Читать книгу Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst! - Clara Viebig - Страница 6
3.
ОглавлениеWolfgang Eisenlohr, der berühmte Dichter, sass in seiner Studierstube. Sie lag nach dem Garten hinaus, durch den langen Korridor von der übrigen Wohnung getrennt. Eine breite Glastür mit grünseidenen Gardinchen führte auf den Altan; Blumen und Palmen blühten und grünten dort in verschwenderischer Fülle.
Drinnen alles verschleiert, kein Strahl hellen Lichtes. Ganz Stimmung. Der rechte lauschige Winkel für einen Poeten. Von der Decke schwebte ein ausgestopfter Adler mit gespreizten Riesenfängen, um den Schreibtisch standen abgehauene Tannen in geschickt verborgenen Wasserkübeln. Der Dichter liebte es, im Grünen zu arbeiten; seine Phantasie versetzte ihn dann in den Gebirgswald, wo der Adler horstet und der kühne Wanderer aus einsamer Höhe stolz auf die Menschheit hinunterblickt.
Eisenlohr schrieb eine grossartige Naturschilderung, das erste Kapitel seines neuen Romans. Die sterbenden Tannen dufteten stärker in der Treibhauswärme des Gemachs, Harztränen tropften an ihren Stämmen nieder, ihre Nadeln fielen leis knisternd.
In den Dichterohren rauschten Föhrenwälder, kreischte der Adler hoch über der Klippe, die noch kein Menschenfuss betrat. Eisenlohr war ganz in Stimmung.
Da — draussen wehklagendes Kindergeheul. Noch einmal, angstvoll, schrill, im höchsten Diskant.
Er riss die Tür auf. „Ruhe!“
„O Monsieur!“ Die französische Bonne stürzte atemlos herein. „Excusez, mille fois pardon! Elsa hat sich gefallen ein Loch, mon Dieu!“
„Ungezogene Jöhre.“ Eisenlohr warf krachend die Tür ins Schloss. „Ruhe!“
Das Geheul verstummte sofort, die Bonne hatte nur geflüstert: „St—st! Monsieur dichtet!“
Der Papa dichtet. Die vierjährige Elsa wusste sehr wohl, was das bedeutet. Sie presste ihre Lippen aufeinander und verbiss den Schmerz. Sie war eine Dichterstochter und wusste, was sie ihrem Vater schuldig war; er hatte nicht umsonst den wunderbaren Liederzyklus „Mein Sonnenkind“ an sie gerichtet.
Die Föhren rauschten wieder, Moos und Gerank krochen die Felsen hinan, liebevoll blickte das Dichterauge auf das geringste Pflänzchen. Da, schon wieder eine Störung! Es klopfte.
Er schrieb weiter. Er hörte nicht, wollte nicht hören.
Noch einmal ein schüchternes Pochen.
„Zum Donnerwetter, herein!“
Der Diener brachte eine Karte. „Herr Maier.“
„Wer?“
„Herr Verlagsbuchhändler Maier. Den sollte ich ja nicht abweisen.“
„Ach so!“ Der Dichter warf die Feder hin. „Führen Sie ihn herein!“
Maier trat ein. Er hatte dieselbe zugeknöpfte Haltung wie damals bei Mannhardts; nur sein Organ klang geschmeidiger, seine Verbeugung war verbindlicher. Er hatte vorgestern in der Zeitung unter „Kunst und Literatur“ von der neuesten Schöpfung des berühmten Autors gelesen; dort war der Roman in höchst schmeichelhaften Zeilen als vollendet angekündigt worden. Als rühriger Geschäftsmann hatte Maier gestern bereits geschrieben, heute machte er dem Dichter seine persönliche Aufwartung.
Man war sehr artig miteinander, man erkundigte sich nach dem gegenseitigen Befinden. Man haspelte die gewohnten Einleitungsphrasen der Unterhaltung ab; in fünf Minuten war man bei dem Hauptthema: dem Roman.
Maier rieb sich die Hände; vor jeder grösseren Unternehmung pflegte er das zu tun, eine gewisse nervöse Unruhe lag in diesem Händereiben. Anscheinend beiläufig erkundigte er sich nach dem neuesten Roman. „Fertig, wie ich in der Zeitung las?“
„Das gerade nicht.“ Der Dichter lachte. „Aber selbstverständlich bin ich im vollen Zuge. Ich arbeite mit einer Schaffensfreudigkeit sondergleichen. Ich glaube, es wird mein bestes Werk.“
„Ich gratuliere!“ Der Verleger neigte sich verbindlich. „Darf ich fragen, ob Sie schon über die Buchausgabe disponiert haben? Oder erscheint der Roman zuerst in einem Journal?“
Der Dichter lehnte sich bequem in seinen Stuhl zurück. „In einem Journal erscheinen lassen? Es widerstrebt meinen Ansichten von künstlerischer Vornehmheit.“
„Und die Buchausgabe?“ fragte der Verleger weiter.
„Ich habe an Sprottau Söhne gedacht. Sie wissen, ich pflege mein jeweiliges Werk dem Verlag zu geben, in dessen Rahmen es am besten passt.“
„So?“ In Maiers Gesicht veränderte sich kein Zug, nur in die Stimme legte er eine kleine, kaum angedeutete Verwunderung. „Dürfte Ihr Roman denn in den Rahmen des Sprottauschen Verlags passen? Nach den Andeutungen, welche die Zeitung brachte, glaube ich dies wohl kaum annehmen zu können.“
„Es war auch nur ein flüchtiger Gedanke von mir.“ Eisenlohr sann einen Augenblick nach. „Er wird gerade dort besonderes Aufsehen erregen.“
Maier antwortete nicht.
Eine Pause entstand.
„Hm,“ sagte der Verleger plötzlich, „würde Ihr Werk nicht bei mir mindestens ebensogut aufgehoben sein?“
„Bei Ihnen?“ Der andere strich sich das Kinn. „Mein Werk schon. Aber ob ich ...? Lieber Freund, mit den Honoraren, die Sie zu zahlen gewohnt sind, kann ich mich nicht begnügen. Junge Autoren, die sogenannten aufstrebenden Talente vielleicht. Wenn Sie denen nur einen kleinen Vorschuss geben, schreiben sie Ihnen drei Bücher dafür.“
Maier lächelte fein. „Ganz so verhält sich die Sache doch nicht, übrigens,“ seine Miene wurde ernst, „Sie wissen recht wohl, dass wir unseren gutgehenden Autoren anständige Honorare zahlen.“
„Was Sie gutgehende Autoren nennen! Das passt auf die, die mal in die zweite und dritte Auflage kommen.“ Eisenlohrs geringschätziger Ton wurde hochachtungsvoll. „Das mindest wertvolle meiner Bücher ist bereits in vierundzwanzig Auflagen verbreitet. Sie wissen, dass ich mit einigen bereits beim vierzigsten Tausend angelangt bin. Was zahlen Sie mir pro Auflage? Natürlich in der bekannten Ausstattung und dem bekannten Format.“
„Ich zahle Ihnen fünfundzwanzig Prozent vom Ladenpreis. Fünf Auflagen sofort. Jede folgende wird bei Ausgabe honoriert.“
„Nein,“ Eisenlohr machte eine entschieden ablehnende Handbewegung, „dazu können Sie mich nicht haben. Ich verlange siebenundzwanzigeinhalb per Cent vom Ladenpreis“, er betonte jede Silbe, „und zehn Auflagen sofort honoriert.“
„Donnerwetter!“ Das entfuhr Maier unwillkürlich.
Der Dichter lächelte. „Sehen Sie, ich sagte es Ihnen ja gleich. Für mich sind Sie noch zu klein.“
„Wann könnten Sie das Manuskript liefern?“
„Bis zum August denke ich bestimmt fertig zu sein; bin ich weiter so gut disponiert, auch früher. Jedenfalls kommt das Buch rechtzeitig auf den Weihnachtstisch. Einen Titel habe ich — einen Titel! — der zieht!“
Maier sass wie versunken; jetzt richtete er seine kleine Gestalt mit einem energischen Ruck auf. „Ich gehe auf Ihre Bedingungen ein.“
„Na, das ist mal gescheit von Ihnen!“ Der Dichter schüttelte ihm kordial die Hand. „Es ist mein bedeutendstes Werk, Sie werden sehen, Maier, Sie machen ein grossartiges Geschäft!“
„Bei siebenundzwanzigeinhalb Prozent für den Autor?“ Maier lächelte sarkastisch. „Und die Sortimenter wollen doch auch leben. Es bleibt für unsereinen wenig übrig.“
„Sie können ja gleich zwanzig Auflagen zusammen drucken; da bleibt genug übrig.“
„In der Tat,“ der Verleger nickte, „es kann sein, dass noch etwas übrigbleibt.“
Sie waren also einig. Der Autor wurde sehr gesprächig, sehr liebenswürdig und entwickelte seinem neuesten Verleger einen ganzen Rattenkönig von Paragraphen. Maier widersprach nicht, er machte sich Notizen. Als er sich nach einer weiteren halben Stunde verabschiedete, begleitete ihn Eisenlohr bis zur Zimmertür.
Ehe diese sich schloss, liess Maier einen raschen Blick über die kostbare Einrichtung des Gemachs gleiten. Der echte Perserteppich dämpfte jeden Schritt. Die gemalten Fensterscheiben warfen bunte Schimmer, der mächtige Kopf des Löwenfells vorm Schreibtisch fletschte die Zähne, reizende Frauenköpfe in breiten Rahmen lächelten nieder, und draussen, vom Altan herein, glänzte die Blumenfülle. — —
Unten am Haus stiess Maier auf eine Dame; diese warf ihm einen bitterbösen Blick zu, rauschte ohne Gruss an ihm vorbei und verschwand in der Tür des Dichterheims, eine Wolke von Parfüm hinter sich lassend.
War das nicht die Starzynska? Der Verleger blieb stehen. So elegant, in Seide? Zu ihm war sie immer sehr einfach gekommen, hatte viel über ihre beschränkten Verhältnisse geklagt, auch um Vorschuss gebeten. Und jetzt ...? Der würde sich freuen! Maier war ein wenig schadenfroh. Die wurde man unter einer Stunde nicht los. —
Wolfgang Eisenlohr sass eben wieder am Schreibtisch, als Wlodzimira Starzynska gemeldet wurde.
„Ich bin nicht zu sprechen. Wie oft soll ich’s Ihnen denn sagen?“ fuhr er den Diener an. „Wenn Sie’s nicht begreifen, muss ich Sie eben entlassen. Ich bin nicht zu sprechen!“
„Aber für mich doch, teurer Meister!“ tönte die Stimme der Starzynska vom Flur; sie war dem Diener auf den Fersen gefolgt. „Ich mache doch eine Ausnahme!“ Sie stiess die angelehnte Tür vollends auf, mit ausgebreiteten Armen stürzte sie herein. „Ich habe Sie ewig nicht gesehen. Oh, wie schön ist es hier!“
Fräulein Starzynska sprach immer ein langschnarrendes, rollendes R. Man wusste nicht, rührte es von ihrem Ausländertum oder von ihrer dramatischen Studienzeit her; sie hatte sich zur Schauspielerin ausgebildet, war sogar in Warschau, Riga und Petersburg, wie sie sagte, mit grossem Erfolg aufgetreten.
„Wie schön ist es hier!“ Die Arme ausgestreckt, stand sie vor dem Schreibtisch. „Hier schafft er nun! Lauter Poesie.“ Sie kam auf Eisenlohr zu. „Sie herrlicher Mensch!“
Die Starzynska war immer etwas stürmisch, er wich ein paar Schritte zurück, und doch zeigte sein Gesicht ein geschmeicheltes Lächeln.
„Teurer Meister!“ Sie liess sich nicht mehr zurückhalten, sondern fasste seine Hand. „Ich komme ganz atemlos, ich bin gerührt, erschüttert — dies wunderschöne Gedicht! Ich habe Ihr Gedicht gelesen, heut in der Zeitung. Ich habe geweint. Sie müssen mir auch ein Gedicht machen, nächsten Monat werde ich zweiundzwanzig. Meister, mir auch ein Gedicht!“ Sie fiel ihm um den Hals.
Er stand etwas verlegen. „Ich hätte nicht gedacht, dass Ihnen ein Gedicht ...“
„Oh, herrlich! Mir ein Gedicht! Ich lasse es in die Zeitung setzen!“ Sie liess ihn gar nicht zu Wort kommen, sie überschüttete ihn mit Schmeicheleien.
Er konnte nicht umhin, liebenswürdig gegen sie zu sein. Sie hatte eine schöne Figur, üppige Büste, schlanke Hüften, zierliche Hände und Füsse. Als Dichter war er für Schönheit empfänglich. Nebenbei war sie voller Temperament und voll von einer rührenden, schwärmerischen Bewunderung für ihn; und sie hatte Geist.
Immer öfter strich sich Eisenlohr das Kinn. Es war eine ihm eigentümliche, ganz charakteristische Gebärde; die schöne, weisse Hand wischte von dem bartlosen Mund abwärts, als wolle sie so das halb überlegene, halb zynische Lächeln verstecken, das da zuweilen aufdämmerte, besonders in Frauengesellschaft.
Nach einer Stunde wurde Wlodzimira sehr mitteilsam, sehr weich. Sie lehnte ihren dunklen Strubbelkopf an des Dichters Schulter und klagte über ihre Verlassenheit, über die hilflose Stellung der Frau. Sich allein durchzuringen, o wie schwer! Dem weiblichen Autor werden tausend Hindernisse in den Weg gelegt.
„Sie müssen mir helfen, Meister!“ sagte sie in rührender Naivität. „Kennen Sie Maier?“
„Er war vorhin erst hier. Er will durchaus mein neuestes Werk verlegen.“
„Und Sie haben es ihm zugesagt, Meister?“ Sie belauerte ihn.
„So halb und halb.“
„Oh, Meister!“ Nun fing sie an zu weinen. „Er ist ein Scheusal! Trauen Sie ihm nicht! Er hat mich mit Anträgen verfolgt, er war mir zuwider — nun will er mein Trauerspiel nicht verlegen. Alle Leute sagen, es ist ausgezeichnet. Was soll ich machen?“ Sie rang die Hände und schluchzte fassungslos.
Der Dichter hatte viel zu trösten; er tat es mit sanften Worten und strich sich dabei besonders häufig um Mund und Kinn.
Sie kniete vor ihm und legte das wirre Haupt auf seine Hände. „Meister, helfen Sie mir! Sie allein können es! Maier muss mein Trauerspiel verlegen. Sagen Sie es ihm. Sagen Sie ihm, Sie gäben ihm sonst nicht ...“, sie hob den Kopf und blinzelte ihn an mit schwimmenden Augen, „Sie gäben ihm sonst nicht Ihr neues Buch!“
Er versprach es ihr. — —
Der berühmte Dichter brachte die Kollegin bis an die Treppe, und sie verabschiedete sich mit überströmender Dankbarkeit.
Kaum war sie gegangen, fuhr eine Equipage vor; ein kleines, anspruchsloses Gefährt, der Kutscher in dunkler Livree, ein einfaches M auf dem Wagenschlag — Frau Eleonore Mannhardt.
Eisenlohr floh ins Schlafzimmer. „Führen Sie die Dame in den Salon!“ rief er dem Diener zu. „Rasch! Öffnen Sie in meinem Zimmer die Fenster!“ Die Starzynska hatte einen verräterischen Patschuliduft zurückgelassen. „Alle Fenster, hören Sie? Ich komme gleich!“
Er stürzte vor den Spiegel. Rasch hinein in die schwarze Samtjoppe, dieses Künstlernegligé, das seinem Charakterkopf mit der kräftigen Nase einen kleidsamen Untergrund gab.
Mit nachdenklichem Blick kam er in den Salon.
„Sie zerstreuter Dichter!“ lächelte Frau Leonore und drückte ihm die Hand. „Aus anderen Regionen aufgetaucht? Aus Dichterträumen? Verzeihen Sie, dass ich Sie geweckt habe!“
„Gnädige Frau, ich wünsche mir nie ein schöneres Erwachen!“ Er küsste ihr galant die Hand.
„Und Ihre liebe Frau, Ihr entzückendes Töchterchen?“
„Meine Frau ist ins Bad gereist.“ Er sagte das ohne jede Erregung, obgleich er wusste, dass seine Frau nicht mehr zu ihm zurückkehren würde.
„Ach, so früh schon?“ Sie sagte es auch ohne jede Verlegenheit, obgleich sie wusste, dass Eisenlohr in Scheidung lag.
„Und Ihre Elsa?“
„Mein Sonnenkind!“ Über sein Gesicht huschte ein verklärender Schein. „Sie ist meine ganze Lebensfreude. Ich erquicke mich an ihr und mag sie keinen Augenblick entbehren!“
„Nur während des Arbeitens.“
„Im Gegenteil, ganz im Gegenteil! Ich versichere Ihnen, gnädige Frau, ich kann nicht arbeiten, wenn ich das Geschöpfchen nicht in der Nähe weiss. In diesen Kinderaugen liegt so viel, eine ganze Welt. Jedes Wort aus Kindermund ist eine Offenbarung. Glauben Sie mir, gnädige Frau, meine besten Gedanken hole ich mir bei meinem Kinde. Wenn mein Kind seine frischen roten Lippen auf meine Stirn drückt, werden die Gedanken reiner, heiliger; sie sind weissen Tauben gleich, die empor zum Himmel schweben.“
Frau Leonore war bewegt, ihre Augen glänzten. „Wie schön empfunden! Möge ein gütiges Geschick Ihr Sonnenkind beschirmen!“
„Ich danke Ihnen, gnädige Frau!“ Er küsste ihr die Hand.
Sie machten beide eine kleine Pause in der Unterhaltung.
Endlich fragte sie schüchterner, als sonst ihre Art war: „Ich habe Sie doch hoffentlich nicht bei der Arbeit unterbrochen?“
Er hörte sie nicht, er war ganz in Gedanken versunken.
„Doch nicht bei der Arbeit gestört?“ fragte sie noch einmal.
Er fuhr aus tiefem Sinnen auf. „Gestört? O nein, wie könnten Sie mich stören! Verzeihen Sie, es ist eine leidige Angewohnheit von mir, die Gedanken nicht in der Studierstube zurückzulassen. Die stürmen dann auf einen ein und packen einen mitten in der Unterhaltung, man vergisst ganz die Gegenwart. Ich bin ein schlechter Gesellschafter.“
„Sie sind ein Dichter!“ sagte sie mit gewinnendem Lächeln.
Er verneigte sich dankend. „Sie verstehen mich, gnädige Frau, aber Sie sind eine unter Tausenden. Niemand wird öfter verkannt als der Dichter, missverstanden, verlacht, gesteinigt und mit Dornen gekrönt. Unser Lorbeerkranz ist eine mit Blättern verkleidete Dornenkrone.“
„Und das sagen Sie — Sie?“
„Meine liebe gnädige Frau, urteilen Sie auch nach äusseren Erfolgen? Was macht das Wesen des Dichters? Das Auf und Nieder von Gefühlen. Er weint mit seinen Gestalten, er lacht mit ihnen; jede Empfindung, die er wiedergibt, ist in ihm geboren, er klagt um Verlorenes und geht durch das Fegefeuer der Leidenschaft. Weit mehr als er geniesst durch seine Kunst, leidet er durch sie. Und diese Nächte, diese abscheulichen Nächte! Ich habe seit langem nicht gut geschlafen.“
Sie zitierte:
„Wer nie sein Brot mit Tränen ass,
Wer nie die kummervollen Nächte
Auf seinem Bette weinend sass ...“
„Der kennt euch nicht, ihr himmlischen Mächte!“ fiel er ein. „Sie haben mir eine Lektion erteilt, gnädigste Frau!“
Sie errötete vor Freude über den verehrungsvollen Ton seiner Stimme und lächelte mit leichter Koketterie. „Bin ich denn ein Schulmeister?“
„Eine reizende, kluge, liebenswürdige Frau!“ Er haschte nach ihrer Hand, sie liess sie ihm ein paar Augenblicke. Wohlgefällig ruhte sein Blick auf ihrem noch rosig schimmernden Gesicht, die erhöhte Farbe stand ihr gut, ihre Augen erschienen glänzender und lebhafter. Eisenlohr strich sich um Mund und Kinn.
„Meine verehrte Freundin!“ flüsterte er.
Sie wurde ganz verwirrt. Von einem grossen Dichter „Freundin“ genannt zu werden! Blitzschnell dachte sie an Goethe und Marianne von Willemer.
„Wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?“ schmeichelte sie.
„Bitten Sie!“ Und er strich sich wieder um Mund und Kinn.
„Sie sollen uns ein Fest verherrlichen — nein, nein, schütteln Sie nur nicht so ablehnend den Kopf! Hören Sie erst! Mia Widmann hatte die Idee, einen Bund, sagen wir ‚Verein’, zu gründen, hauptsächlich aus Schriftstellerinnen bestehend, doch sind andere Künstlerinnen und der Kunst nahestehende Damen nicht ausgeschlossen. Dieser Bund hat zum Zweck: Wahrung der geistigen und körperlichen Interessen der Frau. Man hat mir die Ehre erwiesen, mich in den Vorstand zu wählen. Ferner sind gewählt natürlich Frau Widmann, Alinde Rosen, die Maschka und Fräulein Starzynska. Frau von Lindenhayn hat leider zu unserem Bedauern abgelehnt. Schriftführer ist Doktor Bolten. Mein Mann in seiner Selbstlosigkeit will nur hinter den Kulissen das Praktisch-Geschäftliche leiten. Die Sitzungen des Vereins gehen bei den verschiedenen Vorstandsdamen um.“
„So.“
„Die erste Sitzung gestern hat eine glänzende Idee gezeitigt. Wir wollen anfangs Sommer, ehe alle Welt auf Reisen ist, einen Unterhaltungsabend geben, öffentlich. Mia Widmann hält einen Vortrag. Dann folgen lebende Bilder: Szenen aus dem Leben der Frau, mit Erläuterungen, ebenfalls von der Widmann verfasst und von Fräulein Starzynska und der Maschka vorgetragen. Beide Damen sowie Fräulein Rosen haben in opferfreudiger Weise auch ihre Person für die lebenden Bilder zugesagt.“
„Sehr opferfreudig.“
„Dann, und das ist der Glanzpunkt — sagen Sie nicht nein, sagen Sie nicht nein!“ Lebhaft ergriff sie seine beiden Hände. „Sie, Sie müssen ja Fühlung für die Leiden der Frau haben!“
Er hatte keine Hand frei und konnte so sein Lächeln nicht verbergen.
Sie sprach mit glühenden Wangen weiter: „Sie als Künder der feinsten Regungen der Seele werden der Frau nachempfinden können, die in der Ehe schmachtet. Dem Schmerz des Mädchens, das der Geliebte ungestraft verlassen darf, werden Sie ergreifende Worte leihen. Sie werden für die Sehnsucht der Arbeiterin, die täglich das Martyrium der Arbeit von neuem beginnt, den rechten Ton finden. Sie sind der einzige, der das kann. Dichten Sie uns etwas!“ Sie faltete die Hände. „Die Maschka wird’s vortragen oder die Starzynska, welche von beiden Sie wählen. Man wird Sie vorrufen, vorjubeln. Während Sie sich verneigen, erscheint ein junges Mädchen im Engelsgewand und reicht Ihnen huldigend einen Kranz roter Rosen, den Dank der Frauen.“ Sie hatte sich ganz in Begeisterung geredet.
Sein Lächeln wurde so stark, dass er den Kopf zur Seite wandte.
Sie sah sein edles Profil. „Es muss wirken!“ sagte sie.
Er war nicht ganz so abgeneigt, als sie gefürchtet hatte.
Frau Mannhardts Kutscher musste unten vor dem Hause lange warten; er sah schon unruhig nach den Fenstern, der feurige Braune wollte nicht länger stehen.
Eisenlohr war liebenswürdig genug, sich alles bis auf die kleinste Kleinigkeit erzählen zu lassen. Er griff sich an die Stirn — nun kam ihm schon eine glückliche Idee. Er sann.
Frau Leonore sass auf dem Sofa und wagte nicht, sich zu rühren. Voller Andacht sah sie zu dem Dichter auf.
„Und die Einnahmen?“ fragte er. „Ich zweifle nicht, dass sie gross sein werden.“
„Sie bilden den Fonds des Vereins. Ihre Mitwirkung würde uns Summen sichern!“
„Ja, recht schön, aber ich weiss wirklich nicht ...“ Er zögerte noch immer.
„Sagen Sie zu!“ bat sie dringend. „Ein Engel wird Sie belohnen. Sie tun nebenbei noch ein zweites gutes Werk. Diesen Engel wird mein Schützling vorstellen, eine junge, talentvolle Schriftstellerin.“
„Schon wieder eine“, murmelte Eisenlohr.
„Sie ist unbekannt. Wird ihr Name mit dem Ihrigen zusammen genannt, so ist sie bekannt mit einem Schlag. Ein junges Ding, wildfremd in der grossen Stadt — was können Sie aus ihr machen!“
„Ich habe wirklich so wenig Zeit.“ Eisenlohr schien plötzlich das Interesse verloren zu haben. „Meine liebe gnädige Frau, ich bin wirklich nicht in der Lage, alle Schriftstellerinnen zu protegieren.“
„Ach, tun Sie’s!“ bat Leonore mit Tränen in den Augen. „Sie verpflichten mich allerpersönlichst. Elisabeth Reinharz ist mein Schützling, meine Freundin, ich verspreche mir Grosses von ihr. Sie ist so talentvoll. Und frisch, unberührt, reizend!“
Der Dichter strich sich das Kinn. „Nun, weil Sie mich bitten“, sagte er endlich.
Er begleitete sie bis zur Tür, bis zur Treppe, bis zur Haustür hinunter. Er half ihr in den Wagen. Noch ein Handkuss, eine Verbeugung.
Lächelnd, strahlend vor heimlichem Stolz fuhr Frau Leonore Mannhardt davon.