Читать книгу Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst! - Clara Viebig - Страница 7

4.

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Elisabeth Reinharz war auf dem Weg zum Verlagsbuchhändler Maier.

Sie hatte sich endlich ein Herz gefasst und ihm vor einigen Tagen mehrere Manuskripte zugeschickt, darunter das von Bolten zurückgewiesene. Nirgendwo hatte sie es untergebracht, obgleich Kistemacher seine Freunde, die Redakteure, persönlich aufgesucht und sie, kraft seiner Behandlung zu Künstlerpreisen, um Annahme ersucht hatte.

„Ich sagte es Ihnen ja gleich, Fräulein Reinharz,“ hatte Kistemacher zuletzt gesagt, „einiges hätten Sie anders machen müssen. Wir wollen es mal durchgehen. Ändern Sie, was ich Ihnen sage. Die Leute müssten Esel sein, wenn sie es dann nicht nähmen.“ Er war etwas beleidigt, als Elisabeth auf die Änderungen nicht eingehen wollte.

„Ich kann nicht“, hatte sie gesagt. „Und wenn ich’s nicht anbringe!“

„Ich bitte Sie, Sie können doch ein bisschen mildern.“

Sie hatte nichts geändert, wenn Herr Kistemacher sie auch „eigensinnig“ nannte. Mit pochendem Herzen hatte sie die Arbeiten eingepackt und in ein paar beigelegten Zeilen sich Herrn Maier wieder ins Gedächtnis zurückgerufen. Er hatte ihr damals nicht geschrieben, trotzdem er sich ihre Adresse vermerkte.

Aber nun schrieb er, überraschend bald, nach ein paar Tagen. Er habe ihre Arbeiten gelesen, er bitte sie, ihn an einem der nächsten Tage vormittags in seinem Bureau zu besuchen.

Atemlos war sie zu Kistemachers gerannt, den Brief wie eine Siegesfahne schwingend.

„Warten Sie lieber noch ein paar Tage,“ riet Herr Kistemacher, „nur nicht so übereifrig! Meine Patienten lasse ich auch erst immer ein bisschen im Vorzimmer sitzen.“

„Das ist doch kein Vergleich“, sagte Elisabeth. Sie war einigermassen verletzt; zum erstenmal fiel es ihr auf, dass Kistemacher eigentlich nicht das grösste Feingefühl besass. Aber sie konnte ihm nicht böse sein, sie war gerührt, denn er entliess sie mit so viel gutgemeinten Ratschlägen und Ermahnungen, wie ein Vater seine Tochter. „Nur nicht übereilen! Die Verleger sehen schon, wo sie bleiben. Wenn er Ihnen ein Honorar bietet, verlangen Sie ruhig die Hälfte mehr. Schade, dass ich nicht mitgehen kann, es wäre besser.“

Luftschlösser mit goldenen Zinnen bauten sich auf vor Elisabeth, als sie zu Herrn Maier ging. Der Weg zur Königgrätzer Strasse wurde ihr nicht lang; ihr Gesicht war heiter, ihr Schritt zuversichtlich.

Ihre derben Lederschuhe traten fest aufs Trottoir, über der frisch gestärkten Leinenbluse blühten die runden Wangen, der Mund lächelte. Die Vorübergehenden sahen sich nach ihr um.

Sie summte sich leise eins; am liebsten hätte sie gepfiffen, lustig, hell und durchdringend, wie die Burschen auf dem Feld, wenn der Schatz naht. Eine Ahnung kommenden Glücks war in ihr; schon fühlte sie seinen Flügelschlag.

Es war nicht das Herrn Kistemacher so beunruhigende Honorar; das lockte sie nicht, o nein, etwas ganz anderes — sie konnte es sich selbst nicht nennen. Etwas ganz Unbeschreibbares, Unaussprechliches schwebte ihr vor im Wachen und im Traum. Es webte tausend Fäden um ihre Seele und verstrickte die ganz darein. Sie konnte nicht anders, sie zitterte nach jenem ungenannten Grossen.

Schaffen, wie es Gott getan am ersten Schöpfungsmorgen mit segenbringender Schöpferhand, schaffen mit nie ermüdender Lust! Leben, Leben, wohin man sieht. Nichts Kaltes, nichts Totes: die Fluren leben, jeder Grashalm hat eine Seele, jeder Stein. Und Stimmen flüstern im Windhauch, jauchzen, grollen im Sturm. Gestalten kommen und gehen, unverhüllt, nackt wie Adam und Eva — man sieht ihnen bis ins tiefste Herz.

„Menschen! Meine Menschen!“ Über des Mädchens lächelndes Gesicht glitt ein liebevoll warmer Ausdruck. Das Blut schoss ihr in die Wangen, sie fühlte einen Strom der Liebe zu ihrem Herzen dringen. Da war keiner zu gering. Sie hatte mit den Tagelöhnerkindern gespielt und Blicke in die Häuslerstuben getan; sie kannte sie alle da draussen, ihre Leiden, ihre Freuden. Und unsichtbare und doch starke Fäden leiteten von da herüber in die grosse Stadt — Menschen sind Menschen. Selig, wer die Kraft hat, sie zu schildern. Selig, wer mit ihnen lacht, selig, wer mit ihnen weint.

Elisabeth presste die Hände ineinander, der starke Atem schwellte ihr die Brust — dreimal selig! Sie schloss die Augen wie sonnengeblendet; sie fühlte die ganze Schöpferwonne.

*

„Guten Morgen, mein Fräulein“, sagte Herr Maier freundlich, als Elisabeth vor ihm stand. „Bitte, nehmen Sie einen Augenblick Platz.“

Er wandte sich wieder ganz dem Herrn zu, der mit untergeschlagenen Armen und in nachlässiger Haltung am Pulk lehnte. Das edle Profil hob sich scharf gegen das lichte Fenster ab; Elisabeth konnte nicht umhin, es bewundernd zu betrachten. Sie war enttäuscht, als er ihr das volle Gesicht zukehrte — ein etwas selbstgefälliger Mund, ein weibisches Kinn.

Er betrachtete sie sekundenlang scharf. Sie errötete tief unter seinem Blick.

„Aber,“ sagte Herr Maier halblaut, „ich wüsste doch wirklich nicht, inwiefern wir Ihnen nicht entgegengekommen wären? Wenn wir allen unseren Autoren“, sein Blick streifte das junge Mädchen, „solche Honorare zahlen müssten, dann ...“ Er sprach nicht weiter.

„Ich bitte Sie, Sie können mich doch auch unmöglich mit Ihren jungen, unbekannten Autoren auf eine Stufe stellen. Ich verlange gar kein Entgegenkommen, nur mehr Rücksicht, Rücksicht! Ich habe Ihnen zuliebe auf das vorherige Erscheinen meines Romans in einer Zeitschrift verzichtet.“

„Aber ich weiss wirklich nicht,“ der Verleger machte ein etwas verdutztes Gesicht, „worauf Sie hinauswollen.“

„Ich?! Sie missverstehen mich, lieber Maier.“ Er wandte sich zum Gehen. „Apropos, lieber Maier,“ er drehte sich noch einmal um, „worüber ich noch mit Ihnen sprechen wollte: Ich wundere mich, Sie haben ja kein einziges Talent meiner Schule im Verlag. Warum nicht? Da ist zum Beispiel die ...“ Er dämpfte die Stimme.

Jetzt sprach Maier auch leise. Es schien eine Debatte, noch dazu eine etwas erregte.

„Nein,“ sagte der Autor plötzlich lauter, „da halte ich es wirklich nicht für ratsam, in Ihrem Verlag zu erscheinen; ich bin da ja völlig isoliert.“

Maiers blasse Gesichtsfarbe spielte schon ins Grünliche. Der andere behielt immer das gleiche, überlegene Lächeln.

Sie sprachen wieder leise.

„Nun dann, meinetwegen,“ sagte plötzlich der Verleger. Es klang gereizt. „Um Ihnen gefällig zu sein.“

„Also schön! Ich halte Sie beim Wort. In etwa vierzehn Tagen können Sie auf mich zählen. Den unterzeichneten Kontrakt schicke ich morgen. Vergessen Sie nicht: zwanzig Abzüge auf Büttenpapier für mich!“ Nach einem zweiten scharfen Blick auf das junge Mädchen verliess er das Bureau.

„Nun,“ sagte Herr Maier, als er zurückkam — er hatte den Besucher bis auf den Flur begleitet —, „da haben Sie gleich unsern berühmtesten Autor gesehen: Wolfgang Eisenlohr.“

„Das — das war er?!“ Ein Zug grossen Erstaunens flog über Elisabeths Gesicht. „Den habe ich mir anders gedacht.“

„So?“ Maier unterdrückte ein Lächeln. „Bitte, behalten Sie Platz, mein Fräulein!“

Sie war unwillkürlich aufgesprungen und hatte sich dem Pult genähert — hier sollte sie ihr Urteil empfangen. Erwartungsvoll, mit glänzenden Augen sah sie den Verleger an.

Er zog einen Schub auf; da lagen ihre Manuskripte. Er nahm sie heraus: „Eins, zwei, drei, vier, fünf. Ich bin nicht abgeneigt, Ihre Novellen zu verlegen.“

Es schwindelte Elisabeth. Stand sie denn fest auf ihren Füssen? So viel Glück! So viel Glück! Sie fasste nach der Tischplatte, um sich daran festzuhalten.

Er sah ihre Erregung und nickte. „Sie haben Glück. Andere müssen Jahre und Jahre warten.“

„Ja, sehr viel Glück!“ Wie verschämt senkte sie den Kopf.

Der Verleger lächelte; er liess seinen Blick wohlgefällig auf ihrer mädchenhaften Gestalt ruhen. „Sie sind noch sehr jung, Fräulein Reinharz?“

„O nein,“ sie wurde rot, „ich bin schon sechsundzwanzig.“

„Ich hätte Sie für jünger gehalten“, sagte er ohne jede Artigkeit. „Viele unserer Autoren haben sich in dem Alter schon fast ausgeschrieben. Heutzutage ist es Mode, in den Windeln anzufangen. Es kann einer gar nicht grün genug sein. Ihr Glück, dass Sie nicht zu früh angefangen haben!“

Elisabeth sah ihn offen an. „Ich hätte wohl schon eher schreiben mögen, ich habe mich nur nicht getraut. Ich hatte zu grossen Respekt.“

Er lachte. „Vor wem?“

„Vor der Kunst.“

„Und den haben Sie jetzt nicht mehr?“

„O ja, erst recht! Jetzt weiss ich erst, was dazu gehört. Ich habe eine grosse Bewunderung für alle, die etwas erreicht haben.“

„Wollen sehen, wie lange diese Bewunderung dauert“, sagte er mit skeptischer Miene. Und dann, den Ausdruck ändernd, fragte er nach ihren ersten literarischen Versuchen, ihrer Heimat und ihrem Leben auf dem Lande.

Sie antwortete freimütig; ihr war, als hielte dieser kleine Mann ihr Wohl und Wehe in den Händen.

„Und was hat Sie nun doch zum Schreiben getrieben?“ fragte er zuletzt.

„Die Natur“, sagte sie einfach. „Ich weiss selbst nicht, wie es gekommen ist; sie ist so schön, ich muss sie beschreiben. Und dann kamen Gestalten, die gingen hin und her und sprachen zu mir, ich las ihre Geschichte von ihren Gesichtern. Und dann hab’ ich’s eben so hingeschrieben. Wenn ich schreibe, ist es mir, als sagte mir einer inwendig immer was vor. Oft will ich gar nicht so schreiben, aber auf einmal steht’s da. Ich muss. Es ist so komisch!“ Sie lachte.

Ihr helles, fröhliches Lachen klang von den Wänden wider. War das ein wundervolles Lachen! Ihr Oberkörper schüttelte sich leicht unter der knittrigen Bluse; ihre Augen kniffen sich halb zu, dass die dunkler: Wimpern auf den rosigen Wangen ruhten, in dem vollen Kinn zeigte sich ein Grübchen. Und der Klang war so sonor, so gesund.

In der schwülen Luft des Bureaus tat das wohl. Vor dem Auge lag mit einem Male blühende Heide; ein Vogel stieg kerzengerade aus dem Kraut, schmetternd, immer höher hinauf in den sonnigen Äther.

Der Verleger sah sie wohlwollend an. „Sie haben Talent, viel Talent und eine glückliche Charakterveranlagung. Heutzutage sind die Talente Treibhauspflanzen, üppig im Blattwerk, aber schwach von Wurzel. Sie sind gesund!“

„Ja, das bin ich!“ Sie lachte wieder und zeigte die weissen Zähne hinter den frischen Lippen. Wie ein Schauer glücklicher Sorglosigkeit rieselte das Lachen nieder; es fiel erquickend auf die Seele wie Regen auf verstaubtes Land.

Ihre Wangen leuchteten in freudigem Rot. „Und glauben Sie wirklich, glauben Sie, dass ich etwas werden kann?“ Sie beugte sich zu ihm und suchte vertrauensvoll seinen Blick. „Etwas Grosses leisten?“ Als hinge ihre Seligkeit von seinem Urteil ab, so sah sie ihn an.

„Sie sind noch jung genug, Sie haben, abgesehen vom Talent, Gesundheit und Energie — warum nicht? Nur eins fehlt Ihnen noch: Sie müssen Leute haben, die Ihr Lob ausposaunen, die das Tamtam schlagen, Leute, die nicht bloss Ihre Bücher leihen, sondern auch kaufen. Mit einem Wort: Sie brauchen eine Clique.“

Sie sah ihn verständnislos an.

Er fuhr ernst fort. „Das grosse Talent hockt zeitlebens unbekannt in Dachstuben, wenn nicht eine Clique sich seiner annimmt. Die ist ein mächtiger Faktor in unserem künstlerischen Leben.“

Sie schüttelte den Kopf und lächelte ungläubig. „Ich weiss nicht recht, was Sie mit ‚Clique’ meinen. Aber das weiss ich: was wahrhaft gross und schön ist, das dringt immer durch. Es wäre ja traurig, wenn das nicht so wäre!“

Er zuckte die Achseln. „Viele Talente verschwinden ungekannt, andere, die gar keine Talente sind, werden auf den Schild gehoben. Auch wir müssen uns der Clique beugen — wir wollen leben.“ Er seufzte leicht.

„Oh,“ sie schüttelte den Kopf, „so ist es ja doch nicht!“ Sie lachte ihm ins Gesicht. „Sie wollen mir bange machen. Bange machen gilt nicht. Ich fürchte mich nicht. Ich brauche keine ‚Clique’, wie Sie sagen. Ich werde schon durchkommen. Wem meine Sachen nicht gefallen, der braucht sie ja nicht zu lesen.“ Frisch und frei sagte sie es, den Mund ein wenig trotzig aufgeworfen, den Kopf stolz gehoben. Ein starkes Leuchten brach aus ihren Augen, zog wie ein Sonnenschein über ihr Gesicht und gab ihm eine reine, fast kindliche Schönheit.

Der Verleger lächelte. „Sie haben Courage! Sie sind wie Jakob Heider, der sagt: ‚Ich pfeife auf das Publikum, auf die Kritik, und ...’ — na, ich will Ihnen das lieber nicht sagen, es ist etwas kräftig. Ein Hauptkerl!“ Maier lachte wohlgefällig. „Steckt voller Begabung, ist aber arm wie eine Kirchenmaus; schenkt sein letztes Hemd weg, wenn ihn einer darum bittet.“

„Der gefällt mir!“ Und dann sagte sie mit einem tiefen, wohligen Aufatmen: „Ich wusste es ja, dass mich heute ein Glück erwartete. Wann werden Sie mein Buch drucken? Bald, ich bitte Sie, bald! Ich kann es gar nicht erwarten. ‚Einfache Geschichten’ möchte ich’s nennen — ja?“

„Ich werde Ihnen schon einen Titel finden. Übrigens“, er legte die Hand schwer auf das Manuskript, „fürs Publikum ist das nichts. Sie sind kein Geschäft. Ich verlege das Buch, weil es mich interessiert — aber was meinen Sie wohl, was ich daran verdiene?“

Sie sah ihn erwartungsvoll an.

„Gar nichts.“

Das Blut schoss ihr zu Kopf; das hatte sie nicht erwartet. „Es gibt doch so viele Menschen, die mir Wohlwollen — ich habe Freunde“, sagte sie stockend.

„Ich mache Ihnen folgenden Vorschlag“, fuhr er fort, ganz geschäftsmässig, ohne ihren Einwand zu beachten.

Sie hörte ihm mit grossen Augen, aufmerksam horchend, zu.

Er entwickelte ihr die Verlagsbedingungen und sprach vollständig sachlich, ohne jede Spur des vorher gezeigten freundschaftlichen Wohlwollens.

„Also ich kann Ihnen selbstverständlich kein Honorar zahlen,“ schloss er, „aber ich kontrahiere mit Ihnen auf Reingewinn: die Hälfte Ihnen, die Hälfte mir. Sind Sie einverstanden?“

Sie nickte.

„Gewiss, es ist mir recht so. Ich bin so sicher, wir werden eine Masse Bücher verkaufen. Oh, ich bin froh! Wenn das der Onkel noch erlebt hätte oder der Vater und meine Mutter!“

Es stieg feucht in ihren Augen auf, aber der Mund lächelte, ihre Gestalt hob sich wie auf Sprungfedern, elastisch, von freudiger Zuversicht geschwellt.

Diese Augen mit ihrem grossen, heiteren Blick sahen den Stern schon nah, ein herrliches Glanzgebilde, Strahlen werfend rundum. Und der Horizont war rosig in Freudengluten getaucht, ein Rosenmeer, den schönsten Morgen verheissend.

Sie stand nicht mehr in der düsteren Stube mit den hohen Bücherregalen an den Wänden und mit dem kahlen Pult. Sie hörte nicht mehr das Klappern der Schreibmaschine nebenan und das Rücken der Kontorstühle. In ihrem Innern sang eine süsse Stimme Lieder der Verheissung, zauberische Melodien, die sich ins Ohr stehlen und das Herz wiegen, dass sein Schlag leicht wird. Die Seele bekommt Flügel, die tragen in höchste Höhen. — —

Es klopfte. Sie schrak zusammen. Maier hatte „Herein!“ gesagt.

„Ah!“ Der Verleger lachte. „Lupus in fabula, gerade haben wir von Ihnen gesprochen, Heider! Morgen, Erdmann, was führt Sie denn hierher?“

Der blonde Erdmann errötete wie ein Mädchen; in seinem vertragenen Sommerrock stand er linkisch da. Ein dickes Manuskript hielt er unter den Arm gepresst; jetzt liess er’s fallen, mit einem dumpfen Knall prallte es auf die Diele, gerade vor Elisabeths Füsse. Beschriebene Blätter flogen nach allen Seiten.

„Etwas stürmisch, wie immer!“ Maier gab sich einem Heiterkeitsausbruch hin; es schien, als sei mit den zwei jungen Leuten, die eben eingetreten waren, eine burschikose Stimmung über ihn gekommen. Man kannte den zugeknöpften Geschäftsmann kaum wieder.

Elisabeth hatte sich gebückt, sie half die verstreuten Blätter auflesen. Nun standen sie und sahen sich an, das heisst, Erdmann wagte kein Auge aufzuschlagen, er stand wie geknickt.

Ein schalkhaftes Lächeln huschte über Elisabeths Gesicht, das Grübchen in ihrem Kinn zeigte sich.

Maier stellte sie einander vor. „Eine junge Kollegin,“ sagte er, „verlegt ihr erstes Buch bei mir. Kinder, ihr müsst nun ein bisschen nett gegen sie sein, verrupft sie nicht gleich zu sehr.“

„Wenn sie was kann, braucht sie keine Bange zu haben.“ Heider zeigte blitzende weisse Zähne, das einzig Schöne in seinem bräunlichen Gesicht, wenn man nicht den Ausdruck desselben schön nennen wollte, diese offene, jungenhafte Freimütigkeit. Er fasste Elisabeths Hand mit einem kräftigen Druck und schüttelte sie.

„Auf die Kritik pfeife ich; nur auf die, die ich selbst schreibe, nicht. Schreiben Sie was Gutes, Fräulein, sonst, wenn Sie auch noch zehnmal hübscher wären, als Sie sind, verreisse ich Sie fürchterlich!“ Er zeigte die Zähne, als wollte er beissen.

Sie lachte ihm ins Gesicht. „Ich fürchte mich gar nicht. Hunde, die bellen, beissen nicht!“

„Da, Sie haben ihn gleich erkannt!“ Maier schlug dem jungen Mann auf die Schulter. „Sehen Sie, Heider, Fräulein Reinharz hat’s gleich weg, wes Geistes Kind Sie sind!“ Er wandte sich an Elisabeth. „Sollte man’s glauben, dass dieser wilde Mann ein Lyriker ist, so zart und überfein empfindend wie die nervöseste Frau?“

Heider wollte aufbrausen, seine schmalen, dunklen Augen blitzten, die rabenschwarze, aufgesträubte Mähne über der breiten Stirn schien sich noch mehr zu sträuben. „Herr Maier, den wilden Mann will ich mir meinetwegen gefallen lassen, aber Ihre Kritik meiner Lyrik ...“

„Sei still, Kobes!“ Erdmann zupfte ihn heimlich; er sprach fast ängstlich und schien in Sorge, es mit dem Verleger zu verderben. Die Anwesenheit einer Dame war ihm auch peinlich.

Elisabeth konnte sich eines gewissen Mitleids nicht erwehren — war der schüchtern! Und einen Teint hatte er wie Milch und Blut, zu zart für einen Mann. An den Schläfen sah man die blauen Adern, über der Nasenwurzel zog sich ein blauer Strich; der Mund war fein und keusch, als hätte nur die Mutter ihn geküsst. Der Hals war ängstlich dünn, und der ganze Mensch schien schwach, seine langgeschossenen Gliedmassen steckten schlottrig in den Kleidern. Sie sah ihn voller Teilnahme an; da traf sie sein Blick, er hatte die scheu gesenkten Lider aufgeschlagen — waren das Augen! Blaue, feuchte, grosse Augen mit einem heissen Funkeln darin. Sie war überrascht. Auf diese Augen war sie nicht vorbereitet.

Da gefiel ihr der andere besser. Sie wusste selbst nicht warum, gleich fühlte sie sich zu ihm hingezogen. Er sah so treuherzig aus und tat, als hätte er sie schon früher gekannt. Sie kamen ins Plaudern und standen abseits vom Pult.

Erdmann hatte sein Manuskript vor sich hingelegt und schlang die Finger ineinander, dass die Gelenke knackten. Er hatte etwas auf dem Herzen und wand sich vor dem Verleger.

„Da muss ich mal beispringen“, sagte Heider. „Gucken Sie weg, Fräulein, oder noch lieber, gehen Sie hinaus — da, vor die Tür!“ Er nahm sie ohne weiteres beim Arm und schob sie ins Nebenzimmer. „Nehmen Sie’s nicht übel, aber sonst bringt der Mensch kein Wort ’raus! — Nun red’, Erdmann!“ hörte Elisabeth ihn sagen.

Das Murmeln des andern klang an ihr Ohr; sie stand am Fenster und trommelte auf die Scheiben. Einiges vernahm sie doch: Erdmann bot ein schon einmal zurückgewiesenes Manuskript an; er schien Geld nötig zu haben.

Der Verleger war zäh. „Ihre Sachen gehen nicht, lieber Erdmann, Sie sind zu scharf und ärgern die Leute. Ihr letztes Buch hat mir beinahe die Polizei auf den Hals gehetzt; ich hoffte immer, sie würde es konfiszieren, da wäre noch ein Geschäft zu machen gewesen. Aber so! In den Leihbibliotheken verlangt niemand Ihre Bücher, da habe ich gar keinen Absatz. Und Bücher kaufen, wer tut das?“

„Hol’ sie alle der Teufel,“ sprudelte Heider heraus, „die Bücher und die Käufer! Erdmann kann doch nun mal nicht anders schreiben. Den können Sie umdrehen wie einen Handschuh, rechts und links ist bei ihm egal, er bleibt der Erdmann. Und ist’s nicht gut so?“ Er erhob die Stimme, dass sie wie eine Posaune in die Nebenstube dröhnte. „Jeder soll reden, wie ihm das Maul gewachsen ist. Haben Sie das nicht selbst gesagt?“

„Schon, schon,“ Maier räusperte sich verlegen, „vom literarischen Standpunkt aus, gewiss. Aber für mich ist es eine schwere Sache.“ Er machte eine Pause, als überlegte er. „Ich kann, ich darf nicht zusetzen. Die Herstellung kostet viel, dann liegen mir die Bücher herum,“ er seufzte tief, „glauben Sie nicht, dass ich Sie aufrichtig schätze?“ Seine Stimme bekam einen warmen Klang. „Wenn ich heute ein Millionär wäre, würde ich mich keinen Augenblick besinnen, Ihr Buch zu nehmen, lieber Erdmann!“

Was Erdmann sagte, war nicht zu verstehen. Heider lief in der Stube auf und ab, das Knarren seiner Stiefel übertönte jedes Wort, jetzt blieb er stehen. „Dann pfeife ich auf die Verleger!“

„Kobes, Kobes!“ Erdmann rief’s ängstlich.

„Ach was, lass mich nur meinem Herzen Luft machen! Wenn Sie nicht mal was riskieren wollen, Herr Maier!“

Elisabeth musste vor sich hinlachen; sie hatte kein rechtes Verständnis für das Gespräch nebenan, die Empörung Heiders kam ihr komisch vor. Es interessierte sie gar nicht, zu lauschen. Sie hielt sich die Hände vor die Ohren — was ging sie das Gespräch da drinnen an? Sie lauschte dem Freudenlied, das immerfort in ihr erklang. Draussen lag Sonnenschein auf verstaubtem Asphalt, ein ganzes Meer von Sonnenlicht; sie starrte mit glänzenden Augen hinein und träumte herrliche, nicht zu beschreibende Träume eines grossen, unnennbaren Glückes. Die Hände sanken ihr von den Ohren; sie wusste selbst nicht, dass sie sie inbrünstig ineinanderfaltete.

Nebenan lenkte das Gespräch in ruhigere Bahnen. „Liebe Kinder,“ sagte Herr Maier, „ich tue, was ich kann. Meint ihr, es ist ’ne Wonne, berühmte Namen zu verlegen? Ich will keinen nennen, aber ich sage euch, manchmal bin ich ganz marode. Eine saure Arbeit. Und ihr macht mir noch Vorwürfe? Ich brauche einen grossen Schlager, wenn ich meine jungen Autoren anbringen will. So einer, der zieht, reisst eine Menge anderer mit sich. Ihr müsst Euch an den berühmten Namen kleben wie Austern an den Felsen. Und wenn ihr das nicht wollt, dann ...“

„Dann werden wir eben etwas später berühmt“, sagte Heider.

Und Erdmann setzte hinzu, lauter, als er bisher gesprochen hatte: „Nein, bitte, Herr Maier, ich weiss, Sie meinen es gut mit uns, aber von so einem ins Schlepptau genommen werden, das passt uns nicht.“ Er klemmte sein Manuskript wieder unter den Arm. „Komm, Kobes!“

„Warte!“ Heider lief zum Nebenzimmer. „Empfehle mich, gnädiges Fräulein! Viel Vergnügen auf der halsbrecherischen Leiter!“

„Oh, ich kann gut klettern!“ sagte sie rasch und trat zu ihm. „Ich werde mich auch empfehlen.“ Sie ging auf Herrn Maier zu und sah ihn fragend an.

„Es wäre weiter nichts zu besprechen, ich setze den Kontrakt auf. Sie können ihn demnächst einsehen.“ Er reichte ihr die Hand. „Auf Wiedersehen!“

Sie gingen alle drei miteinander fort. Unten auf der Strasse stiess Heider einen Seufzer aus. „Kein Vorschuss! Mein Fräulein, haben Sie sich schon mal in der unangenehmen Lage befunden, Geld zu brauchen und keins zu haben?“ Sie sah ihn erstaunt an.

Er lachte. „Also nicht, sonst würden Sie keine so grossen Augen machen!“ Zutraulich ging er neben ihr her, mit den Armen schlenkernd wie ein Schuljunge. Er hatte eine Art, die ihr fremd war, eine gewisse Dreistigkeit, die doch nicht verletzte.

Ihr Weg war der gleiche. Elisabeth ging zwischen den beiden jungen Männern. Hier in der freien Luft war Erdmann weniger schüchtern als im Zimmer des Verlegers. Sie sprachen von Maier.

„Ein anständiger Kerl!“ sagte Heider. „Er hat uns schon oft Vorschuss gegeben. Man konnte ihn heute wirklich nicht mehr drängen.“

Erdmann lächelte wehmütig, hielt seine lange Gestalt vornübergebeugt und hüstelte. „Ich bin dir jetzt schon dreihundert Mark schuldig, Kobes!“

„So? Davon weiss ich gar nichts.“ Heider tat sehr erstaunt. „Und wenn du sie mir schuldig wärest, was wäre da? Du bist mir sicher, Erdmännchen.“ Er wandte sich erklärend zu Elisabeth: „Wir hausen zusammen. Wir haben einen Tisch mit einer Schieblade, in die tut Geld, wer gerade welches hat. Das ist unsere Schatzkammer, wir greifen nur so hinein; wenn’s alle ist, ist’s eben alle!“

Erdmann war bedrückt, er schüttelte den Kopf. „Wenn du nicht Übersetzungen machtest und Kritiken schriebest und auf der Redaktion arbeitetest, dann ...“

„Dann wäre ich faul!“ schnitt ihm der andere rasch die Rede ab. „Lass gut sein, altes Haus, du wirst noch mal so berühmt, dass dir die Verleger nachlaufen.“

„Ich erlebe es nicht!“ murmelte Erdmann. Es fiel Elisabeth auf, wie verfallen er plötzlich aussah. „Ich bin nicht ganz wohl,“ er deutete ihren mitleidigen Blick recht, „ich habe ein paar Tage gelegen, habe mich heute nur aufgerafft.“ Er seufzte. „Wenn Maier das Ding genommen hätte, wäre ich gesund geworden.“

„Er ist ein Genie!“ flüsterte Heider dem Mädchen zu. „Die Zeit ist nur noch nicht reif für ihn!“ Sein bewundernder und zugleich besorgter Blick streifte den Freund. „Du darfst dich nicht so abarbeiten, du bist das der Welt schuldig.“

Erdmann hörte ihn nicht; er ging, den Kopf tief geneigt. Sein Manuskript presste er unter den Arm. Von rückwärts gesehen, konnte man ihn für einen alten, verbrauchten Menschen halten. Er schlich langsam.

Heider und das junge Mädchen waren ihm bald voraus; sie unterhielten sich sehr gut. Heider war wie sie in der Freiheit aufgewachsen; die Augen leuchteten ihm, als er von seiner Heimat sprach, dem Rhein. Er sprach mit Begeisterung von den grünen, breit flutenden Wellen, den Rebgeländen, die die Sonne küsst, von den rheinischen Mädchen mit den schnellen Zungen und der rheinischen Fröhlichkeit. Er wurde ein anderer. Sein burschikoser Ton verschwand, eine kindliche Weichheit kam in sein Gesicht, die kantigen Züge rundeten sich, ein liebenswürdiges Lächeln spielte um seinen Mund; er drückte sich schön aus, voll von einer zarten, edlen Empfindung.

Die Wagen rasselten vorüber — hier war die Lützowstrasse mir ihren sich kreuzenden Strassenbahngeleisen und ihrem Durcheinander von Fussgängern.

Sie standen vor einem Schaufenster still und bemerkten nicht, dass Erdmann an ihnen vorüberschob, und er wiederum sah sie nicht.

Elisabeth hatte ganz vergessen, dass sie nach Hause musste; Mile wartete mit dem Essen. Sie lehnte neben Heider an dem Messingstab, der das Schaufenster gegen die Strasse zu schützte. Anscheinend betrachteten sie die Bücher der Auslage, die Photographien von Bergen und Seen und die beliebten Ansichtspostkarten, aber in Gedanken beschäftigten sie sich miteinander.

Vor einer Stunde waren sie sich noch fremd, und merkwürdig, jetzt gingen ihre Seelen nebeneinander her und freuten sich der Gemeinschaft.

Wie Heimatluft wehte es von einem zum andern. Elisabeth gab sich ganz einem impulsiven Empfinden hin; sie war erfreut, wie ein Echo kamen ihr die eigenen Gedanken und Ansichten zurück. Das Wort glitt ihr so leicht von der Lippe; bei aller Freundlichkeit, mit der man sie bei Mannhardts und bei Kistemachers überschüttete, war doch immer eine Schranke, kaum gesehen, kaum gefühlt, und doch war sie da. Hier war keine.

Sie reichten einander die Hände mit einem herzlichen Druck.

„Glück auf, Fräulein Reinharz!“ sagte Heider frisch. „Ich weiss, Sie schreiben gut, ich lese es auf Ihrem Gesicht. Sie haben einen Mund, ein Kinn, so energisch, wie ich’s noch bei keinem Frauenzimmer gesehen habe. Und in Ihren Augen ist Lyrik, viel warme Empfindung — Mund und Augen, eine glückliche Vereinigung!“ Er zog den Hut von der schwarzen Mähne und schwenkte ihn mit einer komischen Galanterie: „Alle Achtung! Ich bin noch keinem Mädchen begegnet, das mir so gut gefallen hätte. Und ich bin Kenner.“

„Danke!“ sagte sie heiter und hob das frische Gesicht zu ihm auf und lachte ihn aus freundlich strahlenden Augen an. „Sie gefallen mir auch sehr gut.“

Er küsste nicht ihre Hand, aber er hielt sie eine ganze Weile in der seinen. Seine Augen ruhten mit einem warmen Blick auf dem Mädchen; die Vorübergehenden mochten sie wohl für ein Liebespaar halten.

„Wir wollen uns wiedersehen. Ist es Ihnen recht, Fräulein Reinharz, wenn ich Sie besuche?“ sagte er. „Sie müssen in unsern Kreis kommen; tüchtige Kerle dabei — und unsre Mutter Maria, na, warten Sie nur! Es geht freilich etwas einfacher zu als bei Ihren Mannhardts und bei den drei Literaturparzen — wenn die sich doch nur einmal gegenseitig den Faden abschnitten!“

Elisabeth sah ihn erschrocken an.

„Nein, nein!“ Er lachte. „Haben Sie nur keine Angst, ich bin durchaus nicht gegen schriftstellernde Frauen. Im Gegenteil, wenn ein Weib ehrlich sein Herz gibt, den Mut seiner Meinung hat und doch nicht vergisst, dass es einen Unterrock anhat, dann — Hut ab! Aber die Weiber, die sich mit angelogenen Empfindungen aufplustern und die Welt mit einem Siruppinsel anmalen — sind lächerlich. Die sich und ihre Mitschwestern ausziehen bis aufs Intimste und rufen: ‚Seht, so sind wir!’ — die sind ekelhaft. Die ihre Weiblichkeit in Hosen verstecken: ‚Lasst uns den Männern gleich sein!’ — die verdienen Prügel. Ehrlich, ehrlich, Fräulein Reinharz!“

Er hatte sich heiss und rot geredet.

„Seien Sie immer ehrlich, und auf das, was die Leute sagen, das Publikum, die Kritik, na, da ...“ Er stiess einen langgezogenen Pfiff aus. „Ich hoffe doch, Sie können pfeifen, Fräulein Reinharz?“

Er sah sie unter zusammengezogenen Augenbrauen, plötzlich ernst geworden, an.

„Oh, famos!“ Sie spitzte die Lippen. „Ich kann pfeifen wie ein Schäferknecht!“

Und nun lachte Elisabeth wieder, voll von einer glückseligen, kindlich frohen, übermütigen Stimmung. Woran konnte es ihr fehlen? So viel Glück auf einen Tag! Einen Gott in der Brust, einen Verleger zur Hand, einen Freund zur Seite, und in der Ferne — da, ach da! Ein wonniger, zitternder Atemzug hob ihr die Brust.

Als sie in ihr Haus trat, lag die Strasse getaucht in Mittagsglut, ein goldener Traum. Drüben am Fenster sang laut ein Vogel, schmetternd und jauchzend; es klang wie eine Siegesfanfare. Und Rosen blühten im Vorgärtchen, volle, rote, stark duftende Rosen.

Elisabeth Reinharz' Ehe. Es lebe die Kunst!

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