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Streublümchen

Es war einmal ein lauschiger Sommertag, friedvoll wie im Bilderbuch.

Die Sonne lachte, fleißige Bienen summten, Schmetterlinge huschten von Blüte zu Blüte, Vöglein sangen Lieder, selbst die Himmlische Kulisse versteckte ihre dunklen Vorboten, ergo, es gab nichts, was die Stimmung hätte trüben können.

Zugegeben, so trivial trug es sich nicht zu. Von allem etwas, genügte, brachte Wohlbehagen und ein trauliches Miteinander.

Diese Szenerie spielte sich ab auf einer kleinen Freilichtbühne in einem Garten, im Schrebergarten der Frieda.

Ich erinnere mich zuweilen an Frieda, habe ihre unverkennbar spröde Stimme im Ohr, sehe klare jedoch freudlos dreinschauende Augen, abgearbeitete Hände, geschmückt, mit unzähligen Altersflecken. Damals waren wir Jung und Alt, verweilten mit dem Kaffeepott in der Hand auf einer Holzbank, vor ihrer Gartenlaube.

Die Junge sah auf die haltende Hand der Alten, sah das leichte Zittern. Die Alte spürte den Blick und nahm schnell die zweite Hand hinzu.

Lang, lang ist's her, unsere erste zweckgerichtete Unterhaltung.

Frieda wohnte in meiner Nachbarschaft, und wie das so ist, man sieht sich hin und wieder auf der Straße. Eines Tages hörte ich draußen einen lauten Knall. Er machte mich neugierig. Ich sah Frieda, die verunsichert neben ihrem fahrbaren Untersatz stand und das Malheur nicht begriff. Das nicht mehr jungfräuliche Moped, hatte mal eben mit einer Fehlzündung aufgemuckt und verweigerte den Start.

In jungen Jahren fuhr ich auch so ein Töfftöff und kannte mich ein bisschen aus. Zumindest meinte ich das, aber wirklich helfen konnte ich nicht.

Demzufolge beschlossen wir, das Moped gemeinsam zur nächsten Tankstelle, zu schieben, um einen Profi an's Werk zu lassen. Zum Dank lud sie mich in ihren Garten ein, durfte ein paar Früchte und Gewürze ernten und nahm eine schöne dunkelrote Rose mit nach Hause.

Danach saßen wir öfter zusammen.

Es kam recht selten vor, dass Frieda aus ihrem Leben erzählte.

Sie war der Meinung, es sei unnütz, da eine Reise in längst vergangene Zeiten unabänderlich sei.

Jedoch ihr Lieblingsplatz und wärmende Sonne, öffneten bisweilen trotzdem ihr Herz.

Ohne schmückendes Beiwerk verriet sie, was auch immer sie für nötig hielt.

Es hörte sich weder romantisch an, noch klang es dramatisch.

Frieda berichtete über ihre Mädchenjahre recht wenig, nur, dass sie eine freudlose Kindheit hatte, arbeitsam und lieblos erzogen wurde.

Gute Freunde hatte sie nicht.

Sie war und blieb eine Einzelgängerin.

Ich hörte heraus, dass sie in jungen Jahren weder hübsch noch hässlich aussah, temperamentlos, und ohne konkrete Zielvorstellung durchs Leben ging.

Daran änderte sich wenig.

Einmal verlor sie sich in einer sexuellen Begegnung, wurde schwanger und brachte ein gesundes Kind zur Welt.

Sie zeigte zum ersten Mal Entschlossenheit, entschied sich gegen den Erzeuger, arbeitete und sorgte für einen geregelten Tagesablauf. Frieda handelte gewissenhaft und kümmerte sich so gut wie möglich.

Eine warmherzige Mutter-Kind-Beziehung pflegte sie dagegen nicht, denn was sie nicht gelebt oder gelernt hatte, konnte sie nur mühsam umsetzen. Der Sohn lebt mit seiner Familie im Ausland. An Geburtstagen wie auch zu Weihnachten telefonierten sie und wie so oft, versprach er der Mutter, sie bald zu besuchen.

Es blieb dabei.

Zeitnah erhielt Frieda allerdings Briefe von ihm, alle Umschläge gefüllt, mit aktuellen Familienfotos. Das ein oder andere stand eingerahmt auf ihrer Kommode.

Frieda richtete sich ihr Leben ein, blieb alleine und wohnte in einem Mehrfamilienhaus im Obergeschoss mit wohnlichen Dachschrägen. Die Miete für zwei Zimmer, Küche, Bad war erschwinglich und ihre Wohnqualität strahlte eine biedere Gemütlichkeit aus. Das monatliche Geld reichte soeben, um ihre laufenden Kosten abzudecken. Für Extras blieb fast nichts übrig. Siebenundzwanzig Jahre war Frieda verlässliche Zeitungszustellerin für ein Verlagshaus. Bei Wind und Wetter fuhr sie vor Sonnenaufgang mit ihrem Moped die ländliche Verteilerroute. Nachts stand ihr Kleinkraftrad im Hof, immer unter dem Schutz einer dunklen Regenhaube.

Ihr kleiner Geldbeutel erlaubte nur den Besitz einer gebrauchten Maschine. Demzufolge summierten sich mit den Jahren die fahrbaren Untersätze. Vier an der Zahl hatte sie bereits verschlissen. Verlässlich teilte sie auch mit dem Fünften die Tageszeitungen aus. Wie auch immer, das jeweilige Moped wurde ihr vorrangiger Weggenosse. Allerdings fing dieses Fünfte auch an, klapprig zu werden. Die bange Sorge, wie lange es noch halten würde, fuhr Tag für Tag mit.

Frieda musste ihr kleines Geld einteilen, besserte es auf und pflegte wöchentlich die Wohnung vom Lehrerehepaar, half regelmäßig dem betagten Professor in der Nachbarschaft, putzte abends die Zahnarztpraxis und morgens eine Gaststätte.

Mit dem Nebenverdienst zahlte sie die Jahrespacht für ihren Schrebergarten, in der nahe gelegenen Gartenanlage.

Der grüne Winkel entwickelte sich zum Lebensinhalt, die Kleingärtner links und rechts, zu vertrauten Vereinsmitgliedern.

Ihr Putzgeld kam sogleich in ein rundes Zuckertöpfchen mit aufgemalten Streublümchen. Es stand im Schrank, mitten zwischen dem dazugehörigen Kaffeeservice. Ab und an erlaubte sie sich damit. etwas Besonderes. Schulden machte sie nicht, so wie es war, so war es gut.

Frieda wirkte auf ihre Mitmenschen herb. Ihre Figur sah eher kräftig aus, annähernd einer rechteckigen Körperform. Ich sah sie nur mit einer Standartfrisur, einem dicken schwarzen Dutt, den sie mit einer braunen Haarnadel im Nacken zusammenhielt, der gleichsam ihr Erscheinungsbild ergänzte.

Allerdings hatte sie einen unübersehbaren Schönheitsfehler, eine dunkle Gesichtsbehaarung die oberhalb der Lippe und im Kinnbereich wuchs.

Sie sprach nicht drüber, unternahm nichts dagegen und es schien, als wolle sie auch das Spiegelbild ignorieren.

Beim Plaudern hörte ich heraus, dass eine engere Männerbekanntschaft für sie nicht infrage kam. Sex war kein Thema so oder so nicht, sie blockte einfach. Wohl aus Erfahrung ging sie nie wieder ein Verhältnis ein.

Nichtsdestotrotz passierte es, dass mit gut sechzig ihre Gefühle doch ein bisschen Karussell fuhren.

Die AWO hatte im Advent zur Kaffeetafel eingeladen. Rechts neben ihr saß Herbert. Herbert war Landschaftsgärtner und mit seinen Zweiundsiebzig ein rüstiger Witwer, der viel zu erzählen hatte.

Frieda hörte gut und gerne zu.

Im Sommer verweilten sie in ihrem Garten. Herbert zeigte dabei seine gärtnerischen Qualitäten, und sorgte für ein schmuckes Gartenbild.

Frieda ließ es geschehen.

Herbert wohnte seit ewigen Zeiten im alten Stadtviertel, und bekam zum ersten Mal Zweifel, ob er sein Zuhause überhaupt noch behalten könne. Ein Investor hatte den alten Häuserblock gekauft, sanierte innen wie außen und verursachte reichlich Schmutz mit unzumutbarem Baulärm für alle Mieter.

Nach erfolgreicher Modernisierung folgten die angekündigten Mieterhöhungen mit der Option, Wohnungen auch als Eigentum erwerben zu können.

Die langjährigen Hausbewohner gerieten in Aufruhr, sorgten sich um ihr Zuhause. Einige blieben und konnten die erhöhte Miete zahlen. Nur Wenige fühlten sich in der Lage, den stattlichen Immobilienpreis aufbringen.

Andere zogen aus, irgendwo hin.

Auch Herbert brauchte ein bezahlbares Dach über dem Kopf, hatte den praktischen Gedanken mit einer Frau gemeinsam zu wohnen.

Er sah darin gewisse Vorteile, zum einen, die finanzielle Erleichterung für beide, zum anderen, die frohe Zukunftserwartung auf Vollversorgung, wie auch eine friedliche Wohngemeinschaft für den allerletzten Lebensabschnitt.

Frieda horchte auf und durchschaute, was unausgesprochen blieb, ließ ihm keine Zeit, es vorzutragen. Sie wollte nicht mit einem Mann zusammenziehen.

Alles konnte so bleiben, wie es war.

Das jedoch genügte Herbert nicht.

Ihr Leben ging im Alleingang weiter.

Hier und da gönnte Frieda sich den sogenannten 'Blick über den Tellerrand'.

Sie nahm an sogenannte Werbe-Kaffeefahrten teil, kam aber nicht umhin, die dazugehörigen Verkaufsprogramme über sich ergehen zu lassen. Sie hörte zu, sah hin, ließ sich nicht in Versuchung bringen und blieb ihrem Geld treu.

Es kam durchaus vor, dass sie sich zu den unterschiedlichsten Kurzausflügen anmeldete. Diese Touren kosteten zum einen wenig, zum anderen ermöglichten sie, den täglichen Pflichten zu entkommen.

Ein andermal erfüllte sie sich den Wunsch und buchte eine seriöse Kurzreise, organisiert vom Reisedienst für Senioren.

Sie schätzte diese kurze Auszeit, genoss die Führung durch eine fremde Stadt mit dem dazugehörigen Kulturprogramm, das Hinwegträumen bei einer stimmungsvollen Musikaufführung im Kurpark und natürlich den Bummel über einen Trödelmarkt. Nicht zuletzt hatte Frieda in ihrem Zuckertöpfchen auch dafür gespart.

Mit zunehmendem Alter forderte jedoch das arbeitsreiche Leben seinen Tribut.

Wiederkehrende Rheuma-Schübe wie auch starke Schmerzen der Kniearthrose, traktierten sie Tag für Tag und schränkten ihre Beweglichkeit ein.

Frieda klagte nicht und es sah so aus, als wolle sie sich nicht kleinkriegen lassen.

Da gab es aber jemanden, der stärker war. Im Spätherbst musste das alte Moped verschrottet werden.

Ein Sechstes ward nicht mehr nötig.

Der verbrauchte Körper verlor gänzlich seine Kräfte, erlaubte nicht mehr, am bescheidenen Tagesablauf teilzunehmen.

Ihre Motivierung für ein beschauliches Glücklichsein ging für immer verloren.

Frieda hatten noch einen letzten Wunsch. Zu gottgegebener Zeit möge ich ihren Sohn benachrichtigen, wie auch ihren Haushalt auflösen.

Zurück bleiben die guten Erinnerungen und ein rundes Zuckertöpfchen mit aufgemalten Streublümchen. Sein Platz ist in meinem Porzellanschrank und symbolisch kommen jeden Monat ein paar Euros hinein.

Es ist nur eine Frage der Zeit, dann werde auch ich mir etwas Besonderes damit erlauben.

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