Читать книгу INTERMEZZI - Clara Claas - Страница 7

Оглавление

Nicht schon wieder …

Hanna zuckt zusammen.

Das spleenige Signal vom Telefon kommt jetzt ungelegen.

Irgendwie klingt das langgezogene Tuten vom Schiffshorn wie auch das Geschrei der Seevögel, in ihrer kleinen Wohnung skurril. Andererseits weckt der geschätzte Sound ihre Sehnsüchte, vermittelt Lust auf Wind und Wellen, schwebende Algen, schwappendes Wasser am steinigen Uferrand, wie auch angeschwemmte Muscheln allüberall. Für Sekunden vermittelt er, der weitentfernten Küste so nahe zu sein.

Wie auch immer, Hanna liebt die See.

Wenn ihre Zeit es nicht zuließ, dort oben zu verweilen, wollte sie wenigstens fernab, ein Gefühl zur Nähe bekommen. Die eindrucksvollen Klänge holte sie sich einfach nach Hause. Ein kostenloser Download lieferte den richtigen Ton.

Für heute hat sie den hektischen Arbeitstag abgehakt.

Das Abendessen verströmt einen appetitanregenden Duft, und das bequeme Sofa mit Kuscheldecke, lädt zum trägen Blick in die Fernsehwelt ein. Heute erwartet sie niemanden mehr, auch nicht per Telefon. Genau deshalb nervt das tutende Signal, das lautstark durchs Zimmer dröhnt und seine magische Kraft in der Wiederholung ausübt.

Hanna kann sich auf ihr feines Gespür verlassen, wer um diese Uhrzeit, am anderen Ende der Leitung sein könnte.

Erst Vorgestern liefen sie sich zufällig unter den Arkaden in die Arme. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel stand Lutz nach wochenlangem Abtauchen vor ihr.

Hanna fiel sofort auf, dass er sich verändert hatte. Er sah angegriffen aus, ihm fehlte die charakteristische Dynamik sowie das elegante Outfit.

Dessen ungeachtet geriet er wie immer ins Schwärmen. Er schmeichelte, erwähnte, es sei zu lange her, dass sie sich gesehen hätten. Stets berührte er beim Sprechen ihren Arm, tätschelte ihre Hand, als wolle er besänftigen. Kurzerhand lud er sie zum Italiener ein.

Hanna überkam einmal mehr dieses unbeherrschbare Herzrasen.

Gleichwohl nahm sie gegen jedwede Vernunft, seine Einladung an.

Am Tisch redeten sie viel, viel belangloses Zeug und plauderten um den heißen Brei herum. Beide mieden indiskrete Fragen, wühlten nicht in alten Zeiten, Zeiten ihrer glücklichen Gemeinsamkeit.

Nach dem Digestif bezahlte Lutz die Rechnung und wie immer erhielt die Kellnerin ein großzügiges Trinkgeld.

Zum Abschied drückte er Hanna fest an sich, nutzte den Moment und bat um ein Wiedersehen. Sie ließ es zu.

Nicht schon wieder, hätte sie am liebsten hinausgeschrien, stattdessen begnügte sie sich mit einem tiefen Seufzer, der sich im Stadtrummel verlor.

Einmal mehr hatte sie sich inkonsequent gezeigt, einmal mehr sich manipulieren lassen, einmal mehr war es zu spät.

Unterwegs fehlte ihr jeglicher Blick für die Auslagen in den Schaufenstern, und sie verzichtete auf den eigentlichen Grund des Stadtbesuches.

Wieder einmal hatte Lutz es geschafft und dazu, ihre Energie geraubt. Professionell erkannte er die schwachen Seiten seines Gegenübers und machte sie sich zunutze, indem er einen charmanten Joker aus dem Ärmel zog und zielsicher einsetzte.

Gefühlt hatte es Hanna zum hundertsten Mal getroffen.

Zu Hause angekommen, muss sie erst einmal runterkommen und schüttet sich ein Glas Wein ein.

Mit jedem Schluck mehr lässt sie zu, dass die visuelle Macht ihre bunten Bilder in ein kleines Intermezzo verwandelten.

Damals kamen Beide im Alleingang und lernten sich auf einer Geburtstagsparty kennen.

Hanna machte mit ihrem unbekümmerten Lachen, Lutz neugierig, und wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf 'Amors Pfeil' ihre Herzen.

Spät in der Nacht gab es tiefe Blicke, heiße Küsse, die nach mehr verlangten, als auch Fangarme, die sich fest um ihren Körper schlangen. Es schien, als könne nichts auf der Welt sie jemals trennen.

Lutz konnte als Referendar in einer renommierten Anwaltskanzlei praktizieren, legte dann die zweite Staatsprüfung ab, bestand sein Examen, mit dem Privileg, in der Kanzlei fest eingestellt zu werden.

Ein untadeliger Ruf ging ihm voraus, der Start ins anspruchsvolle Berufsleben war ihm gelungen.

Die Mandanten mochten seine elegante Art wie auch seinen professionellen Elan, angetragene Rechtsfälle forderten ihn und zeitweilig wuchs er über sich hinaus.

Für seine Klienten fand er erfolgreiche sowie zufriedenstellende Lösungen. Dabei vergaß er Zeit und Raum, mitunter auch Hanna, die zu Hause auf ihn wartete.

Lutz hatte Erfolg, schaffte den Karrieresprung und veränderte sich zusehends, ließ Hanna an seinem erfolgreichen Leben kaum teilhaben, vernachlässigte nicht nur sie, sondern auch die Freunde.

Hanna war stolz auf seinen beruflichen Aufstieg, übte Nachsicht und konzentrierte sich auf ihren Job.

Sie wog sich in Sicherheit, Lutz gehörte ihr.

Er war in den besten Jahren, und wurde getrieben vom frühen Erfolg, konnte allerdings keinerlei Gegengewicht bilden.

Seine Karriere stieg im zu Kopf, ebenso die Tochter des Hauses, die stets auf sich aufmerksam machte und alles gab, um ihre weibliche Raffinesse gezielt ins Spiel zu bringen. Sie hatte Glück.

Lutz verließ Hanna, und heiratete die Tochter seines Chefs.

Hanna zerbrach beinahe, stand plötzlich im Abseits und hatte verloren.

Entgegen jedweder Erwartung stand er wenige Monate später wieder vor ihrer Tür.

Hanna ließ ihn herein.

Sie zeigte sich wie eh und je empfänglich, seine Herangehensweise war wie immer verführerisch. Es folgten heimliche Liebesstunden ohne Grenzen.

Lutz hatte realisiert, dass er ohne Hanna nicht glücklich sein konnte. Hanna gab die Hoffnung nicht auf, dass er eines Tages vollends zu ihr zurückkehren würde.

Sie durchlebten das Auf und Ab einer Besessenheit, versuchten des Öfteren, dieses unwürdige Spiel zu beenden. Das beiderseitige Begehren blieb ungebrochen.

Die letzte, zugleich auch längste Auszeit, währte drei Monate und zwei Tage.

Der Anrufer vorhin, hatte wohl nur pausiert, denn erneut dröhnt das Schiffshorn. Hanna gibt nach und nimmt unwillig den Anruf entgegen.

„Hanna hier, guten Abend.“

„Hallo meine Liebe, ich bin es. Hättest du Zeit, könnte ich zu dir kommen?“

„Ja, du kannst kommen.“

Jene Anrufe mit jener Stimme, gleichlautend in der Wortwahl, beständig in der Zeit, zählte sie schon lange nicht mehr.

Diese Penetranz hatte über eine langlebige Zerreißprobe gesiegt. Summa summarum eine irre Zahl, wie auch eine wahnwitzige Spieldauer.

Mit ebendieser aufflammenden Eingebung knallt sie ungehalten den Hörer auf den Tisch und sekundenschnell trifft sie eine radikale Entscheidung.

Genug ist genug.

Diese jahrelangen Zwischenspiele vermittelten ihr kein gutes wie auch ein wirklich sicheres Lebensgefühl.

Bizarre Gedanken schießen ungehemmt durch ihren Kopf.

Nach der letzten Begegnung gab es keinen Zweifel, dass er sich zeitnah wieder melden würde. Er beabsichtigte, mit ihr zu essen, suchte Nähe, wollte körperliche Wärme und Zärtlichkeiten ausschöpfen.

Es reichte.

Das Fantasiebild von einem Kraken-Mann musste sie nun endgültig auslöschen.

Die langen Fangarme durften sich nicht mehr um ihren Körper winden, ihr den Atem rauben und jedwede Freiheit blockieren.

Erfüllt von jener aufgewühlten Erkenntnis, folgt sie erst einmal dem typischen Rosmarin Duft aus der Küche. Kartoffelgratin mit Gemüse, dazu geschmortes Weidelamm, dufteten vielversprechend und ließen ein ungehemmtes Hungergefühl aufkommen.

Eigentlich sollte das Essen für zwei Tage reichen. Von daher stellt sie etwas lieblos ein weiteres Gedeck auf den Tisch und just in dieser Sekunde klingelt es zweimal kurz, einmal lang in Folge.

Das prüfende Auge rundum sowie der flüchtige Check im Garderobenspiegel, verleihen ihr ein souveränes Stehvermögen.

Sie öffnet die Tür. Tatsächlich fühlt sich das Herunterdrücken der Klinke anders an, etwas fehlt.

Es fehlt das sekundenschnelle Herzrasen. „Hanna meine Liebe, ich kann mein Glück noch gar nicht fassen. Wie schön, dass ich kommen durfte“,

schwärmt er gutgesinnt, verteilt wie immer seine Wangenküsschen links, rechts, links und schreitet ungeniert hinein.

Am Entree hatte sich nichts geändert.

Hanna schmunzelt über die Gepflogenheit, wird abermals beseelt und für Sekunden wird ihr Körper von einer warmen Welle durchströmt.

Doch dieses Mal steigert sie sich nicht, wehrt jedwede aufkeimenden Gefühle ab, will daran festhalten, was sie sich soeben vorgenommen hatte.

„Komm, setz dich, sonst wird noch alles kalt“,

fordert sie ihn auf und wie immer liegt der Korkenzieher griffbereit, und wie immer stellt er einen exzellenten Jahrgangswein auf den Tisch.

Einmal mehr sitzt er bei ihr. Nachdenklich schaut sie ihn an, fragt sich, was die Jahre nur aus ihm gemacht hatten?

Er verkörpert Eigenliebe, Blasiertheit, darüber hinaus praktiziert er Wohlstand mit anhaltender Präsenz auf der Erfolgsbühne.

Ungeachtet dessen schmeckt das Lammgericht köstlich und der Wein mundet.

Mit dem letzten Schluck ergreift Lutz das Wort. Kurz räuspert er sich, trägt glaubhaft vor, dass er mit zunehmendem Alter klüger geworden sei, spricht zum ersten Mal über sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber, erwähnt die unerfüllten Ehejahre mit der Anderen, jammert darüber hinaus dem fehlenden Glücklichsein hinter her.

Auch jetzt zieht er einen Joker aus dem Ärmel, lässt sich von Hannas Gleichgültigkeit nicht irritieren und hält sein Plädoyer. Viel zu spät sei ihm bewusst geworden, dass nur sie seine wahre Liebe sei, Erfolg, Anerkennung wie auch Geld, nicht immer an erster Stelle hätten stehen dürfen.

Sodann erhebt er sich.

Formvollendet trägt er nun seine Bitte vor, Hanna möge zu ihm kommen und ihn alsbald heiraten.

Sie bleibt gelassen.

Was er von sich gab, berührt sie nicht.

Bis dato war dieses Traumziel unerreichbar, jetzt ist es greifbar, jetzt ist es zu spät. Emotionslos, kurz und bündig antwortet sie, dass ihre Liebe abgelaufen sei, einem alten sowie müdem Uhrwerk gleichkäme und sie das Pendel anhalten wolle.

Lutz ist fassungslos. Auf dieses radikale Schlusswort war er nicht vorbereitet.

Plötzlich ringt er nach Luft, fasst an seine linke Brustseite versucht, sich abzustützen und sinkt zusammen.

Hanna reagiert intuitiv.

Sie kann ihn gerade noch auffangen und lässt ihn sanft zu Boden gleiten.

Sogleich ruft sie den Notarzt.

Im Rettungswagen sitzt sie an seiner Seite. Ohne Unterlass schaut sie ihn an und noch einmal spult ihre Kopfgeburt ab.

Wieder mal sieht sie in Lutz den Kraken-Mann, sieht die vielen Gemeinsamkeiten mit dem Meeresbewohner.

Beide Lebewesen existieren, sind Spezies, verfügen über unterschiedlich intelligente Fähigkeiten, können tarnen und täuschen, und besitzen jeweils zwei Augen mit Scharfblick. Sie haben gefühlt zahlreiche Fangarme.

Augenblicklich liegt einer von ihnen hilflos auf der Krankentrage.

Sie übergibt Lutz in die Obhut der Ärzte. Wieder zu Hause angekommen, wundert Hanna sich über ihre spürbare Gelassenheit. Dann durchzuckt es sie doch noch einmal, das Signal vom Schiffshorn schallt durchs Zimmer.

Zögerlich nimmt sie den Anruf entgegen.

Am anderen Ende der Leitung ist Mona. „Hallo Hanna, könnten wir uns morgen beim Griechen treffen, ein Weinchen trinken und eine leckere Kleinigkeit essen?“

„Gute Idee, ich komme, bin um neunzehn Uhr dort!“

Alexandros, der alte Grieche, empfängt wie immer die Frauen persönlich und stellt zur Begrüßung einen Ouzo auf den Tisch.

Hanna schaut erst gar nicht in die Speisekarte, bestellt alsdann den Hauswein mit gegrilltem Oktopus.

Der Tintenfisch wird zubereitet, derweil die Frauen eine kleine Mundfreude aus der Küche vernaschen. Hanna süffelt dazu den gut temperierten Weißwein, und mit einem diskreten Wink zur Theke bestellt sie eine weitere Karaffe.

Es ist so weit, das Hauptgericht, der Oktopus, wird serviert. Er sieht köstlich aus, liegt dekorativ auf dem ovalen Teller und verströmt den typisch mediterranen Duft.

Begleitet vom Wohlgeruch, wie auch einer lustbetonten Vorfreude, beäugt Hanna das Objekt ihrer Begierde von allen Seiten.

Alsdann greift sie zum Besteck.

Das Messer ist scharf.

Schnitt für Schnitt, Stückchen für Stückchen, befreit sie in aller Konsequenz, den Kraken von seinen Fangarmen.

Sie zelebriert die Trennung, kaut genussvoll seine Körperchen und trinkt jeweils ein Schlückchen Wein dazu.

Die Befürchtung, sie könne nicht alles schaffen, wirft sie mit jedem weiteren Schluck über Bord.

Sollte etwas überbleiben, würde sie es an eine umherstreunende Katze verfüttern.

Wie es auch sei, unerwartet überkommt es sie.

Für den Bruchteil einer Sekunde verliert sie die Contenance und ihr entfleucht ein hörbares Rülpsen.

Merklich erschrocken über jene akustische Bejahung einer lustvollen Gaumenfreude, bestellt sie sofort einen doppelten Ouzo.

Mona schüttelt den Kopf, versteht die übertriebene Art der Freundin nicht, packt sie ins Auto, um sie sicher zu Hause abzusetzen.

Daheim verspürt Hanna eine ungewohnte Freiheit, fühlt sich wie aufgedreht, und beherzigt einmal mehr den viel zu späten Entschluss, zum alternativlosen Nein.

Ungeachtet der späten Stunde und ihrer Liebe zum Meer, nimmt sie eine weitere Veränderung vor. Im Überschwang meldet sie sich im Netzwerk an und sucht nach einem neuen Klingelton für's alte Telefon. Der angeklickte Sound, ein flotter Jazz, positiv und verträumt, schwingt mit seiner Klangfarbe durch's Zimmer.

Nonchalant wird er nun begleiten.

INTERMEZZI

Подняться наверх