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Die Novelle ohne Titel
ОглавлениеDie Familie Moscoso von Altariva, eine der ältesten und angesehensten in Galicien, war auf den gewöhnlichen Wegen, worauf große Häuser mit der Zeit in Verfall zu geraten pflegen, nach und nach so weit herabgekommen, daß die reichen, aber abgenutzten Gerätschaften einer alten, den Einsturz drohenden Burg, nebst der Herrlichkeit über ein paar kleine Weiler, und ein sechs Ellen langer Stammbaum beinahe alles waren, was Don Lope Moscoso, Graf von Altariva, der letzte Sprößling des ältern Zweiges der Familie, vom Glanz seiner Vorfahren übrigbehalten hatte. Fern vom Hofe, und sogar in der Hauptstadt seiner Provinz selten gesehen, lebte er mit seiner Gemahlin, Doña Pelaja, in einer beinahe einsiedlerischen Abgeschiedenheit von der Welt, einzig mit der Erziehung eines Sohns und einer Tochter beschäftigt, welche, in der nämlichen Stunde geboren; eine so große Ähnlichkeit der Gestalt und Gesichtsbildung mit auf die Welt brachten, daß es, in der Folge, den Eltern selbst nur durch die verschiedene Kleidung des Geschlechts möglich war, sie voneinander zu unterscheiden.
Durch einen Glücksfall, der, wiewohl nicht ohne Beispiel, doch in Romanen und Komödien häufiger als in der wirklichen Welt vorzukommen pflegt, kehrte Don Jago, der einzige Vatersbruder des Don Lope, nach einer vieljährigen Abwesenheit, mit einem in Westindien erworbenen unermeßlichen Vermögen aus Mexiko zurück, mit dem Vorsatz, dasselbe, da er ohne Leibeserben war, zu Wiederherstellung des alten Glanzes seines Hauses anzuwenden. Er kaufte alle nach und nach veräußerten Güter wieder zusammen, baute das Schloß Altariva von Grund aus größer und schöner auf, als es je gewesen war, und wie er sein Ende herannahen sah, machte er ein Testament, worin er seinen Bruderssohn und nach dessen Tode den jungen Manuel Moscoso, seinen Großneffen, zum einzigen Erben seines ganzen Vermögens einsetzte; jedoch mit der ausdrücklichen Bedingung, daß, wofern dieser ohne Leibeserben abginge, dessen Schwester Galora mit einer beträchtlichen Summe abgefunden, die Stammgüter aber und alles übrige dem nächsten Seitenverwandten zufallen sollten, einem jungen wenig bemittelten Hidalgo, Don Antonio Moscoso genannt, der damals zu Ferrol als Fähndrich in des Königs Dienste stand und sich wenig Hoffnung auf Don Jagos Erbschaft zu machen hatte, da das frische Wachstum und die blühende Gesundheit des jungen Don Manuel einen so dauerhaften und kräftigen Stammhalter versprach, als Vater und Oheim sich nur wünschen konnten.
Wie unangenehm auch diese Verfügung zugunsten des Seitenerben dem Don Lope und seiner Gemahlin war, so mußten sie sich doch darein ergeben; denn Don Jago hatte rechtsgültige Abschriften seines Letzten Willens sowohl in der königlichen als erzbischöflichen Kanzlei niedergelegt, und alles war darin so klar, daß der ausgelernteste Rabulist nichts dagegen hätte aufbringen können. Indessen machte, wie gesagt, die starke und gesunde Leibesbeschaffenheit ihres Sohnes sie von dieser Seite so sicher, daß ihnen der Fall, wo das Testament zum Nachteil ihrer Tochter Platz greifen könnte, gar nicht unter die denkbaren Dinge zu gehören schien.
Allein in den Sternen war es anders geschrieben. Bald nach dem Ableben des Oheims wurden beide Zwillinge zu gleicher Zeit mit den Pocken befallen, einer Krankheit, gegen welche die damalige Heilkunst so wenig vermochte, daß sie der Natur und dem Zufall alles überlassen mußte. Das Fieber war von der bösartigsten Beschaffenheit. Die Eltern zitterten für beider Kinder Leben; wofern aber ja eines von beiden das Opfer sein müßte, so vereinigten sich ihre heißesten Wünsche für die Erhaltung ihres Sohnes, und wie lieb ihnen auch die kleine Galora war, so waren sie doch bereit, mit ihrem Leben das seinige zu erkaufen.
Ihre Gelübde wurden nicht erhört. Don Manuel starb, und Galora blieb am Leben.
In den Augenblicken, da die Waage der Entscheidung noch über ihnen schwebte, gab die Verzweiflung der trostlosen Mutter einen Gedanken ein, wie wenigstens dem Vorbehalt des Testaments (einem Übel, das dem Verlust ihres Sohnes von ihnen gleichgeschätzt wurde) ausgewichen werden könnte. Sie eröffnete das Mittel, worauf sie in der Angst ihres Herzens plötzlich verfallen war, ihrem Gemahl; der Fall war dringend, und sie hatten keine Zeit, weder der Rechtmäßigkeit noch den Folgen eines so außerordentlichen Schrittes nachzudenken. Es war nichts Geringeres, als die junge Galora dem sterbenden Bruder unvermerkt zu unterschieben und (außer den wenigen Personen, welche das Geheimnis notwendig wissen und gewonnen werden mußten, es ewig in ihrem Busen zu verschließen) aller Welt glauben zu machen, daß Galora gestorben, Don Manuel hingegen ihren Gelübden zu dem heiligen Jago von Compostel wiedergegeben worden sei.
Don Lope nahm diesen Gedanken seiner Gemahlin als eine Eingebung ihres guten Engels auf, und er wurde sogleich mit der größten Besonnenheit und Vorsicht ausgeführt. Don Manuel ward, unter dem Namen Galora, in die Familiengruft gesenkt; Galora hingegen erhielt, unter dem Namen Don Manuel, ihre Gesundheit wieder und wurde, als der künftige Erbe und Stammhalter, so erzogen, wie das Geschlecht, zu welchem sie von nun an gerechnet werden sollte, es erforderte.
Zu ihrem Glück oder Unglück (welchem von beiden, wird der Erfolg entscheiden) hatte die Natur ihr alle Anlagen gegeben, die zu Beglaubigung dieses Betrugs am meisten beitragen konnten. Sie war von einer derben Leibesbeschaffenheit, stark von Knochen und Muskeln und mehr lang als mittlerer Größe. In ihren Augen hatte sie etwas Wildes und Trotziges, in ihren Gebärden und Bewegungen etwas Rasches, Heftiges und Grazienloses. Ihre Stimme war tief und unsanft, und ihr Busen wurde nicht zum Verräter an ihr, als sie das Alter erreichte, wo er bei ihresgleichen sich nicht immer verheimlichen lassen will. Sie liebte alle starken Leibesübungen, ritt und focht mit allen Rittern der drei Orden Spaniens in die Wette und trieb die Jagd mit Leidenschaft. Diese Übungen machten dann auch den wesentlichsten Teil ihrer Erziehung aus; und da sie wenig Neigung zu Beschäftigungen zeigte, welche einige Anstrengung des Kopfs und eine ruhige Leibesstellung erheischen, so wurde sie von dieser Seite um so mehr vernachlässigt, da man es der Klugheit gemäß fand, den verkappten Don Manuel, soviel möglich, nur mit solchen Personen zu umgeben, deren ungebildeter Verstand und gänzliche Abhänglichkeit von ihm sie zu Bemerkungen von einer feinern und daher gefährlichen Art unfähig machte. Übrigens konnte Galora beinahe für einen schönen Mann gelten; sie hatte, was man eine vornehme Gesichtsbildung nennt, und war bei Gelegenheiten, wo ihr Stolz aufgefodert wurde, edler und großmütiger Handlungen fähig.
Außer der verkleideten Galora selbst, welche natürlicherweise in ihrer neuen Art zu sein sorgfältig unterrichtet werden mußte, wußte niemand um das Geheimnis als eine der Doña Pelaja gänzlich ergebene Dueña, die Tochter dieser Frau und ein alter Kammerdiener von bewährter Treue und Klugheit. Zu mehrerer Sicherheit hatte man so große Vorteile an die Verschwiegenheit dieser drei Personen gebunden, daß sie nicht mehr Tugend dazu nötig hatten, als ein angemessener und wohlhabender Mann braucht, um kein Straßenräuber zu sein.
Galora spielte sich nach und nach so gut in ihre Mannsrolle ein, daß sie in ihrem einundzwanzigsten Jahr ihres wirklichen Geschlechts sich kaum noch mehr bewußt war. Die große Behutsamkeit, an welche sie sich hatte gewöhnen müssen und die sie freilich keinen Augenblick vergessen durfte, war beinahe das einzige, was sie erinnerte, daß sie nur eine Maske sei.
Ungefähr um diese Zeit gelangte Galora durch den Tod ihrer Eltern zum Besitz des ganzen Vermögens, welches Don Jago seinem Neffen Manuel hinterlassen hatte; und da dieser Umstand eine Reise nach der Hauptstadt notwendig machte und sie überhaupt mit Personen aus höhern Klassen, als woraus ihre gewöhnliche Gesellschaft bisher bestanden, in mancherlei Verhältnisse setzte: so mußte sie bald gewahr werden, wieviel ihr fehle, um unter Männern von Stand und Erziehung eine anständige Figur zu machen. Nachdem sie mit ihrem Vertrauten, dem alten Kammerdiener, zu Rate gegangen, wurde für das Schicklichste gehalten, wenn der junge Graf sich irgendeinen unbegüterten Señor Cavallero, der ein Mann von Erziehung, Lebensart und Weltkenntnis wäre, als eine Art von Mentor oder (weil der junge Herr von nichts, was einem Hofmeister ähnlich sah, wissen wollte) unter dem Titel eines Gesellschaftskavaliers zu sich nähme, aus dessen Umgang er nach und nach alle die kleinen, aber unentbehrlichen Kenntnisse schöpfen könnte, deren gänzlicher Mangel an einer Person seines Standes zu auffallend war, um nicht die öffentliche Aufmerksamkeit zu seinem Nachteil rege zu machen; etwas, wovor der verkappte Graf sich mehr als irgendein anderer zu hüten hatte.
Zufälligerweise war um diese Zeit das Regiment, bei welchem der vorhin erwähnte Don Antonio Moscoso angestellt war, abgedankt worden. Dieser sah sich dadurch in eine so gedrängte Lage versetzt, daß er alle seine Freunde aufforderte, ihm zu irgendeinem anständigen Unterkommen zu verhelfen; und so geschah es dann, durch eine Verkettung kleiner Umstände, wie in solchen Fällen gewöhnlich ist, daß besagter Don Antonio (den wir bereits als den substituierten Erben des alten Oheims kennen) zum Posten eines Gesellschafters des vorgeblichen Don Manuels vorgeschlagen wurde.
Don Antonio besaß alle Eigenschaften, die man zu dieser Stelle erfoderte, und noch eine mehr, die in der Tat zuviel war, aber doch kein hinlänglicher Grund zu sein schien, sich eines sonst so anständigen Subjekts zu berauben; diese war, daß er, ohne Übertreibung, für den schönsten Mann in ganz Galicien, Asturien und Biskaya gelten konnte. Er wurde also, dieses Fehlers ungeachtet, unter dem Namen Don Alonso Noya im Schlosse von Altariva eingeführt; ein Name, den er angenommen hatte, weil er die Verheimlichung seines Geschlechtsnamens und des Verhältnisses, worin er vermöge desselben mit dem Grafen Don Manuel stand, unter den gegenwärtigen Umständen für etwas Unumgängliches hielt; denn daß er, dem Testament zufolge, schon wirklicher Herr von Altariva sei, war etwas, wovon er sich ebensowenig träumen ließ, als daß er Ansprüche an das Kaisertum im Monde habe. Im Gegenteil, da er nicht zweifeln konnte, daß Don Manuel sich vermählen und an ehlichen Leibeserben keinen Mangel haben würde, schlug er sich alle Gedanken an die Möglichkeit, daß der Fall, den das Testament vorhergesehen, zu seinen Gunsten sich ereignen könnte, gänzlich aus dem Sinn und war bloß darauf bedacht, seinen neuen Patron kennen- und behandeln zu lernen und, da er wenig Hoffnung sah, ihm von sonderlichem Nutzen zu sein, sich ihm – soviel ohne allzugroße Aufopferung seiner eigenen Art zu leben möglich war – angenehm zu machen.
Das letztere glückte ihm so gut, daß er kaum einige Wochen unter die Hausgenossen von Altariva gezählt wurde, als die Dueña, die bei dem Grafen in besondern Gnaden stand, bereits gegen den alten Kammerdiener die Bemerkung machte, daß Don Alonso auf dem Wege sei, erklärter Günstling zu werden, und, wofern sie nicht auf ihrer Hut wären, sie unvermerkt auf die Seite drängen würde. In der Tat schien Don Manuel täglich mehr Gefallen an ihm zu finden; Alonso mußte ihn auf allen seinen Spazierritten, auf der Jagd und überall wie sein Schatten begleiten; nichts wurde ohne seine Beistimmung vorgenommen, alles ging zuletzt durch seine Hände, kurz, er war des Grafen Auge, Ohr und rechte Hand und verwunderte sich öfters selbst darüber, da er sich eben keine große Mühe gab, sich bei ihm in Gunst zu setzen oder die wenige Übereinstimmung ihrer Neigungen zu verbergen, welche täglich mehr zum Vorschein kam und zu manchen kleinen Wortwechseln und Verkältungen Anlaß gab, wobei Don Manuel, seiner leicht aufbrausenden Hitze ungeachtet, den Frieden immer zuerst anbieten mußte. Wirklich war es der Graf, der zu jedermanns Verwunderung, seinem Günstling zu Gefallen, sich selbst Gewalt zu tun anfing. Er ging seltner auf die Jagd, seitdem Alonso sich hatte merken lassen, daß er an diesem barbarischen Vergnügen (wie er's nannte) keinen Gefallen finde. Er lernte die Gitarre spielen, um die Romanzen begleiten zu können, deren Don Alonso eine große Menge sehr schön zu singen wußte; ja, es ging endlich so weit, daß er alle Tage eine mühselige Stunde dazu verwendete, sich im Lesen zu üben, und es wirklich in kurzer Zeit so weit brachte, daß er in einer großen Folioausgabe des Amadis aus Gallien ziemlich fertig buchstabieren konnte.
Alle diese und tausend andere nicht so stark in die Augen fallende, aber im Grunde noch weniger erklärbare Veränderungen, die sich an Don Manuel zeigten, würden den schönen Alonso vermutlich in einige Verlegenheit gesetzt haben, wenn sie ihm aufgefallen wären, und würden ihm ohne Zweifel aufgefallen sein, wenn nicht ein andrer Gegenstand im Schlosse zu Altariva sich unvermerkt seiner Aufmerksamkeit und seines Herzens bemeistert hätte.
Eine Schwestertochter der Gräfin Pelaja war ihr, einige Zeit vor ihrem Tode, von ihrer sterbenden Schwester (der Witwe des Korregidors eines kleinen Städtchens in Biskaya) vermacht worden, um sie vollends zu erziehen und, da der Mangel an Vermögen ihr keine fröhlichere Aussicht ließ, sie je bälder, je lieber in einem Kloster zu versorgen. Doña Rosa (so nannte sich die junge Person, die sich der Freigebigkeit des Glücks so wenig zu rühmen hatte) war dafür von der guten Mutter Natur mit der reizendsten Graziengestalt und einem Paar so schwarzen feuervollen Augen, so schönen Händen und Armen und einem so lieblichen Busen begabt worden, als man je an einer Biskayerin gesehen hatte. Mit einer solchen Ausstattung fühlt ein junges Mädchen gewöhnlich keinen sehr entschiednen Beruf zum Nonnenschleier. Doña Pelaja wenigstens war dieser Meinung und konnte sich so lange nicht entschließen, ihre arme Nichte auf immer von sich zu verbannen, bis ihr, vom Tod übereilt, nichts anders übrigblieb, als sie sterbend der Fürsorge ihres vorgeblichen Sohnes Don Manuel zu empfehlen. Doña Rosa war also, da ihre Reise ins Kloster von einer Zeit zur andern aufgeschoben wurde, bisher immer im Schlosse zu Altariva geblieben, wo ihr als der nächsten Anverwandtin des Grafen mit größter Achtung begegnet wurde; zumal da dieser, vermutlich um den Vorwurf eines unerklärbaren Kaltsinns gegen das schöne Geschlecht von sich abzulehnen, bis um die Zeit, da Alonso alles bei ihm zu gelten anfing, sich in eine Art von Verhältnis gegen sie gesetzt hatte, welches sich (wie jedermann und Doña Rosa selbst zu glauben schien) über kurz oder lang für eine entschiedene Leidenschaft erklären mußte.
Der schöne Alonso, der so vieles in diesem Hause veränderte, gab auch diesem Verhältnis in kurzem eine ganz andere Gestalt. Don Manuel wurde täglich kälter gegen seine Base und Doña Rosa zusehends wärmer gegen Don Alonso; wenigstens hätte dieser sich ohne Albernheit schmeicheln können, nicht abgewiesen zu werden, wofern seine Umstände es ihm nicht zur Pflicht gemacht hätten, die Leidenschaft, die sie ihm auf den ersten Anblick eingeflößt, in seinem Innersten zu verschließen.
Die Wahrheit zu sagen, so hatte Doña Rosa, ohne für den Grafen das zu fühlen, was man, im eigentlichen Sinne des Worts, Liebe nennt, sich sehr klar und lebhaft vorgestellt, daß es ohne Vergleichung angenehmer sein müßte, Gräfin Altariva zu werden, als in einem melancholischen Nonnenzwinger aus Liebe zu einem himmlischen Bräutigam ihren Leib zu kasteien und Psalter zu singen. Solange sie sich daher Hoffnung machte, daß Don Manuel eine Absicht auf sie habe, würde der schöne Ritter Don Galaor selbst nicht schön genug gewesen sein, sie zu einer Untreue an – ihrem eigenen Vorteil zu verleiten. Aber von dem Augenblick an, da sie an der Gleichgültigkeit gegen sie nicht länger zweifeln konnte, fand sie keinen Grund mehr, dem Hang ihres Herzens zu widerstehen, und Alonso hätte blinder als Amor selbst sein müssen, wenn er nicht in ihren großen Gazellenaugen gelesen hätte, was sie ihm (vermutlich aus der nämlichen Ursache, die ihn selbst zum Schweigen verurteilte) auf jede andre Weise sorgfältig zu verbergen suchte.
Indessen schien ihr das Benehmen des Grafen Manuel täglich unbegreiflicher. Sie beobachtete ihn daher immer schärfer, und die Sache wurde ihr um so verdächtiger, da sie zu bemerken glaubte, daß sie selbst von dem Grafen ebenso scharf und argwöhnisch beobachtet werde. Eine Nebenbuhlerin wittert die andre, wenn ich so sagen darf, durch eine siebenfache Verkleidung, und Don Manuel verriet sein Geheimnis unwissenderweise alle Augenblicke. Er heftete bald so zärtliche, bald so finstre und feindselige Blicke auf den schönen Alonso! – seine Stimme wurde zuweilen so ungewöhnlich sanft – oft war es, als ob irgend etwas Unnennbares in seinem Busen arbeite – Doña Rosa hatte sogar einsmals ein paar mit Mühe zurückgehaltne Tränen in seinen trüb funkelnden Augen schwimmen sehen. "Ganz gewiß", sagte sie zu sich selbst, "hierunter liegt ein seltsames Geheimnis – Don Manuel ist ein – Mädchen!" – Und von dem Augenblick an ruhte die schöne Biskayerin nicht, bis sie ihr Gewissen von aller Gefahr, ihm unrecht zu tun, gänzlich erleichtert hatte.
Welch eine Entdeckung! Aber wo den Schlüssel zu diesem Rätsel hernehmen? – War Alonso in das Geheimnis verwickelt? – Sie verdoppelte ihre Aufmerksamkeit und glaubte augenscheinlich zu sehen, daß die Leidenschaft des verkappten Don Manuels einseitig und Alonso nicht weniger darüber betroffen sei als sie selbst. Was sollte sie auch, wenn sie einverstanden waren, bewogen haben, eine so widersinnische Rolle zusammen zu spielen? Die Unmöglichkeit, sich Licht hierüber zu verschaffen, wurde ihr täglich peinlicher; denn im Schloß war niemand, dem sie sich hätte vertrauen dürfen. Wie gern hätte sie ihre Entdeckungen dem Alonso mitgeteilt! Aber, wofern ihm (wie alles sie glauben machte) Don Manuels wahres Geschlecht noch unbekannt war, wär es nicht unvorsichtig von ihr gewesen, ihm eine Nebenbuhlerin zu entdecken? Wie sehr ihr auch die Eigenliebe dafür gutsagte, daß sie von den stieren Junonsaugen und der Adlernase des unechten Don Manuels nichts zu besorgen habe, so glaubte sie doch immer wieder eine andre Stimme in ihrem Busen zu hören, die ihr zuflüsterte, daß der Eitelkeit und den Launen der Männer nicht zu trauen sei. Genug, sie wagte es nicht, zu reden, und wußte doch auch nicht, wie sie ein Geheimnis länger zurückhalten sollte, das ihr zuweilen die Brust zu zersprengen drohte.
Alonsos Lage zwischen Don Manuel und Doña Rosa war nicht viel weniger peinlich. Was wollte ihm jener? Wie sollte er sich das widersinnische, leidenschaftliche Betragen des Grafen erklären? "Aber du", sagte er zu sich selbst, "was willst du? Was soll aus deiner Liebe zu Doña Rosa werden? Wenn du auch, wie es scheint, wiedergeliebt wirst, was bleibt uns zuletzt als dir eine Karmeliterkutte und ihr der Schleier?"
Indessen war die Lage der armen Galora, die, mit Amors giftigstem Pfeil im Busen, noch immer den Don Manuel spielen mußte, bei weitem die peinvollste. Heftig in allen ihren Neigungen, gewohnt, immer ihren Willen zu haben, stolz und trotzig bei jedem Widerstand, mußte sie jetzt beidem, ihrem angebornen und ihrem angenommenen Charakter, eine Gewalt antun lernen, wozu sie, sobald sie sich mit Don Alonso allein sah, keine Kraft in sich fühlte. Wie oft hätte sie sich in eine Löwin verwandeln mögen, um den Menschen in Stücken zu zerreißen, der sie eine in ihren eigenen Augen so schmähliche Rolle zu spielen nötigte! Oft verwünschte sie die Stunde, da ihre Eltern aus unverständiger Liebe ihr diese unnatürliche Rolle aufgezwungen. Was für einen Ausgang konnten sie davon erwarten?
"Aber steht es denn nicht bloß bei dir", sagte sie sich endlich selbst, "diese verhaßten Kleider und mit ihnen diese ganze unselige Erbschaft von dir zu werfen, um glücklich zu sein? Glücklich zu sein? – Wahnsinnige! Liebt er dich denn? Ist nicht diese Bettlerin zwischen ihm und dir, die alle ihre buhlerischen Künste aufbietet, ihn zu umspannen und zu verstricken? – Und wenn er mich auch kennte, mich auch liebte, was würden die Folgen der Entdeckung meines Geheimnisses sein? Unmöglich könnt es der Welt länger verborgen bleiben, wenn es ihm bekannt wäre. Oder was kann ich von ihm verlangen, von ihm erwarten?"
Diese und ähnliche Gedanken, womit sie sich ohne Ruhe bei Tag und ohne Schlaf bei Nacht herumtrieb, brachten sie bald der Verzweiflung, bald dem Wahnsinn nahe. Bald wollte sie die arme Rosa auf der Stelle ins Kloster schicken, bald Don Alonso aus dem Schlosse jagen, bald beiden und dann sich selbst einen Dolch ins Herz stoßen. Aber sobald sie einen von diesen wütenden Gedanken ausführen wollte, fühlte sie sich ohne Mut, und eine klägliche Erschlaffung war gewöhnlich das Ende solcher leidenschaftlicher Selbstgespräche.
Die Not zwang sie endlich, sich der alten Dueña zu entdecken, welche lange vergebens um sie herumgeschlichen war, um sie zum Geständnis dessen zu bringen, was für die Alte schon lange aufgehört hatte ein Geheimnis zu sein. Natürlicherweise verschaffte dies Galoren eine augenblickliche Erleichterung; aber von den Mitteln, welche die Dueña vorschlug, mußte bei genauerer Überlegung eines nach dem andere verworfen werden. Nach verschiedenen fruchtlos abgelaufenen Beratungen brachte es die Alte endlich dahin, daß der verkappte Don Manuel sich zu einem Versuch bequemte, den jene für den letzten Rat erklärte, den sie in ihrem Gehirn aufzutreiben wisse. Galora sollte nämlich Alonson das ganze Geheimnis ihrer Unterschiebung an die Stelle ihres verstorbenen Bruders entdecken und ihm dann den Vorschlag einer heimlichen Eheverbindung tun, wobei von beiden Teilen nichts gewagt würde, da das Geheimnis im Busen weniger, von ihrem eigenen Vorteil zur Verschwiegenheit genötigter Personen vergraben liegen und also der Welt ewig verborgen bleiben würde. Sie sollte ihm zugleich mit ihrer Person alle Gewalt, die er nur immer wünschen könnte, über ihr Vermögen einräumen; und wenn auch nicht die Liebe, so mußte doch ein alle seine Erwartungen so weit übersteigendes Glück ihn nötigen, ihre Hand mit unbegrenzter Dankbarkeit anzunehmen. Die Dueña versprach, diesen Antrag, der ihrer Meinung nach unmöglich abgewiesen werden könnte, in eigner Person an Don Alonso zu bringen, und die Ausführung sollte nicht länger als bis zum folgenden Morgen verschoben werden.
Doña Galora schien sich mit diesem Vorschlag so beruhigen. Aber kaum sah sie sich allein, so faßte sie plötzlich, wie durch Eingebung ihres guten oder bösen Dämons, die Entschließung, anstatt sich in einer Sache von dieser Natur einer fremden Person anzuvertrauen, alles noch in dieser nämlichen Nacht durch sich selbst auszuführen.
Sogleich ließ der vermeinte Graf das Kammermädchen der Doña Rosa zu sich rufen und nachdem er einen feierlichen Schwur der Verschwiegenheit von ihr genommen, befahl er ihr, sobald ihre Gebieterin eingeschlafen sein würde, ihm einen vollständigen weißen Anzug aus ihrer Kleiderkammer zu verschaffen. Er habe im Sinn, sagte er, sich einen Spaß mit Don Alonso zu machen und ihn in der Mitternachtsstunde in weiblicher Gestalt, als der Geist einer ehmals von ihm geliebten Dame, zu überraschen. Das Mädchen, von einer Handvoll Gold zu allem willig gemacht, vollzog den Auftrag aufs pünktlichste, brachte das Befohlne, und vermittelst ihres Dienstes stand Galora noch vor Mitternacht in dem vollständigen Anzug ihres eignen Geschlechts da. Sie entließ nun das Mädchen, trat vor einen großen Spiegel und betrachtete sich selbst mit einem seltsamen Gemisch von Erstaunen und Grauen; und als ob auf einmal, mit dem Kostüm ihres Geschlechts, das ganze stolze Gefühl der weiblichen Würde in sie gefahren wäre, ergriff sie, von neuen, ihr selbst fremden Gedanken und Vorsätzen getrieben, einen Leuchter mit brennender Kerze, öffnete ihre Tür und ging mit großen feierlichen Schritten gerade auf das Zimmer Don Alonsos zu.
Indem sie hineintrat, fuhr der bereits eingeschlafne Alonso in seinem Bette auf und erschrak nicht wenig, da er zu einer so ungewöhnlichen Zeit die weiße weibliche Gestalt mit dem Wachslicht in der Hand auf sich zukommen sah. Sein Entsetzen vermehrte sich, als er, wie sie näher herankam, die Züge des Grafen in ihrem Gesicht zu sehen glaubte. »Fassen Sie sich, Don Alonso«, sagte sie; »Ihre Augen täuschen Sie nicht – ich bin Don Manuel – aber Don Manuel ist nicht, was er bisher geschienen: er ist – was ich wirklich bin – ein Weib!«
»Ein Weib?« rief Alonso, außer sich vor Bestürzung.
»Hören Sie mich ruhig an, Alonso«, sagte Galora, indem sie das Licht auf ein Tischchen setzte und sich selbst in einen Lehnstuhl, Alonso gegenüber, niederließ. »Ich habe Ihnen eine große Entdeckung zu tun und ein großes Unrecht gutzumachen. Ort und Zeit sind unschicklich; aber eine Gewalt, die mir selbst fremd ist, treibt mich unwiderstehlich; ich muß tun, was ich itzt tun will, und die Sache leidet keinen Aufschub, denn wir sehen uns zum letztenmal.«
Alonso, dessen Erstaunen immer höher stieg, wollte sie hier unterbrechen; aber sie befahl ihm in ihrem gewohnten herrischen Ton, sie anzuhören und zu schweigen. Und nun fing sie an, ihm alles zu entdecken, was uns bereits bekannt ist, die Erbschaft, das Testament, den Tod ihres einzigen Bruders und wie die Verzweiflung über den Verlust eines so großen Vermögens ihre Eltern zu der unüberlegten Maßnehmung gezwungen, ihre einzige Tochter Galora dem sterbenden Bruder unterzuschieben, und wie es ihnen gelungen, den Betrug so glücklich vor aller Welt zu verbergen, daß der rechtmäßige Erbe bis auf diese Stunde keinen Argwohn schöpfe. »Es kommt mir nicht zu«, fuhr sie fort, »meine Eltern eines Verbrechens anzuklagen, das sie bloß aus Liebe zu mir begangen haben. Sie wollten mein Glück, als sie mich, aus einem fatalen Irrtum, zu einem unnatürlichen Wesen umschufen. Die Gerechtigkeit des Himmels hat es anders verfügt. Sie, Don Alonso, mußten zu Altariva erscheinen, und – die Natur rächte sich durch Sie auf eine grausame Art an dem törichten Geschöpf, das ihr Trotz geboten hatte. Eine unglückliche Leidenschaft überwältigte meine bisher behauptete Unempfindlichkeit. Ich habe lange mit ihr gerungen; aber sie ist ebenso unbezwingbar als hoffnungslos. Das Leben ist mir verhaßt und die unwürdige Rolle, die ich gespielt habe, unerträglich. Morgendes Tages verbirgt mich ein Kloster auf ewig vor den Augen der Welt. Ich überlasse dem rechtmäßigen Erben, was ihm gebührt, und Sie, Don Alonso«, sagte sie mit sinkender Stimme, indem sie einen Ring von hohem Wert vom Finger zog, »nehmen Sie dieses Andenken an eine Unglückliche an, die zu tief fühlt, daß sie Ihrer unwürdig ist, als daß sie den geringsten Anspruch an Gegenliebe zu machen fähig wäre.«
Hier schwieg Galora, indes in Don Alonso plötzlich eine Verwandlung vorging, die ihm selbst noch vor wenig Minuten unmöglich geschienen hätte. Wir sind wunderliche Geschöpfe, wir Männer, und ich zweifle sehr, ob einer von uns dafür stehen könnte, daß ihm in einer ähnlichen Lage nicht dasselbe begegnen könnte. Wie viele zugleich auf sein Gemüt und seine Sinnen eindringende Vorstellungen und Gefühle vereinigten sich, ihn gerade auf der schwächsten Seite des Mannes anzufallen! – Die überraschende Umgestaltung des Grafen Don Manuel in eine junge Dame, welche zwar an Schönheit und Anmut mit Doña Rosa nicht zu vergleichen war, aber, was ihr von dieser Seite fehlte, durch eine seiner Eitelkeit unendlich schmeichelnde Leidenschaft ersetzte, eine Leidenschaft, an deren Wahrheit und Stärke die Größe des Opfers, so sie ihr zu bringen bereit war, keinen Augenblick zweifeln ließ – der wunderbare Zauber, womit ein Weib, das wir für uns leiden sehen, sich plötzlich in unsern Augen verschönert – der Umstand des Orts und der Zeit, der (ich gesteh es im Namen aller Männer) uns schon die bloße Nähe eines weiblichen Wesens gefährlich macht – zu allem diesem noch das ihm so neue Gefühl, daß es in seiner Macht stehe, die stolze Galora durch das Opfer, womit er das ihrige erwidern wollte, an Großherzigkeit noch zu übertreffen – alle diese Gedanken und Gefühle, die auf einmal mit Blitzes Geschwindigkeit in seiner Seele aufloderten, drangen ihm plötzlich eine rasche Entschließung ab, welche drei Minuten kühler Überlegung in der Geburt erstickt haben würden.
»Hören Sie«, sprach er, als sie zu reden aufgehört hatte, »hören Sie nun auch mich, Doña Galora, und bewundern Sie mit mir, auf welchen sonderbaren Wegen das Schicksal unsre Vereinigung zu wirken gewußt hat. Auch ich bin nicht, was ich Ihnen scheine; der Name, unter welchem Sie mich kennen, ist ein angenommener; mein wahrer Name ist Antonio Moscoso – ich bin dieser im Testament Ihres Großoheims Ihrem Bruder substituierte Erbe...«
»Was hör ich? Ist's möglich?« rief Galora, vor Bestürzung zusammenfahrend und aller ihrer Stärke benötigt, um sich in ihrem Lehnstuhl aufrecht und bei Besonnenheit zu erhalten.
»Daß ich«, fuhr er fort, »Antonio Moscoso bin, soll Ihnen und allen, denen daran liegt, sehr leicht bis zur völligsten Überzeugung gewiß gemacht werden. Und daß ich es bin, ist mir in diesem Augenblick nur darum lieb, weil es mich in den Stand setzt, Sie durch einen rechtsgültigen Titel im Besitz der Güter Ihres Oheims zu bestätigen. Wie könnt ich unempfindlich gegen eine so großmütige Liebe sein? Nein, Doña Galora«, rief er, indem er ihre Hand ergriff und an seine Lippen drückte, »ich liebe Sie, ich widme Ihnen mein Leben, und es ist in Ihrer Gewalt, mich in diesem Augenblick zum glücklichsten aller...«
»Halten Sie ein«, fiel ihm Doña Galora in die Rede. »Ich bin durch der Meinigen und meine eigne Schuld unglücklich; aber verächtlich – in meinen eignen Augen, und unfehlbar auch in den Ihrigen, sollen Sie mich nicht sehen! – Ich lasse mir selbst Gerechtigkeit widerfahren, Don Antonio. Sie können mich nicht lieben; ich weiß zu gut, daß ich nicht gemacht bin, mit Doña Rosa um Ihr Herz zu kämpfen; ich weiß, daß ich nicht liebenswürdig bin. Die Gewohnheit, von früher Jugend an mein Geschlecht zu verleugnen, hat mir jede seiner Reizungen geraubt. Die Gewalt, die meine Natur dadurch erlitten hat, ist nie wiedergutzumachen. Die unglückliche Fertigkeit, den Mann zu spielen, würde mich nie verlassen. Ich bin für alle zarten weiblichen Verhältnisse und Gefühle unwiederbringlich verloren. Ich würde Sie unglücklich machen, Don Antonio, und mich selbst dafür verabscheuen, daß es nicht in meinem Vermögen stände, anders zu werden. Überlassen Sie mich meinem Schicksal!«
»Nein, edelmütige Galora«, erwiderte Don Antonio, der indessen wieder zur Besinnung gekommen war und, durch stille Vergleichung der unweiblichen Galora mit der zauberischen Rosa mächtig abgekühlt, es jener in seinem Herzen Dank wußte, daß sie ihn ausschlug. »Nein, Doña Galora, Sie sollen wenigstens eine Erbschaft mit mir teilen, woran die Natur und die Gesetze Ihnen ein näheres Recht gegeben haben als mir – Sie sollen –« meine Schwester sein, wollte er hinzusetzen, aber die ungestüme Galora ließ ihn nicht zum Worte kommen. »Nichts von Ihrer Großmut«, rief sie mit einer Heftigkeit, die zu allem Überfluß noch einen Strom kalten Wassers auf Antonios schon verloderte Flamme goß. »Da ich die Ihrige nicht sein kann, will ich auch von Ihrem Vermögen nichts. Die Summe, die das Testament mir versichert, ist für meine Bedürfnisse mehr als hinreichend. Leben Sie wohl, Don Alonso – oder Antonio! Wenn wir uns je wiedersehen, so wird es im Sprachzimmer der Karmeliterinnen zu San Jago de Compostela sein.«
Hiemit stand sie auf, kehrte, ohne noch einen Blick auf Don Antonio zu werfen, in ihr Zimmer zurück, rief der erstaunten Dueña, sagte ihr, was sie getan hatte, befahl ihr, mit dem frühesten Morgen einen Reisewagen bereitzuhalten, und fuhr mit ihr und ihrer Tochter nach dem selbsterwählten Ort ihrer künftigen Bestimmung ab – mit Hinterlassung eines Blatts für Doña Rosa, worin sie ihr und den sämtlichen Bewohnern von Altariva in wenig Worten soviel Licht über diese seltsame Katastrophe gab, als für den ersten Augenblick nötig war.
Nachdem in der Folge alles seine rechtsbeständige Aufklärung erhalten hatte, nahm Don Antonio Besitz von der Erbschaft; und da weder die Augen noch das Herz, noch die Eitelkeit der schönen Rosa die geringste Einwendung gegen seine Liebe zu machen hatten, so endigte sich diese Novelle ohne Zweifel, wie sich alle Komödien und beinahe alle Novellen endigen; die wenigen abgerechnet, die ein tragisches Ende nehmen – was, wie Sie sehen, auch hier gar leicht der Fall hätte sein können, wenn ich hartherzig genug gewesen wäre, Sie insgesamt, zur Belohnung Ihrer Geduld, mit der Anwartschaft auf gräßliche Träume zu Bette zu schicken.
»Ich für meinen Teil erkenne mich Ihnen sehr dafür verpflichtet, daß Sie es nicht getan haben«, sagte Amande. »Ich gestehe, daß ich lieber gar nichts hören und lesen mag als solche peinvolle, herzzerreißende und schlafstörende Martergeschichten wie zum Beispiel die tragischen Novellen von Herrn Darnaud de Baculard und seinesgleichen, wie beredt, empfindsam und herzbrechend sie auch immer geschrieben sein mögen. Ich liebe einen ruhigen Schlaf und leichte Träume, und wenn ein Dichter mir ja Tränen ablocken will, so sollen es süße, nicht blutige Tränen sein.«
»Ich halte es mit Ihnen, liebe Amande«, sagte Nadine; »auch sehe ich nicht, wie Herr M. seiner Novelle, ohne ihr Gewalt anzutun, einen tragischen Ausgang hätte geben können.«
»Fordern Sie mich nicht heraus, gnädiges Fräulein", sagte Herr M., »oder ich spiele Ihnen irgendeine Intrige hinein, wodurch ich Doña Rosa nötige, dem schönen Alonso einen geheimen nächtlichen Besuch zu machen – etwa um ihm zu entdecken, daß ein Anschlag geschmiedet ist, sie morgen früh mit Gewalt ins Kloster abzuführen, welchen Falls es denn ganz natürlich ist, daß sie (in der Voraussetzung, daß das Glück ihres Lebens ihm nicht ganz gleichgültig sei) ihn, der zu Altariva alles vermag, um seinen Schutz anruft. So wie die Sachen zwischen Alonso und Rosa stehen, kann er dann weniger nicht tun, als ihr zu Füßen zu fallen und ihr eine so feurige Liebeserklärung zu tun, als von einem verliebten Spanier, der seine Flamme schon so lange in seinem Busen verschlossen herumgetragen hatte, zu erwarten ist. Zum Unglück stürmt in diesem Augenblick Doña Galora, mit der Kerze in der einen und einem scharfgeschliffenen Dolch in der andern Hand, herein, in der Absicht, ihren Unempfindlichen zur Liebe zu bewegen oder sich vor seinen Augen zu ermorden. Don Alonso zu Rosens Füßen treibt sie zur Raserei; sie springt mit funkelnden Augen auf das arme Mädchen zu und stößt ihr den Dolch in die Brust. Alonso, außer sich vor Entsetzen, Wut und Verzweiflung, will ihr den Dolch aus der Hand reißen; sie ringen miteinander; Alonso wird tödlich verwundet und stürzt, sein Leben in Strömen siedenden Blutes ausflutend, über Rosens Leichnam her. Galora kniet neben ihm nieder, hält eine Rede in terze rime oder in Assonanzen auf U, wobei ihr selbst die Haare zu Berge stehen, ersticht sich und vollendet, indem sie auf Don Alonso hinsinkt, eine der schönsten tragischen Gruppen, die man je mit Augen gesehen hat. Alles das, mit recht grellen Farben und derben Pinselstrichen gehörig ausgemalt und, wie es heutzutag die Mode ist, auf die höchste Spitze des Schrecklichen und Unsinnigen getrieben – meinen Sie nicht, daß meine Novelle neben den allergräßlichsten sich mit Ehren sehen lassen dürfte?«
Die Damen hielten sich lachend Augen und Ohren zu, um von dem grausamen Spektakel nichts zu sehen noch zu hören.
Aber der junge von P. wollte Herrn M. so leicht nicht durchwischen lassen. »Scherz beiseite«, sagte er, »ich denke nicht, daß es so ganz allein auf die Willkür eines Novellenmachers ankomme, ob er der Geschichte einen glücklichen oder unglücklichen, erwünschten oder jammervollen Ausgang geben will. Die Anlage zum einen oder andern muß doch wohl bereits im Stück selbst liegen, und, mit Horaz zu reden, der Weinkrug, den der Töpfer drehen wollte, muß, wenn das Rad ausgelaufen ist, keinem Milchtopf ähnlich sehen. Es könnte also allerdings noch die Frage sein, ob es nicht desto besser gewesen wäre, wenn die Novelle des Herrn M. ein tragisches Ende genommen hätte.«
»Wieso?« fragte Nadine.
»Ich, zum Exempel«, versetzte Herr von P., »finde nicht, daß Galora ihrem stolzen, selbstsüchtigen und heftigen Charakter sehr gemäß handelt, wenn sie die teuer erkauften Früchte so mancher zwangvoller Jahre und einer so mühsamen Verleugnung dessen, wozu die Natur sie gemacht hatte, auf einmal aufgibt und wie ein liebesieches Mädchen in ein Kloster geht, um den Mann, den sie liebt, ohne Kampf einer Nebenbuhlerin zu überlassen, die in ihrer Gewalt ist und die sie sich alle Augenblicke vorn Halse schaffen kann. Ein so zahmes, mattherziges Benehmen ist nicht in der Sinnesart eines solchen Mannweibes, wie uns Galora beschrieben wurde. Sie mußte sich nicht (wie man uns sagte) daran begnügen, den dreifachen Mord in Gedanken zu begehen; sie mußte es wirklich aufs Äußerste ankommen lassen. Auch wollte ich wetten, wenn wir die Wahrheit sagen wollten, wir würden alle gestehen müssen, daß wir auf einen tragischen Ausgang gefaßt waren und uns, durch die unvermutete Entmannung der armen Galora und die glücklichen Aussichten der schönen Biskayerin am Ende des Stücks, in unsrer Erwartung sehr getäuscht fanden.
»Wollen Sie mir erlauben, Herr M.«, sagte Rosalinde mit einem schalkhaften Blick auf Herrn von P., »daß ich Ihre Rechtfertigung gegen diesen schwer zu vergnügenden Kunstrichter auf mich nehme, der sich beklagt, daß die Braut zu schön ist, und, statt Ihnen für eine friedliche und schiedliche Entwicklung Dank zu wissen, lieber sähe, wenn sich der Handel mit Mord und Totschlag endigte?«
»Sie sind sehr gütig, schöne Rosalinde«, antwortete Herr M. »Ich habe eine so große Meinung von Ihrer Gerechtigkeitsliebe, daß ich kein Bedenken trage, meine Sache sogar gegen Herrn von P. in Ihre Hände zu stellen.«
»Woher wissen Sie also, mein Herr von P.«, sagte Rosalinde, indem Sie sich mit einer drollichten Sachwaltersmiene an den letztern wandte, »daß Galora ein so grimmiges, blutdurstiges, kannibalisches Geschöpf ist, als Sie aus ihr machen wollen? Ich gestehe, sie ist stolz, eigenwillig, rasch und zu heftigen Ausbrüchen geneigt; aber sagte man uns nicht auch gleich anfangs, daß sie, wenn ihr Stolz aufgefodert wurde, edel und großherzig zu handeln fähig gewesen sei? Und gerade eine solche sehr starke Aufforderung war es, was sie zu dem außerordentlichen Schritte, den sie tut, nötigte. Ihre Liebe zu Alonso war hoffnungslos; darüber sich selbst zu täuschen war unmöglich. Durch ein gewalttätiges Verfahren gegen die reizende und geliebte Doña Rosa würde sie nichts gewonnen, aber wohl den Kaltsinn Alonsos gegen sich in Wut und Rachgier verwandelt haben. Im Grunde war die Rolle, so sie bisher gespielt hatte, unnatürlich, und es war immer zu erwarten, daß der Augenblick endlich kommen müsse, wo die gewaltsam ausbrechende Natur sich mit ihrer ganzen Stärke gegen einen nicht länger erträglichen Zwang empören würde. Was konnte diesen Augenblick schicklicher herbeiführen als eine hoffnungslose Leidenschaft? Ich, meines Orts, finde nichts natürlicher, als daß, sowie Galora sich selbst in weiblicher Kleidung im Spiegel erblickt, auch auf einmal das Gefühl – und mit diesem der Stolz ihres Geschlechts in ihr auflodert, ein Stolz, der es verschmäht, mit Gefahr, abgewiesen zu werden, um Gegenliebe zu betteln; und der Schritt, den sie gegen Alonso tut, und wie sie ihn tut, und der wohlmotivierte Trotz, womit sie seinen verdächtigen Liebesantrag abweist, und die Entschlossenheit, womit sie sich in den einzigen Ausweg wirft, den ihre Lage ihr übrigläßt – das ist es gerade, was mich mit ihr aussöhnt und dieser Novelle die Einheit und Ganzheit in meinen Augen gibt, die (wie ich immer sagen hörte und noch lieber meinem eignen Gefühl glauben mag) die wesentlichste Vollkommenheit eines echten Kunstwerks ist.«
»Sie haben sich wohl gehalten, Rosalinde«, sagte Herr von P., »und unser Freund M. hat alle Ursache, mit seiner Sachwalterin zufrieden zu sein. Nicht als ob ich nicht noch einige Pfeile zu verschießen hätte, wenn es nicht Zeit wäre, zu tun wie die andern und uns die Ruhe, die uns Herr M. so menschenfreundlich gegönnt hat, zunutze zu machen.«
»Auf alle Fälle«, sagte Nadine, »wird sich Herr M. an dem Danke der Damen und an der Billigung seines eigenen Herzens genügen lassen können. Das Verdienst, drei Menschenleben, die das Glück des Kiels (mit Tristram Shandy zu reden) in seine Hände gegeben, gerettet zu haben, ist – wenn es auch von den Kunstrichtern nicht mit dem Dichterkranz gekrönt werden sollte – wenigstens eine Bürgerkrone wert.« – »Und die soll ihm«, riefen Rosalinde und Amande, »von uns allen morgen früh aus den frischesten Kastanienblättern geflochten werden!«
Nadine von Thalheim war itzt die einzige, die der Gesellschaft zu Rosenhain ihren Beitrag zu den zeitherigen Abendunterhaltungen noch schuldig war. Diese junge Dame gehörte nicht zur Familie, sondern war vor einigen Tagen mit ihrer Freundin, Frau von D. (die seit kurzem mit einem Verwandten der Frau von P. vermählt war), bloß als Begleiterin nach Rosenhain gekommen, wo sie, weniger aus Gefälligkeit gegen ihre Freundin als ihrer eigenen Liebenswürdigkeit wegen, so gut aufgenommen wurde, daß sie schon am zweiten Tag unter lauter alten Bekannten und Freunden zu leben glaubte. Mehr von ihr zu sagen würde hier überflüssig sein, da wir in der Folge Gelegenheit bekommen werden, näher mit ihr bekannt zu werden.
»Ich sehe mich«, sagte sie, als ihre Stunde gekommen war, ungefähr in ebenderselben Lage wie Herr M. Zwar muß ich gestehen, daß ich beinahe ebenso belesen in den Märchen bin wie die schöne Rosalie von Eschenbach, mit deren Entzauberung uns Fräulein Amande vorgestern so angenehm unterhielt; aber ich habe ein so wunderliches Gedächtnis, daß alles, was ich von dieser Art lese oder höre, in kurzer Zeit wieder rein vergessen ist, so daß ich von etlichen hundert Märchen, die ich seit meinem neunten Jahre gelesen haben mag, schwerlich drei wiedererzählen könnte, es wäre denn in der Manier des Sultans in den Vier Fakardins des Grafen Anton Hamilton. Herr M. hat sich mit einer spanischen Novelle aus der Sache gezogen; was bleibt mir also, um etwas Neues auf die Bahn zu bringen, als eine Anekdote? Glücklicherweise liegt mir eine noch ganz frisch im Gedächtnisse, die sich mit zweien meiner vertrautesten Freundinnen zugetragen hat und die, wofern sie durch meine Erzählung nicht zu sehr verliert, sonderbar genug ist, um die Stelle eines Feenmärchens auszufüllen. Von der schönen Moral, die sich daraus abziehen läßt, will ich aus zwei Ursachen nichts sagen: erstens, weil sie nirgends weniger als in der Gesellschaft, deren Mitglied ich itzt zu sein die Ehre habe, anwendbar ist; und zweitens, weil ich die moralischen Erzählungen von Profession (wenn ich so sagen darf) ebensowenig liebe als die Komödien, worin es auf die Erbauung der Zuschauer abgesehen ist. Die einen und die andern können sehr moralisch, sehr erbaulich und doch sehr langweilig sein; sind sie hingegen, was ihr eigentlicher Zweck erfordert, unterhaltend und belustigend, so müßt es nicht natürlich zugehen, wenn die guten Lehren und Sittensprüche nicht zu Dutzenden daraus hervorsprängen. – Doch verzeihen Sie diese Abschweifung! Ich komme zur Sache.«