern Lebensschauplatz eine anständige Rolle glücklich hätte spielen oder den vielfältigen Gefahren und Unfällen entgehen können, denen sie sich durch so manche täuschende Einbildungen und Erwartungen ausgesetzt befand.

Es war also nicht mehr als billig, daß, bei Entstehung andrer gewöhnlicher Hülfsmittel, die Feen sich des guten Mädchens annahmen und, was sie durch kindliche und kindische Spielwerke der Phantasie an der natürlichen Gesundheit ihres Verstandes eingebüßt hatte, durch andere, auf Wiederherstellung derselben abzweckende Spiele ihrer Zauberkunst zu vergüten suchten.

Bei einem jungen Mädchen, das sozusagen unter lauter Feen und Feerei aufgekommen war, scheint unter den mancherlei wunderlichen Wünschen, welche jungen Mädchen durch den Kopf zu flattern pflegen, keiner natürlicher zu sein als der, sich wirklich einmal in dieses Feenland versetzt zu sehen, von dessen Herrlichkeiten sie soviel gehört und gelesen hatte. Rosalie hing diesem phantastischen Gedanken seit einiger Zeit so häufig nach, daß sie ihn zuletzt gar nicht wieder loswerden konnte.

Einsmals, da sie, bei Aufgang der Sonne, um die Natur im Erwachen zu belauschen und dem Morgenjubel der Lerchen und Nachtigallen zuzuhören, in den Gebüschen des Schloßgartens umherschlich, gab der Zauber, unter welchen diese lieblichen Naturerscheinungen alle ihre Sinne setzte, jenem Gedanken eine solche Stärke, daß er auf einmal laut wurde und in Worte ausbrach, wovon sie keine Zeugen zu haben glaubte.

Plötzlich sah sie eine hohe Gestalt vor sich stehen, die eher einer Göttin als einer Sterblichen ähnlich sah. Ein begeisterndes Feuer wallte in ihren großen schwarzen Augen, und die üppigste Fülle goldner Haare floß in langen Ringeln um ihren schönen Kopf und den blendenden Liliennacken. Sie war in ein schimmerndes Gewand von tausend durcheinandergewebten Farben gekleidet und trug ein dünnes Stäbchen von Ebenholz in der rosenfingrigen Hand. »Dein Wunsch sei dir gewährt«, sagte sie zu Rosalien und berührte sie mit ihrem Stäbchen.

In demselben Augenblick lag Rosalie wie schlummernd auf einem prächtigen Ruhebette; ein Schwarm von gaukelnden Zephirn hob es empor und schwebte mit der schönen Last so leicht durch die Lüfte hin, als ob sie nur ein flockichtes Abendwölkchen vor sich her hauchten.

Rosalie erwachte in den Zaubergärten der Feenkönigin. Große immergrüne Rasenplätze; Blumenstücke, wo Florens schönste Kinder wetteiferten, das Auge mit ihren Bildungen und Farben und den Geruch mit dem süßen Balsam ihrer vermischten Düfte zu entzücken; Zitronenwäldchen und Gebüsche aller Arten blühender und duftender Sträuche, von spiegelhellen, über Goldsand und Perlen flüchtig hinweg rieselnden Bächen durchschlängelt; liebliche Täler und Anger, mit silberwollichten Herden bedeckt und an allmählich emporsteigende Wälder gelehnt; in die Wolken aufstrebende Bäume, die mit der Schöpfung gleiches Alters zu sein schienen; in tiefer Ferne eine Kette von ungeheuren Felsen, zwischen welchen aus den Wolken herabstürzende Ströme, bald in funkelnde Staubregen aufgelöst, bald in ungeheuren Schaummassen durch die geborstnen Klippen sich drängend, unzählige Wasserfälle bildeten, deren Donner aus der weiten Entfernung in schlafeinladendes Rauschen sich verlor: kurz, alles, was Natur und Kunst in den Halbzirkel eines weit ausgedehnten Gesichtskreises Prächtiges, Erhabenes, Schönes und Anmutiges zusammenzaubern können, war hier mit verschwenderischer Üppigkeit und in einer anscheinenden Unordnung, die im Ganzen zur schönsten Harmonie wurde, vereinigt, um die Seele in einen einzigen reinen, entzückenden Genuß aufzulösen.

Rosalie schwamm in Wonne; ihr war, als erinnere sie sich dunkel, wie eines vorschwebten Traums, daß sie schon an einem solchen Ort gewesen sei; aber daß sie hier verwirklicht sah, was ihr vormals nur in matten, ineinander zerrinnenden Luftgestalten erschienen war, das eben war es, was ihr keinen Zweifel ließ, daß sie sich wirklich im Lande der Feen befinde.

In diesem wundervollen Lande geht alles nach einer andern Regel als in unsrer Alltagswelt, wo wir armen Erdenkinder, an Raum und Zeit gefesselt, nicht von einem Ort zum andern, ohne den Zwischenraum zurückzulegen, noch vom Abend zum Morgen kommen können, ohne die ganze Nacht dazwischen durchlebt zu haben, ohne daß auch nur eine einzige Minute daran erlassen wird.

Rosalie erhielt in wenig Augenblicken einen neuen Beweis, daß sie im Feenlande sei; denn auf einmal verschwanden die Zaubergärten, und sie befand sich in einem großen, prächtig erleuchteten Saal, der jenem wenig nachgab, den der glückliche Schneiderssohn Aladin, in den arabischen Märchen, mit Hülfe des Genius der Lampe und seiner Gesellen, zur großer Freude des Sultans, seines Schwiegervaters, in einer einzigen Nacht zustande bringt. Dieser Saal war mit einer unendlichen Menge schöner und zierlicher Damen und Herren angefüllt, die in buntschimmerndem Gewimmel, paar- und gruppenweise, durcheinanderschwärmten und denen man auf den ersten Blick ansah, daß sie nichts zu tun hatten noch wußten, als ewig dem vor ihnen her fliehenden Vergnügen nachzujagen.

Rosalie erkannte sogleich den holden Alberich, der sich mit Unterhaltung einiger Schönen, die ihn umringten, zu beschäftigen schien, aber, sobald er die Dame seines Herzens erblickte, auf sie zueilte und ihr sein Entzücken, sie hier zu finden, in den lebhaftesten Figuren und Wendungen ausdrückte. Rosalie fühlte sich unter einer Art von Zauber, dem sie nicht widerstehen konnte, vielleicht weil es ihr an – Willen zum Widerstehen fehlte. Ihr war, als ob sie nicht ganz dieselbe sei, die sie immer gewesen: sie suchte sich in sich selbst und erstaunte über die neuen Gefühle, die sich in ihr regten und ihr zwar fremd, aber zu angenehm waren, um sich ihnen nicht sorglos zu überlassen. Noch nie hatte Alberich ihr so liebreizend geschienen, nie die zärtlichen Schmeicheleien, die er ihr sagte, nur halb soviel Eindruck auf sie gemacht, und sie mußte sich Gewalt antun, um es ihm nicht auf die lebhafteste Art zu erkennen zu geben. Kein Wunder, daß der arme Hulderich (der, mit seiner gewohnten Schüchternheit, um nicht bemerkt zu werden, hinter einem mit Kränzen umwundenen Pfeiler stand und ganz in ihrem Anschauen verloren schien) kaum eines von ungefähr sich zu ihm verirrenden flüchtigen Blicks gewürdiget wurde.

Eine durch den Saal erschallende und zum Tanz einladende Musik stimmte sie plötzlich auf einen andern Ton. Sie ergriff Alberichs Arm und flog mit der Leichtigkeit einer Nymphe, kaum den Boden berührend, durch den Saal mit ihm dahin. Ermüdet sanken sie endlich auf die weichen, hoch aufgeschwellten Polster, womit eine von reichen Tapeten schimmernde Estrade belegt war. Die blendende Beleuchtung des Saals verlor sich in ein allmählich immer matter werdendes Dämmerlicht und die rauschende Musik in die sanft verschwebenden Töne eines sich selbst immer leiser nachahmenden Echo. Rosalie erschrak, da sie sich plötzlich mit Alberichen allein und von einem seiner Arme umschlungen sah. Vergebens suchte sie sich von ihm loszuwinden, als plötzlich eine große, majestätische Frau, mit einer kleinen goldnen Krone auf ihrem zusammengeflochtnen Haar und einem schwarzen Stäbchen in der Hand, vor ihnen stand. »Folge mir, Rosalie«, sagte sie, Alberichen mit ihrem Stabe berührend. Sogleich schwand er aus Rosaliens Augen, und sie stand auf und folgte der Dame.

Eine große elfenbeinerne Pforte tat sich vor ihnen auf. »Gehe vorwärts«, sagte die Feenkönigin; »entsetze dich vor nichts, das dir begegnen wird, und vertraue auf meinen Beistand.« Sowie Rosalie über die Schwelle der elfenbeinernen Pforte geschritten war, fuhr ihr die Fee mit leiser Hand über das Gesicht und verschwand. Eine kaum sichtbare Flamme, die aus der Hand der Fee zu fahren schien, verbreitete auf einen Augenblick eine fliegende Hitze über ihr ganzes Gesicht; aber alle ihre Sinnen beruhigten sich, und sie glaubte sich auf einmal selbst wiedergefunden zu haben, wiewohl sie eine kleine Weile in die dickste Finsternis eingehüllt stand. Sobald diese verschwunden war, sah sie sich wieder auf eben der Stelle des Gartens, wo ihr die Fee mit den goldnen Haaren erschienen war.

Von einer seltsamen Mattigkeit befallen, warf sie sich auf die nächste Bank, als sie Alberichen ganz nahe vor ihr vorbeigehen sah. Er schielte einen flüchtigen Blick auf sie und ging vorüber. Rosalie rief ihn zurück. »Was wollen Sie meiner?« fragte er.

»Welche Frage! Wer bin ich denn? Seit wann kennen Sie mich nicht mehr, Herr Alberich?« – Alberich erschrak itzt, da er sie genauer ansah, so heftig, daß er die Sprache nicht gleich wiederfinden konnte.

»Verzeihen Sie, Fräulein«, stammelte er endlich in größter Verwirrung; »ich muß bezaubert sein – ich höre Ihre Stimme, ich sehe Ihre Gestalt, Ihre Kleidung; aber Ihr Gesicht ist so wenig Ihr eigenes, daß ich zehnmal bei Ihnen hätte vorbeigehen mögen, ohne Fräulein Rosalie von Eschenbach in Ihnen zu erkennen.«

»In der Tat, Herr Alberich, Sie sind bezaubert – oder etwas noch Schlimmeres. Vor wenigen Minuten sagten Sie mir noch die schmeichelhaftesten, zärtlichsten Sachen von der Welt... Was ist mit Ihnen vorgegangen? Ich besorge sehr, es steht nicht ganz mit Ihnen, wie es sollte, Herr Alberich!«

»Ich fürchte vielmehr...«, sagte dieser hielt aber plötzlich inne. »Beim Himmel, Fräulein, es ist etwas Unbegreifliches in dieser Sache«, fuhr er fort, indem er einen kleinen Taschenspiegel hervorzog und ihr hinreichte; »aber sehen Sie selbst, und Sie werden mir Gerechtigkeit widerfahren lassen.«

Rosalie blickte in den Spiegel und erschrak nicht viel weniger als Alberich; denn die Spuren, die der elektrische Schlag, so sie von der Fee empfangen, zurückgelassen hatte, waren in der Tat auffallend. Alle Lilien und Rosen ihres Gesichts waren verschwunden, und statt eines Paars holdseliger Grübchen, die ihrem Lächeln einen unwiderstehlichen Zauber gegeben hatten, waren ihre feinen Gesichtszüge von einer Menge tiefer, Pockengruben ähnlicher Furchen und braunroter Flecken so entstellt, daß ein Liebhaber wie Alberich wirklich zu entschuldigen war, wenn er sie auf den ersten Blick für eine andre ansah. Aber es sei nun, daß das Wort der Feenkönigin ihr wieder zu Sinne kam oder daß, durch eine natürliche Täuschung der Eigenliebe, auch die Häßlichste sich selbst immer schöner vorkommt als alle andern Menschen – genug, Rosalie faßte sich sogleich wieder und sagte zu Alberich, indem sie ihm seinen Spiegel zurückgab: »Wenn Ihr Spiegel mich nicht verleumdet, so ist in der Tat etwas mit mir vorgegangen, das ich nicht begreife. Aber Sie, Herr Alberich, Sie, der mir vor wenig Augenblicken noch die feurigste Liebe zuschwor, der mich mit den Augen der Liebe sehen sollte, Sie hätten diese Veränderung gar nicht gewahr werden sollen.«

»Ich verstehe Sie nicht, gnädiges Fräulein«, erwiderte Alberich, der sie mit immer größerer Bestürzung anglotzte, weil er sich in dem Gedanken bestätigt sah, daß ihr Kopf bei dieser unerklärbaren Verwandlung gelitten haben müsse; »erlauben Sie, daß ich zu einem Arzt eile, der hier, wie es scheint, ganz allein Rat schafften kann.« – Mit diesen Worten entfernte sich der getreue Schäfer, so schnell er konnte, nicht um einen Arzt aufzusuchen, sondern sich in der Stille mit sich selbst zu beraten, was für einen Entschluß er bei diesem seltsamen Unfall zu nehmen habe.

Das Fräulein hatte ihn kaum aus den Augen verloren, so kam Hulderich (den die alte Dame seit kurzem zum Aufseher über ihre Gärten bestellt hatte), mit einem prächtigen Blumenstrauß in der Hand, von einer andern Seite heran und schien einen Augenblick zweifelhaft, ob er sich nähern und Rosalien die Blumen, die er alle Morgen für sie zu pflücken pflegte, selbst überreichen oder (nach bisheriger Gewohnheit) durch ihr Mädchen auf ihren Putztisch legen lassen sollte.

Sobald ihn Rosalie erblickte, erinnerte sie sich der Stellung, worin sie ihn im Palast der Feenkönigin gesehen, und befahl ihm in einem freundlichen Tone, näher herbeizukommen. Ein milder, gütiger Blick schien ihm die Erlaubnis zu geben, ihr seine Blumen selbst zu überreichen, und er tat es mit einer so ehrerbietigen und bescheidenen Art, daß sie ihm, in der Stimmung, worin sie war, beinahe Dank dafür wußte. Der Schleier, den sie über ihren Kopf gezogen hatte, ließ von ihrem Gesichte wenig mehr als die Augen sehen, und der einzige Blick, den der bescheidene Jüngling zu ihr zu erheben gewagt hatte, entdeckte ihm nichts an ihr, was ihn hätte befremden können. Aber itzt schlug das Fräulein den Schleier zurück, sah ihm scharf ins Gesicht und sagte: »Wir sind alte Bekannte, guter Hulderich; betrachte mich wohl und sage mir, wie ich dir vorkomme.« – »Sie haben, wie ich sehe, während ich von Eschenbach abwesend war, die Blattern gehabt, gnädiges Fräulein; gottlob! daß es so glücklich abgegangen und daß Ihre schönen Augen nichts dabei gelitten haben!«

»Rede, wie dir's ums Herz ist; du findest mich also nicht so gar häßlich?«

»Häßlich?« rief Hulderich. »Das verhüte der Himmel, gnädiges Fräulein! In meinen Augen können Sie nie häßlich werden, das ist unmöglich.« – Er wurde feuerrot, wie dies Wort über seine Lippen gekommen war, weil er fürchtete, etwas gesagt zu haben, das ihm nicht gezieme.

Rosalie dankte ihm für seine Blumen und seinen guten Willen gegen sie und entließ ihn mit einem Lächeln, wobei ihm war, als ob sich der Himmel auftue und aus jeder Grube ihres Gesichts ein Engelsköpfchen hervorlächle.

Das Fräulein kehrte ins Schloß zurück, und da es unmöglich war, ihrer Base die leidige Veränderung, die ihr Gesicht erlitten hatte, zu verhehlen, so hüllte sie sich, um ihr das Unangenehme der Überraschung zu ersparen, in ihren Schleier ein und berichtete ihr umständlich, was ihr diesen Morgen mit den beiden wunderbaren Damen begegnet war. Die Alte glaubte zu stark an das Feenwesen, um in der Überzeugung, daß es Feen gewesen, nicht hinlänglichen Grund zur Beruhigung zu finden. »Sie haben ganz gewiß, trotz dem widrigen Anschein, etwas Gutes mit dir vor«, sagte sie; »befahl dir die Feenkönigin nicht ausdrücklich, dich vor nichts zu entsetzen und auf ihren Beistand zu vertrauen?« Aber da die gute Rosalie sich nicht enthalten konnte, von Zeit zu Zeit einen verstohlnen Blick in einen großen venezianischen Spiegel zu werfen, der ihr gegenüber hing, so war es ihr nicht wohl möglich, sich, mit allem ihrem Respekt vor den Feen, eines kleinen Grolls gegen die Launen dieser Halbgöttinnen zu erwehren, und sie konnte sich selbst nicht überreden, die Pockengruben und Leberflecken, die sie ihr angezaubert hatten, für ein Unterpfand zu nehmen, daß sie viel Gutes mit ihr im Sinne hätten.

Tante und Nichte besprachen sich noch über diese seltsamen Ereignisse, als der ersten ein Brief gebracht wurde, der ihr ankündigte, daß sie durch den plötzlichen Fall eines der ersten Handelshäuser in der Hauptstadt um den größten Teil ihres Vermögens gekommen sei. Die gute Dame klebte noch zu stark am Irdischen, als daß ihr eine solche Nachricht hätte gleichgültig sein können, und die Reihe war nun an der Nichte, die jammernde Tante zum Vertrauen auf den guten Willen der Feen aufzufodern. »Wem geht es schlimmer dabei als dir?« sagte die Alte; »ich habe wenig Ansprüche mehr an die Welt; du allein dauerst mich. Aber ich glaube wirklich, du wärest leichtsinnig genug, wenn die Feen es auf deine Wahl ankommen ließen, deine Pockennarben und Leberflecken mit meinem ganzen Vermögen abzukaufen.«

Man mußte nun auf große Einschränkungen denken; denn außer dem Gute Eschenbach, dessen Ertrag nicht sehr beträchtlich war, blieb unsern beiden Damen nichts als die alte Burg und was etwa an Silbergeräte, Kleinodien, vergoldeten Pokalen, alten Schaupfennigen und dergleichen von Großmüttern und Ältermüttern auf sie vererbt worden war. Mit allem diesem war Rosalie freilich keine reiche Erbin mehr, und der edle Ritter Alberich, der sehr lebhaften Anteil an diesem neuen Unfall nahm, mußte gestehen, daß es ein hartes Schicksal für die liebenswürdige Rosalie sei, an einem und demselben Tage Schönheit und Vermögen zu verlieren. Er ließ es indessen vorderhand nicht an schönen Trostgründen fehlen, womit er sich aus einer alten Übersetzung des Seneca bewaffnet hatte; und wiewohl er sehr ernstlich auf seinen baldigen Abzug bedacht war, so hatte er doch zuviel Artigkeit und Gefühl des Schicklichen, um das Schloß, wo ihm seit einigen Tagen ein Zimmer eingeräumt worden war, auf der Stelle zu verlassen. Dieser Umstand gab ihm Gelegenheit, seinen Charakter in einem noch blendendern Lichte zu zeigen.

Der Unstern der Damen von Eschenbach hatte seinen höchsten Punkt noch nicht erreicht. In der Nacht, die auf diesen Unglückstag folgte, kam, um die Zeit, da alles im ersten Schlafe lag, Feuer im Schloß aus. Die Flamme griff schnell um sich, und die winklichte altfränkische Bauart dieser Ritterburg machte die Gefahr der Bewohner um soviel größer. Der edle Alberich, des klugen Spruchs eingedenk: »Jeder ist sich selbst der Nächste«, war der erste, der – seine eigene Person in Sicherheit brachte; doch vergaß er nicht, beim Abschied den kopflos durcheinanderrennenden Bedienten die Rettung ihrer Gebieterinnen bestens zu empfehlen. Für das Fräulein hatte bereits eine große, majestätische Frau gesorgt, die gleich anfangs, als das Feuer ausbrach, von mehrern gesehen worden war, wie sie die widerstrebende Rosalie auf ihren Armen davontrug und sie durch die Versicherung zu beruhigen suchte, daß für die Tante bereits gesorgt sei. Dies schien indessen keineswegs der Fall zu sein. Denn während die Hausbedienten (wie in solchen Fällen gewöhnlich ist) beschäftigt waren, die geringfügigsten Sachen zu retten, hatte das Feuer das Schlafzimmer der alten Dame ergriffen, die, vom Rauch halb erstickt, um Hülfe schrie, ohne daß jemand den gefährlichen Versuch wagen wollte, sie den immer näher zuckenden Flammen zu entreißen.

In dieser äußersten Not kam plötzlich ein keuchender Jüngling herbeigerannt, der sich mit Armen und Beinen durch das Gedräng Platz machte und, in ein um sich her geschlagenes nasses Tuch gehüllt, sich in den brennenden Flügel des Schlosses stürzte. Es war kein andrer als der bescheidene, schüchterne Hulderich, der aber bei Gelegenheiten, wo die meisten Herz und Kopf verlieren, die Besonnenheit und den Mut eines Helden zeigte. Jedermann schrie ihm zu, daß er verloren sei, und sein alter Vater, der mit Gewalt zurückgehalten werden mußte, ihm nicht zu folgen, rang die Hände in trostlosem Jammer – als Hulderich, mit der alten ohnmächtigen Dame im Arm, so unbeschädigt aus dem Feuer zurückkam, daß auch nicht ein Haar an seinem lockichten Haupte versengt war. Im nämlichen Augenblick erlosch das Feuer auf einmal von sich selber, wiewohl zu spät, als daß, außer den Schloßbewohnern, etwas anders als die dicken steinernen Mauern und einige angebrannte Balken von der ganzen Burg übriggeblieben wäre.

Die gerettete und gleichfalls völlig unversehrte Dame wurde sogleich in die benachbarte Pachterswohnung getragen, wo Rosalie mit ihren Kammerleuten und Hulderich mit seinem Vater geschäftig waren, sie zu sich selbst zu bringen, zu pflegen und zu trösten, soviel in ihrem Vermögen war. Das letztere gelang ihnen um so leichter, da die alte Dame, gegen alles Erwarten, eine Standhaftigkeit und Ergebung zeigte, die den Anwesenden ebensoviel Ehrfurcht als Mitleid einflößte. Sobald sie wieder zu sich selbst kam, war ihre erste Frage: »Wo ist Alberich?« – »Vermutlich bei gutem Wohlsein«, sagte einer der Hausbedienten; »sobald er ›Feuer‹ rufen hörte, warf er sich in seine Kleider, eilte in den Stall, sattelte seinen Gaul eigenhändig und sprengte in vollem Galopp zum Tor hinaus.« – »Ohne sich um uns zu kümmern?« rief die Dame. »Um Verzeihung«, sagte ein anderer; »er empfahl uns, als er fortritt, sehr nachdrücklich, uns unsrer Gebieterinnen anzunehmen.«

»Und wem bin ich denn meine Rettung schuldig?«

»Hulderich«, sagte Rosalie errötend und mit Tränen im Auge, »Hulderich wagte sein Leben für Sie.«

Die alte Dame schlug die Augen starr zum Himmel auf und schien auf einige Augenblicke Bewegung und Sprache verloren zu haben; sie faßte sich aber bald wieder, um sich mit sichtbarer Rührung nach ihrem Retter umzusehen, der sich in einer Ecke des Zimmers hinter andere verborgen hielt und von den Lobsprüchen und Danksagungen, die ihm seine Tat von allen Seiten zuzog, eher beschämt und gekränkt als geschmeichelt schien.

Hulderichs Vater entfernte itzt, außer Rosalien und seinem Sohn, alle übrigen aus dem Gemach, warf sich dann der Frau von Eschenbach zu Füßen und bat sie, mit einer Herzlichkeit, welche Rosalien bis zu Tränen rührte, von diesem Augenblick an alles, was er besitze, als ihr Eigentum anzusehen. »Meine Voreltern und ich selbst«, sagte er, »haben das meiste im Dienst Ihrer guten Vorfahren erworben; Ihnen sind wir alles schuldig, und ich fühle mich glücklich, daß ich itzt imstande bin, einen Teil unsrer alten Schuld abzutragen.«

Innig gerührt von der Biederherzigkeit des wackern Alten und von so mancherlei unerwarteten Ereignissen gepreßt, beantworteten Frau von Eschenbach und ihre Nichte dieses Anerbieten, wie man von edeln Seelen erwarten kann, die von keiner falschen, zur Unzeit stolzen Scham verhindert werden, die natürliche Gleichheit zu erkennen, die zwischen edelgesinnten Menschen alle Ungleichheit der Geburt und des Standes verschwinden macht, aber unfähig sind, von einem allzu großmütigen Anerbieten Gebrauch zu machen, und ihre Bedürfnisse nach ihren Umständen zu regeln wissen.

Inzwischen fühlten sich beide Damen von dem, was sie Hulderichen schuldig waren, noch unendlichmal mehr gerührt und beklemmt als von dem edeln Benehmen seines Vaters. Seiner Entschlossenheit, seiner Selbstaufopferung hatte die Tante ihr Leben, Rosalie die Erhaltung ihrer zweiten Mutter zu danken. Womit konnten sie ihm eine solche Wohltat vergelten? Es war unmöglich; aber gleich unmöglich, unter der Bürde einer solchen Verbindlichkeit zu leben. Beide sprachen öfters hierüber miteinander, ohne zu einem Ausweg gelangen zu können.

»Hulderich«, sagte die Base einst zur Nichte, »scheint etwas für dich zu empfinden, das er in seinem innersten Herzen verschlossen trägt.«

»Fast glaube ich es selbst, liebe Mutter«, erwiderte Rosalie. »Wenn er von Geburt wäre...«, murmelte die Alte in sich hinein, als ob sie sich nicht getraute, ihren Gedanken ganz auszusprechen.

»Er ist zu einem Menschen geboren, wie es nicht viele geben mag«, sagte Rosalie. »Aber – auch ohne den Umstand, worauf Sie zielen, wie könnt ich ihn belohnen, ich, die alles verloren hat? – Wenn ich noch wäre, was ich war – vielleicht – doch wozu diese Reden? Es ist nicht daran zu denken.«

Und dennoch dachte sie oft genug daran und konnte sich selbst nicht verbergen, daß Hulderich ihr alle Tage liebenswürdiger vorkam. "Was ich nicht begreife" sagte sie zu sich selbst, "ist, wie ein so verächtlicher Mensch als Alberich mir jemals die Augen verblenden konnte."

Der arme Hulderich dachte noch öfter an das, woran Rosalie nicht denken wollte, wiewohl er sein möglichstes tat, um sich solche Gedanken aus dem Sinn zu schlagen. Denn seitdem er Tag und Nacht von ihnen angefochten wurde, wagte er es immer weniger, die Augen zu Rosalien aufzuschlagen. Sie kam ihm alle Tage liebreizender vor, und er hätte nicht viel Geld dafür genommen, daß sie eine einzige Pockennarbe weniger gehabt hätte. Sie, so wie sie war, sein nennen zu können war das höchste Glück, so er sich denken konnte. Aber sich einzubilden, daß es ihm jemals erreichbar sein könne, würde ihn nur unglücklicher gemacht haben, und er war es schon so sehr, daß, wieviel Müh er sich auch gab, heiter und ruhig auszusehen, ihm doch jedermann ansah, daß ein geheimer Wurm an seinem Herzen nagte.

Es war Zeit, daß die Dame mit dem goldnen Krönchen auf dem Kopfe sich entschloß, einen Knoten, den sie selbst hatte verwickeln helfen, wieder aufzulösen oder – zu zerhauen.

Eines Abends, da Rosalie, die alte Tante, Hulderich und sein Vater, in stummer Teilnehmung aneinander, nachsinnend und traurig beisammensaßen, trat sie plötzlich, ihr schwarzes Stäbchen in der Hand, mitten unter sie und sprach: »Wenn ich jedes unter euch mit diesem Stäbchen berühren und dadurch nötigen wollte, eures Herzens Gedanken laut zu denken, so würde die Last, die euch drückt, flugs zu Boden sinken. Aber um euch eine kleine Schamröte zu ersparen, nehme ich die Sache auf mich selbst. Hulderich liebt Rosalien, wie nur wenige lieben können, und hat sie um ihre Pflegemutter wohl verdient. Er liebt sie selbst, nicht ihr Vermögen, das sie verloren hat, nicht die Lilien und Rosen ihres Gesichts, welche verschwunden sind. Ich habe ihr beides geraubt; es ist billig, indem ich sie, nach dem verschwiegenen Wunsch ihres Herzens, Hulderichen zur Belohnung gebe, daß ich ihr zugleich wiedergebe, was sie durch mich verlor. Das Handelshaus, dem ihr Vermögen anvertraut war, ist nicht gefallen; das alte Schloß, das ich selbst in den Brand steckte, ist neu und schöner, als es war, wieder aufgebaut; und es soll bloß auf Hulderichen ankommen, wieviel Pockengruben seine Braut zum Andenken ihres Abenteuers behalten soll.«

Das Fräulein warf einen bittenden Blick auf Hulderich, und die Fee las in seinen Augen, daß er, Rosalien zulieb, sich an einer einzigen genügen lassen wollte.

»Wir Feen«, fuhr die Feenkönigin fort, »sind, wie bekannt, sonst keine Freundinnen von Mißheuraten und sorgen immer dafür, daß die Königstöchter, die sich in Hirtenknaben, oder die Prinzen, die sich in Gänsemädchen und Aschebrödeln verlieben, am Ende ihresgleichen in ihnen finden. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Indessen urkunde ich hiemit zum Trost der guten Tante, daß Hulderich in gerader Linie von Vercingetorix, einem uralten Fürsten der Gallier, abstammt, dessen Abkömmlinge, was bei so vielen hochstämmigen Geschlechtern schon der Fall war, mit der Länge der Zeit in Dunkelheit herabgesunken sind. Die Sorge, einander glücklich zu machen und es selbst dadurch zu sein, wird nun künftig euer eigen Werk bleiben. Ich habe getan, was einer guten Fee zukommt, tut nun das Eurige! – Und das tun auch Sie, meine gnädigen Damen und Herren, und – zischen mein Märchen ohne Schonung aus, wenn es Ihnen Langeweile gemacht haben sollte.

Die Gesellschaft war zu höflich, die liebenswürdige Erzählerin beim Worte zu nehmen. Im Gegenteil, es wurde ihr viel Schönes sowohl über ihre Art zu erzählen als über das Märchen selbst gesagt.

»Was das letztere betrifft«, sagte Amanda, »so muß ich gestehen, daß mein Verdienst dabei sehr gering ist, weil nur das wenigste, und gerade das Alltäglichste darin, mir selbst angehört. «

»Soviel mich meine ziemlich starke Belesenheit in diesem Fache belehrt hat«, sagte der junge Herr von P., »dürfte dies wohl von den meisten Erzählungen und Märchen behauptet und im Notfall leicht nachgewiesen werden können. Aber diesmal läßt mich mein Gedächtnis im Stich. Darf man fragen, wie die Quelle heißt, aus welcher Sie geschöpft haben?«

»Ein Traum.«

»Ein Traum! – der Ihnen selbst geträumt hat?« rief Rosalinde.

»Der mir selbst, an einem schönen Morgen, vor nicht langer Zeit geträumt hat. Anfang und Ende hing wohl nicht ganz so alltäglich darin zusammen wie in meiner Erzählung; aber alles, was in dieser Feerei ist, schöpfte ich aus meinem Traume und setzte das übrige bloß hinzu, um ihm die Gestalt einer Sache zu geben, die sich auch außerhalb der Feenwelt hätte zutragen können, insofern als etwas Ausgemachtes angenommen wird, daß höhere Mächte sich in die Leitung der menschlichen Angelegenheiten mischen.«

»Die Feen haben Sie mit einer beneidenswürdigen Gabe beschenkt, liebe Amanda«, sagte Rosalinde, »wenn solche Träume etwas Gewöhnliches bei Ihnen sind.«

»Gewöhnlich nun eben nicht«, erwiderte jene, »aber doch auch nicht so selten, daß nicht eine ganz artige Sammlung herauskäme, wenn ich aus jedem, der sich dazu schickte, ein eigenes Märchen machen wollte.«

»Eben dies«, sagte Herr M., der Philosoph, »beweiset den natürlichen Beruf, den Fräulein Amanda zum Märchendichten hat. Das Märchen ist eine Begebenheit aus dem Reich der Phantasie, der Traumwelt, dem Feenland, mit Menschen und Ereignissen aus der wirklichen verwebt und mitten durch Hindernisse und Irrwege aller Art von feindselig entgegenwirkenden oder freundlich befördernden unsichtbaren Mächten zu einem unverhofften Ausgang geleitet. je mehr ein Märchen von der Art und dem Gang eines lebhaften, gaukelnden, sich in sich selbst verschlingenden, rätselhaften, aber immer die leise Ahnung eines geheimen Sinnes erweckenden Traumes in sich hat, je seltsamer in ihm Wirkungen und Ursachen, Zwecke und Mittel gegeneinanderzurennen scheinen, desto vollkommener ist, in meinen Augen wenigstens, das Märchen.« – »Vorausgesetzt«, sagte Nadine, »daß, bei allem dem, soviel Wahrheit darin sei, als nötig ist, wenn die Einbildung getäuscht, das Herz ins Spiel gezogen und der Verstand sanft eingeschläfert werden soll.

»Eine Forderung«, versetzte Herr M., »die wir zu allen Gattungen von Dichterei mitzubringen berechtigt sind und dem Märchendichter um so weniger erlassen können, da er auch hierin gewissermaßen den Traum zum Muster zu nehmen hat. Denn wie widersinnig, unbegreiflich, ja unmöglich die Erscheinungen, die ein Traum darstellt, immerhin sein mögen, dem Träumenden kommen sie natürlich, begreiflich und glaublich vor. Der Dichter ahmt also, nach seiner Weise, dem Traum nach, indem er nicht nur durch die zuversichtliche, unbefangene Treuherzigkeit, womit er die unglaublichsten Dinge als geschehen erzählt, den Verstand des Zuhörers, wie sich Fräulein Nadine sehr glücklich ausdruckte, einschläfert, sondern wirklich das Natürliche mit dem Unnatürlichen so fein und künstlich zu verweben weiß, daß man letzteres gleichsam unter dem Schutz des erstern unangefochten durchschlüpfen läßt. Wie sollte auch das Märchen diesen Schutz entbehren können, da es seiner Natur nach immer an der Grenze des Ungereimten schwebt?«

Die sämtlichen Glieder der erzählenden Innung dankten dem Philosophen lachend für das Kompliment im Namen der ganzen Brüderschaft, und so begab sich die Gesellschaft, unter mancherlei Scherzen und freundlichen Neckereien, mit gewohnter Fröhlichkeit zur Ruhe.

Herr M., dem das Los die Unterhaltung der Gesellschaft am vierten Abend aufgetragen hatte, erklärte sich in einem kleinen Prolog: Da er weder ein Geistermärchen noch ein milesisches Märchen noch irgendeine andre Gattung von aufstellbaren Märchen in seinem Vermögen hätte, so würden die Damen und Herren mit einer kleinen Novelle vorliebnehmen müssen, die er ehmals in einem alten, wenig bekannten spanischen Buche gelesen zu haben vorgab. Bei einer Novelle, sagte er, werde vorausgesetzt, daß sie sich weder im Dschinnistan der Perser noch im Arkadien der Gräfin Pembroke noch im Thessalien der Fräulein von Lussan noch im Pays du Tendre der Verfasserin der Clelia noch in einem andern idealischen oder utopischen Lande, sondern in unserer wirklichen Welt begeben habe, wo alles natürlich und begreiflich zugeht und die Begebenheiten zwar nicht alltäglich sind, aber sich doch, unter denselben Umständen, alle Tage allenthalben zutragen könnten. Es sei also von einer Novelle nicht zu erwarten, daß sie (wenn auch alles übrige gleich wäre) den Zuhörern ebendenselben Grad von Anmutung und Vergnügen gewähren könnte, den man aus glücklich gefundenen oder sinnreich erfundenen und lebhaft erzählten Märchen zu schöpfen pflege. »Von der meinigen., setzte er hinzu, »bitte ich Sie sich sehr wenig zu versprechen. Sie und ich werden uns beiderseits desto besser dabei befinden: ich, weil ich mir dann Hoffnung machen kann, Ihre Erwartung vielleicht zu übertreffen, Sie, weil Sie sich nur zu Ihrem Vergnügen getäuscht finden können. Übrigens muß ich noch sagen, daß meine Novelle sich von allen andern, soviel ich weiß, dadurch unterscheidet, daß sie keinen Titel hat. Ich habe mir alle Mühe gegeben, diesen Mangel aus meinem eignen Kopfe zu ersetzen, konnte aber keinen finden, gegen den ich nicht eine Einwendung hatte, die ihn verwerflich machte. Sie mag also, weil doch jedes Ding einen Namen haben muß (haben doch so viele Undinge einen!) und weil es in diesem Stück das erste in seiner Art ist, mit Ihrer Erlaubnis, die Novelle ohne Titel betitelt werden.«

Und hiemit begann Herr M. seine Erzählung folgendermaßen.

Rosenhain & Dschinnistan

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