Читать книгу Audreys Geheimnis | Erotischer Roman - Claire D. Anderson - Страница 3
ОглавлениеPROLOG.
»Audrey ist wieder da.«
Es schien, als ginge ein Flüstern durch die ganze Stadt Colante, ein Raunen, das von der sanften Meeresbrise des Mittelmeers ins Landesinnere getragen wurde; fast konnte man sehen, wie die Menschen ihre Köpfe hoben und den stummen Ruf vernahmen: »Audrey ist wieder da.«
Es war noch früh am Morgen, viel zu früh eigentlich, als Audrey nach über drei Jahren zum ersten Mal wieder heimischen Boden unter den Füßen spürte. Das Flugzeug hatte den Schwall Passagiere am Rande der Rollbahn ausgespuckt, alles drängte und schubste auf wackeligen Beinen und mit verschlafenen Gesichtern in Richtung Bus, der die Gruppe aus Urlaubern, Heimkehrern und Geschäftsleuten aus Übersee in die Ankunftshalle hinüberkarrte. Das ewige Warten, so knapp vor dem Ziel noch die Langsamkeit und die Trägheit des frühen Freitagmorgens ertragen zu müssen, all das schien der ganzen Szenerie in den Knochen zu stecken. Audrey war auch nicht wacher als die anderen, lehnte den Kopf an die Fensterscheibe, drückte sich die wie üblich zerzausten, schwarzen Haare platt, die ihr Gesicht bis zum Kinn umrahmten, und schloss noch einmal die Augen.
Tief hatte sie die warme Meeresluft eingeatmet, das Aroma von Blüten und Kerosin und Salz und Zeitlosigkeit. Wie in einem Traum war sie ausgestiegen; taub innen und außen, fühllos ihre Hände, ihre Füße, ihr Herz, war sie die Treppen hinuntergegangen – und plötzlich, überraschend und mit dem Gedanken viel zu früh stand sie auf dem Asphalt. Viel zu früh, nach Hause zu kommen aus Amerika? Viel zu früh am Morgen? Viel zu früh auf dem Boden der Heimat gelandet?
In resignierender Stille durchlief Audrey die Stationen ihrer Ankunft – raus aus dem Bus, durch die Passkontrolle, hinüber zur Gepäcksausgabe ... irgendwo mittendrin verlor sie das Zeitgefühl. Sie wusste, draußen wurde sie erwartet, jemand war gekommen, mit dem Schlüssel zu ihrer Wohnung. Audrey hatte ein schlechtes Gewissen, denn sie wollte eigentlich nur allein sein und fürchtete sich davor, in irgendein vertrautes Gesicht blicken zu müssen. Aber das war unumgänglich. Dies war nur eine weitere Station auf ihrem Weg nach Hause. Nach Hause?
Was war schon zu Hause, wenn die Eltern seit über drei Jahren tot waren, der Bruder sein Studium abgebrochen hatte und sich nun mit halb legalen Geschäften durchschlug – zumindest, soweit sie wusste – und man zumeist gar nicht genau sagen konnte, wo er steckte? Was war schon zu Hause, wenn man selbst vor drei Jahren Reißaus genommen hatte, hinübergeflüchtet war, um langsam zu heilen, umsorgt und beschützt von Tante Marie und ihrem Mann, nachdem man plötzlich, über Nacht, alles an Verantwortung hatte übernehmen müssen, was das Leben nur darbot, ungefragt, einfach so?
Und während Audrey noch einmal tief durchatmete, um endlich durch die Milchglastüren zu treten, die die Gepäcksausgabe von der Ankunftshalle trennten, löste sich ihr Herz mit einem schmerzhaften Reißen von Amerika, von Luke, der sie verlassen hatte, von ihren Verwandten in Übersee, von allem, was diese Zeit mit sich gebracht hatte, und sie dachte an die Worte, die sie ihr mit auf den Weg gegeben hatten:
»Sei mit deinem Herzen immer dort, wo du bist.«
Die Türen öffneten sich lautlos. Audrey hob den Blick und begann, in der wartenden Menge nach einem bekannten Gesicht zu suchen.
***
Zugleich begann mitten im Stadtzentrum von Colante der Tag für Jacob.
Polternd stürzte er die abgetretenen Stufen der winzigen Wohnung über dem Café »Sea Side« hinunter, in der er nach langen, durchgearbeiteten oder durchgefeierten Nächten manchmal schlief – mal mit, mal ohne weibliche Begleitung. Fast so schwankend wie Audrey am Flughafen kam er am Ende der Treppe zu stehen und ließ den Blick langsam über das sich ihm darbietende Bild wandern:
Er hatte es nicht mehr geschafft, gemeinsam mit Evan, seinem besten Freund, Mitinhaber und Koch im Café, das ganze Chaos der letzten Nacht zu beseitigen. Das Café hatte er vor zwei Jahren als gemütliche Frühstückslocation eröffnet, aber nach und nach hatte sich das Hauptgeschäft auf den Nachmittag verlagert und schließlich gab es ein ganz eigenes Publikum, das ab acht Uhr abends die Lokalität stürmte, die Bar belagerte, auf den gemütlichen Lehnstühlen und in den bunten, gepolsterten Sofas Platz nahm, nach Cocktails und kurzen Drinks verlangte und schließlich kaum je vor dem Morgengrauen vor die Tür zu kriegen war.
Jacobs Tage waren lang, besonders wenn jemand aus der Belegschaft im Urlaub war. Aber wenn alles wie am Schnürchen lief, dann machte er sich aus dem Staub, entkam seinem Lieblingsort in Colante und machte sich selbst auf die Reise, meist in attraktiver, weiblicher Begleitung oder mit einer ganzen Gruppe von Freunden.
Nur heute nicht. Denn sein vor ihm ausgebreitetes geräumiges Café bot folgendes Bild: auf den Vintage-Holztischen stapelten sich Gläser und halb volle Snack-Schüsseln; die bunten, flickenbezogenen Fauteuils standen kreuz und quer im Raum verteilt, in den Ecken der Couches waren zusammengeknüllte Servietten zu finden, eines der Buntgläser an einem hofseitigen Sprossenfenster war gebrochen und über dem Ganzen lag ein suppig-rauchiger Geruch. Jacob war mit ein paar Schritten seiner langen Beine an der Tür und riss sie weit auf, wodurch das winzige Glockenspiel darüber wie wild zu bimmeln begann. Dann hastete er zurück in die andere Richtung, zur Tür, die in den Hinterhof hinausführte (wobei »Hinterhof« maßlos untertrieben war – es war ein wunderschöner kleiner Garten, umrahmt von einem Säulengang und viel Licht), und öffnete diese ebenfalls weit, dann die Fenster, jedes einzelne ... schon besser.
Einmal durchatmen. Er streckte sich, dehnte die Muskeln, reckte die Hände nach oben, wobei sich die langen, wohlgeformten Finger der Decke entgegenspreizten, dann struwwelte er sich durch das schwarze, kurze Haar, fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht, öffnete die dunklen Augen und drehte sich mit einem Schwung in Richtung Bar. Kaffee. Das war am dringendsten. Hinter der Theke gab es noch Muffins vom Vortag. Die Lieferung des Tages würde erst in einer Stunde kommen und bis dahin war Evan sicher schon auf den Beinen. Mit einem eleganten Schwung setzte sich Jacob auf den Tresen, schaute hinaus auf das beginnende Markttreiben auf der »Old Box«, dem rechteckigen Platz und alten Zentrum von Colante, und ließ sich sein Frühstück schmecken.
Allmählich wurde die Luft besser und seine Lebensgeister erwachten. Jacob war bereit für den Tag. Den groben Dreck hatte er bald weggeräumt, die Putzfrau käme sowieso gleich und würde den Rest erledigen. Draußen mussten noch die Tische arrangiert und gedeckt werden, die Sonnenschirme aufgespannt und die üblichen Grüße mit den Standbesitzern gewechselt werden.
Jacob liebte seinen Job. Er liebte sein ganzes Leben. Er fühlte eine Sonne in sich selbst scheinen und er konnte es in den Gesichtern der Menschen sehen, wenn sie all das spiegelten. Er liebte die körperliche Arbeit, die langen Abende, die traumlosen Nächte, aber auch die Morgenstimmung danach, wenn er in Ruhe auf die letzte Nacht zurückblicken konnte, während er ihre Spuren beseitigte, den Innenhof und den Vorplatz zusammenräumte und alles auf Kurs für den anbrechenden Tag brachte.
Jacob war in Colante kein Unbekannter. Er war ein Mitglied der Familie de Vries, einer der drei angesehensten und einflussreichsten Familien der Stadt, was ihre Mitglieder jedoch nicht davon abhielt, fürchterliche Streitereien untereinander vom Zaun zu brechen. Jacob war ein Nachzügler, seine älteren Geschwister Tanija und Tom waren schon längst auf und davon gewesen, als er begonnen hatte, die Welt zu erkunden. Von ihnen sah er wenig. Und als er mit einundzwanzig das Erbe seiner Eltern, das am Ende des langen Streites schließlich aufgeteilt worden war, ausbezahlt bekam, wollte er es besser machen – und das Geld erlaubte ihm jede Freiheit, die er sich nur wünschen konnte.
So investierte er zunächst in seine Bildung – er studierte ein paar Semester Design – und dann in neue Orte, doch immer in sein eigenes Leben. Aber weil er noch nie hatte ruhig sitzen können, hatte er gemeinsam mit Evan die Chance ergriffen und das »Sea Side« eröffnet. Da waren sie nun: beide 26, wild aufs Leben, immer auf der Suche nach Abenteuern, voller Energie, aber auch mit der Eleganz, Schönheit und der guten Erziehung wohlhabender Familien ausgestattet. Die Frauen waren hinter ihnen her, das Café lief großartig, sie lebten in einer reichen und wunderschönen Stadt am Meer und sie standen jeden Tag mit dem Gefühl auf, ganz besonders großes Glück zu haben.
Dennoch hatte Jacob auch eine dunkle Seite. Um diese wusste kaum jemand, außer denen, die dabei gewesen waren. Und das war gut so.
Jacob ging noch einmal nach oben, um zu duschen. Er freute sich auf den Tag, denn besonders Freitage waren wunderbar. Die Menschen am Markt auf dem Platz waren frisch und energiegeladen, hatten sich viel zu erzählen, freuten sich aufs Wochenende und auf gute Verkäufe und die Zeit verging schnell. An diesen Tagen arbeitete Jacob am liebsten.
Und so begann er den Tag und hörte kaum, was der Wind gerade heute in jeden Winkel Colantes zu tragen versuchte: »Audrey ist wieder da.«
***
Ungefähr zur gleichen Zeit hastete Marcus Wainwright die Stufen vom Schlafzimmer seines Landhauses hinunter in die Küche. Vor weniger als fünf Minuten war er aus dem Bett gesprungen, vor irgendwelchen dunkelgrauen Halbträumen flüchtend, die ihn in vermeintlicher Schlaflosigkeit verfolgten. Während der erste Kaffee aus der Espressomaschine lief, band er seinen Krawattenknopf. Hastig stürzte er die heiße schwarze Flüssigkeit hinunter. Ein Blick auf seine Rolex sagte ihm, er würde es gerade noch rechtzeitig zum ersten Meeting in Corrin schaffen, wenn er sich sofort auf den Weg machte. Während er nach den Autoschlüsseln kramte, wanderten seine Gedanken zum letzten Abend zurück. Wie immer, wenn er versuchte, etwas mit seiner Verlobten Ann zu unternehmen, war es gründlich schiefgegangen. Sie war am Ende betrunken in einer Ecke zusammengesackt, nachdem sie sich wieder einmal angeschrien und gegenseitig gedemütigt hatten. Es war Zeit zu verschwinden.
Wie immer empfand er maßlose Erleichterung, als er die Tür seines Porsche hinter sich zuwarf. Er genoss die Geschwindigkeit seines Autos, das zugleich Käfig und Zufluchtsort für ihn war.
Marcus war ein Getriebener. Seine Familie, seine Verlobte, sein Leben – nichts war so, wie es für ihn sein sollte. Und doch hatte er es sich so ausgesucht, sich in sein selbst gemachtes Nest gesetzt. Niemals hatte er aufbegehrt, sich niemals gewehrt oder um sich geschlagen. So nahm er seine Schlupflöcher wahr, entfloh, wann immer er konnte, in die glitzernde Welt des Scheins. Sein Ruf war tadellos. Seine Geheimnisse behielt er für sich. Nur wenige kannten den enthemmten Mann, den er sich so selten zu sein gestattete. Seine Fassade war undurchdringlich, so sehr, dass er sich selbst manchmal fremd war. Er nahm sich, was er kriegen konnte.
Und so hörte er an diesem Morgen nur das beruhigende Brummen des starken Motors unter ihm und sonst nichts. Nichts von dem sanften Wind, der vom Flughafen her die Mischung aus Salz, Kerosin und Meeresbrise zu ihm trug, gefiltert durch die Klimaanlage seines Wagens, und nichts von den leisen Worten, die er mit sich brachte, drang durch seine Mauern, Fassaden und Facetten: »Audrey ist wieder da.«