Читать книгу In Ketten geboren - Christoph T. M. Krause - Страница 10
ОглавлениеMutter.
Rassismus.
Meine Mutter war eine herrschsüchtige Frau. Sie hatte bereits mit vierzehn Jahren in die Lehre gehen müssen, weil ihre Mutter, meine Oma, eine sogenannte Kriegerwitwe war, die drei Kinder alleine groß ziehen musste.
Ihr Mann, mein Großvater, den ich nie kennenlernen konnte, war noch 1942 durch englische Brandbomben zuhause in Köln ums Leben gekommen.
Meine Oma hatte also drei Kinder alleine durchzubringen, wobei der Älteste unbedingt studieren sollte. Deswegen mussten seine beiden Schwestern (meine Mutter und ihre jüngere Schwester) früh arbeiten, um ihm das Studium finanzieren zu können.
Letztendlich hatte sich der Einsatz der ganzen Familie insofern gelohnt, dass der Sohn tatsächlich seinen Weg machte und ein erfolgreicher konservativer Politiker wurde. Er brachte es später zu einiger Berühmtheit, weil er ein hochkarätiges Amt in seinem Bundesland ausüben würde.
Meine Mutter, 1925 geboren, hatte durch den Krieg ihre Jugend opfern müssen und deshalb wenig Verständnis für meine späteren Pubertätsprobleme oder überhaupt für jegliche Art von daraus resultierenden Sekundärproblemen.
Wie konnte sie auch?! Pubertät fiel im Krieg quasi aus, da gab es naturgemäß andere Probleme, z.B. wie überlebt man trotz Nahrungsmittelknappheit oder Bombenterror?
Sie war durch den unsäglichen Nationalsozialismus in ihrer Kindheit bereits faschistisch geprägt worden, schließlich war man als gutes deutsches Mädchen beim „Bund deutscher Mädels“ auf die Grundlagen des Dritten Reichs von Jugend an eingeschworen worden.
Fremdenhass, Rassismus und Intoleranz waren ihr sozusagen in die Wiege gelegt. Und auch die spätere Erkenntnis, dass all das, was sie geprägt hatte, ein Irrweg gewesen war, war für sie nicht wirklich nachvollziehbar.
So sagte sie mir später, als ich ihr mit 18 beichtete, dass ich schwul bin, ich wäre wohl besser als Säugling gestorben, säße besser im Rollstuhl, als das!
Überdies würde ich im Alter auf Strichjungen angewiesen sein und ansonsten ihrer Erfahrung nach einsam sterben müssen.
Für sie kam Schwulsein nach Mord und so war ich für sie Teil des Abschaums, den ihr die Nazis schon in frühen Jahren eingebläut hatten.
Ich wuchs also bereits mit diesem rassistischen „Grundflimmern“ von frühster Kindheit an auf, ohne, dass es vor diesem meinem schwulen Coming-Out vorher je ausgesprochen worden wäre.
Rassismus ist wie ein Virus, der sich wie ein Nebel unter dem Radar des Alltags verbreitet und sich ungewollt und ohne Vorwarnung in dein Leben frisst.
Anfangs merkst du es nicht, aber peu-à-peu kriecht es in deine Eingeweide und beginnt sein vernichtendes Werk in deiner Seele.
Erst wenn du später im Leben erkennst, dass es überhaupt da ist, kannst du anfangen, es zu bekämpfen, aber das ist eine Geschichte für später.
Meine Mutter brachte mich oft zu ihrer Mutter, meiner Oma, und ging anschließend in die Stadt einkaufen oder was sie sonst noch vorhatte.