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Kapitel 2

Lunas Wecker klingelte bereits um sechs Uhr. Stöhnend tastete sie nach ihrem Handy, um die nervige Melodie auszuschalten.

Der Abend war länger geworden als geplant. Dieser Riley hatte alles durcheinandergebracht. Normalerweise ging Luna spätestens um ein Uhr nachts ins Bett, schließlich brauchte sie ihren Schlaf. Aber Riley hatte gestern nicht auf ihren Zauber reagiert und war als einziger Gast geblieben. Eigentlich hätte sie ihm gerne eine höfliche Abfuhr erteilt, doch der Umstand, dass er nicht gegangen war, hatte sie neugierig gemacht. Nun musste sie mit der Konsequenz leben: bleierne Müdigkeit.

Erneut klingelte es. Dieses Mal war es ein Anruf auf dem hoteleigenen Telefon.

Mit einer Handbewegung ließ Luna die Deckenleuchten erstrahlen. Sie setzte sich auf und nahm das Gespräch an.

»Guten Morgen, Frau Moonlight. Sie wollten geweckt werden. Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Tag!«

»Vielen Dank.« Luna warf einen Blick auf ihr Handy, es war bereits zwanzig nach sieben. Sie war noch einmal eingenickt, in Gedanken an den Mann von letzter Nacht. Zum Glück ließ sie sich immer vom Hotelpersonal anrufen, für den Fall, dass sie erneut einschlief – so wie an diesem Tag.

Gähnend kletterte Luna aus dem Bett und suchte ihre Kleidung zusammen. Ihre Dusche musste wohl kürzer ausfallen, wenn sie pünktlich sein wollte.

Eine halbe Stunde später zog sie ihren Koffer hinter sich aus dem Aufzug in die Lobby des Hotels, um auszuchecken.

Mit einem Lächeln verabschiedete sie sich und drehte sich schwungvoll zum Ausgang. Dabei wurde sie beinahe von einem Mann umgerannt.

»Oh, entschuldigen Sie bitte.« Sie wollte weitergehen, als er eine Hand auf ihren Arm legte.

»Luna? Na, was für ein Zufall! Ich dachte schon, ich würde dich nicht mehr sehen.« Es war Riley, der ebenfalls müde, aber gut gelaunt wirkte. Sein kurzes blondes Haar war etwas verwuschelt, was ihn überaus sympathisch machte. »Der Abend war fantastisch. Ich hoffe sehr, dass du doch noch genug Schlaf bekommen hast.«

»Nun ja, eigentlich nicht …«, sagte Luna, aber als sie in seine strahlend blauen Augen sah, musste sie unwillkürlich lächeln. »Es ist halb so schlimm, ich kann im Auto etwas schlafen. Ich fand den Abend auch sehr schön. Er war die Müdigkeit wert.« Sie zwinkerte ihm zu.

Rileys Blick glitt zum Ausgang. »Ich will dich nicht aufhalten. Dein Wagen wartet sicherlich schon. Es freut mich, dass ich dich noch mal sehen konnte. Ich wünsche dir eine gute Reise.« Mit einem Lächeln wandte er sich von ihr ab.

Leicht irritiert sah Luna ihm hinterher. Sie hatte erwartet, dass er nach dem vergangenen Abend versuchen würde, ein längeres Gespräch zu führen. Ein wenig enttäuscht war sie ja schon. Aber vielleicht hatte er es selbst einfach nur eilig.

In diesem Moment trat Lunas Chauffeur Michael durch die gläserne Flügeltür des Hoteleingangs und kam lächelnd auf sie zu. Er trug einen schlichten schwarzen Anzug und hatte die kurzen dunklen Haare streng nach hinten gegelt.

»Guten Morgen, Frau Moonlight. Darf ich?« Er deutete auf ihren Koffer.

»Gerne, danke. Und nenn mich bitte Luna. Du weißt doch, dass ich nicht gerne gesiezt werde.« Grinsend überließ sie Michael ihr Gepäck und schaute noch einmal zurück, doch Riley war schon längst verschwunden. Luna folgte Michael zu ihrem Wagen, der gleich vor dem Hoteleingang geparkt war.

»Möchten Sie Musik hören?«

Luna seufzte laut. »Ach Michael, ist das Du so schwer?«

Er lachte höflich. »Es ist so tief in meinem Kopf drin, es tut mir leid.«

»Ist schon gut. Musik brauche ich nicht. Wie geht es Frau und Kindern?« Ganz automatisch fiel ihr Blick auf das Foto, das seit jeher an der Armatur über dem Radio angebracht war: eine blonde Frau, rechts und links von ihr ein Mädchen und ein Junge, beide etwa im Grundschulalter. Sie lachten alle in die Kamera wie eine glückliche Familie aus einem Reiseprospekt.

»Wie alt sind die zwei eigentlich mittlerweile?«

»Ihnen geht es ausgezeichnet. Wollen Sie direkt zur nächsten Location fahren oder vorher noch irgendwo anders hin?«

Ihre Frage nach dem Alter schien er absichtlich übergangen zu haben. Luna hatte das Gefühl, dass er nicht gerne von seiner Familie erzählte. Dabei hatte sie immer gedacht, dass alle voller Stolz von ihren Kindern sprachen. Die Vermutung lag nahe, dass er Probleme in seiner Ehe hatte.

Daher hakte sie nicht weiter nach. »Nein danke, bitte direkt zur Location. Ich glaube, ein wenig leise Musik zu hören wäre doch ganz schön.«

»Gerne, Frau Moonlight.«

Sosehr sie es auch versuchte, es gelang Luna nicht, im Auto einzuschlafen. Ihre Gedanken kreisten um das lange Gespräch vom Vorabend und die viel zu kurze Begegnung in der Lobby. Ob sie es wollte oder nicht, Riley hatte ihre Neugier geweckt. Sie fragte sich, ob er gegen ihre Magie immun war. Er hatte nicht reagiert, als alle anderen müde geworden waren und den Raum verlassen hatten. Entweder hatte der Mann einen starken Willen oder etwas schützte ihn.

Nachdem Luna ihr Schlafdefizit mit einem kleinen Mittagsschlaf im Hotel aufgeholt hatte, war es schon wieder Zeit für die Arbeit.

Sie liebte es, umherzureisen und die Menschen zu verzaubern.

Die Show verlief ähnlich wie die am Abend zuvor. Das Publikum war begeistert und vollkommen fasziniert von ihr.

Anschließend gab es wieder eine kleine Party, auf der sie sich blicken ließ, die aber ohne Probleme dank ihrer Magie um Punkt Mitternacht beendet war. Alles war wie immer – und das ärgerte Luna.

Als sie das Licht in ihrem Hotelzimmer anknipste und das leere, gemachte Bett sah, spürte sie ein seltsames Gefühl in ihrem Magen. Sie schaltete den Fernseher ein, um beim Abschminken und Umziehen eine Geräuschkulisse zu haben, denn die Stille, die ihr sonst so gefiel, war auf einmal erdrückend. Wie gerne hätte sie nun mit jemandem gesprochen, von dem Auftritt erzählt oder einfach nur Small-Talk gehalten. Doch da war niemand. Da war nie jemand. Warum störte es sie auf einmal?

Einige Tage später fand die nächste Show statt.

Völlig entspannt und ganz in ihrem Element begann sie mit ihrem Eröffnungstrick, bis sie ins Publikum sah und ihr Puls sich unwillkürlich beschleunigte. Gleich in der ersten Reihe entdeckte sie Riley. Der blonde Kurzhaarschnitt und das kantige Gesicht waren unverwechselbar. Seine hellen Augen verfolgten gebannt jede ihrer Bewegungen.

Luna ließ sich nichts anmerken, aber das Lächeln fiel ihr auf einmal viel leichter. Sie freute sich tatsächlich, dass er sie anscheinend nicht vergessen konnte – genauso, wie sie immer wieder an ihn denken musste.

Normalerweise waren die Zuschauer fasziniert und gelöst, Riley hingegen wirkte analytisch. Klar, er mochte Zaubershows und fragte sich bestimmt, wie der eine oder andere Trick funktionierte.

Luna musste sich bremsen, um mit ihren Zaubertricks nicht zu übertreiben. Was das anging, hatte sie ihre festen Regeln und jeder Zauber musste so ablaufen wie geplant. Daran würde auch der verwirrend niedliche Kerl in der ersten Reihe nichts ändern.

Bei der After-Show-Party ließ sie absichtlich einen Zauber wirken, den sie sonst nicht benötigte. Die Gäste wurden zurückhaltend, sodass sie nicht wie sonst in unzählige Gespräche verwickelt wurde. Für gewöhnlich genoss sie den Austausch, doch dieses Mal hätte sie sich nicht darauf konzentrieren können.

Zielstrebig ging sie auf Riley zu, der an einem kleinen Tisch Platz genommen hatte, und setzte sich zu ihm. »Du bist wiedergekommen«, stellte Luna fest. Ein Handzeichen genügte, um den Kellner herzulocken, der ihr einen Champagner reichte. Mit dem Glas in der Hand beobachtete sie den jungen Mann ganz genau.

Er wirkte wie ein Bursche vom Land. Seine Hände waren gepflegt, aber sie erkannte Schwielen an den Innenflächen.

Sie dachte an ihre erste Begegnung zurück und hätte ihn zu gerne weiter ausgefragt. Dass er nun hier saß, ließ ihr Herz hüpfen. Sie wollte sich ihre Freude nicht anmerken lassen, trotzdem zogen sich ihre Mundwinkel nach oben.

Riley blieb vollkommen ruhig und beinahe bewegungslos sitzen, erwiderte ihren Blick mit einem leichten Lächeln. Betont langsam nickte er. »Ja, du sagtest doch, dass du deine Show jedes Mal etwas abwandelst. Ich habe ein paar Tage frei und dachte mir, dass ich in denen herausfinden kann, ob es wirklich so ist.«

»Und?« Sie führte ihr Glas zu den dunkel geschminkten Lippen und nippte daran.

»Die Eröffnung und der Trick mit den bunten Bällen sind die einzigen, die gleich geblieben sind. Ansonsten habe ich einige wenige Ähnlichkeiten festgestellt.«

»Du hast gut aufgepasst. Der Bälletrick ist mein Markenzeichen. Ich möchte, dass die Zuschauer etwas haben, das sie mit nach Hause nehmen können. So ein kleiner Ball ist eine nette Erinnerung.«

»Vor allem mit deiner Unterschrift drauf.«

Sie unterhielten sich noch eine Weile recht oberflächlich, die gelöste Stimmung ihres ersten Treffens wollte sich jedoch einfach nicht einstellen.

Der Raum hatte sich mittlerweile ohne Magie geleert, da erhob sich Riley plötzlich. »Ich muss noch ein geschäftliches Gespräch führen. Hast du vielleicht Lust, morgen mit mir essen zu gehen?«

»Ein Gespräch um diese Uhrzeit?« Luna fragte sich, was Riley überhaupt arbeitete. Sie hatten über Musik, Vampire und Essen gesprochen, aber nicht darüber, womit er sein Geld verdiente. Wieder glitt ihr Blick zu seinen Händen.

»Wir haben Kunden im Ausland. Dort ist es gerade die beste Zeit für eine Telefonkonferenz.« Riley schmunzelte, ging um den Tisch herum und blieb neben ihr stehen. »Morgen Abend neunzehn Uhr in der Lobby. Gute Nacht, Luna.«

Fassungslos starrte sie Riley hinterher. Noch nie hatte jemand sie so überrumpelt wie er. Und das war bereits das zweite Mal, dass er sie einfach verwirrt zurückließ. Was sollte sie nur von diesem Mann halten?

Luna nahm sich vor, Riley warten zu lassen. Das Spiel, das er mit ihr trieb, beherrschte sie ebenfalls.

Sie wollte sich nicht in die Sache hineinsteigern, sonst stellte sie sich ungeschickt an. Ihr half es, sich bewusst zu machen, dass ihr die ganze Sache mit Riley eigentlich egal war. So würde sie gleich viel ruhiger und entspannter sein. Zumindest redete sie es sich ein.

Trotzdem dachte sie immer wieder an das bevorstehende Treffen. Sie wollte versuchen, ihn mit Magie zu beeinflussen, denn dass er nicht auf ihren Zauber reagiert hatte, machte sie beinahe wahnsinnig. Er musste einen unglaublichen Willen haben, wenn er dem widerstehen konnte.

Bereit für den Abend verließ Luna das Hotelzimmer. Pünktlich um halb acht trat sie in einem atemberaubenden, rückenfreien Abendkleid aus dem Aufzug.

Riley wartete schon in der Lobby, aber nicht wie erwartet im Anzug, sondern in Jeans und T-Shirt, das den zackigen Aufdruck einer bekannten Metal-Band trug.

Wie erstarrt blieb sie stehen und wurde beinahe von der Aufzugtür eingequetscht, die sich schloss. Ihr Herz hämmerte bis in ihren Hals und sie befreite sich unelegant aus den Fängen des Aufzugs.

Riley eilte sofort mit erschrockenem Gesicht zu ihr herüber. »Luna, ist alles in Ordnung? Bist du verletzt?«

»Nein.« Sie strich sich über das Kleid, obwohl keine Falte darauf zu sehen war. »Ich dachte, wir wollten Essen gehen. Oder habe ich das alles falsch verstanden?«, krächzte sie, ihre Stimme leicht panisch. Ihre Gedanken rasten, sie war überzeugt, dass ihre Wangen angesichts dieser peinlichen Situation leuchtend rot glühen mussten.

»Ja, klar. Ich bin froh, dass du jetzt erst kommst! Ich warte noch nicht lange auf dich.«

»Wirklich?« Sie hatte eine halbe Stunde umsonst auf ihrem Bett gesessen und in langweiligen Modezeitschriften geblättert, nur um nun zu erfahren, dass Riley selbst spät dran war?!

Luna presste die Zähne aufeinander, um nicht etwas Unpassendes zu erwidern.

»Ja, es ist fast so, als hätten wir uns abgesprochen.« Er lachte und deutete auf ihr Kleid. »Du siehst hübsch aus. Komm, lass uns gehen.«

Du. Siehst. Hübsch. Aus. Sie sah hübsch aus? Nein, sie hatte fast zwei Stunden im Bad verbracht, um nicht einfach nur hübsch auszusehen. Sie wollte fantastisch aussehen und Riley von den Socken hauen. Sie wollte ihn um den Finger wickeln und sich nicht wieder verwirren lassen. Das war wohl nach hinten losgegangen.

Ihre High Heels klackerten im schnellen Stakkato, bis sie Riley eingeholt hatte. Tief atmete sie ein. »Wohin gehen wir? Soll ich mich vorher umziehen?«

»Nein, ist schon in Ordnung. Kannst du gut auf den Schuhen laufen? Es ist nicht weit, aber wir gehen nur essen. Keine Sorge, man wird dich nicht vor der Tür stehen lassen. Es gibt dort keine Kleiderordnung.«

»Ich habe eher Sorge, dass sie dich nicht reinlassen«, antwortete Luna leicht sarkastisch.

Riley stoppte abrupt. »Du denkst, ich sei unpassend angezogen?« Er versuchte empört zu wirken, doch Luna erkannte die Belustigung auf seinem Gesicht, was sie nur noch mehr ärgerte.

»Ich weiß ja nicht, was du unter essen gehen verstehst, aber in meiner Welt bedeutet das, dass man sich schick anzieht und ein hübsches Restaurant besucht.« Eigentlich hatte sie nicht mit ihm diskutieren wollen, aber sie konnte einfach nicht ihren vorlauten Mund halten. Falls sie überhaupt einmal die Oberhand gehabt hatte, dann hatte sich das gerade geändert. Es kümmerte sie weit mehr, was er über sie dachte, als sie zulassen wollte. Und verdammt, es störte sie, dass sie ihm auf High Heels hinterherrannte. Am liebsten wäre sie sofort umgedreht und zurück in ihr Hotelzimmer gelaufen, doch sie schluckte den Frust hinunter und versuchte, stark zu bleiben.

Riley grinste nun selbstgefällig und beschleunigte seinen Schritt. »Keine Sorge, das Restaurant ist gemütlich und das Essen köstlich. Das ist doch das Wichtigste.«

War er wirklich selbst zu spät in der Lobby gewesen oder hatte er das nur behauptet? Bestimmt war er auch davon ausgegangen, dass sie bei einer Einladung zum Abendessen ein schickes Kleid anziehen würde. Sie war darauf hereingefallen. Aus dieser Überlegung und dem Grinsen, das er nicht einmal zu verbergen versuchte, ergab sich für sie die Annahme, dass er womöglich geplant hatte, sie auflaufen zu lassen. Er tat es gewiss, um sie weiter zu verunsichern. Und das gelang ihm ausgezeichnet.

Obwohl sie auf ihren Schuhen normalerweise gut und schnell laufen konnte, kam sie nur langsam voran. Anstatt ein Taxi zu rufen, führte Riley sie quer durch die Stadt, über unebene Pflastersteine und einen Parkplatz aus Rollsplit.

Endlich erreichten sie das Restaurant, das die Filiale einer Burgerkette war.

»Ich liebe Burger!«, rief sie, um mitzuspielen. Sie würde sich nicht vorführen lassen. Mit Abendkleid in einen Burgerladen zu gehen war zwar ein wenig peinlich, aber wenn sie ehrlich war, hatte sie gehofft, etwas Richtiges zwischen die Zähne zu bekommen.

Überrascht zog Riley die Augenbrauen nach oben. »Freust du dich?«

Luna konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. »Ja, klar! Lass uns reingehen.«

Riley hatte nicht zu viel versprochen, das Essen war wirklich köstlich.

»Woher kennst du den Laden hier?« Sie steckte den Rest ihres Burgers in den Mund und sah betont beiläufig zu ihm hinüber.

»Ich bin häufig hier in der Gegend, wenn …« Er stockte für einen längeren Augenblick, so als würde er überlegen, was er ihr überhaupt erzählen wollte. »Meine Firma hat hier einen wichtigen Kunden, deshalb bin ich regelmäßig in der Stadt.«

»Was ist das eigentlich für eine Firma?«, hakte Luna schnell mit vollem Mund nach, bevor Riley das Thema wechseln konnte.

»Ach, ich dachte, wir reden heute mal nicht über die Arbeit.«

»Du weißt, was ich mache. Da ist es nur fair, wenn du mir sagst, für welche Firma du arbeitest.«

Riley seufzte ergeben. »In Ordnung. Es ist bloß eine Softwarefirma. Aber ich will dich nicht mit Details langweilen.« Er steckte sich ein paar Pommes in den Mund.

Nach einem verständnisvollen Nicken lehnte sich Luna auf dem schlichten Holzstuhl zurück.

Der Laden war sehr rustikal eingerichtet und wirkte durch bepflanzte Kübel zwischen den Tischen nicht wie eine typische Imbisskette. Es war voll und trotz ihres falschen Outfits fühlte sich Luna hier wohl. Doch Riley bereitete ihr weiterhin Kopfzerbrechen.

Eine blonde, junge Kellnerin steuerte von der Bar aus auf ihren Tisch zu.

»Kann ich euch noch etwas bringen?« Mit einem Lächeln räumte sie die leeren Teller ab.

Riley warf Luna einen fragenden Blick zu und lächelte dann ebenfalls. »Cocktails?«

Luna zuckte mit den Schultern und nickte. Ein leckerer Cocktail würde ihr sicherlich guttun und ihre Gedanken etwas zur Ruhe kommen lassen.

»Bring uns bitte zwei Rudolphs

Die blonde Kellnerin nickte und verschwand mit dem Geschirr.

»Was ist ein Rudolph?« Luna griff nach der Karte, die in der Mitte des Tischs lag, doch Riley kam ihr zuvor und schnappte sie sich zuerst. »Hey!«

»Lass dich überraschen.« Ein verschwörerisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

Was hatte er nun schon wieder vor?

Das Getränk, das wenige Minuten später vor ihnen auf dem Tisch stand, hatte es in sich. Der angebliche Cocktail wurde in einem Glas serviert und sah aus wie eine heiße Schokolade mit einer dicken Sahneschicht obendrauf. Auf einem Zahnstocher prangte eine rote Kirsche, die wohl für die Nase des bekannten Rentieres stehen sollte. Er schmeckte tatsächlich nach Schokolade, aber bestand mindestens zur Hälfte aus einem Likör, der Luna kurz erschaudern ließ. Er war extrem süß und stark.

»Willst du mich etwa abfüllen?«

Riley lachte und zuckte mit den Schultern. »Vielleicht ein bisschen. Ich möchte dich zu einem Deal überreden.«

Luna verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück. »War ja abzusehen. Welche Gemeinheit hast du geplant?«

»Was denkst du von mir? Ich plane doch keine Gemeinheiten. Es ist wirklich nur ein klitzekleiner Deal.« Er stand auf und lief zur Theke.

Kurze Zeit später kam Riley mit einem Stift und einem kleinen roten Plastikball zurück. Den Ball hatte er anscheinend schon vorher dort platziert.

Luna war sich unsicher, wie sie das werten sollte, und beobachtete stumm, wie er sich eine der weißen Servietten nahm, die auf dem Tisch lagen. Da er seine linke Hand davorhielt, konnte Luna nicht erkennen, was er damit tat, und musste wohl oder übel abwarten, bis er fertig war.

Riley schaute sie immer wieder grinsend an. Irgendwann drehte er die Serviette um und richtete sich auf. »Hier ist der Deal. Ich habe gerade etwas für dich gezeichnet. Wenn du das Bild haben möchtest, dann musst du den hier schweben lassen.« Er legte den kleinen roten Ball in die Mitte des Tisches.

Ach, das steckte also dahinter.

»Du willst herausfinden, wie ich den Balltrick mache«, stellte Luna fest, bewegte sich jedoch keinen Millimeter. Sie betrachtete ihre neugierige Begleitung lange.

Wieder war da dieses selbstgefällige Grinsen auf seinem kantigen, aber durchaus attraktiven Gesicht. Das kurze blonde Haar hatte er mit etwas Haargel modisch gestylt.

Er nickte grinsend. »Du hast mich durchschaut. Aber du bekommst ja auch etwas dafür.«

»Ich muss den Ball nur schweben lassen und dir nichts erklären, richtig?«

»Ja, das reicht mir vollkommen aus. Aber es ist auch nicht schlimm, wenn du es nicht kannst.« Er zog die Serviette triumphierend näher zu sich, als würde er nur darauf warten, dass Luna zugab, dass sie den Trick hier nicht durchführen konnte.

»Glaubst du wirklich, ich könnte es nur mit Vorbereitung?«

Riley zuckte mit den Schultern. »Jeder Zauberer hat seine Tricks, und die meisten gelingen nur an einem bestimmten Ort oder mit bestimmten Utensilien. Hier hast du weder das eine noch das andere. Gib ruhig zu, dass du auch nur eine kleine Zauberkünstlerin bist, die auf billige Tricks angewiesen ist. Es ist kein Drama, Luna.«

Eigentlich wollte sich Luna nicht reizen lassen, aber Riley hatte es nicht anders verdient. Mit einer Fingerbewegung ließ sie den roten Ball in die Luft schweben, sodass Riley verdutzt auf ihn starrte. Dann ließ sie ihn gegen seine Stirn prallen. »Ich hätte dann gerne mein Bild.«

Stöhnend rieb sich der eben noch so überhebliche Kerl die getroffene Stelle. »Okay, damit habe ich jetzt nicht gerechnet.«

Diesmal war sie es, die grinsen musste.

Er schob die Serviette in die Mitte des Tisches, sodass Luna sich nach vorne beugen musste, um nach ihr zu greifen. Für einen Moment hielt er sie noch fest und sah ihr in die Augen, bevor er losließ.

Als Luna ihren Gewinn umdrehte, klappte ihr die Kinnlade herunter. Riley hatte sie als Zauberkünstlerin mit einem fliegenden Ball gezeichnet. »Wow, danke!«

Das Bild war fantastisch und sie sah toll darauf aus. Nun hatte sie fast ein schlechtes Gewissen wegen des kleinen Ballangriffs. Aber das verschwand, als sie Rileys breites Grinsen bemerkte.

»Na siehst du, so schwer war es doch gar nicht.«

Seufzend griff sie nach ihrem Glas und trank einen großen Schluck.

Der Rudolph ließ all ihre Vorsätze in Luft aufgehen. Sie scherzte mit Riley, und sie neckten sich gegenseitig. Es war schon fast unheimlich, wie gut sie sich verstanden. Beinahe war es so, als würden sie sich seit Ewigkeiten kennen. Der imaginäre Gesprächsball flog wie an ihrem ersten Abend zwischen ihnen hin und her. Sie sprachen über das Zeichnen, Reisen, Orte und Dinge, die sie noch erleben wollten. Erstaunt stellte Luna fest, dass sie viele Gemeinsamkeiten hatten. Nur bei Fragen, die Rileys Familie und seinen Beruf betrafen, antwortete er ausweichend.

»Deine Hände sehen übrigens nicht so aus, als wärst du bloß ein langweiliger Bürotyp«, versuchte sie ihn irgendwann aus der Reserve zu locken.

Er blickte auf seine Hände und zuckte die Schultern. »Ich bin auch nicht langweilig.«

Es war schon nach Mitternacht als Riley Luna zurück ins Hotel brachte. Vor dem Fahrstuhl blieben sie stehen.

»Danke für den lustigen Abend«, sagte sie lächelnd, die Serviette in der Hand.

»Gerne, vielleicht können wir es irgendwann wiederholen.«

»Da suche ich aber das Restaurant aus«, entgegnete sie.

Sie lachten, dann sah Riley sie mit seinen hellblauen Augen ruhig an. Sie schwiegen.

Ein Kribbeln entstand in ihrem Körper, das sie lange nicht mehr gespürt hatte. Ihr Herz schlug wild und Luna hielt unwillkürlich die Luft an, als Riley ihr so nahe kam, dass sie seinen Atem auf ihrer Haut spürte. Luna wollte gerade die Augen schließen, doch plötzlich wandte Riley sich ab.

Er hatte sich an ihr vorbei gelehnt, um den Fahrstuhlknopf zu drücken.

Lächelnd stand er nun vor ihr. »Wir sehen uns bestimmt bald wieder. Meine Handynummer steht auf der Serviette. Schreib mir mal. Gute Nacht!«

Er umarmte sie flüchtig, drehte sich um und entfernte sich mit schnellen Schritten.

Fassungslos starrte Luna ihm hinterher, bis er aus der Lobby verschwunden war. Hinter ihr machte der Aufzug Ping und Luna fuhr erschrocken zusammen. Was für ein verrückter Abend!

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