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Kapitel zwei

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Wyrmer stürzten vom Himmel. Erbarmungslos peitschten sie mit ihren riesigen Schwingen die Luft, und grellorange Flammen strömten aus ihren Mäulern, als sie die Bergbausiedlung der Magier in Tora’nah in Schutt und Asche legten.

Verlis’ Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Er mußte all seine Kraft aufbringen, um nicht dem Drängen seiner Muskeln, seines Herzens nachzugeben und sich ins Gefecht zu stürzen. Verlis durfte seinen Posten nicht verlassen, hatte er sich doch geschworen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um für die Sicherheit Telfords und seiner Leute zu sorgen, die sich in einem hölzernen Lagerschuppen versteckt hielten. Man hatte diese Hütte errichtet, um hier die diversen Vorräte unterzubringen, die zum Betreiben der Schmiede gebraucht wurden, weswegen der Duft des schwarzen Heizsteins, Vulkanit genannt, hier schwer in der Luft hing.

„Was machen wir jetzt?“ fragte einer der Schmiede, der Jüngste unter den Metallarbeitern, vorsichtig.

Niemand antwortete. Es verging einige Zeit, bis Verlis klar war, daß die Menschen auf eine Antwort von IHM warteten. Er spähte durch einen Spalt in der Tür. „Hier drinnen können wir nicht bleiben!“ sagte er mit seiner tiefen, sonoren Stimme.

Wie von Sinnen zerstörten die Feinde alles, was ihnen unter die Augen kam. Verlis hörte die Sterbenden laut um Hilfe rufen, Magi, die im Lager gewesen waren oder sich irgendwo im Umkreis der Mine aufgehalten hatten, zu weit von Telfords Kernmannschaft entfernt, um sich den anderen anschließen zu können und nicht in der Lage, sich an einen sicheren Ort zu retten. Jedem Magus in Terra stand Basismagie, eine Grundausstattung sozusagen, zur Verfügung, aber für den Kampf waren die Magi hier in Tora’nah nicht ausgebildet. Der normale Wyrm verfügte auch über ein gewisses Maß an Zauberkünsten, verbrachte jedoch zusätzlich noch sein ganzes Leben damit, sich auf kriegerische Auseinandersetzungen vorzubereiten. Keine Frage also, wie dieser Tag enden würde.

„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis sie uns finden“, meinte Verlis mit einem besorgten Grollen, ehe er sich umwandte und noch einmal genau all die musterte, die Telford und ihm gefolgt waren, als die Invasion begann. Außer Telford und Charna drängten sich ungefähr fünfzehn Schmiede und Bergleute im engen Lagerschuppen. Alles an Waffen und Rüstungen, was sie hatten tragen können, lag auf einem großen Haufen hinter ihnen.

„Meinst du, wir könnten es bis zu den Himmelskutschen schaffen?“ fragte Charna, in deren Augen die nackte Angst flackerte. „Meinst du, wir könnten vielleicht sogar ein paar der anderen retten?“

Verlis schüttelte den Kopf. Kleine Rauchfähnchen schlängelten sich aus seinen Nüstern. „Raptus’ Elitetruppen würden uns mit einem Feuerstoß vom Himmel fegen, noch ehe wir das Tal verlassen hätten.“

Gerade ging eine Ladung Wyrmfeuer gefährlich nahe bei dem Schuppen herunter, in dem die Flüchtenden sich versteckt hielten und alle spürten die intensive Hitze der Flammen, die nun die Erde selbst versengten.

„Was bleibt uns dann?“ wollte Telford wissen. „Das Schicksal derer, die zuerst in diesem Gefecht fielen, hat uns doch deutlich vor Augen geführt, welch ein Wahnsinn es wäre, jetzt kämpfen zu wollen. Wenn wir mehr wären, ginge es vielleicht. Aber die Schreie unserer Kameraden zu hören und mit anzusehen, wie sie verbrennen, hat uns gezeigt, wie es um uns steht. Raptus und seiner Armee sind wir nicht gewachsen. Müssen wir hier also warten, bis wir mit dem Sterben dran sind? Dann würde ich lieber nach draußen stürmen und ehrenhaft sterben, auch wenn ich vorher schon weiß, daß mein Schicksal besiegelt ist.“

Erneut musterte Verlis durch den Türspalt die Verwüstungen, die die Wyrmer im Lager angerichtet hatten. Hierzubleiben wäre der sichere Tod. Was aber, wenn es ihnen gelang, das Tal zu verlassen? Ob die Chancen dann besser stünden?

„Nun gut“, sagte er, indem er sich wieder den Schmieden und Bergleuten zuwandte. „Was ich jetzt vorschlage, klingt vielleicht wie reiner Irrsinn, aber ich fürchte, eine andere Chance bleibt uns nicht. Es sei denn, Freund Walter, du beharrst darauf, dein Leben völlig unnütz wegwerfen zu wollen?“

„Nein, sag ruhig, was du vorhast“, meinte Telford. „Jede Möglichkeit, doch noch am Leben zu bleiben, ist besser, als von Hand dieser Monster zu sterben.“

Alle anderen nickten zustimmend.

„Dann schlage ich Folgendes vor: Wir nehmen alles, was an Waffen und Rüstungen noch da ist, und kämpfen uns den Weg aus dem Tal frei, und zwar hin zu dem einzigen Ort, wohin uns die Schurken des Raptus nicht folgen werden.“

„Du bist doch wahnsinnig!“ keuchte einer der Schmiede, ein großer Mann mit einem langen, schwarzen Bart, an dem er ständig nervös zupfte. „Was für eine Chance haben wir denn gegen diese ... diese Dinger?“

„Eine bessere, als ihr sie hättet, würdet ihr hier warten, bis sie euch finden“, erklärte der Wyrm, dem kleine Rauchwolken aus den Nüstern stiegen, weil das Feuer in seinem Innern bereits erwartungsvoll zu lodern begann. „Uns geht es nicht darum zu siegen. Wir wollen nur so lange überleben, bis wir unser Ziel erreicht haben, mehr nicht.“

„Verlis, du hast großen Mut und bist ein ehrenhafter Freund, aber vielleicht ist dein Glaube an uns zu groß“, sagte Telford. „Außerdem: Wohin könnten wir denn gehen, wohin sie uns nicht folgen? Irgendwann einmal werden sie doch sicher ...“

Der Projektkoordinator ließ den Satz unbeendet. Langsam verstand er, worauf Verlis hinauswollte. Seine Augen fingen an zu leuchten. „Aber du willst doch nicht wirklich vorschlagen ...“

Verlis breitete die Flügel aus, soweit es ihm in der engen Hütte möglich war. „Doch, genau das. Es gibt einen Ort, an den wir entfliehen können und wohin uns die anderen nicht folgen werden. Die Wasserscheide des Alhazred ist gefallen, und der Weg nach Draconæ steht uns offen. Die Wyrmer, die Raptus dienen, sind allesamt hier und würden nie nach Draconæ zurückkehren, aus Angst, dort womöglich erneut in der Falle zu sitzen.“

Charna stieß einen leisen Fluch aus. „Du hast völlig recht“, meinte sie. „Das ist wirklich der komplette Wahnsinn.“

„Aber unsere einzige Hoffnung“, entgegnete der Wyrm. „Wir flüchten nach Draconæ, und sobald wir nicht mehr unmittelbar von Raptus und seinen Legionen bedroht sind, fangen wir an, Pläne für unsere Rückkehr nach Arkanum zu schmieden.“

Immer näher heran kam der Lärm der knisternden Flammen, der riesigen Schwingen, die knatterten wie Donnerschläge. Verlis wußte, nun konnten sie jeden Moment entdeckt werden.

„Wir müssen sofort handeln!“ drängte er.

Die Schmiede und Bergleute warfen einander gehetzte Blicke zu.

„Eigentlich ist die Frage ganz einfach, Leute!“ wandte sich Telford an die Versammelten. „Entweder wir riskieren es und versuchen, die Chance zum Überleben zu ergreifen, oder wir finden uns damit ab, hier zu sterben. Was soll es sein?“

Die Gruppe schwieg, bis der kräftige Mann, der so oft nervös an seinem Bart gezupft hatte, Verlis die Entscheidung demonstrierte, die die Gruppe im stillen getroffen hatte: Er ging zu dem großen Haufen aus Waffen und Rüstungsteilen, wo er sich durch die schweren Metallobjekte wühlte, bis er den Helm gefunden hatte, den die Schmiede extra für Verlis angefertigt hatten.

„Eigentlich hatten wir gehofft, ihn noch ein wenig aufpolieren zu können, ehe du ihn zurückbekommst“, sagte er, indem er den Helm überreichte. „Vielleicht können wir das irgendwann einmal nachholen.“

Verlis nahm den Helm und setzte ihn auf. Problemlos glitten seine Hörner durch die Löcher, die die Schmiede extra zu diesem Zweck in den Helm eingearbeitet hatten. „Vielen Dank!“ murmelte der Wyrm leise, während nun auch die anderen Rüstungen anlegten und sich Waffen auswählten.

In diesem Augenblick erzitterte die Hütte, als eine neue Welle Invasoren darüber hinwegflog. Die Monster waren noch näher gekommen, gefährlich nah. Ein Chor aus schwerverständlichem Gebrüll erhob sich, und gleich darauf roch es durchdringend nach Schwefel: Das Dach war in Brand geraten. Schon schlängelte sich das Feuer in eiligen Rinnsalen die Decke entlang.

„Nicht in Panik geraten! Reißt euch zusammen!“ wies Charna die Kameraden an.

In den Panzern aus Malleum, das sie selbst aus der Erde geholt und bearbeitet hatten, in den Händen die Waffen, die sie geschmiedet hatten, um damit gegen die Wyrmer zu kämpfen, standen die Schmiede und Bergleute bereit. Was sie nicht am Leibe tragen konnten, hatten sie sich in improvisierten Tragbeuteln auf den Rücken geschnallt. Auf keinen Fall durfte etwas von dem Malleum verschwendet werden. Sollte es den Männern und Frauen später gelingen, den Weg zurück nach Arkanum zu finden, würden sie es den Kampfmagiern übergeben, mit deren Hilfe man den bösen Feind vielleicht wieder vertreiben konnte.

Verlis ließ die kolossalen Schwingen spielen, seine krallenbewehrte Klaue lag auf dem Türknauf. „Seid ihr bereit?“ wollte er wissen.

„Zum Kampf? Nein, zum Kampf ist keiner von uns bereit. Aber wir sind auch nicht bereit zu sterben“, antwortete Walter, während er das Visier an seinem Helm, mit dem er seine Augen schützen wollte, herunterklappte. Er drehte sich zu den anderen um, die Waffe zum Gruß erhoben. Die Schmiede und Bergleute erwiderten die Geste, indem auch sie ihre Waffen hoben.

* * *

Verblüfft starrte Timothy Carlyle an. Das Herz wurde ihm schwer, so sehr plagte ihn sein Gewissen. „Ich bin dafür verantwortlich?“ Er sank auf einen Stuhl in der Studierstube des Großmeisters und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Mit Sicherheit kann das niemand behaupten“, entgegnete Carlyle. „Aber allem Anschein nach wird es wohl so gewesen sein.“

„Ich bin eine Bedrohung“, sagte Timothy traurig. „Genau, wie das Parlament es immer befürchtet hat. Ich bin eine Gefahr für die Welt.“

„Solche Worte mag ich jetzt aber wirklich nicht hören!“ schalt Cassandra und erhob sich aus dem großen Stuhl mit der hohen Rückenlehne, der hinter dem schweren Schreibtisch aus reichverziertem dunklen Holz stand, der Leanders Schreibtisch gewesen war und nun Cassandra gehörte. „Der Zusammenbruch der Wasserscheide war nur eine Nebenwirkung deines Sieges über Alhazred – ein Nebeneffekt, von dem niemand etwas ahnen konnte. Daß so etwas passieren würde, hast du doch wirklich nicht voraussehen können!“

Edgar, der auf der Schreibtischplatte auf und ab stolzierte, sträubte erregt das Gefieder. „Wo sie recht hat, hat sie recht, mein Junge.“

Timothy hob den Kopf. „Eine Nebenwirkung, von der niemand etwas ahnen konnte?“ wiederholte er ungläubig. „Ich bin dafür verantwortlich, daß ein Einmarsch der Wyrmer stattfinden konnte!“ Timothy stand auf und fing an, unruhig hin- und herzugehen. „Meinst du nicht, du verharmlost die Tragweite meines Tuns vielleicht ein klein wenig?“

„Aber, aber, Timothy!“ mischte sich Sheridan ein, der die ganze Zeit neben Cassandras Tisch gestanden hatte, jetzt aber klappernd ein paar Schritte auf Timothy zu machte. Seine roten Augen leuchteten hell. „Wenn du dich da jetzt hineinsteigerst, bringt das niemanden weiter. Dich nicht und sonst auch niemanden. Was geschehen ist, ist geschehen.“

Timothy trat ans Fenster, wobei er sorgsam darauf achtete, nicht zu nah heranzukommen, um das schimmernde Zauberglas nicht zu gefährden, mit dem der Fensterrahmen ausgekleidet war. „Ich bin eine Gefahr für die Welt“, wiederholte er, während er durch die Scheibe hinunter auf das tosende Meer blickte, das sich unter der schwebenden Festung ausbreitete. „Es wäre für alle besser gewesen, ich hätte Geduld nie verlassen.“

Jemand näherte sich ihm von hinten – dem feinen Blumengeruch nach, der plötzlich in der Luft hing, konnte es sich nur um Cassandra handeln.

„So darfst du nicht reden“, tadelte sie sanft. „Wenn du Geduld nicht verlassen hättest, um nach Terra zu kommen ...“

Timothy wandte sich um und sah ihr tief in die wunderschönen grünen Augen. „Dann würde Leander noch leben, dein Großvater wäre höchstwahrscheinlich noch Großmeister des Alhazred-Ordens, und Raptus und seine Wyrm-Legionen wären immer noch sicher in Draconæ weggesperrt. Sag doch selbst, ob das nicht besser wäre als das, was wir jetzt haben!“

Trotzig starrte Cassandra zurück. „Mein Großvater war ein Monster, das einem noch böseren Herrn diente, und du selbst hast mir erzählt, daß die Wyrmer auch vorher schon an einer Methode gearbeitet hatten, um die Scheide zu durchbrechen und daß sie damit kurz vor dem Erfolg standen. Leanders Tod zerreißt mir das Herz, aber er war dabei, zusammen mit dem Parlament Nachforschungen über den Tod und das Verschwinden so vieler Magier anzustellen, und diese Nachforschungen hätten ihn so oder so früher oder später zu Alhazred geführt. Du weißt doch gar nicht, was uns das Schicksal ohne deine Beteiligung an den Dingen gebracht hätte!“

Tief drinnen wußte Timothy, daß die Freundin recht hatte. Trotzdem vermochte er das Gefühl nicht abzuschütteln, er sei verantwortlich für das Leid, das Chaos, das die Welt bedrohte, seit er sich entschieden hatte, Terra zu seinem Zuhause zu machen.

„Es ist einfach alles so viel!“ flüsterte er.

Inmitten der kleinen Gruppe, dort, wo eigentlich niemand zu sehen war, erklang ein Laut wie mißbilligendes Zungenschnalzen und gleich darauf eine Stimme. „Hast du alles vergessen, was ich dir je beizubringen versuchte?“

Nur Carlyle zuckte beim Klang dieser Stimme zusammen, die anderen waren alle seit langem an die Fähigkeit des Asura gewöhnt, mit seiner Umgebung zu verschmelzen, indem er die Pigmente seiner Haut so veränderte, daß es den Anschein hatte, er sei unsichtbar.

„Ivar!“ In Timothys Herzen regte sich ein Fünkchen Hoffnung. Mochte auch alles andere schiefgelaufen sein – zumindest seinem Begleiter und Mentor ging es wieder gut! „Ich habe gar nichts vergessen – zumindest glaube ich nicht, daß ich irgend etwas vergessen habe.“

Ivar wurde sichtbar, ganz plötzlich, so, als sei er gerade eben in den Raum transportiert worden. Dieses Auftauchen hatte nichts mit Magie zu tun, oder doch wenigstens nichts mit der Art von Magie, wie sie Terras Magi wirkten. Von Natur aus war Ivars Haut mit Ausnahme der fast tintenschwarzen Stammesmarkierungen eher bleich, fast elfenbeinfarben. Bei den Markierungen handelte es sich nicht um Tätowierungen; sie entstanden in Ivars Innerem. Wenn Ivar seine Haut in einem bestimmten Muster schwarz werden ließ, so geschah dies, um seine Geschichte und die seines Stammes zu ehren. Timothy freute sich sehr, den Freund nach allem, was er durchgemacht hatte, so lebendig und gesund vor sich zu sehen.

„Daran werde ich mich wohl nie gewöhnen!“ keuchte Carlyle erschüttert.

„Ehrlich gesagt“, krächzte Edgar vom Tisch aus, „man gewöhnt sich nie richtig dran. Ich auch nicht.“

Auf dem Gesicht ein sanftes Lächeln, das bis in ihre grünen Augen reichte, ging Cassandra zu dem Asura hinüber. „Wie geht es dir, Ivar?“ fragte sie. „Fühlst du dich schon besser?“

Der Asura nickte bedächtig, wobei seine dunklen Augen allerdings weiterhin unverwandt auf Timothy ruhten. „Es geht mir schon viel besser, Großmeisterin“, sagte er höflich. „Die Heiler Himmelshafens sind sehr kundig. Aber ich mache mir Sorgen über das, was ich eben mit anhören mußte. Du sagst, du hättest nicht vergessen, was ich dir beigebracht habe“, fuhr er fort, an Timothy gewandt. „Aber wenn ich die Worte vernehme, die aus deinem Mund kommen, so muß ich sagen: Es sind nicht die Worte eines Asura.“

Verlegen wich Timothy dem Blick des Lehrers und Freundes aus. „Ich verstehe nicht, wie du das meinst“, sagte er, was eine glatte Lüge war.

Ivars Blick bohrte sich in den Jungen hinein, zwang ihn, wieder aufzusehen, versuchte, ihn zurückzudrängen, aber Timothy hielt tapfer stand und sagte nichts weiter. „Du bist ziemlich weit gekommen, was die Beherrschung der Kampftechniken meines Volkes betrifft“, sagte Ivar.

„Er kann ganz schön zuschlagen, wenn ihr mich fragt“, mischte sich Sheridan munter ein und die Gänge in seinem Metallkörper knirschten lautstark, als er die Fäuste hob und so tat, als verwickle er einen unsichtbaren Gegner in einen zünftigen Faustkampf.

„Aber das hast du nicht gemeint, Ivar, nicht wahr?“ fragte Timothy, der spürte, wie sich in seinem Innern eine große Wut zusammenbraute. Eigentlich eher eine Wut auf sich selbst als auf sonst irgend jemanden, die sich aber trotzdem, wenn er nicht aufpaßte, gegen seine Freunde entladen würde.

„Als ich in dieses Zimmer kam, hörte ich einen Jungen reden, der voller Selbstmitleid war. Ein Knabe, der kurz davor stand, den Kräften nachzugeben, die auf ihn eindrangen.“ Ivar schüttelte den Kopf. „Das ist nicht die Art der Asura.“

Ganz genau erinnerte sich Timothy an alles, was Ivar ihn gelehrt hatte, aber noch hallten die Worte bunt durcheinander in seinem Kopf wider, und vor seinem inneren Auge stiegen Bilder vom orangefarbenen Himmel eines Spätnachmittags nach einem langen Tag am Strand von Geduld auf. Er meinte wieder zu spüren, wie ihm nach einem harten Kampftraining mit Ivar die Muskeln geschmerzt hatten.

„Ein Asura versteckt sich nicht vor dem Leben. Er nimmt das Gute ebenso an wie das Schlechte“, sagte Timothy langsam.

Ivar nickte, schwarze Muster flossen über die Oberfläche seines blassen, muskulösen Körpers. „Was geschehen ist, kann sich nicht mehr ändern. Was zählt, ist die Reaktion auf das Geschehene.“

Timothy war zumute, als versuchten all die Ereignisse der letzten Zeit, ihn mit ihrem Gewicht in die Knie zu zwingen. Er seufzte. „Es ist alles so viel!“ wiederholte er. Zu gern hätte er den Krieger dazu bewegt, ein gewisses Maß an Mitgefühl zu zeigen, wußte allerdings im Grunde schon, daß er darauf nicht hoffen konnte.

„Wie willst du darauf reagieren?“ fragte Ivar. „Willst du dich von all dem beherrschen lassen oder wirst du zeigen, wer der Herr ist?“

Timothy holte tief Luft. Noch einmal kehrte er in Gedanken auf die Insel Geduld zurück, an den Strand, zu Ivars Lektionen, und plötzlich war alles ganz klar. Die Welt, die zu seiner eigenen zu machen er beschlossen hatte, schwebte in Gefahr. Timothy war der Unmagier. Er konnte Dinge tun, die außer ihm in dieser Welt niemand zu tun vermochte. Damit ließ sich doch bestimmt etwas anfangen, das war doch sicher zu irgend etwas nütze.

„Du hast völlig recht, Ivar! Ich habe genug Zeit mit Selbstmitleid vergeudet.“ Timothy richtete sich kerzengerade auf, und ein Adrenalinstoß fuhr ihm durch den Körper, als er sich mit ernster Miene an Carlyle und Cassandra wandte. „Wenn die Wyrmer durch die Wasserscheide gebrochen sind, muß ich unbedingt zum Anwesen meines Vaters fahren und mich mit Verlis’ Klan unterhalten. Wenn irgendwer uns sagen kann, wie wir mit Raptus und den Seinen umzugehen haben, dann sind es die Wyrmer aus Verlis’ Familie.“

Krächzend schwang sich Edgar in die Luft, um unter heftigem Flügelschlagen unter der Zimmerdecke ein paar Kreise zu ziehen. „Na, das hört sich doch schon viel besser an“, lobte er.

Sheridan verschränkte mit lautem Klappern die Arme vor der Brust, und aus dem Austrittventil seitlich an seinem Kopf löste sich zischend ein Dampfstoß. Das Gesicht des mechanischen Mannes ließ nicht viel Spielraum für Mimik, aber Timothy war sich sicher, daß dort Stolz und Genugtuung geschrieben standen.

Ganz anders Cassandra. Als Timothy das Mädchen ansah, dessen Schönheit und Tapferkeit ihm jedes Mal den Atem nahm, erkannte er in ihren Augen einen Ausdruck leichten Bedauerns. Cassandra strich sich eine lange, rote Locke aus dem Gesicht und steckte sie hinter ihrem Ohr fest.

„Ich bin jetzt Großmeisterin“, sagte sie bedächtig. „Mein Orden befindet sich in heillosem Chaos. Leander ist tot, aber das gilt auch für Alhazred. Man muß erst einmal abwarten und sehen, ob überhaupt noch ein Orden übrig ist, den ich leiten soll und wenn ja, ob irgend jemand von uns es ertragen kann, daß der Name Alhazred als Bezeichnung für diesen Orden herhält. Wie dem auch sei: Zur Zeit stehen allein in Sunderland Hunderte von Magi im Dienste des Alhazred-Ordens. Die gilt es zusammenzurufen, damit sie sich am Kampf gegen Raptus beteiligen können. Das bedeutet, daß Carlyle und ich hierbleiben müssen, um diese Kräfte zu bündeln und über die Zukunft des Ordens zu entscheiden.“

Timothy beobachtete sie verstohlen. Die vergangenen Tage hatten ihm solchen Herzschmerz beschert, daß das, was er für Cassandra empfand, der einzige Lichtblick in all dem Elend war. Das Mädchen war ein Jahr älter als er, vielleicht auch mehr. Trotzdem konnte man nicht leugnen, daß es zwischen ihnen beiden lebhaft knisterte. Sobald all der Kummer, all die Probleme hinter ihnen lagen und es aussah, als wolle sie das Schicksal eine Weile in Ruhe lassen, wollte Timothy nichts lieber tun, als nachzuforschen, wohin dieses Knistern, diese unleugbare Verbindung zwischen ihnen beiden führen mochte. Im Augenblick jedoch waren sie beide für zuviel anderes verantwortlich. Aber den Gedanken, Cassandra könne etwas zustoßen, vermochte Timothy nicht zu ertragen.

„Ich verstehe“, sagte er. „Ich möchte gern, daß Ivar bei dir bleibt und dir mit Rat und Tat zur Seite steht. Wenn er nichts dagegen hat, natürlich.“

Ivar verbeugte sich. „Wie du wünschst“, meinte er mit einem Ausdruck in den Augen, der ahnen ließ, daß Ivar genau wußte, was Timothy gerade empfand.

* * *

Im zentralen Turm Xerxis’, des Hauptquartiers des Parlaments der Magi, summte es in der großen Versammlungshalle wie von einem wütenden Bienenschwarm am letzten warmen Tag des Sommers. So hört sich Panik an, schoß es Fürst Romulus durch den Kopf, als er sich einen Weg durch die Versammelten im Saal bahnte, und das hektische Geschnatter der Großmeister von einhundertsiebenundsechzig Gilden auf ihn einprasselte. So hört sich Verzweiflung an.

Romulus ging langsam die Gelassenheit aus. Die anderen Großmeister spürten die gefährlich schlechte Stimmung, in der sich der mächtige Mann befand und wagten nicht, ihn anzusprechen. Dabei wäre ihm eine Ablenkung gerade recht gewesen. Er und die anderen erwarteten die Ankunft ihrer Stimme.

Jetzt allerdings hatte es den Anschein, als brauche sich Romulus nicht mehr allzulange zu gedulden.

Endlich tauchte Alethea, die Stimme des Parlaments, aus ihrem Privatbüro auf und schritt zu ihrem Platz in der Mitte der runden Halle, in der Hand den Stab, der zu ihrer Stellung gehörte. Der blankpolierte Knochen, aus dem der Stab geschnitten war, leuchtete hell im flackernden Licht der Geisterfeuerlampen. Romulus fiel sofort auf, daß Aletheas Gewänder an diesem Tag aus einem dunklen, zornig roten Stoff waren, wo die Frau sich doch für gewöhnlich in ruhigere Farben hüllte: Die Stimme des Parlaments der Magier hatte sich mit den Farben des Krieges geschmückt.

Zum Zeichen, daß es an der Zeit war, Privatgespräche zu unterbrechen und die Versammlung beginnen zu lassen, pochte Alethea dreimal mit dem Stab auf den Boden. Allerdings ohne gehört zu werden: Die Mitglieder des Parlaments waren taub für Aletheas Bemühungen, ihre hektisch plappernden Zungen zum Schweigen zu bringen.

Romulus packte heftige Wut. Er war wütend auf das Schicksal und die finsteren Pfade, die es eingeschlagen hatte, auf die Dummheit und Überheblichkeit, die die anderen Großmeister mit ihrer Unbeherrschtheit hier zur Schau stellten, und auf alle Anwesenden, die eigene Person mit eingeschlossen, weil sie geglaubt hatten, die Wyrmer ließen sich betrügen und verbannen, ohne daß man befürchten mußte, sie könnten sich dafür rächen.

„Ruhe!“ bellte der Fürst. Seine mächtige Stimme hallte im ganzen Saal wider, und das hektische Geschnatter ringsum verstummte schlagartig.

Fürst Fuchsherz von der Malleus-Gilde musterte Romulus mit finsteren Blicken. In dem Nagergesichtchen des Mannes zuckte es. Scharfe, spitze Zähne wurden sichtbar, aber Fuchsherz hielt sich zurück und sprach kein Wort. Vielleicht spürte er, daß dies nicht der passende Tag war, um den Großmeister der Legion Nocturnus herauszufordern.

„Ich bin die Stimme des Parlaments“, sagte die alte Frau in der scharlachroten Robe, und ihre Stimme klang zwar nicht so laut wie die Romulus’, dafür jedoch doppelt so gebieterisch. „Ich habe unsere Versammlung am heutigen Tag aus schwerwiegenden, aus schrecklichen Gründen zusammengerufen.“

Alethea sah sich um, wobei ihr Blick kurz bei jedem einzelnen Mitglied des Parlaments verweilte. Respektvoll neigte Romulus das große Haupt im schweren, schwarzen Metallhelm.

„Fremdlinge sind in unsere Welt eingefallen“, fuhr Alethea mit bewegter Stimme fort. „Die Wasserscheide von Alhazred ist gefallen. Die Wyrmer sind hier.“

Chaos brach aus, als überall die Großmeister von den Sitzen sprangen, um hektisch schreiend ihre Fragen und Vorschläge vorzutragen. Großmeister Arcturus Tot von der Palisadengilde versuchte, lauter zu sein als die Dame Belladonna vom Strychnos-Orden, und Fürst Fuchsherz schrie womöglich noch lauter, um das Gezeter der Repräsentanten der Drayaidi-, der Winterstern- und der Sectus-Gilde zu übertönen.

Romulus wollte die Kollegen gerade zum zweiten Mal anherrschen, sie sollten gefälligst den Mund halten, als Alethea die Arme über den Kopf hob. Blaues Licht schwebte knisternd um den Kopf ihres Stabes und sammelte sich zu einer schillernden Wolke aus magischer Kraft. Diese Wolke stieg hoch über die Köpfe der Versammelten, wo sie in der Turmmitte schwebend pulsierend verharrte. Peitschenriemen gleich schlängelten sich lange Ranken aus der Wolke, berührten jedes einzelne Parlamentsmitglied – und raubten ihm die Stimme.

Die Versammlungshalle versank in tiefes Schweigen. In der Düsternis seines Helms grinste Fürst Romulus. Das Zaubergewitter dort oben berührte ihn nicht, er wußte auch so, wann es angebracht war, den Mund zu halten.

„Ihr bekommt eure Stimmen wieder, sobald ich der Meinung bin, ihr hättet euch das Recht zurückverdient, sie zum Nutzen eurer Gilden zu erheben“, verkündete Alethea. „Was die momentane Lage betrifft, so erteile ich dem Waffenmeister des Parlaments, dem Fürsten Romulus von der Legion Nocturnus, das Wort.“

Mit diesen Worten richtete die Stimme ihren Stab auf den Fürsten, der seine Sitzreihe verließ und sich neben ihr in den zentralen Kreis stellte.

Romulus sah sich unter den versammelten Magi um. Etliche von ihnen versuchten immer noch zu sprechen, obwohl sie genau wußten, daß ihre Münder zum Schweigen verurteilt waren. Eine solche Haltung konnte Romulus nur schwer nachvollziehen.

Mit einer tiefen Verbeugung wandte sich Romulus an Alethea. „Freundliche Gedanken wünsche ich an diesem so unruhigen Tag“, begrüßte er sie mit seiner tiefen, sonoren Stimme.

„An diesem und allen anderen Tagen.“ Auch Alethea verbeugte sich. „Werdet Ihr uns etwas darüber sagen können, wie wir standhalten und unsere Welt von dieser heimtückischen Bedrohung befreien können?“

„Das werde ich“, erwiderte Romulus an sein schweigendes Publikum gewandt. „Freundliche Gedanken euch allen“, sagte er, wobei er allerdings unter den gegebenen Umständen nicht mit der traditionellen Erwiderung rechnete. „Unsere Welt wird angegriffen. Wir müssen uns entscheiden, wie wir auf diesen Angriff reagieren.“

Endlich hatten die Großmeister angefangen, einigermaßen konzentriert zuzuhören, und die meisten von ihnen kehrten zu ihren Sitzen zurück.

„Ihr wißt sicher noch, daß wir vorgewarnt wurden. Man hat uns gesagt, daß ein solcher Angriff bevorsteht. Timothy Cade ist in Draconæ gewesen und hat einen Wyrm-Klan mitgebracht, der in diese Welt zurückkehren wollte, weil ihn sonst die Gefolgsleute des Tyrannen Raptus ausgelöscht hätten. Zusammen mit Verlis, dem Führer dieses Klans, hat Timothy Cade hier im Parlament erklärt, dieser Raptus sei ein haßerfülltes Monster, das keine Gnade kennt. Er hat auch berichtet, daß Raptus und seine Leute daran arbeiten, die Wasserscheide zu zerstören, damit sie hier einmarschieren können. Die Wyrmer wollen sich für die ungerechte Behandlung rächen, die ihrem Volk zuteil wurde.“

Romulus betrachtete aufmerksam die Gesichter der Parlamentarier, von denen sich nicht wenige finster verzogen, als der Name Timothy Cade fiel. Früher hatte Romulus ähnlich reagiert, aber inzwischen hatte der Unmagier mehr als einmal bewiesen, was in ihm steckte. Hier jedoch war Timothy immer noch ein Thema, das erhitzte, höchst kontrovers geführte Debatten hervorrief. Der Junge machte den Magi Angst, und das nicht zu Unrecht – was jedoch die akute Bedrohung betraf, so konnte es durchaus angehen, daß er die einzige Hoffnung darstellte, die den Versammelten blieb.

„Mit Timothys Hilfe wurde zwischen dem Parlament der Magi und dem Klan des Verlis ein Waffenstillstand geschlossen, wenn auch einer, der auf tönernen Füßen steht. Aber so haben wir im drohenden Krieg mit der Armee des Raptus Wyrmverbündete. Hier nun die Frage an euch: Können wir es wagen, einem Jungen unser volles Vertrauen zu schenken, der für die Matrix unsichtbar ist? Vertrauen wir Timothy Cade etwas an, das durchaus das Schicksal unserer Welt sein könnte?“

Bei diesen Worten waren die Parlamentarier im Handumdrehen wieder auf den Beinen, fuchtelten mit den Armen und wehklagten, allerdings ohne daß man sie hören konnte.

„Vielleicht wäre es jetzt an der Zeit, ihnen die Stimmen zurückzugeben?“ erkundigte sich Romulus bei Alethea. „Man sollte ihnen gestatten, ihre Meinung zu sagen.“

Die Stimme hob den Knochenstab, flüsterte etwas, das Romulus nicht zu hören vermochte und in der riesigen Halle erklang lautes Poltern. Es gab Kräfte, über die allein die Stimme des Parlaments verfügte und gegen die kein anderer Magus etwas tun konnte. In diesem Fall löste sich die wogende Wolke aus magischer Energie auf.

„Freunde“, mahnte Alethea, „nun verfügt ihr erneut über die Gabe, zu sprechen. Aber ich werde nicht zögern, sie euch wieder zu rauben, sollte diese Debatte nicht in geregelten Bahnen verlaufen.“

Die Großmeister nahmen sich die Warnung ihrer Stimme zu Herzen und warfen einander ehrerbietige Blicke zu. Es gab hier im Parlament eine deutliche Rangordnung, die auf Macht und Dienstalter – die Länge der Zeit, in der der jeweilige Parlamentarier schon Großmeister seiner Gilde war – beruhte. An diese Rangordnung wollten sich nun wohl alle halten, weswegen sich nach einer kleinen Weile erst einmal Aloysius, der Großmeister der Spiralgilde, erhob.

„Wie können wir dem Jungen trauen?“ fragte der Großmeister, ein molliger Mann mit zornrotem Gesicht. „Mag er ruhig Argus Cades Sohn sein, er ist trotzdem kein Teil unserer Welt. Man hat ihn auf einer Parallelebene erzogen. Er ist ebensowenig einer von uns wie die Wyrmer.“

Aloysius sah sich um und forschte in den Mienen der anderen Großmeister nach Anzeichen von Zustimmung. Viele Parlamentarier nickten ihm auch gleich heftig zu und drängten ihn fortzufahren, wobei einigen deutlich anzusehen war, wie ungeduldig sie waren und wie gern sie selbst schon mit einem Wortbeitrag an der Reihe gewesen wären. „Der Junge hat doch schon zigmal unsere Pläne durchkreuzt. Er ist für den Tod eines unserer berühmtesten Großmeister verantwortlich und hat einem Wyrmkriminellen zum Ausbruch aus dem Gefängnis von Abaddon verholfen. Es ist wirklich jammerschade, daß unser Parlament mit Konstabler Grimshaw so rüde umgegangen ist und den Mann gleich von allen Pflichten entbunden hat, denn Grimshaw hat recht! Timothy Cade und alle, für die er eintritt, sollte man einsperren und den Zauber, mit dem man sie wieder befreien könnte, ganz schnell vergessen!“

Aus den Kehlen der Versammelten drang mehr als ein lauter Schrei. Jeder drängte sich vor, jeder wollte von den anderen gehört, beachtet werden, jeder wollte seinen Auftritt, seinen großen Moment haben. Die Stimme klopfte energisch mit dem Stab auf den Boden, und alles beruhigte sich ein wenig, so daß die Debatte halbwegs geregelt weitergehen konnte.

„Was wir eben gehört haben, sind höchstens Halbwahrheiten!“ brüllte Romulus. „Ja, es stimmt: Es gab eine Zeit, da war Großmeister Nikodemus ein geachtetes Mitglied unseres Parlaments. Aber es wird doch niemand leugnen wollen, daß das wahre Wesen dieses Mannes abscheulich war! Nikodemus war ein Schuft, ein Verräter, ein Mörder! Gäbe es den Jungen nicht, wir kennten die Wahrheit über den Mann bis heute nicht.“

Die Dame Belladonna vom Strychnos-Orden erhob sich aus ihrem Sitz. Sie war eine außergewöhnlich schöne, atemberaubende Erscheinung, in leuchtendgrüne Gewänder gehüllt und so beeindruckend, daß ein kaum merklicher Seitenblick nach rechts und links reichte, um die Münder der aufgeregten Gildemeister in ihrer unmittelbaren Nähe verstummen zu lassen.

„Fürst Romulus, Eurem Ton entnehme ich, daß Ihr der Meinung seid, wir könnten Timothy vertrauen. Dabei wart Ihr bislang einer der ungestümsten und eloquentesten Gegner des Jungen. Welcher Tatsache haben wir diesen Sinneswandel zu verdanken?“

Fürst Fuchsherz sprang auf. „Springt das nicht klar ins Auge? Der Bengel hat ihm das Gehirn vernebelt!“

Daraufhin gab es spöttisches Kichern bei all denen, die den Großmeister der Malleus-Gilde absurd fanden, eine ganze Reihe Parlamentarier jedoch nickte auch verärgert und zustimmend. Romulus mußte den Impuls unterdrücken, Fuchsherz mit einem Blick zu einem Häuflein qualmender Knochen verkommen zu lassen.

Er riß sich zusammen und wandte sich ruhig an die Stimme. „Darf ich es ihnen zeigen?“ fragte er.

„Anders wird es wohl nicht gehen“, seufzte Alethea, indem sie mit der Hand über den Kopf des Knochenstabs fuhr. Eine kristallklare Gestalt erschien in der Luft, drehte sich und warf das Licht im Saal reflektiert in den Farben des Regenbogens zurück.

Alethea pustete sacht, und schon schwebte die Kristallgestalt dorthin, wo Romulus stand. Der streckte die Hand aus, und der Kristall verwandelte sich in ein Bild, das knisterndes Feuer zeigte und Wyrmer im Sturzflug, die Schwerter schwangen und flüssige Flammen ausatmeten. Ein Bild der Zerstörung, ein Bild von Raub und Mord.

„Das ist Tora’nah“, verkündete Romulus.

Die Bilder waren der reine Alptraum. Eine ganze Armee von Wyrmern verdunkelte den Himmel und senkte sich gerade auf das Bergbaugebiet herab, und während die Parlamentarier schreckensbleich auf das Horrorszenario starrten, war die ganze Zeit die klagende Stimme eines Magus zu hören: „Helft uns, bitte. Helft uns!“

Dann war zu sehen, wie einer der Wyrmkrieger auf dem Boden landete, nur wenige Meter von dem Magier entfernt, der die verzweifelte Botschaft aufzeichnete. Ein wahrhaft grauenvolles Wesen in einer gehämmerten Rüstung von der Farbe getrockneten Blutes. Der Wyrm riß das Maul auf und spie Feuer. Ein durchdringender, verzweifelter Schrei war zu hören, und dann riß die Übertragung ab.

Nachdem sich der Kristall aufgelöst hatte und wie ein kleines Häufchen Staub zu Boden gesunken war, herrschte Totenstille im Saal.

„Ihr fragt mich, wie ich dem Jungen und seinen Wyrmverbündeten vertrauen kann?“ fragte Romulus. „Ich frage zurück: Nachdem ich das hier gesehen habe, wie kann ich es mir erlauben, ihnen nicht zu vertrauen?“

Der Un-Magier - Wyrmkrieg

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