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Kapitel eins

Knisternde Spannung lag in der Luft. Seine Hoffnungen und Erwartungen hatten sich derart gesteigert, daß ihm vor lauter Aufregung die Haut kribbelte wie von Magie.

Oder zumindest so, wie sich Timothy Cade das Gefühl knisternder Magie vorstellte, ein Gefühl, das er selbst nie hatte erleben können, war er doch in einer Welt, in der alles und alle durch Magie miteinander verbunden waren, sozusagen eine Leerstelle, ein unbeschriebenes Blatt. Magie konnte ihn nicht berühren, ihm nichts anhaben, und er konnte auch keine Magie wirken. Timothy war einmalig in dieser Welt und von daher auch sehr allein, abgeschnitten von dem, was andere fühlten und erlebten. So abgeschnitten, daß niemand außer ihm je verstehen würde, wie er empfand. Timothy mußte sich seine eigene Magie schaffen.

Genau darin, in der Magie, die er selbst erfand, lag der Grund für seine erregte Anspannung. Timothy war so aufgeregt, daß es ihm vorkam, als flatterten Schmetterlinge in seinem Bauch. Er spürte ein Prickeln im Gesicht, auf den Händen und im Nacken und fragte sich, ob es das wohl sein mochte, was man empfand, wenn man auf die magische Strömung eingestimmt war, die durch diese Welt floß. Tief in seinem Herzen jedoch hegte er den Verdacht, daß selbst dieses wunderschöne Empfinden nicht mit dem Gefühl zu vergleichen war, das die Ströme der Magie zu wecken vermochten – ein Gefühl, das ihm für immer und ewig verwehrt bleiben würde.

Trotzdem ging es Timothy so gut, daß er nicht aufhören konnte zu grinsen. Vielleicht war ihm ja wirklich nicht mehr Magie vergönnt in seinem Leben als diese, seine ganz eigene, aber die reichte, um ihn glücklich zu machen. Außerordentlich glücklich sogar, und dieses Glücksgefühl war alles, was er brauchte. Ihm reichte es, ja, es reichte ihm voll und ganz!

Timothy und einige seiner Freunde hatten sich an diesem klaren, kühlen Morgen auf einem flachen, grasbewachsenen Hügel hinter dem Dienstboteneingang Himmelshafens versammelt. Himmelshafen war ein großes, prächtiges Anwesen, eine Inselfestung, die unweit der Ufer der Stadt Arkanum zig Meter hoch über dem Meer schwebte. Hier, so weit oben über dem Wasser, blies der Wind mit einiger Schärfe, weswegen Timothy den Kragen seines Umhangs hochklappte, ehe er seine Aufmerksamkeit wieder ganz auf die Aufgabe richtete, die es an diesem Tag zu bewältigen galt. Seine Freunde waren gekommen, um mit ihm zusammen seine neueste Erfindung zu testen.

Timothy hatte diese Erfindung „Wühler“ getauft – er wollte damit Löcher in die Erde bohren. Die Idee und ein erster Entwurf dazu waren ihm eines Nachts im Traum eingefallen, als er noch auf Geduld gelebt hatte. Er war damals aufgewacht, hatte hastig eine grobe Skizze angefertigt und war befriedigt wieder eingeschlafen: Wenn es ihm gelang, alle Einzelteile zusammenzubekommen, würde er sich ein Werkzeug basteln können, mit dessen Hilfe die Konstruktion einer Untergrundwerkstatt möglich wurde. Ein sicherer Zufluchtsort vor den tropischen Stürmen, die jedes Frühjahr über die Insel fegten.

Nun war die Idee Wirklichkeit geworden. Oder doch fast: Die Maschine, die Timothy heute testen wollte, war als Prototyp für einen weitaus größeren Wühler gedacht. Erwies sich dieser Prototyp als tauglich, wollte der Junge auch die Konstruktion des größeren Gerätes in Angriff nehmen. Er sah aus wie ein Kasten und war ungefähr so groß wie eine Himmelskutsche. Er hatte eine kegelförmige, mit Beschlagnägeln versehene Nase, die sich drehen, ein Loch in den Boden bohren und die dabei gelockerte Erde zurück zum anderen Ende des Wühlers schaffen sollte. Oben auf dem Gerät befand sich hinter einem dicken Metallschild mit einem kleinen Fenster darin ein Sitz. Durch das Fenster konnte der Lenker des Wühlers Zusehen, wie sich der Kegel in die Erde bohrte und die Fortschritte seiner Maschine beobachten, durch den Metallschild vor umherfliegendem Geröll geschützt. Das Fenster bestand aus einem durchsichtigen, recht widerstandsfähigen Material, das Timothy „gesintert“ nannte und das er aus den gummiartigen Säften zweier auf Terra weitverbreiteter Pflanzen herstellte. Das Gesinterte war unzerbrechlich. Hinter dem Fahrersitz befand sich der Antrieb des Grabgerätes, eine ebenfalls von Timothy entworfene und gebaute Dampfmaschine, die mit dem Heizgestein Vulkanit betrieben wurde. Die ganze Maschine ruhte auf einem Chassis mit sechs Rädern.

Timothy ging um den Wühler herum – der wirklich letzte Inspektionsrundgang, hatte er sich vorgenommen. In seinem Rücken spürte er deutlich die erwartungsvollen Blicke seines Publikums: Seit einer guten Stunde nun schon bereitete er das Gerät auf den Probelauf vor.

„Wird das heute noch was, oder sollen wir in einer Woche noch mal wieder vorbeikommen“, knarrte hinter ihm eine durchdringende Stimme. Timothy drehte sich um und warf Edgar einen tadelnden Blick zu. Die Krähe mit den glänzenden schwarzen Federn war sein Vertrauter – sein Begleiter aus dem Tierreich – und gleichzeitig auch ein guter Freund.

„Krah! Krah!“ krächzte Edgar vergnügt und wartete gespannt darauf, daß Timothy auf den Spott einging, den der Vogel sich nur selten verkneifen konnte. Timothy grinste – der Freund schaffte es aber auch immer, ihn zu erheitern!

Außer Edgar waren noch drei weitere Freunde gekommen, um dem Probelauf von Timothys Wühler beizuwohnen. Die Krähe stieg kurz in die Luft auf, drehte eine kleine Runde und landete laut flatternd auf der Schulter Sheridans, des mechanischen Mannes, den Timothy gebaut hatte, als er noch auf der Insel Geduld lebte. Sein anderer Gefährte aus jenen Jahren war sein Freund und Mentor Ivar, der letzte überlebende Asura-Krieger, und natürlich hatte sich auch Verlis an diesem Morgen eingefunden, ein Neuling in Timothys Gruppe ungewöhnlicher Kameraden. Verlis war ein Wyrm. Er gehörte einer Rasse an, die von den Drachen der Vorzeit abstammte, und seine Anwesenheit auf Terra hatte Anlaß zu zahlreichen erhitzten Debatten gegeben. An diesem Morgen jedoch hatte keiner der Freunde etwas anderes im Kopf als die Frage, ob sich Timothys neueste Erfindung als Erfolg erweisen würde. Ihre gespannte Aufmerksamkeit machte Timothy Angst. An ihren Gesichtern vermochte er abzulesen, daß die anderen Freunde Edgars Ungeduld teilten, auch wenn sie es nicht offen aussprachen.

„Ihr wißt doch genau, wie ich es mit den Testläufen meiner Erfindungen halte!“ sagte er ungehalten. „Ich muß ganz sicher sein, daß wirklich alles so funktioniert, wie ich es vorgesehen habe, ehe ich den Versuch starte.“

„Oh, das wissen wir. Aber uns wird es hier inzwischen langweilig, und wir haben keine Lust mehr zu warten. Nun schmeiß die Maschine schon an!“ quakte Edgar, indem er sich aufplusterte.

Aus dem Ventil seitlich an Sheridans Kopf löste sich ein Dampfstoß. Der mechanische Mann hob die Hand, um sich Edgar von der Schulter zu wischen. Die Krähe wich aus, wobei ihre Krallen hektisch über das Metall schabten, während Sheridan weiterhin versuchte, sie zum Schweigen zu bringen.

„Halt doch den Schnabel, du Vogel!“ schalt der Mann aus Metall. „Timothy kann sich Zeit lassen, soviel wie er will. Lieber auf Nummer Sicher gehen als sich hinterher wünschen, man hätte es getan. So lautet meine Devise.“

Schon lange war Sheridan nicht mehr nur eine von Timothys Erfindungen, war viel mehr als eine bloße Maschine; Timothys Empfinden nach war er ebenso aus Fleisch und Blut wie die anderen Gefährten auch – obwohl er aus Metall zusammengebaut war und mit Dampf betrieben wurde.

„Danke, Sheridan!“ meinte der Junge trocken. „Es ist doch schön zu wissen, daß mich wenigstens einer versteht.“

Flügelschlagend erhob sich Edgar in die Lüfte und umkreiste die Versammlung. „Du hast dir jede Kleinigkeit an dem Ding doch mindestens schon zehnmal angeguckt!“ beschwerte er sich. „Komm schon! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt.“

Hin und her gerissen betrachtete Timothy den Wühler und dachte an all die Dinge, die er gern noch ein letztes Mal überprüft hätte. Nur, um ganz sicher zu sein.

„Mein Freund!“ hörte er hinter sich eine tiefe, rauhe Stimme, und als er sich umdrehte, sah er Verlis die großen, lederartigen Schwingen entfalten. „Der Vogel hat recht. Es gilt noch so viel zu erledigen, was die Expedition nach Tora’nah betrifft. Ohne unhöflich werden zu wollen, möchte ich doch sagen, daß der Zeitfaktor nicht ganz unwichtig ist.“

Timothy nickte. Das mit dem Zeitfaktor stimmte, was der Junge nur zu genau wußte. Aber er zögerte immer noch, mochte nichts unternehmen, ohne ganz sicher zu sein, daß er alles in seiner Macht Stehende getan hatte, um einen sicheren Probelauf des Wühlers zu gewährleisten. Er wollte den Freunden wirklich nicht die Zeit stehlen, aber er mußte ganz sicher sein! Vom Erfolg seiner neuesten Erfindung hing viel zuviel ab. Zum ersten Mal, seit Timothy auf Terra lebte, hatte das Parlament der Magi – die Körperschaft, die in dieser Welt die Regierung stellte – ihn um Hilfe gebeten. Viele Magier Terras mißtrauten dem Jungen nach wie vor, da er über keinerlei Magie verfügte. Sie nannten ihn Unmagier, was noch harmlos war, denn man hatte auch schon Schlimmeres zu ihm gesagt. Aussätziger. Mißgeburt. Aber jetzt hatte das Parlament ihn gebeten, bei den Vorbereitungen zur Verteidigung Terras zu helfen, denn es drohte eine Invasion. Vor langer Zeit hatte man die Wyrmer in eine andere Dimension verbannt, aus der sie unter Führung ihres grausamen, rachsüchtigen Führers Raptus nach Terra zurückzukehren planen, um gegen die Magier Krieg zu führen.

Die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit eines jeden Mannes, jeder Frau und jeden Kindes auf Terra stand auf dem Spiel. Timothy konnte dem Parlament unmöglich die Hilfe verweigern, ganz gleich, wie seine Gefühle dieser Institution gegenüber auch sein mochten. Der Wühler mußte problemlos funktionieren. Er wollte das Parlament nicht im Stich lassen. Er wollte diese Welt nicht im Stich lassen.

Edgars Drängen ärgerte ihn. Entschlossen kehrte Timothy den Freunden den Rücken und setzte die genaue Begutachtung seines Gefährts einfach fort. Für Fehler war kein Spielraum mehr. Timothy konzentrierte sich jetzt ganz auf die Antriebsmaschine des Wühlers. Er klappte die Tür auf, die zu dem Gehäuse führte, das die Kraftquelle des Gerätes beherbergte. Die Vulkanitbrocken glühten weiß vor Hitze. Sie heizten das Wasser in dem großen Metallbehälter auf, aus dem der Dampf aufsteigen sollte, der den Wühler antrieb.

„Timothy?“ Leise wie ein Windhauch erklang die Stimme neben Timothys Ohr. Der Junge zuckte zusammen – er hatte nicht mitbekommen, wie Ivar nähergekommen war. Eigentlich hätte ihn das nicht überraschen dürfen, war doch der Letzte der Asura in der Lage, sich so unbemerkt zu bewegen wie niemand sonst, dem Timothy je begegnet war. Für Ivar war es völlig normal, sich so zu bewegen, daß kaum jemand sein Kommen wahrnahm.

„Ist mit der Maschine irgendwas nicht in Ordnung?“ Der Asura beugte sich vor, suchte nach Anzeichen für Probleme.

Bisher hatte Timothy noch keinen Fehler gefunden. „Nein. Aber man kann bei diesen Sachen einfach nicht vorsichtig genug sein.“

„Dann gehst du also davon aus, daß du etwas findest, was nicht in Ordnung ist?“ erkundigte sich Ivar gelassen, wobei er zunächst den Wühler prüfend musterte, ehe er den Blick auf Timothy richtete.

Der schüttelte den Kopf. „Nein, aber versteh doch – die Sache muß einfach klappen! Es steht zuviel auf dem Spiel, es darf auf keinen Fall irgend etwas schieflaufen.“

„Wenn die Maschine keine Fehler hat“, sagte Ivar, hielt den Kopf schräg und zog eine Braue hoch, „dann wird sie auch funktionieren.“

Timothy holte tief Luft, um diese dann als lauten Seufzer wieder auszustoßen. Fasziniert starrte er auf die wunderschönen schwarzen Muster, die sich fließend über Ivars Gesicht bewegten und immer neue Formen annahmen. Es waren die Stammesmale eines Volkes, das aufgehört hatte zu existieren. Die Asura hatten die Pigmente, die ihre Haut färbten, ganz bewußt steuern können. So konnten sie nach Belieben die Farbe wechseln und sich ihrer jeweiligen Umgebung anpassen, und zwar so gut wie jeder Umgebung, weshalb sie bei Bedarf fast unsichtbar waren. Sobald sie ruhten, sah man die Stammesmale die immer vorhanden waren und die auf Timothy immer schon eine beruhigende Wirkung gehabt hatten.

„Aber was, wenn die Maschine nicht funktioniert?“ fragte Timothy leise.

Ivar zuckte die Achseln. „Dann reparieren wir sie, bis sie funktioniert.“ Er neigte kaum merklich den Kopf als Zeichen dafür, daß er gesagt hatte, was er hatte sagen wollen und die Unterhaltung damit, was ihn betraf, beendet war. Dann drehte er sich um und gesellte sich wieder zu den anderen, die sich versammelt hatten, um dem Testlauf beizuwohnen.

„Danke!“ rief Timothy ihm nach. Ivar hatte sich stets bemüht, dem Jungen Selbstvertrauen zu vermitteln. Unsere Fähigkeiten sind nur so groß wie das Vertrauen, das wir darin setzen, hatte er bei mehr als einer Gelegenheit gepredigt, ein Gedanke, der ebenso einfach wie einleuchtend war und der Timothy immer schon gefallen hatte. Auch jetzt konnte er wieder einmal nur bewundern, wie gut es Ivar gelang, einen klaren Blick zu bewahren und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

Der Asura stand geduldig wartend bei den anderen, die Arme vor der nackten Brust verschränkt.

Timothy wußte tief im Innern, daß es nun wirklich an der Zeit war.

„Die Verzögerung tut mir leid“, entschuldigte er sich. „Aber jetzt werden wir endlich sehen können, ob dies Ding auch tut, was es tun soll.“

Er zog sich hoch auf den Sitz des Wühlers, nahm die Schutzbrille, die an einer der Steuervorrichtungen hing, streifte sie sich über und warf durch die Brillengläser einen Blick auf die kleine Versammlung seiner Freunde. Wieder spürte er die knisternde Erwartung, die in der Luft lag, und noch einmal schossen ihm all die Dinge durch den Kopf, die er gern noch ein letztes Mal überprüft hätte. Energisch untersagte er sich jeden weiteren Gedanken daran. Die Zeit war gekommen, ein Zurück gab es nun nicht mehr.

Er streckte die Hand aus und drehte das erste Ventil bis zum Anschlag auf. Sofort lag ein Zischen in der Luft, das an eine riesige Schlange gemahnte. Der Wühler zitterte ein wenig, als der Dampf, der sich in einem Vorratsbehälter gesammelt hatte, durch ein Netzwerk aus Röhren in den eigentlichen Körper des Gefährts stieg. Als nächstes drehte Timothy an einem Knopf. Langsam begann sich der kegelförmige Bohrkopf am vorderen Ende des Wühlers zu drehen. Timothys Lippen verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln, als sich der Kegel schneller drehte.

Rasch stellte er den Fuß auf ein Pedal und fing an zu pumpen. Ganz langsam ging das hintere Teil des Wühlers in die Höhe, während sich das vordere dem Boden zuneigte. Timothy gab die Bremse frei, und das Gefährt setzte sich in Bewegung.

Atemlos sah der Junge zu, wie der Bohrer, der sich inzwischen mit voller Kraft drehte, mühelos durch die Grasnarbe schnitt und sich in die darunterliegende Schicht aus Erde und Felsgestein grub. Er trat das Pedal weiter durch, und das hintere Ende der Maschine hob sich weiter. Noch schneller drehte sich der Bohrer, wobei er einen hohen, heulenden Laut von sich gab und sich immer tiefer in den Boden grub. Schon waren die Anfänge eines Tunnels zu erkennen. Der Wühler arbeitete genau so, wie Timothy es geplant hatte.

* * *

Cassandra nahm den Deckel von der alten Truhe und starrte ein wenig unglücklich auf all die Pergamentrollen, die dort gelagert waren. Ein leicht abgestandener Geruch drang ihr in die Nase, und einen Augenblick lang befürchtete das Mädchen, niesen zu müssen, was sie sich energisch untersagte. Entschlossen ging sie an die Arbeit. Cassandra hatte an diesem Morgen eine wichtige Aufgabe zu erledigen, die ihre gesamte Aufmerksamkeit erforderte, aber sie konnte tun, was sie wollte, ihre Gedanken wanderten unweigerlich immer wieder zu Timothy Cade. Dagegen ließ sich anscheinend nichts machen.

Cassandras Wangen glühten – sie wußte ja selbst nicht, warum, aber sie fand einfach alles, was mit diesem Jungen zu tun hatte, auf sonderbare Art und Weise faszinierend. Besonders hatte es ihr das Funkeln angetan, das sich immer in seine Augen schlich, wenn er von den wunderbaren Geräten erzählte, die er im Kopf bereits entworfen hatte und die er eines Tages alle bauen würde.

Cassandra fuhr mit der Hand über die oberste Lage Pergamentrollen und flüsterte die Worte einer magischen Beschwörung, woraufhin die Rollen, die ganz zuoberst lagen, langsam hochschwebten und sich aufrollten, um zu enthüllen, was auf ihnen geschrieben stand, und wieder erwischte sich Cassandra dabei, wie sie an Timothy dachte. Der Junge war außerstande, auch nur die einfachste Magie zu wirken. Wie anders einfach alles in seinem Leben sein muß, dachte Cassandra, während sich ihr der Inhalt einer Schriftrolle nach der anderen eröffnete. Sie vermochte die Informationen kaum aufzunehmen, die sich ihr hier darboten. Immer wieder schweiften ihre Gedanken ab, drehten sich um den fremdartigen Jungen und darum, wie sehr er seit seiner Ankunft ihre Welt verändert hatte.

„Hast du schon etwas gefunden?“

Das Mädchen schreckte aus seinen Tagträumen hoch und wandte sich dem großen, bärtigen Magier zu, der in der anderen Hälfte der großen Studierstube hinter dem Schreibtisch saß. Auch Leander Maddox war von Schriften und Aufzeichnungen umgeben, von uralten Pergamentrollen bis hin zu vergleichsweise neuen Texten. Leander hatte Timothy damals in der Globule, die sein Vater, der große Magier Argus Cade, für den Jungen erschaffen hatte, gefunden, und Leander war auch derjenige gewesen, der den Jungen nach dem Tode des Vaters mit in diese Welt, nach Terra, gebracht hatte.

Leander klang ungeduldig, etwas sehr Ungewöhnliches bei diesem ansonsten so ruhigen und freundlichen Mann. „Noch nicht“, erwiderte Cassandra schuldbewußt und gab sich noch einmal große Mühe, ihren Kopf von allen störenden Gedanken zu befreien, um sich ganz und gar auf die Schriftrollen konzentrieren zu können, die vor ihr in der Luft schwebten. Leider nur gab es viel zuviel, worüber sie nachdenken mußte.

Im Moment fungierte Leander als Großmeister des Alhazred-Ordens, der Magiergilde, der die Familien Cade und Nikodemus schon immer angehört hatten. Cassandra konnte nicht verhindern, daß sie sich immer wieder fragte, wie sich der stattliche Magier angesichts der Veränderungen, die stattgefunden hatten, seit er Timothy mit nach Terra gebracht hatte, wohl fühlte. Hier auf Terra stellte der junge Cade eine Absonderlichkeit dar. Er war ein Außenseiter, ein Ausgestoßener.

Timothy hatte die ungeheure Verschwörung aufgedeckt, die der frühere Großmeister des Ordens angezettelt hatte – Cassandras eigener Großvater. Dieser hatte versucht, die Alleinherrschaft über das Parlament der Magi an sich zu reißen. Er hatte all die unterschiedlichen dort vertretenen Gilden befehligen wollen. Immer, wenn Cassandra an die Schlacht, in der Timothy ihren Großvater getötet hatte, und an das daraus resultierende Chaos im Parlament dachte, lief ihr ein Schauer über den Rücken. In so kurzer Zeit war so viel geschehen.

Cassandra dachte an die Ankunft des Wyrms Verlis, in der viele nichts als eine weitere Bedrohung gesehen hatten. In Wahrheit jedoch war der Nachfahre der Drachen aus grauer Vorzeit nach Terra gekommen, weil er sich hier Hilfe gegen ein viel größeres Übel erhoffte, ein Übel, das nun auch auf Cassandras Leben überzugreifen drohte – auf Cassandras Welt. Lange vor Timothys und Cassandras Geburt hatte es eine Zeit gegeben, in der Magi und Wyrmer friedlich Seite an Seite auf Terra gelebt hatten. Doch dann hatte es einen Konflikt gegeben, und man hatte die Wyrmer aus Terra vertrieben und in eine Paralleldimension namens Draconæ zwangsumgesiedelt.

Jetzt hatte Raptus, der Führer der Wyrmer in Draconæ, vor, durch die Barriere zu brechen, die beide Dimensionen — die von Terra und die von Draconæ – voneinander trennte. Verlis zufolge wollte sich Raptus an den Magiern rächen und plante, Terra in seine Gewalt zu bringen und das Parlament der Magi zu vernichten. In jenen finsteren Tagen, als man die Wyrmer vertrieb, hatten sich die Magier von Alhazred, dem Gründer der Gilde, der Cassandra angehörte, manipulieren und zu finsteren Taten anstiften lassen. So hatte es dazu kommen können, daß das Parlament die Wyrmer verriet und verbannte. Raptus und seine Gefolgsleute hatten geschworen, erst dann zu ruhen, wenn es ihnen gelungen war, blutige Rache zu nehmen.

Mit einem tiefen Seufzer gelang es Cassandra, sich auf die Dokumente zu konzentrieren, die vor ihr in der Luft schwebten. Das Parlament hatte Leander und sie damit beauftragt, die uralten Schriften zu studieren und nach allem Ausschau zu halten, was gegen den bevorstehenden Angriff der Wyrmer helfen mochte. Vier Pergamentrollen hatte Cassandra bereits durchgesehen, ohne etwas Nützliches zu finden. Sie gestattete ihnen, sich wieder zusammenzurollen und zu Boden zu fallen. In der fünften Rolle dann stach ihr etwas ins Auge.

„Leander!“ rief sie aufgeregt, während sie das Pergament aus der Luft griff. „Ich glaube, ich habe etwas gefunden.“

Maddox sah von der eigenen Lektüre auf. Seine Augen waren rot, das Gesicht eingefallen vor Erschöpfung. Cassandra wußte ja, daß es anstrengend war, Großmeister zu sein, hatte sich aber noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, was genau einem Großmeister die Leitung einer ganzen Gilde abverlangte. Allerdings würde sie auf Dauer nicht darum herumkommen, sich über diese Frage Gedanken zu machen – jedenfalls nicht, wenn sie vorhatte, selbst das Amt einer Großmeisterin des Alhazred-Ordens zu bekleiden. Als Enkelin Aloysius Nikodemus’, des letzten Führers der Gilde, stand ihr diese Position zu, sobald sie bereit war, sie anzunehmen.

„Was denn?“ fragte er und erhob sich.

Cassandra trug die Rolle zu ihm hin. „Eigentlich nichts Bestimmtes, aber in dieser Korrespondenz zweier Handwerker der Gilde ist von einem Bergbauvorhaben die Rede, bei dem es sich, glaube ich, um das Bergwerk in der Nähe der ehemaligen Wyrmersiedlung Tora’nah handelt.“

Aufgeregt riß ihr Leander das Dokument aus der Hand. „Gib mir die Rolle!“ zischte er, und Cassandra war wie vor den Kopf gestoßen. Schon seit einiger Zeit hatte sie beim Großmeister kaum merkliche Veränderungen wahrgenommen und machte sich Sorgen darum, daß sich die Belastungen durch das Amt ungünstig auf Leander auswirken könnten. Für gewöhnlich brachte den Mann so schnell nichts aus der Ruhe.

„Ja!“ verkündete der Großmeister, nachdem er die alten Briefe hastig überflogen hatte. „Es sieht wirklich so aus, als könnten diese Informationen für unsere Expedition sehr nützlich sein!“

Leander plante, zusammen mit Timothy, Verlis und einigen ausgewählten Parlamentsvertretern in die alte Heimat der Wyrmer zu reisen, um dort die Stabilität der zwischen Terra und Draconæ errichteten magischen Barriere zu überprüfen. Zusätzlich zu dieser Aufgabe hatten sie sich auch vorgenommen, die Bergbauvorhaben zu überwachen, mit denen man dort neu begonnen hatte, und Verteidigungspläne für den Fall auszuarbeiten, daß die Wyrmer aus Draconæ wirklich in der Lage waren, die Barriere zu durchbrechen.

„Der Verfasser dieser Schriftrolle erwähnt den Plan, eine Landkarte mit allen wichtigen Bodenschatzvorkommen im Gebiet der Drachen anzufertigen“, sagte Leander. „Wenn es diese Landkarte gibt, müssen wir sie umgehend finden. Sie könnte uns wochenlange Vorarbeiten ersparen, könnten wir mit ihrer Hilfe doch sofort mit dem Abbau des Malleum beginnen, ohne erst großartig Bodenproben vornehmen zu müssen.“

„Habt Ihr irgendwelche Vorschläge oder Ideen, wo ich mit der Suche nach der Karte beginnen könnte?“ fragte Cassandra, die zu der Truhe zurückgekehrt war, in der sie die Schriftrolle gefunden hatte. „Vielleicht liegt sie ja noch hier dabei?“ mutmaßte sie, kniete sich hin und fing erneut an zu suchen.

Ein Rauschen in der Luft ließ sie einen Blick zu dem Großmeister werfen. Leander wirkte gerade einen Zauber, der offenbar den Schriftrollen in der hölzernen Truhe galt, neben der Cassandra kniete. Hastig sprang die junge Frau auf und trat einen Schritt zurück. Eben noch rechtzeitig, denn der restliche Truheninhalt war gerade dabei, sich in die Luft zu erheben und zu entrollen. Staunend sah Cassandra dem Spektakel zu.

Leander trat hinter dem Schreibtisch hervor, wobei sich seine prächtigen, scharlachroten und schwarzen Gewänder hinter ihm bauschten, während er jedes einzelne der schwebenden Dokumente zügig, aber sorgsam prüfte. Sobald er eine Rolle in Augenschein genommen und diese sich nicht als die gesuchte Landkarte entpuppt hatte, flatterte diese unwichtig geworden zu Boden.

„Wir haben keine Zeit, keine Zeit!“ flüsterte Leander, von Schriftrollen umgeben, leise, aber verzweifelt. „Alles, was wir je kannten, ist in Gefahr. Unser aller Zukunft steht auf dem Spiel.“

Plötzlich riß er die Augen auf und blieb mit einem Ruck stehen, die Hände nach einem der schwebenden Pergamentstücke ausgestreckt. „Hier ist sie ja!“ rief er aufgeregt und drehte sich zu Cassandra um, während die noch in der Luft verbliebenen Dokumente wie auf einen Schlag allesamt zu Boden sanken. „Nicht allzu genau, aber dennoch außerordentlich nützlich.“

Dann fing der Großmeister an zu lachen, ein ganz und gar unerwartetes und so unheimliches Geräusch, daß Cassandra hoffte, etwas Ähnliches nie wieder hören zu müssen.

„Meister Maddox?“ rief sie besorgt.

Er wandte den Blick von dem kostbaren Fund in seinen Händen ab und funkelte sie wütend an, wobei sie einen kurzen, schrecklichen Moment das Gefühl hatte, er würde sie gar nicht erkennen. Aber dann entspannten sich seine Gesichtszüge, und Cassandra hatte erneut den gütigen Mann vor sich, den sie in den vergangenen Tagen und Wochen zu respektieren und bewundern gelernt hatte.

„Ja, Kind?“ antwortete er mit einer Stimme, die für einen Mann seiner Statur viel zu schwach klang.

„Geht es ... geht es Euch nicht gut?“

Langsam rollte Leander die Schriftrolle zusammen. „Mir fehlt nichts“, sagte er, aber Cassandra sah ihm deutlich an, wie schwer ihm das Lächeln fiel, zu dem er seine müden Züge zwang. „Ich bin nur etwas erschöpft. Kein Grund zur Sorge, meine Liebe.“

Cassandra sah zu, wie er ganz langsam zum Schreibtisch zurückging, die Landkarte an die Brust gedrückt, und wünschte, sie hätte ihm glauben können. Seit sie den Magus kannte, hatte sie dessen schier unerschöpfliche gute Laune und Ausgeglichenheit bewundern dürfen. Bislang war sie der festen Überzeugung gewesen, sie würde sich Leander als Vorbild nehmen und sich in ihrem Verhalten an ihm orientieren, sobald für sie die Zeit gekommen war, das Amt als Großmeisterin anzutreten. Irgend etwas stimmte hier nicht.

Leander steckte die Landkarte in einen Lederbeutel, in dem sich bereits diverse andere Dokumente befanden, die Cassandra und er im Verlauf der letzten Tage gefunden hatten und wirkte einen Zauber, um den Beutel zu verschließen und für Fremde unzugänglich zu machen. „Ich glaube, jetzt haben wir so gut wie alles beisammen und können aufbrechen.“

Cassandra musterte Leander prüfend. Sie hoffte, einen Hinweis darauf zu finden, was ihm Sorgen bereiten mochte. Aber alles, was sie sah, war Müdigkeit. Vielleicht war Leander ja wirklich nur erschöpft, vielleicht erwiesen sich die Belastungen, die die Position als Großmeister mit sich brachte, als zu aufreibend für seine Nerven.

Leander warf einen Blick auf den großen Zeitmesser an der Wand der Studierstube. „Geh bitte und sag Timothy Bescheid, daß die Zeit gekommen ist.“ Er suchte seine Sachen zusammen. „Ich erwarte ihn dann gemeinsam mit den anderen Expeditionsteilnehmern am Vordereingang des Palastes.“

Cassandra neigte den Kopf und eilte aus der Stube. Sie glaubte, sich daran zu erinnern, daß Timothy gesagt hatte, er plane, auf dem Gelände vor dem Hintereingang Himmelshafens seine neueste Erfindung zu testen. Also schlug sie erst einmal diese Richtung ein. Geschäftig huschte sie die scheinbar leeren, unendlich langen Flure entlang, wobei sie vorsichtig den Saum ihres smaragdgrünen Kleides gerafft hielt, um nicht auf den vielen Treppen zu stolpern, die es hinunterzusteigen galt. Auf den, der sich hier nicht auskannte, mußte Himmelshafen wie ein Labyrinth wirken, aber seit Cassandra nach dem tragischen Tod ihrer Eltern hierhergezogen war, hatte sie viel Zeit gehabt, sich genau umzusehen. Nun gab es in diesem schwebenden Prachtbau wohl kaum noch ein Fleckchen, das sie noch nicht gesehen hatte.

Eine Marmortreppe führte zum Küchentrakt und zur Rückseite des Palastes. In der Küche angekommen mußte Cassandra erstaunt feststellen, daß das Personal gar nicht, wie sie gedacht hatte, mit der Zubereitung des Mittagessens beschäftigt war, sondern sich alle statt dessen an der Hintertür drängten, wo sie mit offenen Mündern irgend etwas bestaunten, das dort draußen vor sich ging. Vom Gelände hinter der Küchentür drang Lärm ins Haus, begleitet von hohem, schrillem Heulen.

Sie gesellte sich zu der kleinen Versammlung, wobei niemand ihr Näherkommen zu bemerken schien, und reckte sich auf die Zehenspitzen, um einen Blick über die Köpfe der Köche und Diener werfen zu können. Cassandra lachte leise in sich hinein. Timothy Cade, das hätte mir eigentlich gleich klar sein können. Timothy hockte rittlings auf einem sehr merkwürdigen Gerät, das in der Erde buddelte und Dreck und Steine in alle Richtungen verstreute.

Cassandra räusperte sich einmal, und als niemand reagierte, räusperte sie sich ein zweites Mal, und diesmal bekamen die Dienstboten von Himmelshafen mit, wer sich da zu ihnen gesellt hatte. Widerstrebend kehrten die Leute an die Arbeit zurück, mußten sie doch befürchten, daß man sie sonst tadeln würde. Cassandra allerdings vermochte ihnen aus ihrer Neugier keinen Vorwurf zu machen. Wie oft bekam man denn auch einen Jungen zu sehen, der auf einer Maschine ritt, die in der Erde grub? Hier bestimmt nicht jeden Tag. Die Chance, einen solchen Anblick geboten zu bekommen, bestand eigentlich überhaupt erst, seit Timothy in das Leben der Festungsbewohner getreten war. Der Junge war wirklich einmalig auf dieser Welt.

Cassandra trat durch die Hintertür und schlenderte über den Rasen zu der Gruppe von Timothys Freunden hinüber, die um das frisch gegrabene Loch herumstanden und die neueste Leistung des Jungen bestaunten. Cassandra hoffte inständig, Timothy möge wissen, wann es Zeit war, die Maschine zu stoppen. Himmelshafen war eine schwebende Insel – grub er zu tief, dann konnte es geschehen, daß er durch den Boden brach und samt Wühler in den Ozean stürzte, der unter ihnen lag. Was das erst für ein Anblick wäre! Cassandra unterdrückte ein Kichern.

„Weiß er überhaupt, wann er aufhören muß?“ erkundigte sie sich laut, die Hände als Trichter vor den Mund gelegt, um den Lärm der grabenden Maschine zu übertönen.

Verlis warf einen Seitenblick auf Ivar, der wiederum Sheridan fragend ansah.

Edgar, der bis dahin auf der Schulter des mechanischen Mannes gehockt hatte, flog auf und landete auf dem Arm, den Cassandra ihm hingestreckt hatte.

„Meinst du das ernst?“ fragte die Krähe ebenfalls recht laut. „Nach alldem, was Timothy geleistet hat, meinst du, so eine Frage stellen zu müssen?“ Vorwurfsvoll schüttelte die Krähe den Kopf.

„Ich wollte nicht respektlos sein, ich wollte nur ganz sichergehen, daß er auch vorsichtig ist.“

Edgar plusterte sich indigniert auf. „Timothy ist ein Genie! Natürlich weiß er, daß er nicht zu tief gehen darf.“

Wie auf ein Stichwort schaltete sich das Grabgerät aus, und nur noch der Lärm einer anderen, weitaus ruhigeren Maschine war zu hören. Cassandra beugte sich vor. In der gerade entstandenen Grube konnte man sehen, wie die Maschine gemächlich wieder an die Oberfläche stieg. Das neue Geräusch verursachten die Räder, die sich ganz langsam drehten, um das Gerät rückwärts an die Erdoberfläche zu bugsieren.

„Da siehst du es!“ triumphierte Edgar. „Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Er hat genau gewußt, wann er aufhören muß!“

Träge zog sich die Grabmaschine aus dem Loch zurück, und Timothy war eifrig damit beschäftigt, an Knöpfen zu drehen und Schalter zu betätigen, um die Antriebsvorrichtung seiner Erfindung herunterzufahren.

„Nur gut, daß ich rechtzeitig ans Aufhören gedacht habe!“ rief er, indem er die Schutzbrille abnahm und auf den Boden hüpfte. „Ich war so aufgeregt, weil alles so gut funktioniert hat, daß ich glatt immer weiter gegraben hätte!“

Cassandra hob spöttisch eine Braue und warf Edgar einen schnellen, fröhlichen Seitenblick zu, der daraufhin hastig woanders hinsah und von ihrem Arm hüpfte, um im Gleitflug auf den Kopf des Jungen hinüberzuwechseln.

„Wunderbare Leistung, Jungchen!“ krächzte die Krähe. „Der Wühler lief wie geschmiert. Ich habe dir ja gleich gesagt, daß es so sein würde.“

„Danke, Edgar!“ Timothy strahlte.

Verlis näherte sich der Maschine und legte eine krallenbewehrte Klaue auf die Metalloberfläche. „Faszinierend!“ lobte er mit seiner tiefen Stimme. „Genau wie du, Timothy Cade.“ Dann trat er an das Loch, das im Boden entstanden war und starrte nachdenklich in die dunkle Tiefe.

Auch Sheridan und Ivar eilten herbei, um Timothy zu beglückwünschen. Nur Cassandra traute sich nicht. Sie hätte nicht sagen können, ob Timothy ihre Anwesenheit bemerkt hatte. Der Wind zauste ihr das rote Haar, das sie sich ungeduldig immer wieder aus dem Gesicht strich, ohne die ungebärdige Pracht jedoch bändigen zu können.

„Hast du das gesehen?“ fragte Timothy und kam auf sie zu, ein breites Grinsen im Gesicht. „Es hat genau so funktioniert, wie ich gehofft hatte.“

Cassandra lächelte. „Wirklich unglaublich!“ sagte sie und hätte gern noch viel mehr gesagt, aber wenn Timothy so dicht vor ihr stand wie jetzt und sie so anlächelte, hatte sie Schwierigkeiten, die richtigen Worte zu finden.

Was geschieht nur mit mir? fragte sich das Mädchen kurz davor, in Panik zu geraten.

Einen Moment lang trafen sich die Blicke der jungen Leute, dann sah Timothy zur Seite und kratzte sich nervös am Hinterkopf. Entschlossen richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf den Wühler. „Ich kann es kaum erwarten, Leander zu berichten, wie gut alles geklappt hat!“ sagte er, und Cassandra fiel wieder ein, weswegen sie überhaupt gekommen war.

„Oh je!“ rief sie und hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Das hätte ich bei all der Aufregung fast vergessen! Die anderen sind fertig und wollen los. Die Expedition nach Tora’nah – alle warten auf dich und Verlis!“

Der Un-Magier - Geisterfeuer

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